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»Die Universalität von Krasznahorkais Blick zerstreut alle Zweifel an der zeitgenössischen Literatur.« W. G. Sebald
Seiobo ist eine japanische Göttin, deren Pfirsiche nur alle 3000 Jahre blühen, aber Unsterblichkeit schenken. Der Glaube an solche Geschichten ist uns längst abhanden gekommen, nicht aber ihre Sehnsucht. Ihr geht László Krasznahorkai in seinem neuen Buch nach. Er beobachtet, wie es in jeder Epoche und in allen Kulturen vollkommene Dinge gab und gibt: der im Fluss reglos stehende Reiher, die Grimasse einer No-Maske, die äußerste Nacktheit im Gesicht einer Ikone, die…mehr

Produktbeschreibung
»Die Universalität von Krasznahorkais Blick zerstreut alle Zweifel an der zeitgenössischen Literatur.« W. G. Sebald

Seiobo ist eine japanische Göttin, deren Pfirsiche nur alle 3000 Jahre blühen, aber Unsterblichkeit schenken. Der Glaube an solche Geschichten ist uns längst abhanden gekommen, nicht aber ihre Sehnsucht. Ihr geht László Krasznahorkai in seinem neuen Buch nach. Er beobachtet, wie es in jeder Epoche und in allen Kulturen vollkommene Dinge gab und gibt: der im Fluss reglos stehende Reiher, die Grimasse einer No-Maske, die äußerste Nacktheit im Gesicht einer Ikone, die Zerbrechlichkeit einer Buddha-Statue. Seine Helden sind Maler, Schauspieler, Wissenschaftler - Menschen, die erzittern, wenn die Dinge plötzlich die Augen vor uns schließen.
Autorenporträt
»Jedes meiner Bücher soll die literarische Landkarte verschieben«, sagt László Krasznahorkai, dem 2015 der International Man Booker Prize verliehen wurde. 1954 in Gyula/Ungarn geboren, gilt er als einer der innovativsten Schriftsteller Europas, dessen Romane »Satanstango« und »Melancholie des Widerstands« überall auf der Welt begeistert aufgenommen werden. Die internationale Beachtung begann jedoch 1993 in Deutschland mit dem SWR-Bestenliste-Preis für »Melancholie des Widerstands«. In den letzten Jahren erschienen die Erzählbände »Seiobo auf Erden« (Brücke-Berlin-Preis und Literaturpreis Leuk 2010) sowie »Die Welt voran« (2014). Für seinen Roman »Baron Wenckheims Rückkehr« (2018) wurde er mit dem National Book Award 2019 for Translated Literature ausgezeichnet. 2021 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur sowie 2024 den spanischen Literaturpreis Prix Formentor. Zuletzt erschienen der Roman »Herscht 07769« und der Erzählband »Im Wahn der Anderen«. Heut

e lebt László Krasznahorkai in Triest, Italien.

Heike Flemming studierte in Leipzig, Wien und Budapest, lebt als freischaffende Übersetzerin in Berlin und hat 2014 über den ungarischen Gegenwartsroman promoviert. Zu den von ihr übersetzten Autoren zählen Péter Esterházy, Imre Kertész, Szilárd Borbély und László Krasznahorkai. 2010 erhielt sie den Brücke-Berlin-Preis, 2014 den Förderpreis zum Straelener Übersetzerpreis. 2021 wurde sie mit dem Übersetzerpreis Ginkgo-Biloba für Lyrik 2021 sowie dem Hieronymusring der Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Stiftung ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.07.2010

Die Ruhe des Reihers im schmutzigen Fluss
In „Seiobo auf Erden“ erzählt László Krasznahorkai von der Suche nach Zusammenhang in einer fragmentierten Welt
Mitten im schmutzigen Fluss steht ein Reiher und rührt sich nicht. Reglos wartet er, ungerührt von allem, was ringsum geschieht, von den Autos und Bussen, die zu beiden Seiten des Flusses dahinbrausen, von den zahllosen Radfahrern und den Fußgängern, die eilig den Kai entlang marschieren. In unerschütterlicher Ruhe wartet der Ooshirosagi, „der mächtige, schneeweiße Vogel, dieser von allen Seiten angreifbare, seine Schutzlosigkeit hier nicht einmal verbergende Jäger“, bis der Fisch vorbeischwimmt, den er sich mit einer „einzigen haargenauen Bewegung seines Schnabels“ aus dem seichten Wasser spießt.
Auf dreizehn Seiten beschreibt der ungarische Erzähler László Krasznahorkai, wie im japanischen Kyoto ein Reiher tut, was ihm von der Natur aufgegeben ist, nämlich fast nichts, und wie sich für den Betrachter die Welt von ihren Rändern her aufzulösen und auf diesen Reiher zu schrumpfen beginnt.
„Kamojäger“ ist die erste von siebzehn Erzählungen, die Krasznahorkai zu einem monumentalen Band gesammelt, nein, zu einem grandiosen Zyklus geordnet hat. Die Erzählung vom einsamen Reiher, der vollkommen eins mit sich und seiner Ruhe ist, steht also an programmatischer Stelle des Buches und gibt, in dem majestätischen Bild wie in dem nicht auflösbaren Rätsel, das es birgt, tatsächlich vor, was die anderen Stücke des Bandes „Seiobo auf Erden“ auf ihre Weise versuchen. Seiobo ist eine japanische, auch in China verehrte Göttin, die immer wieder auf die Erde kommt, um irdische Gestalt anzunehmen. In ihrem Garten steht ein Pfirsichbaum, der nur alle 3000 Jahre blüht und dann eine einzige Frucht trägt, die den unsterblich macht, der von ihr isst. Dass die Göttin auf Erden anzutreffen sei, verheißt der Titel, und das Buch versucht Momente aufzuspüren und zu bannen, in der das Göttliche im Irdischen, die Unsterblichkeit im Vergänglichen Gestalt werden – und das zu Zeiten, in denen die Gewissheit der Transzendenz längst verloren ist.
Krasznahorkai findet solche Augenblicke – sie sind es oft auch in dem Sinne, dass es um das Glück des Sehens, die optische Wahrnehmung der Dinge geht –, an verschiedenen Orten in Asien und Europa und zu verschiedenen Zeiten. Er führt in die Werkstatt eines italienischen Malers der Renaissance, in die Scuola Grande di San Rocco von Venedig, in die „Kombinatsbibliothek“ einer ungarischen Provinzstadt, auf die Akropolis, zu einem japanischen Schnitzkünstler, der Nô-Masken verfertigt, auf eine Theaterprobe, zu einem Shinto-Schrein und in einen buddhistischen Tempel, der neu eingeweiht wird. Es ist das Vollkommene in unvollkommener Zeit, das Dauerhafte in der „Welt des Ereigniswahnsinns“, das er sucht und – das ist das Paradoxe daran – in bewegten Bildern und einer mächtig dahinströmenden Sprache fasst.
Mäandernd ziehen seine Sätze oft über fünf, sechs Seiten dahin – auf Deutsch in der hochmusikalischen Übersetzung Heike Flemmings –, und sie erzählen doch nicht von der Bewegung, der Veränderung, sondern der Ruhe, dem Einswerden des Menschen mit der Sache, die er als die seine erkennt, vom glückhaften Zustand, wenn der einzelne sich vollkommen in seine Arbeit oder in die Betrachtung der Dinge entäußert hat und gerade dadurch zu sich gelangt ist. So ergeht es dem berühmten Holzschnitzer, der die ergreifendsten Masken für das Nô-Theater verfertigt und sich in eine Holzkiste zurückgezogen hat, um von der Aufgabe, die seine Existenz ausfüllt, nicht abgelenkt zu werden; oder dem Meister Inoue Kazuyuki, der auf dem Nô-Theater die Göttin Seiobo spielt, mit solchem Ernst und solcher Hingabe, dass dann, wenn er sich bis zur Erschöpfung verausgabt hat, „Seiobo tatsächlich erscheinen kann“: Wieder ist die Göttin auf die Erde zurückgekehrt, auf die Bühne, die nicht das vergehende Leben bedeutet, sondern für die Dauer des Stücks die Ewigkeit ist.
Fernöstliche Weltweisheit
Krasznahorkai wandert durch Orte und Epochen, um Momente der Ewigkeit zu preisen. Er findet sie in der Natur, die er fast wie ein Werk der Kunst deutet, und in der Kunst, die bei ihm immer schon vorhanden ist, als wäre sie eine Art von Natur, die nur entdeckt, wahr- und aufgenommen werden muss; aber auch im ernsthaft betriebenen, auf die Erfahrung von Generationen aufbauenden Handwerk und in der religiösen Zeremonie. Ob es sich um den Vogel im Fluss handelt, ein Christusbild in Venedig, auf dem die Augen dunkler leuchten, als es je gesehen wurde, um den als Meister verehrten Zimmermann oder die Neueinweihung eines Buddha-Tempels, die einem strikten Reglement folgen muss, das kaum jemand mehr kennt – es ist stets das Gleiche, das Krasznahorkai fasziniert, und die nämliche Haltung, die er vor diesen Werken der Kunst und des Handwerks, angesichts religiöser Riten und gewöhnlicher Erscheinungen der Natur einnimmt.
Was er sucht – das Spirituelle ohne Religion, das Überirdische ohne Gott, den Zusammenhang der Dinge in einer Welt, die nur als Fragment mehr zu haben ist. Welche Haltung er als Erzähler einnimmt: die des staunenden, begeisterten Sehers der Dinge, dessen Lebenslehre die Geduld ist, das Betrachten der Dinge, die ihr Geheimnis nur dem verraten, der sie nicht interpretieren und keine fremde Bedeutung in sie legen möchte.
Mitunter fühlt man sich von der dingversessenen Literatur Krasznahorkais an Rilke erinnert, im Unterschied zu diesem aber verfügt er auch über eine ironische, ja satirische Ader. Komisch, erhebend und traurig zugleich ist die Erzählung „Private Leidenschaft“, die einen alternden Architekten in die Provinz führt, wo er während der „Dorfkulturtage“ einen Vortrag halten soll, der ihm grandios entgleist und gerade dadurch dorthin führt, wo er hin soll. Nicht von der Baukunst spricht der Architekt, nach dessen Entwürfen kein einziges Gebäude errichtet wurde, sondern von dem größten Architektoniker unter den Komponisten, Johann Sebastian Bach, mit dem die Musik für ihn gewissermaßen ihre eigene Vollendung erreicht hat, von der es nur bei Strafe, diese zu verraten, weitergehen konnte, bis hin zu Mozart, diesem „zweifellos bewundernswerten Gaukler der Anmut“, einem wahren „Genie des Angenehmen“.
Vorangestellt ist dem irrwitzigen Monolog eine Sentenz, die Krasznahorkai dem arabischen Historiker Ibn al-Faradi zuschreibt, der im zehnten Jahrhundert in Cordoba gewirkt hat: „Die Musik ist die Trauer, dass der Mensch seine himmlische Heimat verloren hat.“ In diesem Sinne ist Krasznahorkais Erzählkunst reine Musik, reine Trauer; aber, kein Zweifel, in dieser reinen Trauer liegt für ihn der Himmel, der für immer verloren ist. KARL-MARKUS GAUSS
LÁSZLÓ KRASZNAHORKAI: Seiobo auf Erden. Erzählungen. Aus dem Ungarischen von Heike Flemming. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2010, 462 Seiten, 22,95 Euro.
„Weißer Reiher am Ufer“, japanischer Holzschnitt um 1920. Foto: Anita Cruz-Eberhard/Corbis
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Lazlo Krasznahorkais Erzählungsband "Seiobo auf Erden" gibt Andreas Breitenstein den Glauben Glauben an die "Substanz" zeitgenössischen Erzählens zurück. Nicht nur die mönchshafte Erscheinung des ungarischen Autors erinnert den Rezensenten an Rilke, in allen dreizehn Erzählungen des Bandes sieht er den verwandten Geist eines "Gottsuchers und Mystikers" am Werk. Tief beeindruckt steht der Rezensent nicht nur vor dem "stupenden Detailwissen", das Krasznahorkai hier entfaltet - der faszinierte Leser erfährt einiges über Barockmusik, muslimische Baukunst oder japanisches Theater, wie Breitenstein verrät. Immer wieder werden in den Texten auch bekannte Bau- oder Kunstwerke aufgerufen, die unter dem Blickwinkel des Autors eine ganz neue Dimension erhalten, so der Rezensent geradezu ergriffen. Krasznahorkais Feier des "Geheimnis der Existenz" in der Kunst und seine Anlehnung an Rilkes berühmten ästhetischen Imperativ "Du musst dein Leben ändern" würde Pathos, vielleicht gar Peinlichkeit beinhalten, gäbe es bei ihm nicht immer die Fallhöhe zwischen dem Erhabenen und seinen "tragikomischen Pointen", betont Breitenstein begeistert. Dass die Erzählungen auch noch ganz hervorragend übersetzt sind, freut den Rezensenten  und so wird ihm die Lektüre zu einem ganz besonderen Erlebnis, das er "staunend" genießt.

© Perlentaucher Medien GmbH
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Lazlo Krasznahorkais Erzählungsband "Seiobo auf Erden" gibt Andreas Breitenstein den Glauben Glauben an die "Substanz" zeitgenössischen Erzählens zurück. Nicht nur die mönchshafte Erscheinung des ungarischen Autors erinnert den Rezensenten an Rilke, in allen dreizehn Erzählungen des Bandes sieht er den verwandten Geist eines "Gottsuchers und Mystikers" am Werk. Tief beeindruckt steht der Rezensent nicht nur vor dem "stupenden Detailwissen", das Krasznahorkai hier entfaltet - der faszinierte Leser erfährt einiges über Barockmusik, muslimische Baukunst oder japanisches Theater, wie Breitenstein verrät. Immer wieder werden in den Texten auch bekannte Bau- oder Kunstwerke aufgerufen, die unter dem Blickwinkel des Autors eine ganz neue Dimension erhalten, so der Rezensent geradezu ergriffen. Krasznahorkais Feier des "Geheimnis der Existenz" in der Kunst und seine Anlehnung an Rilkes berühmten ästhetischen Imperativ "Du musst dein Leben ändern" würde Pathos, vielleicht gar Peinlichkeit beinhalten, gäbe es bei ihm nicht immer die Fallhöhe zwischen dem Erhabenen und seinen "tragikomischen Pointen", betont Breitenstein begeistert. Dass die Erzählungen auch noch ganz hervorragend übersetzt sind, freut den Rezensenten  und so wird ihm die Lektüre zu einem ganz besonderen Erlebnis, das er "staunend" genießt.

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