Marktplatzangebote
17 Angebote ab € 2,40 €
  • Gebundenes Buch

Der Hass ist längst nicht mehr nur das Kennzeichen fanatischer Splittergruppen. Stattdessen bestimmt er das Denken und Handeln ganzer Volksbewegungen. In gut humanistischem Glauben vertrauen wir darauf, der Hass lasse sich durch Verständnis und Vernunft überwinden. Damit betrügen wir uns nur selbst. André Glucksmann trifft mit Hass so prägnant wie provokant ins Herz unserer modernen Gesellschaft.

Produktbeschreibung
Der Hass ist längst nicht mehr nur das Kennzeichen fanatischer Splittergruppen. Stattdessen bestimmt er das Denken und Handeln ganzer Volksbewegungen. In gut humanistischem Glauben vertrauen wir darauf, der Hass lasse sich durch Verständnis und Vernunft überwinden. Damit betrügen wir uns nur selbst. André Glucksmann trifft mit Hass so prägnant wie provokant ins Herz unserer modernen Gesellschaft.

Autorenporträt
André Glucksmann, geboren 1937, lebt heute in Paris. Seit vielen Jahren schreibt er Bücher gegen totalitäre Systeme in jeglicher Ausprägung; mit Bernard-Henri Lévy und Alain Finkielkraut gehört er zur 'Neuen Philosophie' in Frankreich. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen Die Meisterdenker, Die Macht der Dummheit und Das Gute und das Böse.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2005

Die neue Mobilmachung
André Glucksmann über den Haß als Ideologieersatz

Die erste wichtige Publikation von André Glucksmann handelte 1967 unter dem Originaltitel "Le discours de la guerre" vom Krieg. Mit diesem "Discours de la haine", der unter dem verkürzten Titel "Haß" nun auf deutsch vorliegt, scheint sich ein Kreis zu schließen. Ganz so gradlinig ist die vierzigjährige Denkentwicklung dieses Intellektuellen also nicht. Was damals unter dem Einfluß von Clausewitz technisch als Analyse der Kriegsdynamik begann, zielt heute unmittelbar in den Mittelpunkt eines zeitgenössischen Tabus. Das "Böse" im Menschen steht seit bald zehn Jahren als Leitthema über allen Büchern Glucksmanns. Hitler kam aus unserer Hochzivilisation und wohnt in uns allen fort, schrieb der Autor 1997 in "Das Gute und das Böse": Unsere idealistisch verklärte Aufgeklärtheit verleite uns aber dazu, die Ursachen des Bösen stets draußen bei den äußeren Umständen zu suchen, in der Armut, in erlittenen Demütigungen, sozial bedingter Frustration, im westlichen Imperialismus. Dieses Buch ist nun ein neuer Anlauf, die reale Existenz des Bösen inmitten der modernen Zivilisation darzustellen, in der Gestalt von Haß und dessen willigstem Handlanger, dem Terroristen.

Laut der despotischen oder imperialen Definition, etwa bei Napoleon, war Terrorismus eine irreguläre Kampfhandlung gegen eine reguläre Machtinstanz wie die Armee. Den zeitgenössischen Terrorismus definiert Glucksmann dagegen als Angriff bewaffneter Gruppen auf eine unbewaffnete Bevölkerung mit größtmöglichem Schadenseffekt. Der neue Terrorist ist offen nihilistisch. Wo der Guerrillakämpfer seine Wut einem Kampfplan unterordnet und vom Feind dasselbe erwartet, ist der Terrorist eins mit seiner Wut, bis hin zur apokalyptischen Selbstauslöschung. Gegenüber dieser Realität bleiben, so Glucksmanns Kritik, alle soziologischen, geopolitischen oder sonstwie ausgewiesenen Weltexperten blind, solange sie die elementare Gewalt des Hasses nur als Fehlentwicklung, Verirrung, tragischen Zwischenfall verstehen und bei Homer, Sophokles, Seneca, Shakespeare nicht gelernt haben, welch grundlegendes Zerstörungspotential er enthält.

Glucksmanns Diagnose der aktuellen Weltlage ist düster. Was im zwanzigsten Jahrhundert mit Auschwitz und Hiroshima getrennt kam, könnte im neuen Jahrhundert kombiniert wiederkehren, schreibt er: Massenzerstörung sei nicht mehr ein Privileg der Machtelite, sondern allgemein erschwinglich geworden - "Hitler als Selbstbaumodell, do it yourself". Und beunruhigend ist für den französischen Intellektuellen vor allem die Hartnäckigkeit, mit der die ideologisch voreingenommene Weltmeinung darüber hinwegsieht. Von ihrer Überzeugung, daß die grenzenlose Zerstörungswut doch nicht in der menschlichen Seele wohnen könne, sondern ihr irgendwie von draußen aufgedrängt worden sein müsse, sei die Weltmeinung vor allem in Europa einfach nicht abzubringen - trotz der Beispiele Medea und Thyest und trotz der Evidenz, daß auf die Zeit der Wasserstoffbombe die menschliche Bombe folgt. Der Haß sei die Fähigkeit des Menschen, spontane Wut in seinem Inneren zum Monstrum auszubrüten, indem man sich Schauergeschichten erzählt, schreibt Glucksmann: Wie der Krieg laut Clausewitz die Fortführung der Politik mit anderen Mitteln sei, führe der Haß den Zorn weiter mit den Mitteln des Worts.

Interessanter als in ihrer Darstellung des Rasenden, des Terroristen, ist Glucksmanns Analyse dort, wo sie das Umfeld diffuser Voreingenommenheit ihm gegenüber in der Weltmeinung untersucht. An drei Beispielen wird - unterschiedlich plausibel - demonstriert, wie der Haß als Ideologieersatz spiegelbildlich in unseren Alltag hineinstrahlt. In der landläufigen Amerikafeindlichkeit zum einen. Sie projiziert nach Ansicht Glucksmanns das Zerrbild einer arroganten und naiven Supermacht auf die letzte Nation in der Welt, die sich weltpolitisch noch die Hände schmutzig zu machen bereit sei: Und dieses Zerrbild diene dazu, über den vorab in Europa "multilateralistisch" sich ausbreitenden Nihilismus hinwegzutäuschen. Das zweite Beispiel Glucksmanns ist eine vordergründige Israel-Kritik, hinter der sich die neueste Mutation eines jahrhundertealten Antisemitismus verberge. Im dritten Beispiel, zum Thema Frauenhaß, erfährt man, wie der Autor den Ayatollah Chomeini und den Marquis de Sade in dieselbe Perspektive bringt.

Am weitesten reichen Glucksmanns Ausführungen zu dem, was in seinen Augen eine neue Mutationsform des Antisemitismus darstellt. Ausgehend von Sartres Axiom, daß der Antisemitismus mehr mit den Antisemiten als mit den Juden zu tun hat, gelangt der Autor zu dem, was er die "dritte Judenfrage" nennt. Nach der christlichen Erwartung an die Juden, das Neue Testament anzuerkennen, und nach der Forderung des modernen Europa an sie, sich nationalstaatlich zu fixieren, stelle ein hypothetisches Weltgewissen heute ein drittes Gebot der Selbstaufgabe an die Juden. Sie sollen bezeugen, daß die Vergangenheit überwunden ist, daß Auschwitz "nie wieder" möglich sein wird. Sie sollen aufhören, durch ihr bloßes Dasein "als Juden", beispielsweise in Israel, das Weltgewissen ans Unerhörte zu erinnern.

Wo immer ein jüdischer Friedhof geschändet wird, schreibt Glucksmann, schreit das Weltgewissen mehr auf im Schmerz der aufgerissenen Wunden als die Juden selbst und beteuert aufs neue, das sei doch nun vorbei. Am besten, stichelt der Autor, würden die Juden diesem Weltgewissen gleich die Schlüssel zu ihrer Vergangenheit und zu ihrer Zukunft aushändigen - bei den Vereinten Nationen wäre dieser vorzüglich aufgehoben.

Bei aller Überspitzung zeigt das Buch Nebenräume des Hasses auf, wo dieser nicht wütet, sondern nur dumpf rumort. Dieses Rumoren bringt nach Ansicht Glucksmanns eine Zeitenwende mit sich. Unsere Clausewitz-Lektüre zum Krieg müsse durch die Montaignes ergänzt werden, der den staatlich erklärten Kriegszustand noch nicht kannte, wohl aber die menschliche Gewaltbereitschaft. Bin Ladin macht nicht mehr mit klassischen Streitkräften, sondern mit Haßpotential mobil und zielt auf keine Territorien, sondern auf die Köpfe ab. Montaignes Rezept dagegen war skeptische Distanznahme. André Glucksmann verleitet eher zum beschwörenden Starren aufs Böse. Darin ist er dem Meister des Zweifels noch fern.

JOSEPH HANIMANN

André Glucksmann: "Haß". Die Rückkehr einer elementaren Gewalt. Aus dem Französischen von Bernd Wilczek und Ulla Varchmin. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München, Wien 2005. 284 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.10.2005

Ich hasse, also bin ich
André Glucksmann über ein ewiges, zerstörerisches Gefühl
Francis Fukuyama ist schuld. Nach dem Ende des kalten Krieges hatte der amerikanische Politologe die These vertreten, die Geschichte sei an ihr Ende gelangt. Doch Fukuyama hatte keineswegs behauptet, wie viele Kritiker ihm irrtümlich unterstellten, es werde sich nichts Bedeutendes mehr ereignen. Er bezweifelte lediglich, dass nach dem Antagonismus von Kommunismus und Marktwirtschaft eine neue Alternative zum liberalen System zu erwarten sei. Im Sinne Hegels war damit das Ende der Geschichte gekommen.
Wie sehr Fukuyama missverstanden worden ist, zeigt die Vehemenz, mit der immer noch der 11. September 2001 zur Epochenschwelle stilisiert wird. Auch André Glucksmann begeht diesen Irrtum, obwohl er selbst vor ihm warnt: „Nach dem Ende des Kalten Krieges: Nichts mehr? Vollkommene Ruhe? Sommerfrische für alle?” Und dennoch: Der Pariser Essayist reiht sich selbst ein in die von ihm kritisierte Wahrnehmung des Westens: „Bis zum 11. September 2001 fanden die kalten oder heißen Kriege immer an deutlich sichtbaren Frontlinien statt.”
Dabei haben sich nicht die sicherheitspolitischen Umstände, sondern eben nur die Wahrnehmung derselben verändert. Terroristisch bedroht war der Westen schließlich schon lange vor den Anschlägen von New York und Washington. Mit einschneidenden Erlebnissen hatten aber nur wenige gerechnet. Vor allem die Europäer, vom Rausch der Friedensdividende des kalten Kriegs betäubt, wollten Fukuyama bewusst falsch verstehen und so gerne glauben, dass alles bliebe, wie es war - für immer.
Das Phänomen des Terrorismus, das Glucksmann in aufrüttelnden Worten schildert, ist keine neue Erscheinungsform von Hass und Gewalt im historischen Sinne. Denn auch der 11. September 2001 hat eine Vorgeschichte, die Glucksmann aber leider unberücksichtigt lässt. Bereits seit Jahrzehnten nehmen Terroristen amerikanische Staatsbürger als Geiseln und richten sie hin, um sich eine größere Nachrichtenpräsenz in den westlichen Medien zu verschaffen. Angefangen bei den ersten spektakulär inszenierten Flugzeugentführungen Ende der sechziger Jahre, hat diese Entwicklung in den Anschlägen vom 11. September 2001 lediglich ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden.
Glucksmann gibt zu bedenken, dass sogar in den asymmetrischen Kriegen in Vietnam, die Rechnungen mit dem Feind auf klassischen Schlachtfeldern wie Dien Bien Phu oder Saigon beglichen wurden. „Es kam den ,Vietcong’ nicht in den Sinn, Paris oder New York in die Luft zu jagen.” Der endogene Terrorismus sei nie planvoll in die Metropolen des Feindes exportiert worden, um den Sieg nicht mittels Waffen, sondern mittels des Schreckens der Bevölkerung zu erringen.
Diese Beobachtung trifft zwar zu, doch ist ebenfalls auffällig, dass sich auch der Kampf gegen die amerikanischen Besatzungstruppen im Irak fast ausschließlich auf dem Territorium des Zweistromlandes abspielt. Seit dem 11. September 2001 hat es keinen weiteren Anschlag in den Vereinigten Staaten gegeben, und dies sicherlich nicht, weil es den Amerikanern seither gelungen ist, ihr Land unangreifbar zu machen.
Auch Glucksmann weist darauf hin, dass militärische Offensiven oft von „psychologischen Bombardements” begleitet werden. Aber die Unterscheidung zwischen Hinterland und Front sieht er erst durch die heutigen Selbstmordattentate aufgehoben: „Es gibt kein Schlachtfeld und keine Frontlinie mehr.” Und da es auch kein Hinterland mehr gebe, werde jeder Zivilist unwillentlich zum Soldaten und somit zum potentiellen Angriffsziel. Rousseaus Formel, nach der es keine Kriege zwischen Menschen, sondern nur solche zwischen Staaten gebe, habe keinen Bestand mehr.
Doch ist dies wirklich eine neue Entwicklung? Schließlich hat auch der entstaatlichte Krieg, der zwei Drittel aller nach 1945 geführten Konflikte ausmacht, seine Vorläufer. Der historische Rückblick auf die europäischen Epochen zwischen dem Untergang des Römischen Reiches und der frühen Neuzeit zeigt: In den Scharmützeln und Streifzügen, Plünderungen und Überfällen, Massakern und Brandschatzungen der heutigen „neuen” Kriege kehren Formen der Gewalt wieder, die bereits den Dreißigjährigen und den Hundertjährigen Krieg, die Rosenkriege und die mittelalterlichen Kriege prägten. Nach dem Westfälischen Frieden von 1648 verfügte der Staat lediglich für drei Jahrhunderte über das Machtmonopol. Dies zumindest konstatiert Glucksmann in seinem Bemühen, die westliche Öffentlichkeit für das gegenwärtige Morden und Töten zu sensibilisieren, und widerspricht sich dabei selbst. Denn wenn alles schon einmal da war, ist auch nichts wirklich neu - der Mensch ist schlecht, passen wir uns an!
Doch eben davor warnt Glucksmann. Er kann nicht verstehen, wie Menschen, kaum ist das Schlimmste nach einem Terroranschlag überstanden, „ein neues Kapitel aufschlagen” möchten. Wie sie zu früheren Illusionen zurückkehren, wieder die gleichen „Sackgassen” beschreiten, „die Kuppeln von Wolkenkuckucksheim frisch vergolden”. Man wende sich vom Realitätsprinzip und seinen unbequemen und unschön klingenden Wahrheiten ab.
Konsens und Gelassenheit
Indem Glucksmann mit der Ressource Moral operiert, verkennt er selbst die Realität des Anti-Terror-Kampfes. Denn wenn der Westen der Spirale der Gewalt irgendetwas entgegenzusetzen hat, dann allenfalls Gelassenheit. Was auf den ersten Blick und vor allem angesichts der blutigen Bilder aus New York, Washington, Madrid oder London zynisch klingen mag, hat jedoch die historische Erfahrung bereits gelehrt: Großbritannien hat jahrzehntelang mit den Attacken der IRA, Spanien mit denen der ETA, Deutschland mit denen der RAF gelebt.
Voraussetzung für diese heroische Gelassenheit war ein breiter gesellschaftlicher Konsens, die politischen Ziele und das Agieren des eigenen Staates betreffend. Die Briten verweigerten den irischen Terroristen die Forderung nach einer Loslösung Nordirlands. Die Spanier wollen bis heute einem unabhängigen Baskenland keinen Segen geben. Auch die Deutschen haben der terroristischen Vernichtungswut nicht nachgegeben und ihre nach 1945 aufgebaute Gesellschaftsordnung beibehalten.
Auch im „Krieg gegen den Terror” existiert trotz aller Spannungen innerhalb der Anti-Terror-Koalition ein solcher Konsens. Er ist Voraussetzung für einen langfristigen Erfolg gegenüber einem Phänomen, dass Glucksmann höchst treffend beschreibt: „Ich hasse, also bin ich.”
THOMAS SPECKMANN
ANDRÉ GLUCKSMANN: Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt. Nagel & Kimche Verlag, München/Wien 2005. 286 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Glucksmann beschreibt das Phänomen des puren Hasses und des Terrorismus sehr eindringlich - doch das ist auch schon alles, was Thomas Speckmann gelten lässt an diesem Buch. Glucksmanns Prämissen und Schlussfolgerungen findet er durchweg fragwürdig bis falsch. Zum Beispiel die Vorstellung, dass es sich bei dem Terrorismus, wie wir ihn seit 9/11 erleben, um ein neues Phänomen handelt. Es ist nämlich, so Speckmann, keinesfalls so, dass erst die heutigen Selbstmordattentäter die klare Frontlinie verlassen und den Krieg dorthin tragen, wo jeder Zivilist zum Feind wird. Außerdem findet er Glucksmanns ethische Gebrauchsanweisungen fehl am Platz. Seiner Meinung nach ist es nicht moralische Emphase, was wir derzeit brauchen. "Denn wenn der Westen der Spirale der Gewalt irgendetwas entgegenzusetzen hat, dann allenfalls Gelassenheit." Das zeige die historische Erfahrung, schließt der Rezensent ungebeugt.

© Perlentaucher Medien GmbH