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Ein Schlaglicht, das uns selbst blendet
Wenn der Staat den Deutschen garantieren wollte, was sie angeblich so dringend begehren - den umfassenden Schutz der inneren Sicherheit -, müsste er der Gesellschaft geben, was sie verdient: So viele Gefängnisse aber, dass fast alle Bürger Platz darin fänden, so viele Gerichtssäle, Polizeiwagen und Vernehmungsräume halten nicht einmal Diktaturen bereit.
Eine Gesellschaft, die über Kriminalität diskutiert, führt Selbstgespräche.
Die Forderungen nach Verschärfung und Erweiterung des Strafrechts, nach mehr Überwachung und härterer Justiz
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Produktbeschreibung
Ein Schlaglicht, das uns selbst blendet

Wenn der Staat den Deutschen garantieren wollte, was sie angeblich so dringend begehren - den umfassenden Schutz der inneren Sicherheit -, müsste er der Gesellschaft geben, was sie verdient: So viele Gefängnisse aber, dass fast alle Bürger Platz darin fänden, so viele Gerichtssäle, Polizeiwagen und Vernehmungsräume halten nicht einmal Diktaturen bereit.

Eine Gesellschaft, die über Kriminalität diskutiert, führt Selbstgespräche.

Die Forderungen nach Verschärfung und Erweiterung des Strafrechts, nach mehr Überwachung und härterer Justiz ignorieren, schreibt Christian Bommarius, die extreme Verbreitung der Kriminalität. Wo beginnt sie? Wie weit wird sie von den Statistiken registriert und wie weit bleibt sie - Gott sei Dank - verborgen? Dieser Essay geht, temperamentvoll erhellend, vor allem auch streitbar, der erfassten Kriminalität wie dem Dunkelfeld nach. Denn die im Hellen sieht man, die im Dunkeln nicht.

"Ihr wisst nicht viel, weil ihr nicht wisst / Und wissen wollt, was Deutschland ist."
Hoffmann von Fallersleben 1842
Autorenporträt
Christian Bommarius wurde 1958 in Frankfurt am Main geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der Germanistik wurde er Korrespondent der Deutschen Presseagentur unter anderem beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Seit 1997 ist er leitender Redakteur der "Berliner Zeitung" und Mitarbeiter beim "Kursbuch".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.03.2004

Klauen als Volkssport
Schärfere Gesetze bringen nicht mehr Sicherheit, zumal sich die wenigsten daran halten
Dem Wunsch der meisten Bürger, vom Staat vor Kriminalität geschützt zu werden, hält Christian Bommarius frech entgegen: Wiederum die allermeisten Bürger seien ja selbst aktiv auf diesem weiten Feld, wenngleich überwiegend mit Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren. Damit leisten sie, findet er, jedenfalls einen ordentlichen Beitrag zur Kriminalstatistik – so sie erwischt werden. Ohnehin übertrifft die Dunkelziffer die Zahlen in der Kriminalstatistik um ein Vielfaches.
Der nachdenkliche Leser wird gleich zu Beginn des Buches, sich selbst erforschend, innehalten und natürlich feststellen: Ich gehöre nicht dazu! Und das, obwohl vermutlich jeder in seiner Jugend schon mal etwas hat mitgehen lassen. Denn der Ladendiebstahl wird meist von unbescholtenen Bürgern begangen: „ein Delikt, für das die gesamte Bevölkerung anfällig ist”, wie es von staatlicher Seite heißt. Auch der Versicherungsbetrug zieht bekanntlich weite Kreise, und Steuerhinterziehung tritt im großen – wie kleinen – Stil in Erscheinung, allerdings wird sie so gut wie nicht geahndet, stellt Bommarius fest: „In Deutschland spaziert ein Steuerhinterzieher eher mit einem Kamel durch ein Nadelöhr als ins Gefängnis. . .”
Schon der Titel sagt, was der Autor herausgefunden hat: Wir Deutschen sind kriminell. Dabei handelt es sich um eine geschickte Camouflage, denn sein Anliegen ist es durchaus nicht, moralisch empört auf ein Volk von Kriminellen zu verweisen. Vielmehr nutzt er das Faktum der weit verbreiteten Straffälligkeit, um einiges zurechtzurücken. Die Mehrheit der Deutschen sei nicht integer, und die Strafe, die dem Verbrechen auf dem Fuß folge, sei eine Schimäre: „Die Straflosigkeit des Verbrechens war schon immer die Regel, seine Bestrafung eine Rarität.”
Also appelliert der Autor mit allem Nachdruck an die Einsicht, die Angst vor dem Verbrechen nicht in ein unverhältnismäßiges Sicherheitsverlangen münden zu lassen und damit demokratische Grundrechte aufzugeben.
Der Journalist Christian Bommarius, Redakteur der Berliner Zeitung, versucht mit seinem äußerst informativen Buch, die Unverhältnismäßigkeit der Mittel innerhalb der Strafverfolgung, und schlimmer noch, der Prävention, deutlich zu machen. Das tut er in sprachlich eleganter Form, bedient sich ironischer Wendungen und gewitzter Metaphern. Er schildert nicht nur die Situation in den verschiedenen Verbrechensbereichen wie der Jugendgewalt, bei Drogendelikten, in der Wirtschaftskriminalität, sondern liefert auch vergleichenden Stoff aus der Kriminalgeschichte, mit dem es ihm gelingt, die heutigen Zustände zu relativieren.
Eine stetige Verschärfung der Gesetze, die immer wieder gefordert wird, mindert den Freiheitsrahmen einer Gesellschaft und bietet dennoch keine Gegenleistung – denn die meisten Vergehen bleiben ja, wie gesagt, ohnehin ungesühnt. Kriminal-Experten gehen davon aus, dass nur bis zu 1,5 Prozent aller Vergehen und Verbrechen bestraft werden; also rund 750 000 Verurteilungen jährlich. Dabei liegt die geschätzte Zahl der begangenen Taten zwischen 50 und 500 Millionen. Angesichts dieser Zahlen wirke der Ruf nach „Nulltoleranz”, so Bommarius, wie die Forderung einer Maus an eine andere, sie solle doch bitte einen Elefanten k.o. schlagen.
Freilich könnte man einwenden, es gehe doch um Wichtigeres: um die Zerschlagung von Drogenkartellen, um das organisierte Verbrechen und nicht zuletzt um Terrorismus. Doch ein Blick etwa auf den weltweiten Antidrogenkrieg, dem sich alle Staaten, voran die USA, verschrieben haben, macht klar, dass er zu nichts führt. Das Drogengeschäft floriere ohne nennenswerte Einbußen, aber mit den bekannten dramatischen Begleiterscheinungen. Nur durch die Aufgabe des Verbots von Drogen könnten die Drogenkartelle zerschlagen werden – eine Ansicht, die auch 600 Experten, Minister und Intellektuelle aus Anbau- wie Verbraucherländern 1998 in einem offenen Brief an den Generalsekretär der Vereinten Nationen zum Ausdruck brachten.
Der Autor glaubt, dass der Vorschlag, die Drogenkriminalität durch Entkriminalisierung zu bekämpfen, ebenso einleuchtend wie aussichtslos ist. Denn auch die neue Doktrin des Staates, die Prävention, sei, wie die Gesetzesverschärfung, ein untaugliches Mittel. Jetzt stünde nicht mehr der Tatverdächtige unter Verdacht, sondern jeder, der verdächtig sein könnte, zum Täter zu werden.
Es dürfte den Autor überaus freuen, dass gerade drei Kritiker des großen Lauschangriffs vor dem Bundesverfassungsgericht einen kleinen Erfolg mit ihrer Klage gegen das Gesetz errungen haben: Nun gibt es Einschränkungen bei dessen Anwendung.
ELKE NICOLINI
CHRISTIAN BOMMARIUS: Wir kriminellen Deutschen. Siedler Verlag, Berlin 2004. 128 Seiten, 16 Euro.
Die Dunkelziffer ist enorm: Fast jeder Deutsche hat schon mal gegen das Gesetz verstoßen – wenn auch oft nur mit Bagatelldelikten.
Foto: plainpicture
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nein, es geht Christian Bommarius nicht darum, uns Deutsche als "Volk von Kriminellen" hinzustellen, meint die Rezensentin Elke Nicolini. Denn sein "äußerst informatives" Buch, in dem er die große Verbreitung von Bagatelldelikten (Ladendiebstahl, Schwarzfahren), gerade unter "unbescholtenen Bürger", klarmache, bereite das Terrain für eine ganz andere Art von Überlegung. Es liegt ihm daran, so die Rezensentin, die Einsicht zu fördern, "die Angst vor dem Verbrechen nicht in ein unverhältnismäßiges Sicherheitsverlangen münden zu lassen und damit demokratische Grundrechte aufzugeben". In "sprachlich eleganter Form", in die auch Ironie und Metaphern gegossen sind, gibt Bommarius Aufschluss über "die Situation in den verschiedenen Verbrechensbereichen", und liefert er "vergleichenden Stoff aus der Kriminalgeschichte", erklärt die Rezensentin. So könne er die heutigen Zustände überzeugend relativieren, was ihm erlaube, sich entschieden gegen den Aufruf zur "Nulltoleranz" zu stellen.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Der Journalist Christian Bommarius - Redakteur der BZ - versucht mit seinem äußerst informativen Buch die Unverhältnismäßigkeit der Mittel innerhalb der Strafverfolgung, und schlimmer noch, der Prävention, deutlich zu machen. Das tut er in sprachlich eleganter Form, bedient sich ironischer Wendungen und gewitzter Metaphern." (SDZ)