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Die Biographie zum 200. Todestag Heinrich von Kleists am 21.11.2011 Wie kein anderer deutscher Dichter hat Kleist die Leser fasziniert. Doch was ist sein Geheimnis? Woher kommt die Tragik seines Lebens? Was sagt uns sein Werk heute? In seiner großen Biographie zeichnet Günter Blamberger einen neuen Kleist: Anders als üblich erzählt er nicht vom Ende her, vom Selbstmord, sondern wählt die offene Perspektive, das Präsens, den Augenblick, wie er von Kleist selbst erlebt worden ist. Damit gelingt es ihm, das Beunruhigende und Staunenswerte offenzulegen, den Zündstoff in Kleists Leben und Werk zu…mehr

Produktbeschreibung
Die Biographie zum 200. Todestag Heinrich von Kleists am 21.11.2011
Wie kein anderer deutscher Dichter hat Kleist die Leser fasziniert. Doch was ist sein Geheimnis? Woher kommt die Tragik seines Lebens? Was sagt uns sein Werk heute?
In seiner großen Biographie zeichnet Günter Blamberger einen neuen Kleist: Anders als üblich erzählt er nicht vom Ende her, vom Selbstmord, sondern wählt die offene Perspektive, das Präsens, den Augenblick, wie er von Kleist selbst erlebt worden ist. Damit gelingt es ihm, das Beunruhigende und Staunenswerte offenzulegen, den Zündstoff in Kleists Leben und Werk zu zeigen. Entstanden ist das packende und anschauliche Porträt eines der großen deutschen literarischen Genies die definitive Biographie für unsere Zeit.
Autorenporträt
Günter Blamberger, geb. 1951, ist Professor für Neuere Deutsche Literatur an der Universität zu Köln und leitet dort das Internationale Wissenschaftskolleg Morphomata , das mit Fellows aus aller Welt Denkbilder des Schöpferischen oder des Todes im interkulturellen Vergleich untersucht. Er ist außerdem seit 1996 Präsident der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft und Herausgeber des Kleist-Jahrbuchs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2011

Was blieb, das war die Wahrheit des Gefühls

Die beste Biographie dieser an Kleist-Biographien so reichen Zeit stammt von Günter Blamberger. Er beschreibt den Dichter als unermüdlichen Schmied von Lebensplänen - und lässt manches Forschungsergebnis elegant verpuffen.

Im Sommer 1801 ist Kleist wieder einmal unterwegs, mit seiner Schwester Ulrike. Nach Straßburg und Paris soll die Reise führen. Bei Butzbach aber gehen die Pferde durch, weil am Wegesrand ein Esel grässlich wiehert. In voller Fahrt stürzt die Kutsche um. Der Verkehrsunfall hätte übel ausgehen können. "Und an einem Eselsgeschrei hing ein Menschenleben? Und wenn es nun in dieser Minute geschlossen wäre, darum also hätte ich gelebt?" Kleist kommt mit dem Schrecken davon - sein Weltvertrauen aber hat einen weiteren Riss davongetragen.

Der "absurde Beinahe-Tod in Butzbach" ist eine Schlüsselepisode für Günter Blamberger. Kleist erscheint in seiner Biographie, der besten in diesen reichlich mit Kleist-Biographien gesegneten Jahren, als unermüdlicher Schmied von Lebensplänen, gerade weil er weiß, wie leicht einem beim Leben die Zügel aus der Hand rutschen und die Karre kippt. Zeitlebens aber steht seinen Kontrollphantasien die Faszination durch Krisen und Katastrophen gegenüber.

Karrieredruck lastete auf ihm; die Familie von Kleist brachte zwischen 1640 und 1892 allein dreiundzwanzig preußische Generäle hervor. Dieser Adel verpflichtete (F.A.Z. vom 25. Mai). Auch das führte bei Kleist zu einem hyperaktiven Lebenslauf voll jäher Umschwünge: Da wechselt er nach Jahren als Offizier, die ihn beinahe als "Kindersoldat" mit blutigen Schlachten vertraut machten, hinüber zur Wissenschaft, will sich an der Waffe der Gelehrsamkeit ausbilden, um dann wie im Zeitraffer ans Ende des aufklärerischen Erkenntnisoptimismus zu gelangen. Dass die Welt nicht so ist, wie sie der menschliche Wahrnehmungsapparat zurichtet, ist heute, in Zeiten der Hirnforschung und der evolutionären Erkenntnistheorie, eine Selbstverständlichkeit. Den Kant-Leser Kleist traf sie mit unerhörter Wucht, dergestalt, dass er gar nicht merkte, wie sehr er den ganz anders temperierten Philosophen missverstand. Der wollte mit seiner "Kritik der reinen Vernunft" doch gerade Gewissheit schaffen im Reich der Spekulierfreude; Kleist aber wurde über Kants Gewissheitsanstrengung alles ungewiss - und es blieb nur die Wahrheit des Gefühls. Dass auch die gefährlich trügen kann, wird nirgendwo deutlicher als in den großen Fehlentscheidungs- und Missverständnisaugenblicken seiner Dramen und Novellen. Die fundamentale Täuschbarkeit des Menschen gehört zu Kleists großen Themen.

Als es ihm nicht im Handumdrehen gelingt, Goethe als Dramatiker zu übertrumpfen, will er lieber Landwirt in der Schweiz sein. Mal sucht er den Tod in der Schlacht, mal Ansehen als Herausgeber einer Berliner Tageszeitung. Immer wieder neue Aufbrüche, Pläne, Reisen, ein Schwanken zwischen Aufklärung und Romantik, zwischen der Suche nach Authentizität und der Verhaltenslehre der Verstellung, eine Sandwich-Existenz zwischen Bürgertum und Adel, ein Tanz an der Abbruchklippe der Epoche. Sehr plausibel ist Blambergers These, dass die "Wartesaal-Stimmung" unter der Regierung Friedrich Wilhelms III., den "entscheidungsunfähigen Melancholiker auf dem Thron", für den dynamischen Projektemacher und existentiellen Experimentator Kleist unerträglich war; einfach zum Sterben langweilig.

Wo sich ein Konsens herausgebildet hat, etwa über Kleists lieblos-oberlehrerhafte Erziehungsmaßnahmen gegenüber der Verlobten Wilhelmine von Zenge, geht Blamberger dazwischen. Es handele sich weder um Sadismus noch die Errichtung einer Bildungsdiktatur - sondern um pädagogische Liebesbriefe auf den Spuren von Rousseaus "Emile". Das Geheimnis der von Spekulationen umwucherten Würzburger Reise könnte darin bestehen, so der Biograph, dass es gar kein Geheimnis gebe - und die Reise samt begleitendem Briefwerk nur ein "Spiel mit Formen der Geheimhaltung sei". So verpufft der Forschungsaufwand eines Jahrhunderts in einem kleinen Knalleffekt. Und eine Parade bemühter Deutungen fährt vorüber wie ein abgewrackter Zug vergeblicher Sinnstiftungen. Ließ sich die ominöse Phimose, die das "Ehehindernis" gewesen sein soll, nicht auch in Berlin operieren? Die noch relativ junge These der Industriespionage wird beinahe höhnisch abgefertigt: "Man findet auch selten Geheimagenten, die in den Briefen immer wieder auf den geheimen Zweck ihrer Reisen hinzuweisen pflegen."

Hart geht Blamberger mit Wieland ins Gericht, der doch, anders als Goethe, Kleist nicht ablehnte, sondern ihn maßlos lobte - mit fatalen Folgen. Denn so wurde der junge Kleist an die "alte Wielandsche Schule" gebunden, deren Stern damals gerade stark am Sinken war: "Wielands Lob zwingt Kleist in die Isolation. Es verhindert, dass er die Weimarer Chancen nutzt und Kontakte zu Goethe und Schiller und zu den Dichtern seiner Generation knüpft, die seine Karriere wirklich hätten fördern können."

Kleist schrieb nicht autobiographisch. Seine Werke sind so wenig aus dem Leben zu erklären wie sein Leben aus den Werken - die doch in jeder Zeile den Stempel einer genialen Persönlichkeit tragen. Schon deshalb muss sich der Biograph gründlich mit den Werken beschäftigen, die schließlich der Grund aller Kleist-Faszination sind. Auch was sich angesichts der oft dürftigen Quellenlage - noch 1809 liegt ein halbes Jahr fast völlig im Dunklen - über Kleists Leben wissen lässt, weiß man vor allem aus dessen Texten: den fünfhundert Seiten seiner Briefe. Eine Kleist-Biographie erfordert deshalb in besonderem Maß philologische Kompetenz und Fingerspitzengefühl. Günter Blamberger kennt sich unübertrefflich aus in der primären und sekundären Kleist-Welt. Seine Werk-Analysen bieten viele Deutungspointen. Selten zuvor wurden Kleists "gesplitterte Syntax" und die "Stromschnellen" seines Stils so emphatisch beschrieben. Ein Höhepunkt ist das Kapitel über den "Findling", Kleists "schwärzeste Novelle, vor deren Lektüre die Zeitgenossen warnten". So vehement wie nirgends sonst opponiert er hier gegen die Schemata des Bildungsidealismus und der optimistischen Anthropologie.

Die napoleonischen Eroberungszüge beendeten den Kosmopolitismus der Aufklärung und trieben den Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts hervor: Kleist ist ganz vorne dabei mit der "Hermannsschlacht", seinem umstrittensten Stück. Während des Dritten Reichs wurde es tausendfach aufgeführt - "stählerne Romantik". Blamberger liest es neu als "Handbuch des preußischen Guerrilleros", in dem die Realitäten des asymmetrischen Krieges beschrieben werden. Hintergrund des Geschichtsdramas war tatsächlich das Bemühen preußischer Strategen, den spanischen Guerrillakrieg gegen Napoleon nach Deutschland zu holen. Kleists Hermann ist kein teutscher Recke, sondern ein kalter, kontrollierter, mörderisch listiger Intellektueller, der sich auf die Theorie des Partisanen versteht und weiß, wie man auf der Klaviatur populärer Gefühle spielt. Insofern ist die "Hermannsschlacht" weniger ein Propagandastück als ein Stück über effektvolle Propaganda. Blamberger interpretiert Hermann als Gegenfigur zu Michael Kohlhaas, der in den ersten Kapiteln der gleichnamigen Novelle redlich bis zur Einfalt agiert, jede Taktik und Verstellung verschmäht. Bis die narzisstische Wut aus ihm herausbricht: ein zorniger Schwärmer und Fanatiker, das Psychogramm eines Fundamentalisten.

Spannende Kapitel widmen sich der Rezeptionsgeschichte. Goethes "Schauder und Abscheu" vor dem "hypochondrischen Kleist" machte diesen zum Helden der Moderne. Schockgefrostet oder ultrahocherhitzt: mit Kleist gegen alles Wohltemperierte. An dem literarischen Extremisten entzückte sich eine Nachwelt, die mit Goethe und Schiller schon in der Schule überfüttert worden war. Döblin, Kafka, Rilke, Wedekind, Benn - sie alle kamen aus Kleists Kutsche. "Penthesilea", das Drama des Geschlechterkriegs, dessen Enthumanisierung der Antike im Zeichen Nietzsches plausibel wurde, war ein wuchtiger Schlag ins Gesicht der Weimarer Winckelmann-Klassik.

Kleist, kein Vielbelesener, hielt sich eher an die ideenspendende Kraft der Naturwissenschaften. Im "Allerneuesten Erziehungsplan" zieht er aus dem Gesetz der Polarisierung elektrischer Ladungen Analogieschlüsse auf das menschliche Verhalten und Nutzanwendungen für die Pädagogik. Minus erzwingt Plus, und so müsse, wer das Gute fördern wolle, eine Lasterschule gründen, die durch die Kraft abschreckender Beispiele die Schüler auf den richtigen Weg bringe. Vor diesem Hintergrund sieht man die aktuelle Schulsituation in Berlin gelassener: Da kann noch viel Gutes herauskommen.

Kleists Psychologie der Polaritäten hat den Glauben an essentielle Charaktereigenschaften, feste Identitäten und kontinuierliche pädagogische Entwicklungsprozesse verloren. Niemand kann sich sicher sein, dass er ist, was er ist. Es hängt vom Kontext ab, wie man aufgeladen wird. Kohlhaas kann einer der "rechtschaffensten" und "entsetzlichsten" Menschen sein - es kommt auf die Konstellation an, ebenso beim Grafen in der "Marquise von O . . .", der mal ein "Engel", mal ein "Teufel" ist, je nachdem. Oder, um eines von Kleists eher spaßigen Beispielen anzuführen: Wenn man die klügsten Leute einer Stadt in einem Raum versammelt, werden einige von ihnen "auf der Stelle dumm". Blambergers Biographie ist so klug, dass einem andere Bücher über Kleist schlagartig wenn nicht dumm, so doch fahrlässig unterkomplex erscheinen.

WOLFGANG SCHNEIDER.

Günter Blamberger: "Heinrich von Kleist". Biographie.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011. 608 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für den Rezensenten Wolfgang Schneider steht außer Zweifel, dass er mit Günter Blambergers Kleist-Biografie die "beste" Lebensbeschreibung des Dichters in diesem Jubiläumsjahr in Händen hält. Die Charakterisierung Kleists als unablässiger "Schmied von Lebensplänen" findet der Rezensent absolut überzeugend. Er hat seine helle Freude daran, wie der Autor mit so mancher Sicherheit oder Spekulation der Forschung kurzen Prozess macht. Als Erklärung für die geheimnisvolle Reise Kleists nach Würzburg, die in jüngerer Zeit allerlei Theorien von Phimose-Operation bis Spionage gezeitigt hat, schlägt Blamberger Lust am "Spiel mit der Geheimhaltung" vor, teilt Schneider mit. Auf diese Weise lässt der Autor so manches Forschungsergebnis fröhlich implodieren, freut sich der Rezensent. Bei der Werkanalyse, wie z. B. bei der Interpretation der "Hermannsschlacht" bietet sich Schneider so manche Pointe, und überhaupt preist er Blamberger als profunden Kenner der Primär- und Sekundärliteratur.

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