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Ohne darüber nachgedacht zu haben, ist Deutschland zu einem Einwandererland geworden. Mit den Menschen kam auch eine neue Religion: der Islam. In seinem neuen Buch erzählt der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani auf sehr persönliche Weise von seinem Leben als Kind iranischer Eltern in Deutschland und berichtet von seinen Erfahrungen als Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz. Dabei erweist er sich einmal mehr als genauer Beobachter, scharfer Analytiker und mitreißender Erzähler. Nicht nur innerhalb der islamischen Welt findet ein Kulturkampf statt. Auch in Europa ist die Debatte…mehr

Produktbeschreibung
Ohne darüber nachgedacht zu haben, ist Deutschland zu einem Einwandererland geworden. Mit den Menschen kam auch eine neue Religion: der Islam. In seinem neuen Buch erzählt der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani auf sehr persönliche Weise von seinem Leben als Kind iranischer Eltern in Deutschland und berichtet von seinen Erfahrungen als Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz. Dabei erweist er sich einmal mehr als genauer Beobachter, scharfer Analytiker und mitreißender Erzähler.
Nicht nur innerhalb der islamischen Welt findet ein Kulturkampf statt. Auch in Europa ist die Debatte darüber, was die eigene Kultur ausmacht, in vollem Gange. Am deutlichsten zeigen sich die Frontlinien am Umgang mit den Muslimen: Einem Europa, das sich durch seine christlichen Wurzeln definiert, also durch die Abgrenzung vom Islam, liegt ein anderes Konzept zugrunde als einem Deutschland, dem der Islam zumindest potentiell angehört. Wie immer die Antwort ausfällt, sie hat angesichts der demographischen Entwicklung und der weltpolitischen Lage gravierende Auswirkungen auf unsere Zukunft. In welchem Europa möchten wir leben?
Navid Kermanis Buch überzeugt durch die leisen Töne, denn unsere Identität als Deutsche, Europäer, Muslime oder Christen ist vielfältiger und ambivalenter, als uns oft eingeredet wird.
Autorenporträt
Navid Kermani, geboren 1967, promovierter Islamwissenschaftler und Publizist, gilt als führender Iran-Experte in Deutschland und hat zwischen 1995 und 2000 für die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Entwicklung in Iran verfolgt. Für das Studienjahr 2000/2001 ist er an das Wissenschaftskolleg in Berlin berufen worden. 2010 wurde Navid Kermani mit der "Buber-Rosenzweig-Medaille 2011" ausgezeichnet und 2011 erhielt er den "Hannah-Arendt-Preis" für seine "lagerüberwindenden, religionswissenschaftlichen und politischen Analysen". Im Jahr 2012 wurde er für seine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Religionen sowie den von ihm betriebenen Dialog der Kulturen mit dem "Kölner Kulturpreis" ausgezeichnet, im Oktober erhielt er den "Cicero Rednerpreis" für "herausragende rhetorische Leistungen". Im November desselben Jahres wurde ihm der "Kleist-Preis" verliehen. 2014 erhielt er den "Joseph-Breitbach-Preis" für sein Gesamtwerk, 2015 wurde ihm der "Friedenspreis des Deutschen Buchhand

els" verliehen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2009

Gewaltige Integrationsleistung
Essaysammlung über Deutschland und seine Muslime

Themen der Essaysammlung "Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime" sind der Islam und die Integration von Zuwanderern islamischer Herkunft. Der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani wehrt sich gegen eine Reduktion der Integrationsdebatte "auf ein Für und Wider des Islams . . . - als ob die Einwanderer nichts anderes seien als Muslime". Dass die Gruppe der in Deutschland lebenden Iraner sehr gute Integrationserfolge hat, wohingegen die türkische durchgängig die schlechtesten aufweist, macht bereits deutlich, dass dem religiösen Hintergrund nur eingeschränkter Erklärungswert zukommt.

Geht es im ersten Fall um Elitenmigration, so handelt es sich im Falle der Türkei um eine sich dynamisch entwickelnde Kettenwanderung, die vor allem bildungsferne Schichten zur Wanderung veranlasst hat. "Ich behaupte nicht, dass es keine kulturellen Konflikte gibt, aber ich meine, dass die größte Bruchstelle in einer Gesellschaft und zwischen verschiedenen Gesellschaften weiterhin die ökonomische ist - selbst wenn soziale Konflikte immer häufiger in einem kulturellen oder religiösen Vokabular ausgedrückt werden." Die ökonomischen Eliten haben weltweit wesentlich mehr Gemeinsames als Trennendes. "Der Riss verläuft nicht zwischen den Kulturen, vielmehr zieht er sich mitten durch sie hindurch." Deshalb habe es keinen Sinn, von Zuwanderern unveränderbare oder eindeutige Identitäten zu erwarten.

Kermani stellt eine "intellektuelle Auszehrung des orthodoxen Islams" fest, den "Niedergang einer hoch stehenden religiösen Kultur", die den Fundamentalismus erst ermöglicht habe. Er setzt sich allerdings auch kritisch mit einem in westlichen Medien verbreiteten Islam-Bild auseinander, das den Islam assoziiert mit Rückständigkeit und Gewalt. Jede Hochreligion kennt unterschiedliche und miteinander konkurrierende Lesarten der heiligen Schriften. Wer unterstelle, dass Islam und Demokratie unvereinbar seien, übersehe, dass auch der Islam offenkundig in der Lage sei, unterschiedlichste Staatsformen und Herrschaftsweisen zu legitimieren. Islamisten und einige westliche Islamkritiker stilisierten eine Phase zum historischen Modell, in dem das "Wesen" des Islams zum Ausdruck komme. "Wer die spezifische Situation innerhalb einer Heilsgeschichte zum absolut gültigen und im Detail nachzuahmenden Muster für die gesamte nachfolgende Geschichte erklärt, denkt fundamentalistisch, mag er Muslim sein oder Christ, Anhänger einer Religion oder ihr Betrachter."

Navid Kermani hebt hervor, dass Deutschland insgesamt in den zurückliegenden Jahrzehnten eine "gewaltige Integrationsleistung" erbracht habe. So lobt er die offene und faire Debatte um den Moschee-Bau in Köln. Der aus einer iranischen Arztfamilie stammende Kermani nimmt für sich in Anspruch, in der multikulturellen Realität zu leben - und hat sich doch dem Zusammenleben insoweit entzogen, als er seine Tochter nicht in den nächstgelegenen Kindergarten schickte, "weil wir nach ein, zwei Besuchen befürchteten, dass sie dort eher Türkisch als Deutsch lernen würde". Schließlich besuchte die Tochter die katholische Grundschule. Bürgerliche Mittelschichten preisen zwar gerne den Multikulturalismus, nutzen aber doch die Exit-Option, wenn es ernst wird.

So plausibel Kermanis Argumente gegen eine Identitätspolitik und vorschnelle Zuschreibung angeblicher kultureller Eigenarten sind, so wird hier ein zentraler Widerspruch deutlich - teilt doch gerade der Multikulturalismus ausdrücklich die Menschen nach ihrer Herkunftskultur ein und stellt damit Gruppenidentitäten und Andersartigkeit in den Mittelpunkt. An anderen Stellen des Buches geht die politische Polemik mit Kermani durch. Rot-Grün einen Alleinvertretungsanspruch auf eine Integrationspolitik zuzuschreiben wird der Komplexität des Geschehens nicht gerecht. Gleiches gilt für die Aussage, wer in der öffentlichen Debatte versuche, "sich mit Argumenten, gar mit wissenschaftlichen Erkenntnissen Gehör zu verschaffen, bekommt umgehend das Label des naiven Multikulturalisten umgehängt". Die darin enthaltene Unterstellung, sozialwissenschaftliche Integrationsforschung laufe nahezu zwangsläufig auf multikulturalistische Positionen hinaus, ist allerdings längst überholt.

Auch die heftige Kritik am deutschen Staatsangehörigkeitsrecht ist zwar wohlfeil, läuft aber ebenfalls ins Leere, wie jüngere Arbeiten von Historikern und Juristen in Erinnerung rufen. Das Abstammungsprinzip im bis 1999 geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz war weder ein deutscher Sonderweg noch Ausdruck eines völkischen Nationenverständnisses. Ethnische Ausschlusskriterien kannte es nicht. Insgesamt hat Navid Kermani mit "Wer ist Wir?" ein streitbares und lesenswertes Buch vorgelegt.

STEFAN LUFT

Navid Kermani: Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime. Verlag C. H. Beck, München 2009. 171 S., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2009

Kölscher Muslim
Navid Kermani – in Köln zu Hause – fühlt sich merkwürdig, wenn er auf den Muslim reduziert wird. Er sei Muslim, ja, aber er sei auch vieles andere. Es störe ihn gewaltig, wenn die Integrationsdebatte sich reduziere auf ein Für und Wider des Islam. Mit sechs Jahren trat er einem Fußballverein bei. Dort hatte er Schwierigkeiten, weil er Oberschichtangehöriger war, die Eltern der anderen Kinder fuhren keinen Mercedes, sondern einen Renault. Der Wohlstand war nicht von Vorteil im Fußballverein.
Navid Kermani möchte nicht mehr dahin zurück, wo er aufgewachsen ist: ins Siegerland. Und wenn er mal in das Land seiner Eltern fährt, ist es die iranische Stadt seiner Eltern: Isfahan, wo die Menschen anders sind als in Teheran. Die Welt der strengsten, geradezu puritanischen Muslime in Saudi-Arabien sieht er im Verein mit einem Glauben an den Kapitalismus, „gegen den die FDP wie eine Partei von Alchimisten wirkt”. Die dänischen Karikaturen waren für ihn ein Beispiel, wie westliche und nichtwestliche Medien in „perfektem Zusammenspiel” innerhalb weniger Tage jene Massenhysterie erzeugen können, über die sie dann berichten. Diese Abfolge: Provokation, Drohung, Einlenken und Empörung über das Einlenken wiederhole sich bei allen Erregungen, die das Thema Islam alle paar Monate erzeuge.
Im Fall des Murat Kurnaz habe die deutsche Politik versagt. Dieser Mitbürger aus Bremen hat vier Jahre unschuldig in Guantanamo gesessen, und er blieb dort bis August 2006, weil die deutschen Behörden ihm die Einreise verweigerten. Kermani kritisiert die Heuchelei. Die Bundesregierung – heißt es – habe sich nicht um die Freilassung bemühen müssen, weil Kurnaz die türkische Staatsbürgerschaft habe. Der Autor ist da unerbittlich: „Selbst wenn Kurnaz ein Chinese mit Wohnsitz in Kenia gewesen wäre, hätten sich die deutschen Behörden um ein Ende der rechtswidrigen Inhaftierung bemühen müssen.” Das sei ein Gebot der Menschenrechte und habe nichts mit dem Pass zu tun. „Wieso sind die Herren Steinmeier und Otto Schily nicht einmal nach Bremen gefahren, um Murat Kurnaz und seine Mutter zu besuchen?” Sie hätten ihnen sagen können, dass sie sich falsch, aber unter den damaligen Umständen vielleicht doch nicht ganz ohne Grund so verhalten hätten.
Kermani sagt es wie ein moder-
ner Christ: Für sich betrachtet sei der
Koran kein „Pamphlet gegen Moderne, Demokratie und das deutsche Grund-
gesetz”. Das Gleiche kann man auch
vom Neuen Testament sagen. Diese Streitschrift will nur Mut machen. Kermani beschreibt, wie man ein Fan des 1. FC Köln sein kann, ganz gleich, ob man mit Kölsch getauft wurde oder mit Mekka-Wasser. RUPERT NEUDECK
NAVID KERMANI: Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime. C.H. Beck, München 2009. 173 S., 16,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In weiten Passagen trifft Navid Kermani mit seinen Essays über den Stand der Integration in Deutschland und seinem Plädoyer gegen "vorschnelle Zuschreibungen" bei Rezensent Stefan Luft auf Zustimmung. Etwa wenn er betont, dass sich die iranische Elitenmigration mit der türkischen Arbeitermigration nicht über den Kamm einer islamischen Einwanderung scheren lässt. Und auch wenn Kermani zugibt, dass er - in bester deutscher Mittelschichtstradition - sein Kind nicht in die öffentliche Kita, sondern lieber in den katholischen Privatkindergarten gibt, dann stimmt Luft mit Kermani überein, dass Deutschland eine eine "gewaltige Integrationsleistung" erbracht habe. Womit der Rezensent nicht einverstanden ist, dass Kermani nur rot-grüner Politik ernsthaftes Interesse an der Einwanderungspolitik zubilligt. Das werde der "Komplexität" der Thematik nicht gerecht, meint Luft.

© Perlentaucher Medien GmbH