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Aurélie Filippettis Vater Angelo, Sohn italienischer Immigranten, war Minenarbeiter und kommunistischer Bürgermeister in Lothringen. Ihr Großvater arbeitete ebenfalls unter Tage und kämpfte in der Résistance. Ausgehend von ihnen erzählt Aurélie Filippetti berührend und literarisch überzeugend die Geschichte ihrer Familie. Geprägt vom Algerienkrieg, der Frankreich spaltete, und tief getroffen von wirtschaftlichen Desillusionierungen waren Minenarbeiter wie sie die letzten Kämpfer gegen die Ausbeutung ihrer Region. Aber ihr Leben wurde versteckt, geopfert, vergessen. Aurélie Filippetti verleiht…mehr

Produktbeschreibung
Aurélie Filippettis Vater Angelo, Sohn italienischer Immigranten, war Minenarbeiter und kommunistischer Bürgermeister in Lothringen. Ihr Großvater arbeitete ebenfalls unter Tage und kämpfte in der Résistance. Ausgehend von ihnen erzählt Aurélie Filippetti berührend und literarisch überzeugend die Geschichte ihrer Familie. Geprägt vom Algerienkrieg, der Frankreich spaltete, und tief getroffen von wirtschaftlichen Desillusionierungen waren Minenarbeiter wie sie die letzten Kämpfer gegen die Ausbeutung ihrer Region. Aber ihr Leben wurde versteckt, geopfert, vergessen. Aurélie Filippetti verleiht ihnen eine Stimme. Ein ergreifender Familienroman und eine Hommage an die Arbeiterklasse des 20. Jahrhunderts.
Autorenporträt
Filippetti, AurélieAurélie Filippetti wurde 1973 in Lothringen geboren. Sie studierte Literatur an der École normale supérieure, war Ratsmitglied der Grünen in Paris und gesellschaftspolitische Beraterin von Ségolène Royal. Seit 2012 ist sie französische Kulturministerin. 'Das Ende der Arbeiterklasse' ist ihr erster Roman.Angela Sanmann, geboren 1980, studierte Germanistik, Komparatistik und Philosophie in Berlin und Paris und promovierte zur französisch-deutschen Lyrikübersetzung nach 1945. Sie arbeitet als Übersetzerin und Lektorin in Berlin.

Sanmann, AngelaAngela Sanmann, geboren 1980, studierte Germanistik, Komparatistik und Philosophie in Berlin und Paris und promovierte zur französisch-deutschen Lyrikübersetzung nach 1945. Sie arbeitet als Übersetzerin und Lektorin in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.2014

Der Schatten eines Unterschieds

In der Mine ist man solidarisch - oder tot -: Wie die einstige französische Kulturministerin Aurélie Filippetti ihrer lothringischen Heimat ein Denkmal setzt.

Von Lena Bopp

Dass zwischen der Herkunft eines Menschen und seinen Erfolgsaussichten im Leben ein Zusammenhang besteht, weiß Aurélie Filippetti nur zu gut. Auch wenn sie es, wie man so sagt, geschafft hat. Auch wenn sie als 1973 in Lothringen geborene Tochter einer Arbeiterfamilie jene Gleichheit, die die französische Republik ihren Kindern seit Jahrhunderten verspricht, als eine von wenigen tatsächlich für sich in Anspruch zu nehmen wusste: Denn Filippetti war die erste ihrer Familie, die das Heimatdorf gen Paris verließ und dort nicht nur studierte, sondern auch die Ecole Normale Supérieure besuchte, eine dieser Kaderschmieden, die dem Ideal zufolge zwar allen, in der Regel aber vor allem jenen offenstehen, denen dieser Karriereweg auch in die Wiege gelegt wurde. "Der Schatten eines Unterschieds", nennt Filippetti das in ihrem Buch, "wie ein herber Geschmack im Mund, jedes Mal."

Dieser Schatten ist es wohl gewesen, der Filippetti dazu bewogen hat, "Das Ende der Arbeiterklasse" zu schreiben. Das Buch ist in Frankreich schon vor mehr als zehn Jahren erschienen, aber erst jetzt wurde es ins Deutsche übersetzt - wobei man für diese Verzögerung sicher dieselben Kräfte verantwortlich machen darf wie jene, die Filippetti einst Sorgen an der Eliteschule bereiteten. Denn als Kind einfacher Minenarbeiter, die keine Akademiker in ihren Reihen, keine Bücher in den Regalen und keine Opern-Abos hatten, fürchtete die Pariser Schülerin stets, mangels Kenntnis der richtigen Codes aufzufliegen ("Wann muss man klatschen, zwischen den Szenen oder zwischen den Akten?"). Dieser Angst aber entspricht auf Seiten der Öffentlichkeit ja ein Interesse, das erst erwacht, wenn der schwarze Entlein seine Farbe wechselt, sprich: Wenn das einstige Arbeiterkind so erfolgreich wird, dass sich seine Geschichte als Märchen erzählen lässt. Als Märchen, das sein Publikum rührt.

Zwar ist es wohl nicht so, dass die Autorin ihr Buch bereits mit dieseM Hintergedanken verfasst hätte. Doch dass Aurélie Filippetti nach dem Wahlsieg von François Hollande im Mai 2012 zur Kulturministerin ernannt wurde (und inzwischen aus, wie sie in einem offenen Brief schrieb, Loyalität gegenüber denen zurücktrat, die sie gewählt haben), ist etwas, das man bei der jetzigen Lektüre immer mitdenkt. Und das den Eindruck, den das Buch hinterlässt, verändert. Man liest "Das Ende der Arbeiterklasse" nämlich nicht mehr als "Familienroman" - eine Gattungsbezeichnung, die dem deutschen Verlag zuzuschreiben ist. Man liest es aber auch nicht als "Roman", wie es im französischen Original genannt wird, weil vieles von dem, was hier verhandelt wird, tatsächlich nach der Lebensgeschichte von Aurélie Filippetti klingt, und weil es auch keinen Erzähler gibt, der die Geschehnisse in irgendeiner Weise für sich beanspruchen würde. Im Gegenteil: Statt eines Erzählers, der mehr oder anderes weiß als die Autorin; begegnen wir einer erzählenden Instanz, die beinahe zugibt, mit dieser Autorin identisch zu sein. "Später", heißt es einmal, "wenn eines Tages die Nabelschnur zwischen dieser Geschichte [der Minenarbeiter, Anm. d. Red.] und der jüngeren Generation durchschnitten ist, wird der Roman mit den wehmütigen Erinnerungen an die Kindheit den Stolz wieder aufkommen lassen, dabei gewesen zu sein."

Ja, das wird er, denn um nichts anderes geht es in diesem Buch: um Erinnerungen an eine Zeit, die unwiederbringlich vergangen ist, an eine Region, die es so, wie sie hier heraufbeschworen wird, nicht mehr gibt, und auch an eine Klasse, die ihren einstigen politischen Einfluss einbüßt. Dass man ausgerechnet dem sozialistischen Präsidenten Hollande zutraut, die Armen, die Obdachlosen und die Arbeiter als "Zahnlose" zu bezeichnen, wie ihm von seiner ehemaligen Lebensgefährtin Valérie Trierweiler in deren Abrechnungsbuch kürzlich unterstellt wurde, spricht in diesem Sinn Bände. Filippetti aber scheint da ganz anderes im Sinn zu haben. Denn gegen die durch den sozialen Aufstieg drohende Entfremdung von den Ihren ("Eine einzige, hartnäckige Sorge: Eines Tages könnte es dazu kommen, dass sie ihre Eltern verurteilt") wehrt sie sich mit einem Buch, das dieser Familie und deren Milieu ein kleines Denkmal setzt.

Und diese Denkschrift liest man gern. So pathetisch sie auch zuweilen sein mag, gibt sie doch Aufschluss über die Härten, die Konflikte, aber auch den Stolz einer Lebensweise, von der man nach Emile Zolas "Germinal" nur noch selten gelesen hat. Dabei bieten die Geschichten dieser Arbeiter, die jahrzehntelang und unter Einsatz ihrer Gesundheit wie zuweilen auch ihres Lebens in den Eisenminen Lothringens schufteten, tragischen Stoff in Hülle und Fülle. Denn so hart die Arbeit auch war, so gering ihr Prestige und so karg ihr Lohn, so sehr bildete sie doch die Grundlage einer Gemeinschaft, die, weil ihre Mitglieder einst überwiegend aus Italien und Polen eingewandert waren, zwar dem Katholizismus die Treue hielt, aber gleichzeitig kommunistisch wählte. Schenkt man der Darstellung Filippettis Glauben, war es also diese Arbeit, die die Gemeinschaft lehrte, zusammenzustehen. Denn in der Mine ist man solidarisch - oder tot.

Dass man das Heraufbeschwören dieser Tugend somit auch als politisches Bekenntnis der Autorin verstehen darf, liegt auf der Hand. Zumal sie am Ende wehmütig auf das Erstarken des rechtsradikalen Front National verweist, der die einstige Hochburg der Kommunisten allmählich erobert. Aber Filippettis Werk ist trotzdem kein Pamphlet und auch keine Streitschrift. Es ist das wütende, enttäuschte und auch bittere Erinnerungsbuch einer Frau, die sich nicht nur von ihrer Herkunft entfernt, sondern auch begriffen hat, dass deren Grundlage längst Geschichte ist.

Aurélie Filippetti: "Das Ende der Arbeiterklasse". Ein Familienroman.

Aus dem Französischen von Angela Sanmann. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2014. 192 S., geb., 18,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Georg Renöckl warnt vor einer gehörigen Portion Pathos in Aurélie Filippettis Roman, möchte uns das Buch der ehemaligen Kulturministerin der Regierung Hollande aber dennoch schmackhaft machen. Und das geht so: Pathos, meint Renöckl, steht der Geschichte der italienischstämmigen Bergarbeiter im nördlichen Lothringen, die Filippetti mit Ausflügen in ihre eigene Familiengeschichte erzählt, gar nicht schlecht. Dass die Autorin zudem den wenig bekannten Kampf der italienischen Immigranten in einer feindseligen Nachkriegsgesellschaft dokumentiert, scheint dem Rezensenten ein nicht geringer Verdienst.

© Perlentaucher Medien GmbH
Würde, Stolz und einen Platz im kollektiven Gedächtnis Frankreichs. Aurélie Filippetti hat keine Heldensaga geschrieben. Es ist ein melancholischer Nachruf auf die lothringische Arbeiterklasse. Anne Christine Heckmann Deutschlandradio Kultur 20150122