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»Ab jetzt ist Ruhe« - dieser Spruch, den die unruhigen Kinder mit ihrer Mutter aufsagten und der sie in den Schlaf geleiten sollte, liegt wie ein Motto über dem Familienroman von Marion Brasch. Die jüdischen Eltern, die sich im Exil in London kennenlernten, gründeten die Existenz ihrer jungen Familie in Ostberlin, wo der Vater nach dem Krieg seine Ideale als Politiker verwirklichen wollte. Die drei Söhne - zwei davon wurden Schriftsteller, der mittlere Schauspieler - revoltierten gegen die Autorität der Vätergeneration und scheiterten an der Wirklichkeit, während die kleine Schwester…mehr

Produktbeschreibung
»Ab jetzt ist Ruhe« - dieser Spruch, den die unruhigen Kinder mit ihrer Mutter aufsagten und der sie in den Schlaf geleiten sollte, liegt wie ein Motto über dem Familienroman von Marion Brasch. Die jüdischen Eltern, die sich im Exil in London kennenlernten, gründeten die Existenz ihrer jungen Familie in Ostberlin, wo der Vater nach dem Krieg seine Ideale als Politiker verwirklichen wollte. Die drei Söhne - zwei davon wurden Schriftsteller, der mittlere Schauspieler - revoltierten gegen die Autorität der Vätergeneration und scheiterten an der Wirklichkeit, während die kleine Schwester Versöhnung und Ausgleich suchte und oft genug damit an Grenzen stieß, auch an die eigenen. Marion Brasch ist mit diesem Roman ein bewegender, oft witziger Rückblick auf die Geschichte ihrer Familie gelungen, gleichzeitig erzählt sie ihr eigenes Leben in einem Land, das es heute nicht mehr gibt.
Autorenporträt
Marion Brasch, geb. 1961 in Berlin. Nach dem Abitur arbeitete die gelernte Schriftsetzerin in einer Druckerei, bei verschiedenen Verlagen und beim Komponistenverband der DDR. 1987 begann sie als Musikredakteurin beim Jugendsender DT64 und ist heute als freie Rundfunkjournalistin und -moderatorin bei radioeins (RBB) tätig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.02.2012

Vom richtigen Überleben in der falschen Normalität

Fabelhaft, vor allem aber tragisch ist das Leben jener Künstlerfamilie, der Marion Brasch entstammt und der sie jetzt ihren ersten Roman gewidmet hat. "Ab jetzt ist Ruhe" fügt den ostdeutschen Familiengeschichten eine neue Perspektive hinzu.

Wenn man es als traurigen Mythos erzählen wollte, könnte man sagen, dass im Leben der Familie Brasch, das mit der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts auf so fatale und schmerzliche Weise verstrickt war, kein Platz mehr war für das neue Jahrtausend. Bekannt geworden - indes zehn Jahre nach seinem Tod schon halb wieder vergessen, wie auch seine Bücher - ist vor allem Thomas Brasch, der 2001 starb, von Drogen und Alkohol und den zermürbenden, ein Jahrzehnt währenden Arbeiten an seinem heillosen Großprojekt über den Mädchenmörder Brunke gezeichnet.

Es wäre nicht ganz derselbe Mythos, wie er über seinen Mentor Heiner Müller erzählt wird, dem nach 1989 der oft beschworene Fels fehlte, an dem er sich brechen konnte, so dass er literarisch zunehmend verstummte. Aber es wäre ein ähnlicher, wenngleich der weitaus tragischere. Es ist schlussendlich nicht zu entscheiden, ob es das Verlassen der DDR im Jahr 1976 war, das nach einem kurzen Höhenflug den künstlerischen und menschlichen Absturz von Brasch unumgänglich machte. Wahrscheinlicher aber ist, dass es die Versehrtheiten waren, die er als ältester Sohn des SED-Funktionärs und zeitweiligen stellvertretenden Ministers für Kultur, Horst Brasch, davontrug, von denen sich der 1945 Geborene nie mehr ganz erholen konnte. Vier Jahre im Drill einer Kadettenschule der Nationalen Volksarmee hatten den Jungen gequält. Als Dreiundzwanzigjähriger war er wegen des Verteilens staatsfeindlicher Flugblätter inhaftiert und gefoltert worden - verraten vom eigenen Vater, dem die Treue zum System über die Liebe zu seinem Sohn ging.

Thomas Brasch ist nicht der einzige der drei Brasch-Brüder, der ein frühes und tragisches Ende nahm und an den Auswüchsen des Systems zerbrach: Sein jüngerer Bruder, der Schauspieler Klaus Brasch, starb nicht einmal dreißigjährig an einer Überdosis Alkohol und Tabletten, der gemeinsame Bruder Peter, ebenfalls Schriftsteller, wurde wenige Monate vor Thomas tot in seiner Wohnung gefunden.

Auch die Biographie des Vaters ist nicht frei von Verheerungen. Wegen seiner jüdischen Herkunft war Horst Brasch während der NS-Diktatur nach England emigriert, verschrieb sich dort dem Sozialismus und übersiedelte 1946 in die DDR. Sein Aufstieg innerhalb der Nomenklatura wurde durch die Verhaftung seines ältesten Sohnes jäh gebremst. Seine Ideologie stellte er deshalb aber nicht in Frage. Horst Brasch starb im Sommer 1989, kurz bevor seine Ideale endgültig zu Grabe getragen wurden. Seine Frau, die sich widerstrebend der Karriere ihres Mannes beugte, war da bereits seit vierzehn Jahren tot.

Den Weg ins 21. Jahrhundert gefunden hat nur eine: Marion Brasch, Jahrgang 1961, die jüngste Tochter. Nicht nur der Altersabstand trennt die heute als Radiomoderatorin arbeitende Brasch von ihren Brüdern - sechzehn Jahre jünger als Thomas Brasch, sechs Jahre jünger als der jüngste der Brüder - sondern vor allem, dass sie, anders als die Brüder, weder gegen das System noch gegen seine Auswüchse ins Innenleben der Familie rebellierte. Marion Brasch ist nicht nur in der DDR geblieben. Sie ist, ihrem Vater zuliebe, sogar in die SED eingetreten. Man möchte sich tunlichst hüten, hier ein einfaches Kausalitätsverhältnis auszumachen, und doch grundiert den Roman, den Brasch nun schon im Untertitel ihrer "fabelhaften Familie" gewidmet hat, unweigerlich die Frage nach den Möglichkeiten des richtigen Lebens und des Überlebens im falschen.

"Ab jetzt ist Ruhe", der Titel des Romans, rekurriert nicht nur auf ein Ins-Bett-bring-Ritual aus Kinderzeiten. In diesem Kontext erscheint er auch wie ein Stoßseufzer der Erleichterung. Erleichterung darüber, dass die Geschichte, auch wenn sie erzählt wird, in Frieden ruhen darf. Nicht nur die Geschichte der Familie Brasch, sondern mit ihr die Geschichte des sozialistischen Regimes.

Darin mag Braschs Roman dem ersten Anschein nach eine gewisse Ähnlichkeit mit Eugen Ruges "In Zeiten des abnehmenden Lichts" haben, der ebenfalls die Geschichte der DDR-Nomenklatura nicht als Abrechnung schildert, sondern als Rekonstruktion einer Familiengeschichte, die untrennbar mit der größeren politischen Geschichte verbunden ist. Damit haben sich die Ähnlichkeiten allerdings auch. Denn während Ruge, wenngleich ihm etwas Versöhnliches eigen ist, eine kritische Archäologie betreibt, beharrt Brasch fast durchweg auf der Perspektive der kleinen, mithin entsprechend naiven Schwester. Heiner Müller ist bei ihr nur der "Dichter mit der weiten Stirn", Biermann der Sänger mit dem Schnauzbart. Wenn der Vater seinen Wandel vom katholischen Juden zum Kommunisten erzählt, hat die Siebenjährige ganz andere Sorgen: "Papa, ich muss mal!" Anders als Julia Franck oder Angelika Klüssendorf, die jüngst Kindheiten in der DDR als unfassbar brutale, albtraumhafte und doch wohl nur zu wahre Anti-Idyllen erzählten, hat Marion Brasch den unbedingten und zuweilen irritierenden Willen zum Unbeschwerten. Die Verhaftung von Thomas Brasch etwa, die den Konflikt zwischen Vater und Sohn in seiner ganzen, fast antiken Tragik spiegelt, wird in einer Beiläufigkeit gestreift, wie sie einer Siebenjährigen entsprechen mag, die weder das Schicksal des Bruders in seiner ganzen Tragweite erfassen noch ein Bewusstsein für die Schuld des Vater und dessen sicher nicht zu unterschätzende Zerrissenheit zwischen Ideologie und Sohnesliebe haben kann.

Auch jenseits dieser scharfen politischen Einschnitte erzählt Marion Brasch ihr durchaus privilegiertes Leben im Osten mit einer Mischung aus Trotz und Ratlosigkeit. Wenn sie als junge Frau, ermöglicht durch die Position des Vaters, nach Amerika reisen darf oder in der ersten eigenen Wohnung sofort einen Telefonanschluss bekommt, dann nimmt sie diese Vorzüge gern an und ist ebenso gekränkt wie überrascht, als sie aus ihrem Umfeld dafür Anfeindungen erntet.

Die Fallhöhe zwischen dem, was Marion Brasch hier mit erstaunlicher Leichtigkeit beschreibt und der tatsächlichen Geschichte, mag dem umso bitterer aufstoßen, der die Geschichte kennt. Gerade darin, dass eine nachträgliche Reflexion und Analyse ausbleibt, liegt die grausame Wahrheit dieses Buches, das eben in diesem Behaupten von Alltäglichkeit sehr viel erzählt über das Leben nicht nur in Diktaturen, sondern auch über die Dynamiken von Familienkonflikten. Als Thomas als letzter Verbliebene ihrer Familie im November 2001 starb, erzählt Marion Brasch, habe sie ihre Freunde angerufen, man habe "Mensch ärgere dich nicht" gespielt, sie habe sich in eine "weiche Abwesenheit" gelacht und geweint. "Für einen Augenblick dachte ich", heißt es weiter, "ich müsste mich dafür schämen. Doch ich schämte mich nicht."

Was Marion Brasch mit ihrem Roman einfordert, ist das Recht auf eine eigene Geschichte jenseits der großen Geschichte, von einer Adoleszenz in einem untergehenden System. Von Normalität jenseits des Katastrophischen. Das ist legitim, bleibt aber fragwürdig. In diesem Fall allerdings erscheint es wie eine Überlebensstrategie, um im Mythos dieser Familie nicht gänzlich zu verschwinden. Dass der Nachvollzug ihres Lebens bisweilen notathaft erscheint, um Vollständigkeit bemüht, und deshalb immer wieder auch Episoden erzählt werden, die dramaturgisch kaum sinnstiftend sind, liegt in der Natur dieser Sache. Als große Literatur versteht sich dieser in heiterem Plauderton verfasste Roman auch selbst nicht.

Symptomatisch lesen kann man mit Blick auf Marion Brasch noch ein anderes als Roman daherkommendes, aber umso mehr mit den Reizen des Authentischen klapperndes Buch über die Brasch-Familie, das im letzten Herbst, pünktlich zum zehnjährigen Todestag von Thomas Brasch, im Arche Verlag erschienen ist. "Kinder der Preußischen Wüste" des Dramatikers und selbsterklärten besten Brasch-Freundes Klaus Pohl ist sowohl, was den Gestus betrifft, der von der Eitelkeit der Mittelmäßigen durchzogen ist, als auch, was seine literarische Qualität angeht, nicht nur misslungen, sondern derart ärgerlich, dass es an dieser Stelle nur aus einem Grund überhaupt der Erwähnung wert ist: Marion Brasch kommt in diesem enervierend langatmigen, bis in alle Nebenakteure ausbuchstabierten, von falschem Pathos durchzogenen Buch nicht einmal vor. Wohl nicht zuletzt deshalb hat sie ihre eigene Geschichte schreiben müssen.

WIEBKE POROMBKA

Marion Brasch: "Ab jetzt ist Ruhe". Roman meiner fabelhaften Familie.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012. 400 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.02.2012

Nach den Söhnen schreiben die Töchter
In ihrem Roman „Ab jetzt ist Ruhe“ berichtet Marion Brasch vom Leben in einer Familie der DDR-Nomenklatura
Die Geschichte der Familie Brasch ist eine Geschichte von Klassenkämpfen. Der Vater, Horst, brachte es bis zum stellvertretenden Kulturminister in der DDR und war ein hoher SED-Funktionär, für den seine gesellschaftlichen Privilegien und die Errungenschaften des Sozialismus zusammengehörten. Seine drei Söhne Thomas, Klaus und Peter versuchten sich als Künstler, bewegten sich mit unterschiedlichem Erfolg in der bohèmehaft-lumpenproletarischen DDR-Opposition und starben alle sehr früh – an Alkohol, Kokain und an Verzweiflung. Übrig blieb das jüngste Kind, die Tochter Marion, die eine Karriere als Radiomoderatorin machte und im Westen zum ersten Mal auffiel, als nach dem Fall der Mauer das DDR-Jugendradio DT 64 und der Süddeutsche Rundfunk Stuttgart eine gesamtdeutsche Hitparade sendeten – ihr spröder, nicht abgenutzter Charme unterschied sich spürbar von den penetrant gut gelaunten West-Kollegen.
Wenn Marion Brasch jetzt einen Roman über ihre Familie schreibt, signalisiert bereits der Titel den Willen, endlich einen Schlussstrich zu ziehen, die privaten Konflikte und Erlebnisse zu verarbeiten: „Ab jetzt ist Ruhe“. Das ähnelt einigen Büchern aus letzter Zeit: Im Mittelpunkt steht eine konkrete Lebensgeschichte, ein unverwechselbarer, zu bewältigender Stoff, der etwas mit der abgeschlossenen Erfahrungswelt der DDR zu tun hat und wie ein Fremdkörper in die aktuelle Gegenwart hineinragt.
Es ist eher unwahrscheinlich, dass solche Autoren künftig weiter als Schriftsteller mit fiktionalen Texten auftreten, aber dieses eine Buch musste unbedingt geschrieben werden. In Marion Braschs „Roman einer fabelhaften Familie“ ist in jeder Zeile ein immenser innerfamiliärer Druck spürbar, Zeitgeschichte und private Konstellationen ergeben ein dramatisches Geflecht – aber sie hat eine verblüffende Form gewählt, damit umzugehen. Sie unterläuft alles und schreibt in einem kindlich anmutenden Ton, der etwas Keck-Slapstickhaftes hat. Damit kann man das allzu Bedrängende scheinbar auf Distanz halten.
Der Titel „Ab jetzt ist Ruhe“ hat hier seinen Ursprung: Es war der Satz der Mutter, mit dem abends im Zimmer der beiden jüngsten Geschwister das Licht ausging. Marion Brasch hält im gesamten Buch an dieser Kinderperspektive fest. Es ist der Blick der jüngsten Schwester, die das Treiben der Älteren verwundert beobachtet und in eine Art Comic-Bilderbuch überführt, mit vereinzelten Sprechblasen und märchenhaften Geschehnissen aus längst vergangenen Zeiten. Dass der Vater Macht hat, dass es sich bei seinem Staat um die DDR handelt und bei den Brüdern um durchaus relevante Personen der Zeitgeschichte, teilt sich eher nebenbei mit. Auch der Name des berühmtesten Bruders, Thomas Brasch, fällt nie.
Dadurch rückt das Ganze in ein etwas künstliches, leicht verschwommenes Licht. Man erkennt natürlich das Setting von „Vor den Vätern sterben die Söhne“, mit dem Thomas Brasch schlagartig ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geriet. Man erkennt den Film „Solo Sunny“, in dem der mittlere Bruder Klaus Brasch kurz vor seinem Tod eine furiose Hauptrolle spielte, man erkennt auch die Kinderhörspiele des jüngsten Bruders Peter Brasch, der ständig gegen den übermächtigen Schatten des großen Thomas ankämpfen musste. Aber die Brüder erscheinen immer typisiert, als der älteste, der mittlere und der jüngste.
Die nachgeborene Tochter erzählt jedoch vor allem ihre eigene Geschichte. Es ist die eines Mädchens, das immer übersehen worden ist und aus dieser Randposition heraus die Dinge mit weniger Pathos erleben kann. Kindergarten, Schule, die Ausbildung zur Schriftsetzerin und die Tätigkeit in einer Zeitungsdruckerei ergeben ein „normales“ Bild des Aufwachsens in der DDR, mit Freundinnen, Tramptouren und Campingurlauben, wie woanders auch. Die Vor- und Nachteile, Tochter eines einflussreichen Funktionärs zu sein, scheinen sich dabei die Waage zu halten.
Typisch für den Stil ist das mehrfach eingesetzte Wort „lustig“. Der mittlere Bruder etwa wäre beinahe nach der Geburt gestorben: „Seine Augen lagen so blank und groß in ihren Höhlen, dass sie fast herausgefallen wären. Dieser Bruder war unser aller Lieblingsbruder. Er war lustig und konnte auf den Händen gehen.“ Und in der Berufsschule kommt die Ich-Erzählerin unter lauter neue Menschen und zählt sie einzeln auf: „Stefan war lustig. Während des Unterrichts karikierte er mit wenigen Strichen unsere Lehrer.“ Dieses „lustig“ hat eine wichtige Funktion. Es verbirgt etwas, aber bietet auch eine Technik, über die Abgründe hinwegzukommen. Marion Braschs Scherenschnittverfahren, die Tarnung durch das Naive funktioniert bei all den Phrasen der offiziellen DDR-Sprache, und sie funktioniert sogar bei der katastrophalen zweiten Ehe des Vaters, nachdem die Mutter an Krebs gestorben war – er heiratet eine muffige DDR-Kleinbürgerin, die sich als Stasi-Mitarbeiterin entpuppt und auf ihn angesetzt war. Kleine Miniaturen gelingen der Autorin immer wieder recht gut, aber für Ereignisse wie das Kölner Konzert Wolf Biermanns und seine Ausbürgerung oder die Entwicklungen vor dem Fall der Mauer reicht der bewusst einfache, scheinbar unverschnörkelte Duktus nicht aus.
Für Brasch-Exegeten sind die Passagen über den Vater Horst am interessantesten. Sein Bild ist durch die Auseinandersetzung des Sohnes Thomas mit ihm festgezurrt worden: ein Parteisoldat, der im Interesse der reinen Lehre selbst seinen Söhnen gegenüber eisern bleibt. Marion Brasch beschreibt zwar ebenfalls seine harten Züge, aber sie lässt manchmal aufblitzen, dass sich hier auch eine fast shakespearesche Tragödie abspielt: der Jude, der nach England emigrieren muss, dort in der Kommunistischen Partei einen Rettungsanker ergreift und auf diesen existentiellen Grundlagen dann in der DDR aufbauen möchte. Er erscheint bei ihr durchaus differenziert. Dass ihm das ungestüme Aufbegehren seines ältesten Sohnes in seiner Parteikarriere schadet, dass dadurch auch etwas in ihm zerbricht, zeigt sie fast beiläufig.
Das zwiespältige, merkwürdige Gefühl, die DDR als Heimat begreifen zu wollen, spielt für Marion Brasch eine große Rolle. Ihr Buch ist keine große Literatur, aber es hat über weite Strecken etwas angenehm Leichtes, ohne oberflächlich zu sein. Weil Marion Brasch als einziges ihrer Geschwister Mitglied der Partei war, war sie im Gegensatz zu ihnen nie so recht klassenkämpferisch. Ihr Roman ist das stimmige Resultat.
HELMUT BÖTTIGER
MARION BRASCH: Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2012. 398 Seiten, 19,99 Euro.
Der Blick der jüngsten Schwester
überführt die Älteren
in eine Art Comic-Bilderbuch
Marion Brasch (oben), seit 1987 Rundfunkjournalistin, blickt aus der Randperspektive des übersehenen Mädchens auf ihren Vater Horst Brasch (ganz oben) und ihre Brüder, darunter Thomas Brasch (links)
Fotos: cinetext (ganz oben), Isolde Ohlbaum(links), imago stock&people (oben)
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Von wegen, meint Wiebke Porombka. Was für Marion Brasch, Jüngste und einzige Überlebende des Brasch-Clans, gilt, in einem Roman zumal, die Verteidigung einer eigenen durchaus heiteren Geschichte, gilt sicher nicht für alle. Der leichte Plauderton und das in diesem Buch anzutreffende Reflexionsniveau und der Trotz einer Siebenjährigen erscheinen der Rezensentin doppelt fragwürdig: Als literarisches Mittel und als Instrument der Aufarbeitung einer höchst tragischen Familiengeschichte. Im Ausbleiben der Reflexion sieht Porombka denn auch die eigentliche Wahrheit des Buches - ein bei aller Seichtheit dann wieder recht tief reichender Einblick in das von dem Behaupten von Alltäglichkeit geprägte Leben in einer Diktatur.

© Perlentaucher Medien GmbH
[...] zärtlich, lakonisch und bei aller Tragik oft rasend komisch. DONNA Buchclub 20231011