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Skeptisch und scharfsichtig sucht J. M. Coetzee in seinen Büchern nach einem Bild von der Welt, das nichts verkürzt oder beschönigt. Stilistisch meisterhaft und moralisch unbestechlich legt er das Nervenzentrum der Wirklichkeit bloß und zeigt uns die grausame Unterseite jeder Ungerechtigkeit. Dieses unablässige Suchen und seine unerschrockene Neugier zeichnen auch seine Essays aus, die J. M. Coetzee eigens für seine deutschen Leser zusammengestellt hat. Messerscharf analysiert er das Problem aufgezwungener, aber auch selbst auferlegter Zensur. Auf seine Frage "Was ist ein Klassiker?" findet J.…mehr

Produktbeschreibung
Skeptisch und scharfsichtig sucht J. M. Coetzee in seinen Büchern nach einem Bild von der Welt, das nichts verkürzt oder beschönigt. Stilistisch meisterhaft und moralisch unbestechlich legt er das Nervenzentrum der Wirklichkeit bloß und zeigt uns die grausame Unterseite jeder Ungerechtigkeit. Dieses unablässige Suchen und seine unerschrockene Neugier zeichnen auch seine Essays aus, die J. M. Coetzee eigens für seine deutschen Leser zusammengestellt hat. Messerscharf analysiert er das Problem aufgezwungener, aber auch selbst auferlegter Zensur. Auf seine Frage "Was ist ein Klassiker?" findet J. M. Coetzee Antwort in detaillierten und kenntnisreichen Porträts von Autoren wie Erasmus von Rotterdam, Walter Benjamin, Robert Walser und Ossip Mandelstam und überrascht einmal mehr durch die Universalität seines Blicks.
Autorenporträt
J. M. Coetzee, der 1940 in Kapstadt geboren wurde und von 1972 bis 2002 als Literaturprofessor in seiner Heimatstadt lehrte, gehört zu den bedeutendsten Autoren der Gegenwart. Er wurde für seine Romane und sein umfangreiches essayistisches Werk mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, u. a. zweimal mit dem Booker Prize, 1983 für »Leben und Zeit des Michael K.« und 1999 für »Schande«. 2003 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. Coetzee lebt seit 2002 in Adelaide, Australien.Literaturpreise:u.a.:Lannan Literary Award 1998, Booker Prize 1983 (für »Leben und Zeit des Michael K«.), Booker Prize 1999 (für »Schande«), Commonwealth Writers Prize 1999 (für »Schande«), 'Königreich von Redonda-Preis' 2001, Literaturnobelpreis 2003

Reinhild Böhnke wurde 1944 in Bautzen geboren und ist als literarische Übersetzerin in Leipzig tätig. Sie ist Mitbegründerin des sächsischen Übersetzervereins. Seit 1998 überträgt sie die Werke J. M. Coetzees ins Deutsche, außerdem hat sie u.a. Werke von Margaret Atwood, Nuruddin Farah, D.H. Lawrence und Mark Twain ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.06.2007

Der Wahrheitssucher vom Kap
J. M. Coetzee verlangt Aufrichtigkeit in der Literatur

Doppelbegabungen auf diesem Terrain sind seltene Fälle. Dem gewieften Analytiker mangelt es oft am notwendigen Phantasie- und Schwadronierkoeffizienten, wenn er sich auf das literarische Territorium begibt. Dem erfinderischen Schriftsteller dagegen geht nicht selten die wahre Lust an der spitzfindigen Theorie auf dem Feld der literarischen Exegese ab. Zu den brillanten Ausnahmen gehört der südafrikanische Nobelpreisträger J. M. Coetzee, der die Vorteile beider Begabungen in einer scharfsinnigen Synthese verbindet.

Der Nobelpreisträger lehrte von 1972 bis 2002 als Literaturprofessor in seiner Heimat. Der Titel seiner Aufsatzsammlung "Was ist ein Klassiker?" erinnert an Italo Calvinos Buch "Warum Klassiker lesen?". Die meisten Texte stammen aus Sammlungen, die in den achtziger und neunziger Jahren publiziert wurden. Ergänzt sind sie durch zwei neuere Stücke, die Artikel "Robert Walser. Geschichtenerzähler" aus dem Jahre 2000 und "Walter Benjamin. Passagen-Werk" aus dem Jahre 2001. Die Themenspanne ist weit und ohne offensichtlichen Zusammenhang - allerdings liegt das Schwergewicht auf europäischen Autoren: Kafka, Musil, Erasmus, Tolstoi, Rousseau oder Dostojewski. Da sie so verschiedene Textsorten wie Reden, Artikel für "The New York Review of Books" oder wissenschaftliche Essays zusammenführt, ist die Sammlung so amorph wie die Adressaten, für die sie ursprünglich gedacht war.

Das muss nicht nur von Nachteil sein, sondern birgt auch Überraschungen durch schöne, unerwartete Fundstücke, so etwa den Essay "Müßiggang in Südafrika", einen ursprünglich 1988 in "White Writing. On the Culture of Letters in South Africa" publizierten Text - also in einer Sammlung, die sich nicht nur mit südafrikanischer Literatur befasste, sondern auch mit den Verwerfungen in der südafrikanischen Kultur. Scharfsichtig denkt J. M. Coetzee hier über eines der häufigsten Vorurteile über Südafrika nach, das die Kolonialisten zur Rechtfertigung ihrer Handlungen missbrauchten: den Kontrast zwischen afrikanischer Trägheit und europäischem Fleiß. Er untersucht den Wahrheitsgehalt des stereotypen Denkbildes, das unter anderem auch auf ein Raster zurückgeht, das die Reiseschriftsteller bei der Beurteilung des Charakters der Hottentotten verwendeten. Coetzee weist nach, dass diese Beschreibungen sich auf wenige anthropologische Gemeinplätze (Kleidung, Ernährung, Freizeitbeschäftigung, Sprache, Charakter) stützten, deren historischer Wahrheitsgehalt fragwürdig ist, die aber das Bild der Hottentotten in der westlichen Wahrnehmung nachhaltig beschädigten.

Coetzee geht es in der Untersuchung der Beziehung von Buren und Hottentotten um Aufrichtigkeit und Wahrheit. Wenn man einen gemeinsamen Nenner ausmachen wollte, der seine literarischen Recherchen leitmotivisch durchzieht, dann liegt er hier versteckt: in der Frage nach Wahrhaftigkeit und Lüge. Sie gehört zum Kern seines Nachdenkens, sie ist es, der er sich in immer neuen Volten nähert, und sie dokumentiert gleichzeitig die Querverbindung zu seinem literarischen Werk, etwa dem Roman "Schande".

In den Werken Tolstois entdeckt Coetzee als Bedingung der Aufrichtigkeit den Appell des russischen Schriftstellers, auf die innere Stimme zu hören, die Tolstoi eine Regung zu Gott hin nennt. Diese Bedingung sei nach Tolstoi nicht die vollkommene Selbsterkenntnis, sondern das Streben nach der Wahrheit. Im Aufsatz "Ossip Mandelstam und die Stalin-Ode" wirft Coetzee die literarisch brisante Frage nach der Aufrichtigkeit unter den Bedingungen von Zwang und Unterdrückung auf. Mandelstam hatte 1933 ein stalinkritisches Gedicht geschrieben, das zwar nie publiziert, aber Freunden vorgelesen wurde. Ein Jahr später durchsuchte die Geheimpolizei seine Wohnung, es folgten Verhaftung, Verhör, Einkerkerung und schließlich die Verbannung. Der gesundheitlich angeschlagene Mandelstam schrieb später eine Ode an Stalin, die ihn zwar nicht vor einer erneuten Verhaftung schützte, möglicherweise aber das Leben seiner Frau rettete. Coetzee kommt zum Schluss, dass dieses Loblied auf Stalin nicht aufrichtig gewesen sei; wenn es doch so scheine, dann deshalb, weil es nicht vom Dichter Mandelstam kam, sondern von der Stimme des Wahnsinns, die durch ihn sprach.

Die kühne Recherche nach der inneren Wahrheit erfährt in seinem Artikel über "Robert Walser. Geschichtenerzähler" (2000) eine funkelnde Steigerung. J. M. Coetzee zitiert ohne Umschweife den Romancier Canetti, mit dem er das plötzliche Interesse am verstoßenen Außenseiter Walser als eine eigentümliche Form des Skandals bestimmt. "Ich frage mich", schrieb Canetti 1973, "ob es unter denen, die ihr gemächliches, sicheres, schnurgerades akademisches Leben auf das eines Dichters bauen, der in Elend und Verzweiflung gelebt hat, einen gibt, der sich schämt."

Dieser erfrischende Ansatz auf der Suche nach der Aufrichtigkeit fördert auch im Fall Walsers unkonventionelle Ergebnisse zutage, wenn der kritische Röntgenblick des Nobelpreisträgers die tragischen Bedingungen einer Künstlervita ins Zentrum rückt. Dass Robert Walser, der die letzten Jahre seines Lebens im Vollbesitz der geistigen Kräfte in einem Heim in Herisau mit dem Kleben von Tüten verbringen musste, auf die Frage eines Besuchers, warum er denn nicht mehr schreibe, antwortete, er sei nicht zum Schreiben, sondern zum Verrücktsein hier, wirkt wie ein zynisches Echo auf ein nachträglich beweihräuchertes Dichterleben. Auch das ist eine Form der Aufrichtigkeit, die J. M. Coetzee meint.

PIA REINACHER

J. M. Coetzee: "Was ist ein Klassiker?" Essays. Aus dem Englischen übersetzt von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 335 Seiten, geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.10.2006

Wer sich empört, hat schon verloren
J.M. Coetzees brillante Essays zur Frage: „Was ist ein Klassiker?” / Von Andreas Dorschel
Es war Zeit, Essays von J.M. Coetzee ins Deutsche zu übertragen. Dass sie gut sind, wäre schon Grund genug. Aber es gibt, im Hinblick aufs Deutsche, noch einen besonderen Grund: Der südafrikanische Nobelpreisträger ist ein herausragender Kenner der Literatur deutscher Sprache. Von Coetzee können deutsche, schweizerische, österreichische Leser Erhebliches über ihre modernen Klassiker erfahren, über Franz Kafka, Robert Walser, Walter Benjamin oder Robert Musil, vorgeführt in einer Verbindung von Akribie und Souveränität, die hierzulande eher selten ist. Denn die Souveränität pflegt Akribisches als pedantisch zu verachten, und Akribie verdächtigt Souveränes, pauschal zu sein. Coetzees Essays entziehen jener Verachtung und diesem Verdacht den Boden. Sie verfügen über Bibliographien und Fußnoten, in denen seitengenau teils entlegene wissenschaftliche Bücher und Aufsätze zitiert werden. Hier ist ein Rechercheur am Werke, einer, der es nicht so ungefähr, sondern ganz genau wissen will. Nicht, weil er aus zweiter Hand lebt. Immer sieht er selber hin. Denn er kann es: Er versteht Deutsch, Russisch, Afrikaans bis in Nuancen dieser Sprachen hinein, wenn er über Texte aus ihnen redet. Coetzee urteilt souverän nicht trotz seiner Akribie, sondern aus ihr heraus.
Der Essay, welcher der Sammlung den Titel gegeben hat, legt es nahe, diese Italo Calvinos eindrucksvollem Essayband „Perché leggere i classici” („Warum die Klassiker lesen?”) von 1991 an die Seite zu stellen. Doch wo Calvino direkt, ohne viel Zögern, auf sein Thema zugreift, tastet sich Coetzee langsam, auf dem Umweg über andere, an es heran. Die Frage „Was ist ein Klassiker?” erweist sich als T.S. Eliot-Zitat, und seltsam ausführlich ist von Eliots Biographie die Rede, statt von einer Liste ästhetischer Bedingungen des Klassischen, die man von einem zu so luzider Argumentation Befähigten wie Coetzee erwarten könnte. Doch der Umweg erweist sich als Weg. Eliots Lebensgeschichte ist eine von Orten und der Möglichkeit, den Ort zu wechseln: Kultur fortzusetzen, indem man sie an anderem Ort wiedererfindet, und dies Erfinden als Finden ausgibt. Eliots Biographie wirft mehr Licht aufs Klassische als sein Essay. Eine zweite Geschichte, die sich als aufschlussreich erweist, ist autobiographisch. Eine Schallplatte mit Bachs Wohltemperiertem Klavier, vom 15-Jährigen in einem Kapstädter Garten aus dem Nachbarhaus gehört: Verpflanzung über Jahrhunderte, Kontinente, Medien. Gerade die dem Konzertsaal und institutioneller Ehrerbietung ferngerückte Situation erhellt das Klassische, nach dem hier gefragt wird. In ingeniöser Wendung münzt Coetzee im letzten Absatz dieses Essays die Bilder der Erfahrung in begriffliche Erkenntnis um.
Wesentliches trifft auch der Essay „Anstoßnehmen”, Coetzees 1996 verfasster Versuch über die Empörung. Er erkundet die Reaktion des Gekränktseins in ihrem Verhältnis zur Macht. Die beleidigt sind, so Coetzee, haben Machtverlust erfahren, leben in der Vorahnung ihres Machtverlusts oder mindestens in der Einbildung eines solchen. Provokante Benennungen können daher ins taktische Arsenal der Schwachen gegen die Starken einrücken. Denn den Benannten bleibt wenig anderes übrig, als sich zu empören. Wenn man die Starken aber dazu bringen kann, Anstoß zu nehmen, begeben sie sich, bemerkt Coetzee, „zumindest für den Moment auf Augenhöhe mit den Schwachen”.
Der paradoxe Bund
von Anstoßnehmen
und Anstoßgeben
Obwohl das Gekränktsein also zunächst im Umkreis der Machtlosigkeit blüht, gedeiht es durchaus auch auf dem Boden der Macht, sofern diese sich als Ziel gesellschaftlicher Niedertracht versteht. Ein klassischer Fall ist staatliche Zensur, der Coetzee auch in den früheren Essays über Ossip Mandelstam und Zbigniew Herbert eindringliche Analysen widmet. Mit dem Ende der Sowjetunion konnte Coetzee zur Zeit der Arbeit an den Essays zwar die Auflösung staatlicher Zensur im Osten beobachten, aber gleichzeitig im Westen christliche Fundamentalisten und radikale Feministinnen Seite an Seite sehen, verbunden in der Sehnsucht nach moralischer Zensur, insbesondere gegen Pornographie. An dieser aber wird der paradoxe Bund von Anstoßnehmen und Anstoßgeben in besonderer Weise kenntlich. Denn Pornographie braucht die Zensur, um ihren Kitzel zu steigern und den Status der unterdrückten Wahrheit über die Sexualität zu erlangen.
So weit, so gut, und mehr als gut. Doch gerade das Beste lässt sich weniger gut machen. Müssen Übersetzer noch den Unterschied zwischen Konjunktiv I und Konjunktiv II kennen? Bei S. Fischer mag sich diese Erwartung nicht mehr von selbst verstehen. „Benjamin ließe die Fakten für sich sprechen, sagte er”, wird Adorno in indirekter Rede angeführt. Auch mit den Präpositionen hapert es: „Was jedenfalls bei der Ode auffällt”, heißt es da, statt: an ihr. Öfter gerät die Übersetzung schwerfällig: „Es war eine Zeit, in der Sinnenfreuden versprochen wurden, was noch durch aufreizende Kleider, gehaltvolles Essen und Mangel an körperlicher Bewegung gesteigert wurde”. Flüssiges Englisch kann erstarren, wenn nicht der Satz von der Sprache her, in die übersetzt wird, neu durchdacht wird. Eine größere Portion Denken und Wissen wäre der Übertragung auch im Inhaltlichen gut bekommen. Da wird schon einmal einer nicht ganz Unbekannten eine Geschlechtsumwandlung verpasst, weil man ihr Genus im Englischen ja nicht erkennen kann: „das geistige Produkt des Buchhändlers und Verlegers Adrienne Monnier”. Da S. Fischer ersichtlich keine Lektoren mehr beschäftigt, die derlei entdecken, möge das Verlagshaus künftig J.M. Coetzee bitten, einen Blick in die deutschen Fassungen seiner Werke zu tun.
J.M. Coetzee
Was ist ein Klassiker?
Essays. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006. 336 S., 21,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Angela Schader freut sich über die Entscheidung des Fischer-Verlages, den zweiten Essay-Band des südafrikanischen Literatur-Nobelpreisträgers in der für derartige Textsammlungen üblichen Form zu veröffentlichen und nicht durch eine fiktive Erzählerfigur literarisch aufzupeppen, wie das bei der ersten deutschsprachigen Veröffentlichung von Essays aus der Feder J. M. Coetzees vor zwei Jahren geschehen war. In dem nun vorliegenden Band sind Texte aus dem Zeitraum von zwanzig Jahren versammelt, die größtenteils recht unterschiedliche Themen bearbeiten, für die Rezensentin ihren "Kernbegriff" letztlich aber in dem der Wahrheit finden. Schader bezweifelt, dass alle Beiträge glücklich ausgewählt wurden, für sie ist die ein oder andere Untersuchung verzichtbar, doch bewundert sie unterm Strich die akribischen Studien zu Kafka, Dostojewski und anderen als "Etüden in intellektueller Gewissenhaftigkeit".

© Perlentaucher Medien GmbH