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Als vor zwanzig Jahren die Mauer fiel, waren nicht nur die Tage der DDR gezählt. Auch die Zeit West-Berlins ging zu Ende. 40 Jahre lang hat die halbierte Stadt inmitten des ostdeutschen Territoriums existiert und sich zu einem Biotop mit ganz spezifischen Lebensformen entwickelt. Mehrfach stand sie im Zentrum der Weltpolitik. Wilfried Rott legt nun die erste Gesamtdarstellung ihrer ebenso dramatischen wie bizarren Geschichte vor. West-Berlin war ein merkwürdiger Ort, eine Art "drittes Deutschland" zwischen Bundesrepublik und DDR. Unter den besonderen Lebensbedingungen dieser "Insel" entstand…mehr

Produktbeschreibung
Als vor zwanzig Jahren die Mauer fiel, waren nicht nur die Tage der DDR gezählt. Auch die Zeit West-Berlins ging zu Ende. 40 Jahre lang hat die halbierte Stadt inmitten des ostdeutschen Territoriums existiert und sich zu einem Biotop mit ganz spezifischen Lebensformen entwickelt. Mehrfach stand sie im Zentrum der Weltpolitik.
Wilfried Rott legt nun die erste Gesamtdarstellung ihrer ebenso dramatischen wie bizarren Geschichte vor. West-Berlin war ein merkwürdiger Ort, eine Art "drittes Deutschland" zwischen Bundesrepublik und DDR. Unter den besonderen Lebensbedingungen dieser "Insel" entstand ein eigenes kulturelles und geistiges Klima, das Künstler und Abenteurer aus der ganzen Welt anzog. In den 50er Jahren war die Stadt das "Schaufenster des Westens". In den 60er Jahren galt sie als Zentrum der Studentenbewegung. Aber es entstanden auch zahlreiche noch heute prägende kulturelle Institutionen. Schließlich entwickelte sich in Kreuzberg eine Subkultur, die ins ganze Bundesgebiet ausstrahlte. Auch politisch fand sich West-Berlin immer wieder im Brennpunkt des Weltgeschehens. In den Berlin-Krisen der späten 40er und der 50er Jahre stand die Existenz der Stadt mehrfach auf dem Spiel. Der Regierende Bürgermeister Willy Brandt betrat hier 1961 während des Mauerbaus die Bühne der internationalen Politik. In den 70er Jahren wurde das Berliner Milieu zur Keimzelle des Terrorismus. Wilfried Rott gelingt es, all diese unterschiedlichen Entwicklungen einzufangen und zu einem fesselnden Portrait zu verbinden.
Autorenporträt
Wilfried Rott, geb. 1943, ist erfolgreicher Sachbuch-Autor und einer der besten Kenner West-Berlins. Von 1977 bis 2008 arbeitete er beim heutigen Sender SFB/rbb, zuletzt als Abteilungsleiter und Fernsehmoderator. Seit 1999 ist er zudem Honorarprofessor an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" und Kolumnist bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und der "Welt".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2009

Deutschland 2.5
„Vorposten der Freiheit”, „Modell einer modernen Großstadt in allen Bereichen”, Beispiel des demokratischen Sozialismus – von West-Berlin wurde viel erwartet. Wilfried Rott erzählt von der Insel im roten Meer Von Jens Bisky
Wenn die Deutschen ihre Einheit feiern, dann werden in der langen Reihe der sorgsam abgewogenen Danksagungen an Bürgerrechtler, Polen, Ungarn, an Gorbatschow und Bush gern die West-Berliner vergessen. Dabei haben diese seit 1948 die Folgen der Teilung täglich gespürt, haben in den Jubelnächten des Jahres 1989 als erste und sehr herzlich die Ostdeutschen begrüßt, dann mit Wegfall der Berlinzulage und anderer Privilegien einen hohen Preis fürs Vereinigen bezahlt.
Aber weder die alltäglichen Einschränkungen in der Vergangenheit noch die späteren Verluste werden den West-Berlinern durch Anerkennung ihres Schicksals und Aufmerksamkeit für ihre Lebensgeschichten entgolten. Im Gegenteil: Es hat sich eingebürgert, von West-Berlin gering zu denken. Respekt vor dem Selbstbehauptungswillen in den Blockadejahren wird noch pflichtschuldig aufgebracht, ansonsten aber scheint es, als wolle man der Teilstadt die Rechnung dafür präsentieren, dass man sie all die Jahre hat unterhalten müssen. Wer ihr Erbe verteidigt, dem Schiller-Theater hinterhertrauert oder die Bauten zwischen Bahnhof Zoo und Gedächtniskirche nicht zum Abriss freigeben will, steht grundsätzlich unter Verdacht, ein unverbesserlicher Frontstädter zu sein. Lange als „Vorposten der Freiheit” beschworen, gilt West-Berlin heute als Vorposten der Antiquiertheit. Gegenwart findet woanders statt, aufregend Neues erwartet man in Charlottenburg, Kreuzberg oder Tempelhof zuletzt.
Diese Urteile, in denen treffende Beobachtung, Unkenntnis und Ressentiment sich ununterscheidbar mischen, überraschen nicht. Wie es dazu kam, dass West-Berlin mit Baufilz, Subventionsvergeudung und Hinterzimmerausgleichswirtschaft assoziiert wurde, wie die Animositäten zwischen Wessis und West-Berlinern unaufhörlich größer wurden, kann man in der ersten Gesamtgeschichte der Halbstadt nachlesen, in dem Buch des Fernsehjournalisten Wilfried Rott über „Die Insel” im roten Meer.
Anfang der siebziger Jahre hatte der Sozialdemokrat Klaus Schütz geglaubt, dass die von ihm regierte Stadt nun eine „normale” Metropole geworden sei. Dabei verkam man immer mehr zur verlängerten Werkbank westdeutscher Firmen, die rücksichtslos Förderregeln missbrauchten, was ihnen ziemlich leicht gemacht wurde.
Mit Steuervergünstigungen konnte man beispielsweise dann schon rechnen, wenn man tiefgefrorene Schweine in die Stadt bringen, ihnen dort die Ohren abschneiden oder sie zerteilen ließ, um sie dann wieder zurückzutransportieren. „Da die Hälfte des West-Berliner Haushalts aus bundesdeutschen Steuermitteln aufgebracht wurde, sahen sich die Bundesbürger in der Rolle des etwas herablassenden Finanziers, der nun, wo Mitleid mit einer gebeutelten Stadt inmitten der DDR nicht mehr angebracht war, das Gefühl nie los wurde, dass mit seinem Geld ein Heer von Müßiggang und Allotria treibenden Kostgängern unterhalten werde.” Die wirtschaftliche Abhängigkeit hinderte Klaus Schütz nicht daran, West-Berlin zum „Modell einer modernen Großstadt in allen Bereichen” auszurufen.
Zumindest im Bereich „Skandale und Affären” gelang dies auch. Da arbeiteten Wirtschaft, Politik und Verwaltung wirklich Hand in Hand. Figuren wie die Architektin Sigrid Kressmann-Zschach profitierten davon. Sie war aus der DDR geflohen und hatte „Texas-Willy” geheiratet, den beliebten Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, Willy Kressmann. Seitdem kannte sie die richtigen Leute. Sie besaß auch Verstand genug, die Zwänge in der eingeschlossenen Stadt und das zur Selbstbedienung einladende Fördersystem zu durchschauen. Außerdem besaß sie, heißt es, eine schlanke Taille, war eine attraktive Erscheinung. Kressmann-Zschach verdiente im sozialen Wohnungsbau, baute auch das Kudamm-Karree, 40 000 Quadratmeter in bester City-Lage. Mieter blieben aus, bis der Senat einsprang, um Leerstand zu verhindern. Er brachte im Karee die Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege unter. Derlei Geschäftsgebaren wurde durch mehr oder weniger sanfte Kontaktpflege ermöglicht. Ihre Förderer lud die Architektin an ihren Swimmingpool oder bedachte sie mit einer Flasche Champagner. Ein Senatsdirektor teilte auch das Hotelzimmer mit ihr. Man plauderte sehr angeregt über Architektur und Futurologie. Mit dem „Steglitzer Kreisel”, einem Verkehrsprojekt mit Bürohochaus, übernahm sich die Dame dann. Der Bauträgergesellschaft ging das Geld aus, sie aber hatte 30 Millionen Mark Honorar für eine architektonische Scheußlichkeit ersten Ranges einstreichen können. Kritik an der „großen Idee” des Kreisels nannte Klaus Schütz zunächst „hämische, kleinliche und unsachliche Nörgelei”. 1977 musste er wegen einiger Unregelmäßigkeiten vom Amt des Regierenden Bürgermeisters zurücktreten, einer, wie er einmal sagte, „wenigen Spitzenpositionen, die die freie Welt (. . .) zu vergeben hat”. Schütz wich Dietrich Stobbe, und die SPD entwickelte lieber das „Modell des demokratischen Sozialismus”.
In den Geschichten um Klaus Schütz, der immerhin zehn Jahre die Geschickte der Stadt lenkte, stehen erhabene und peinliche Gesten nebeneinander. Wäre es anders gegangen? Mit dem Vier-Mächte-Abkommen begann 1971 eine Normalisierung des Absurden, schwand die unmittelbare Bedrohung, gewann das Provisorium den Anschein der Ewigkeit. Wie aber sollte das Selbstverständnis eines Gemeinwesens aussehen, dessen Bewohner lediglich behelfsmäßige Personalausweise besaßen? In dem man Gesetze befolgen musste, ohne über deren Zustandekommen mitzuentscheiden. Das unter alliierter Herrschaft stand und gleichsam in Feindesland lag.
Die Beschreibung der Ära Schütz, der Jahre zwischen 1967 und 1977, ist Wilfried Rott am besten gelungen. Ausführlich, genau, ohne Larmoyanz vergegenwärtigt er die alle West-Berliner verbindende Erfahrung der Transit-Fahrten durch die DDR: die kleinen Schikanen der Kontrolle, das willkürliche Verfügen über die Zeit der Reisenden, die schlechten Straßen, die Valuta-Gier des sozialistischen Staates. Das Gefühl der Ohnmacht vor den Kontrollhäuschen, die Wut über den Übermut der Zöllner dürften mehr als alles andere zum Gemeinschaftsgefühl der Insulaner beigetragen haben. Gegen ihre Absicht habe die DDR ein West-Berliner Identitätsgefühl gefördert, „das ohne lautes Hurra–Bekenntnis zum Westen von einer tiefen Abneigung gegen den Osten grundiert war.” Und wenn nach dem Mauerfall DDR-Bürger darauf wert legten, dass nicht alles in ihrem Land Stasi gewesen sei, müssen sie sich sagen lassen, dass für Transitreisende die DDR nur aus Staatssicherheit bestand.
Die Darstellung beginnt im September 1948, mit dem durch kommunistische Krawalltrupps erzwungenen Auszug der Stadtverordneten aus dem Stadthaus im sowjetischen Sektor. Sie endet mit der konstituierenden Sitzung des Gesamtberliner Parlaments am 11. Januar 1991. Leider hat Rott seine Erzählung über das „dritte Deutschland” auch sonst eng an das Auf und Ab der Landespolitik angelehnt. Viel zu kurz kommen dadurch Kultur, Alltag und Mentalität. Diese aber sind das eigentlich Interessante. Sie allein rechtfertigen für den nicht lokalpatriotisch Entflammten eine eigene Geschichte West-Berlins. Die großen Momente – Ernst Reuters „Ihr Völker der Welt . . .”, die Luftbrücke, Mauerbau und Mauerfall gehören selbstverständlich in eine Geschichte der deutschen Nachkriegszeit. Dorther kennt sie auch jeder. Die lokale Perspektive ergibt keine neuen Gesichtspunkte. Der Berliner Filz war und ist, wie Wilfried Rott auch zugibt, nicht schlimmer als der in Frankfurt am Main oder Köln. Das politische Personal dürfte insgesamt sogar ein wenig besser gewesen sein als der bundesrepublikanische Durchschnitt. Dafür sprechen Namen wie Ernst Reuter, Willy Brandt, Richard von Weizsäcker.
Wie aber verhält es sich mit der Provinzialisierung der Hauptstadt, was ja verbunden war mit einer Metropolisierung der Provinz? „West-Berlin”, so begann der Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott einen im vergangenen Jahr erschienenen Essay, „West-Berlin war kein Ort, sondern ein Zustand, Traumpotential in besonderer Verdichtung, Turbulenz auf einer Nadelspitze und erhöhte Temperatur als Dauerzustand. Geschlossene Gesellschaften neigen zur Exaltation nach innen: Forcierung der Temperamente, Pflege von Besonderheiten aller Art, Dramatisierung von Konflikten.” Dass von diesen Eigenheiten so wenig die Rede ist, verwundert und schmälert die Lust an der Lektüre doch gewaltig. Sind die anfangs ablehnenden, alarmistischen Reaktionen der Provinz-CDU wirklich das Mitteilenswerte aus der Geschichte der Berliner Schaubühne? Deren Besonderheit ästhetisch zu erklären, versucht Rott nicht. Er beschränkt sich auf die Wiedergabe einiger Dramaturgenfloskeln. Warum kommt die Verlagsszene fast gar nicht vor? Ohne Wagenbach, Rotbuch, Siedler und Merve ist die Stadt doch überhaupt nicht zu verstehen. Sie lebten von der mal schnellen, mal zähen Intellektualität Berlins, sie lieferten dieser neuen Stoff, Argumente und Lebenschancen.
Vieles wird von Rott nur anmoderiert, als verstünde es sich von selbst. So erwähnt er zwar das Prinz-Albrecht-Gelände neben dem Martin-Gropius-Bau, aber die langwierigen Bemühungen einer Bürgerinitiative, an dieser Stelle an die „Topographie des Terrors” zu erinnern, werden nicht dargestellt.
Die bis 1961 und dann ab Mitte der siebziger Jahre wieder auflebenden Kontakte zwischen Ost- und Westintellektuellen in Berlin, die Besuche Heiner Müllers im Westen, die von Grass im Osten werden stillschweigend übergangen. Die Schwulen-Szene spielt so wenig eine Rolle wie der Punk. Nur für Halbsätze blitzen diese auf. Über den Tagesspiegel erfährt man wenig mehr als nichts.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Manche Lücke könnte man verschmerzen, verwiese nicht jede auf ein grundsätzliches Problem: Wilfried Rott interessiert sich zu wenig für das, was West-Berlin ausmachte. Er zeichnet keinen Stadtplan, auf dem Veränderungen eingetragen werden könnten, Ereignissen und Institutionen ihr Platz zuzuweisen wäre. Deswegen zerfällt sein Buch in eine Geschichte des Kalten Krieges am Beispiel Berlins und in eine kurze Darstellung der Landespolitik. Allein in den Abschnitten über Skandale unter Schütz und Transiterfahrungen glaubt man, den genius loci zu spüren.
Das Kudamm Karree wurde inzwischen abgerissen, der Steglitzer Kreisel steht leer. Keiner weiß so recht, was man mit ihm anfangen soll. Der Ruf der Halbstadt ist, wie gesagt, nicht der beste. Dass es so ist, dazu trugen die Weigerung der alternativen Szene, den Mauerfall zu akzeptieren und das Zusammenwachsen, ebenso bei wie der blamable Verfall der CDU unter Diepgen/Landowsky im Bankenskandal.
Charlottenburger, Schöneberger, Kreuzberger Seilschaften sind allerdings immer noch stark in der Stadt. Den verschiedenen Milieus ist es auf erstaunliche Weise gelungen, den eigenen Untergang zu überleben. Daher ist die Hoffnung nicht unbegründet, dass diese erste Gesamtdarstellung nicht das letzte Wort ist über West-Berlin.
Wilfried Rott
Die Insel
Eine Geschichte West-Berlins. 1948-1990. Verlag C.H. Beck, München 2009. 478 Seiten, 24,90 Euro.
Der Insulaner verliert die Ruhe nicht / der Insulaner liebt keen Jetue nicht
West-Berlin, 1981 – Mitglieder der Hausbesetzer-Szene „instandbesetzten” die Mauer. Nun sieht alles idyllisch umzäunt, irgendwie behütet aus. Die Versuchung, eine Insel auf der Insel zu suchen, war groß. Foto: Amos Schliack/laif
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Jens Bisky mag West-Berlin, auch wenn andere es für einen "Vorposten der Antiquiertheit" voller "unverbesserlicher Frontstädter" halten, die zuviel RIAS gehört haben. Mit Freude hat er deshalb Wilfried Rotts Geschichte der Stadt in die Hände genommen, hat sie aber nicht ganz glücklich wieder geschlossen. Groß ist Rott offenbar in der Darstellung des Berliner Politfilz. Wie sich die Architektin Sigrid Kressmann-Zschach als Ehefrau des Kreuzberger Bürgermeister Willy Kressmann (genannt "Texas-Willy") und Geliebte einschlägiger Senatsdirektoren die Aufträge für solche Schrecklichkeiten wie den Steglitzer Kreisel und das Kudamm Karree ergattert hat - das bleibt auch für Bisky unvergesslich. Allerdings findet Bisky den Berliner Sumpf nun auch nicht viel schlimmer als den Frankfurter Filz oder den Kölner Klüngel. Deswegen vermisst er umso schmerzlicher in diesem Buch, was West-Berlin jenseits von  Landespolitik und weltgeschichtlichen Großereignissen - Luftbrücke, Mauerbau und Mauerfall - einzigartig gemacht macht: Kultur, Alltag und Mentalität.

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