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George Webb arbeitet als Detektiv in einem Londoner Vorort, Spezialität: Scheidungsfälle. Für Sarah Nash, in die sich George verliebt, soll er ihren Mann beschatten, der eine leidenschaftliche Affäre mit einer kroatischen Studentin hat. Bis zum Schluss läuft alles nach Plan, doch in einem einzigen Moment verliert Sarah, die behütete kultivierte Frau, die Nerven und damit alles was sie besessen hat ... Eine Geschichte über das Leben mit all seinen...

Produktbeschreibung
George Webb arbeitet als Detektiv in einem Londoner Vorort, Spezialität: Scheidungsfälle. Für Sarah Nash, in die sich George verliebt, soll er ihren Mann beschatten, der eine leidenschaftliche Affäre mit einer kroatischen Studentin hat. Bis zum Schluss läuft alles nach Plan, doch in einem einzigen Moment verliert Sarah, die behütete kultivierte Frau, die Nerven und damit alles was sie besessen hat ... Eine Geschichte über das Leben mit all seinen...
Autorenporträt
Graham Swift wurde 1949 in London geboren. Auf Deutsch erschienen u. a. Waterland (1991), Von jenem Tage an (1995) und bei Hanser Letzte Runde (Roman, 1997). Ausgezeichnet mit dem Booker Prize, wurde der Roman von Fred Schepisi mit hochkarätiger Besetzung verfilmt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2003

Besser verhaftet als verliebt
Warten auf die Witwe: Graham Swift fühlt mit seinem Detektiv / Von Felicitas von Lovenberg

Verliebtheit allein hinterläßt noch keine Spuren, jedenfalls keine, die ein Privatdetektiv aufspüren und als Beweismaterial präsentieren könnte. Oder doch? "Er glich bereits einer jener verlorenen Seelen, die man auf Flughäfen sieht, Menschen unterwegs, die nirgends hingehören."

George Webb, der Ich-Erzähler in Graham Swifts neuem Roman, ist Detektiv - ein Notbehelf. Früher einmal war er ein Kriminalbeamter: gefeuert. Früher einmal war er auch ein Ehemann: verlassen. Seit dem Tod der Eltern ist er niemands Sohn mehr. Nur Vater einer Tochter, das ist er immer noch. Großvater wird er wohl nicht mehr werden, denn seine Tochter liebt eine Frau. George ist kein Ausbund an Fröhlichkeit, aber er ist auch nicht verbittert, im Gegenteil. Er ist ein besonderer Mann. Denn George glaubt, trotz allem und stärker denn je, an die erlösende Kraft der Liebe.

"Wie geschieht es? Wie wählen wir? Jemand tritt in unser Leben, und wir können nicht mehr ohne ihn sein. Aber wir haben es vorher gekonnt ..." Jener Tag, an dem eine Frau sein Leben verändert hat, liegt etwas über zwei Jahre zurück. Ein Fall, bei dem alles anders war als sonst. Es fing schon damit an, daß es keinen Verdacht zu bestätigen gab: Sarah, die Auftraggeberin, wußte bereits von der Affäre ihres Mannes Bob mit jener jungen kroatischen Asylantin, die das wohlhabende Paar für eine Weile bei sich aufgenommen hatte. Sie wußte auch, daß die junge Frau in ihr Land zurückwollte und daß ihr Mann sie zum Flughafen bringen würde. Ungewiß war, ob er nach dem Abflug der Geliebten zu ihr zurückkehren oder ob er mit ins Flugzeug steigen würde. George sollte den beiden nach Heathrow folgen und ihr telefonisch berichten, ob der Abschied wirklich einer war.

Georges Naturell entspricht eher dem eines Nachtwächters denn dem eines Detektivs: "Früher überkam mich häufig das Gefühl, daß ich der einzige war, der Wache hielt. So als hätte ich persönlich die Welt zu Bett gebracht ... Absurd." Seinem Beschützerdrang verdankt sich die seltsam anrührende, melancholisch-stille Geschichte, die Swift ihn in "Das helle Licht des Tages" im Laufe eines einzigen Tages in Rückblenden erzählen läßt. Wir begegnen George, als jener verstörende, berauschende Fall, der alles auf den Kopf gestellt hat, seit zwei Jahren abgeschlossen ist, juristisch jedenfalls. Für George hat er noch immer gerade erst begonnen, denn in Gedanken ist er unablässig bei der Frau, mit der er sich eine Zukunft ausmalt. Aber diese Zukunft wird warten müssen, mindestens acht Jahre noch, denn Sarah ist im Gefängnis. Sie hat ihren Mann mit dem Küchenmesser umgebracht, just als er sich von der Geliebten verabschiedet hatte und nach Hause zurückgekehrt war.

Wie verabredet, war George dem Paar nach Heathrow gefolgt. Als gewiß ist, daß die junge Frau allein in den Flieger steigen wird, hätte er sich abwenden und heimfahren können. Statt dessen bleibt er in der Nähe des Mannes, wie ein Schatten oder ein Schutzengel, ergriffen von dessen Elend: "Endlich drehte er sich um. Er sah aus wie jemand, der vergessen hat, wer er ist." Seit jenem Tag ist George auf dem besten Wege, Bobs Schicksal zu teilen und sich in ein sehnsüchtiges Gespenst zu verwandeln. In ihrer Trauer um eine Frau, die unerreichbar scheint, teilen beide Männer das Los des Orpheus: "Eine Regel, ein Aberglaube: Ich sehe mich niemals um. Denn es könnte ja sein, daß das Wunder geschieht ... daß sie hinter mir steht." Was George nicht sieht, nicht sehen will, ist für den Leser bestürzend offensichtlich: Seine Liebe wird nicht erwidert. Sarah duldet seine Besuche, hat sich an ihn gewöhnt, hat ihn sogar gern. Ihr ganzes Gefühl jedoch gilt dem toten Ehemann, dessen Vergebung sie nie erlangen kann.

Es gehört zu den vielen Stärken von Swifts Roman, daß er an keiner Stelle versucht, Sarahs Verbrechen zu rechtfertigen oder gar zu verharmlosen, auch nicht, es zu erklären. Denn George war nicht dabei, als Sarah, die schöne, gefaßte Sarah, das Unvorstellbare tat. Er hatte abgedreht, als er Bobs Wagen in die Hauseinfahrt einbiegen sah. Als er kurz darauf, mit dem unheimlichen Einfühlungsvermögen des Liebenden, die Gefahr spürt, die von der Frau ausgeht, kommt er zu spät - eine Verspätung, für die er so hart bestraft wird wie Sarah für ihren Mord. Denn jede Hoffnung, sie für sich gewinnen zu können, ist mit Bobs Tod dahin. Nur er könnte ihr geben, was sie so ersehnt wie George ihre Zuneigung: Verzeihung. Und so verbüßt George Sarahs Strafe mit ihr, besucht sie, sooft es erlaubt ist, schreibt ihr, wenn er sie nicht sehen kann, und träumt von dem Tag, da sie das Gefängnis mit ihm verlassen darf.

Der englischen Kritik hat Swifts Werk wenig gefallen; Rezensenten bemängelte die Umständlichkeit des Erzählers, das Fehlen einer dramatisch zugespitzten Handlung. Dabei ist die Konstellation zwar nicht neu, doch aufregend genug; am Anfang fürchtet man fast, Swift könne der Versuchung erliegen und den Detektiv neben der Liebesgeschichte seines Lebens auch einen kleinen Krimi erleben lassen. Doch die einzige Spannung, die der Autor zuläßt, birgt eine Frage, die unbeantwortet bleibt: wie es sein mag, wenn bei einem Menschen plötzlich die Sicherung durchbrennt.

Was in seiner Heimat beanstandet wurden, verdient es, dem "Hellen Licht des Tages" bei uns zu einem besonderem Erfolg zu verhelfen. Es liegt ein sanfter melancholischer Schleier über dem Roman, eine unausgesprochene, doch eindringlich vermittelte Traurigkeit in Georges einsamen Verrichtungen, in Bobs ruhiger, besonnener Fahrt nach London, zurück zu seinem großen Haus und seiner schicken Frau: zwei Männer wie leere Hüllen, deren Inhalt sich mit der Geliebten verflüchtigt hat.

Ähnlich wie George, dem Alltäglichkeiten spektakulär erscheinen, wenn er sich vorstellt, sie mit Sarah zu erleben - zusammen kochen, Musik hören, spazierengehen -, wird das Unscheinbare schön, wenn Swift es auf seine unaufdringliche Weise erzählt. Seine Kunst liegt im Belauschen der Stille, wie er zuletzt in "Letzte Runde" (1997) bewiesen hat. Damals war die Geschichte stärker als die Charaktere. Nun, nach sechsjähriger Pause, hat Swift in George Webb einen würdigen Protagonisten gefunden. Jene seltsame, beglückende Zärtlichkeit, die Menschen füreinander empfinden können, wenn sie sich lange kennen, die Verbundenheit des Vertrautseins - George nimmt man sie ab.

Daß es Swift diesmal gelingt, uns für seinen Erzähler einzunehmen, verdankt sich nicht nur seinem sprachlichen Talent, sondern einer Tugend, die auch Schriftsteller immer mehr zu verlieren scheinen: der des Mitgefühls, nirgends eindringlicher heraufbeschworen als in seinen beiden Romanen "Wasserland" (1984) und "Von jenem Tage an" (1995). Furchtlos und bescheiden schreibt Swift über jene Ereignisse, nach denen nichts mehr ist wie zuvor. Das, was man für die besessene Beschäftigung dieses Schriftstellers mit dem Tod im Leben halten könnte, ist nur die konsequente Weigerung Swifts, sich mit dem ganz normalen Kompromiß zufriedenzugeben.

George besucht Bobs Grab, legt Blumen nieder und ertappt sich dabei, wie er Zwiesprache hält mit dem Mann, der selbst im Tod noch zwischen ihm und Sarah steht. Und dann, ganz allmählich und ohne daß George selbst es recht bemerkt, erzählt er nicht mehr nur seine und Sarahs Geschichte, sondern auch jene von Bob. Sie bildet das geheime Zentrum des Romans. George wird es niemals übers Herz bringen, Sarah zu erzählen, was er in Heathrow wirklich gesehen hat.

Graham Swift: "Das helle Licht des Tages". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Rojahn-Deyk. Hanser Verlag, München 2003. 327 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Von diesem Buch ist Thomas Steinfeld einfach hingerissen. Er feiert diesen Roman als das "schlichteste, aber auch unglaublichste Buch dieser Saison". Denn eigentlich, so der Rezensent beeindruckt, hat die Geschichte um einen Privatdetektiv, der sich in eine Mörderin verliebt, "alle Requisiten" eines Krimis und erinnert zudem nicht zufällig an den Film "To Have And To Have Not". Und so dauere es nicht lange, bis den Lesern klar werde, wie sich die Geschichte entwickle, und dennoch verliere sie nicht ihre Spannung, meint Steinfeld begeistert. Er rühmt den britischen Autor als "Meister" im Erzeugen dieser Spannung und im Ausschmücken der Frage, wie es zu all dem, was das Buch beschreibt, kommen konnte und bekennt, dass der Plot ihm "zu Herzen" gegangen ist. Besonders gut gefallen hat dem Rezensenten zudem, dass Swift es nicht nötig hat, Bildungszitate im Text hervorzuheben und deshalb weder auf das sich aufdrängende Orpheus-und-Eurydike-Thema noch auf das Todesmotiv, was seiner Geschichte unterlegt ist, herumreitet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.09.2003

Orpheus in der Oberwelt
Haben und nicht haben: Graham Swifts grandios schlichter Roman vom hellen Tag
„Komm”, sagt der Pianist in einer Bar zum letzten Gast, der verloren an der Theke hängt, „komm, ich spiele Dir eine Melodie vor, die Du schon kennst.” Und dann macht es pling und plong, und nach dem dritten Ton zieht ein Wiederkennen durch den Gast. Man sieht es: Plötzlich richtet er seine Ohren auf, er bekommt einen klareren Blick, und die Wiederholung tut ihre Wirkung: Sie verwandelt Geschichte in Natur, sie erhebt ein Ereignis, das sich einmal, zweimal oder dreimal zugetragen hat, zu etwas, was immer stattfindet, was zur Grundausstattung des Lebens gehört und von dort nicht mehr wegzudenken ist.
„Komm”, sagt der englische Schriftsteller Graham Swift zu seinem Leser, „ich erzähle Dir eine Geschichte, die Du schon kennst.” Was dann folgt, heißt „Das helle Licht des Tages”, ist als Roman in diesen Tagen erschienen (Hanser Verlag, 19,90 Euro) – und das schlichteste, aber auch unglaublichste Buch dieser Saison. Es handelt von einem melancholischen Privatdetektiv aus einem wohlhabenden Vorort im Süden Londons, der sich in eine gutaussehende, gebildete Kundin von reifer Schönheit verliebt. Diese wiederum hat ihren Mann, einen Gynäkologen, an eine junge Kroatin, eine Asylantin, verloren, der das Paar vorübergehend Obdach gewährt hatte – und als sie versteht, dass ihr Mann nie wieder zu ihr zurückkehren wird, sticht sie ihm mit dem Küchenmesser ins Herz. Geschnittene Petersilie haftet noch an der Klinge. Für diese Tat geht sie ins Gefängnis. Und der Detektiv, der in dieser Frau seinem Lebensschicksal begegnet – warum, kann auch er nicht erklären – geht sie jeden zweiten Donnerstag besuchen: „Wie viele Jahre noch? Du weißt es nicht einmal?” Jedes Jahr, wenn der Mord sich jährt, legt er Blumen auf das Grab des Arztes, in ihrem Auftrag.
Graham Swift hat eine Ballade angestimmt, einen standard, ein Stück aus der Mitte des Repertoires. Und er tut das so, als wolle er das Bekannte am Bekannten noch eigens herausstreichen. Alle Requisiten eines nicht geschriebenen Kriminalromans sind vorhanden: Der Privatdetektiv ist ein gescheiterter Polizist, die Sekretärin richtet die Blumen und rettet ihren Chef täglich vor der Verwahrlosung, die Beschattung eines schwarzen Saab führt durch das Parkhaus eines Flughafen. Der Detektiv denkt über den Tod nach: „Was wünschen sich die Toten wohl am meisten? Die federleichte Wärme einer Novembersonne auf ihren Lidern?” Und da ist auch die plötzliche Liebe zur Kundin, der coup de foudre, der Humphrey Bogart und Lauren Bacall in Howard Hawks Verfilmung von Ernest Hemingways „To Have And To Have Not” einander in die Arme treibt: „Anybody here got a match?” Der kleine Detektiv ist seinem Schicksal begegnet, und von nun an muss er ihm dienen bis, irgendwann im Jenseits, die Frau aus der Gespensterwelt zurückkehrt. Ob zu ihm – das weiß man nicht.
Zwanzig Seiten braucht der Leser, allerhöchstens, um zu wissen, wie diese Geschichte verläuft und wie sie ausgehen wird. Und doch ist dies ein spannendes Buch, eines, in dem sich von allein die Seiten wenden, eines, das vorangetrieben wird von einem ebenso ruhigen wie mächtigen Strom. Und wie beim standard, der immer wiederkehrt und doch ergreifender, neuer, interessanter sein kann als jede neue Komposition, hängt die Wirkung der Geschichte davon ab, wie einer die bekannten Melodien spielt. Hier scheinen Autor und Leser stets genau zu wissen, was sie beide gerade machen. Aber nicht ganz genau.
Der einfache, riesige Schritt
Graham Swift ist ein Meister im Ausschöpfen dieser kleinen Restunsicherheit. Er holt Dissonanzen herein, schräges Winterlicht, das lange, tiefe Schatten auf vertraute Gegenstände wirft, er verschachtelt die Zeitebenen, so dass sich der Leser konzentrieren muss, und vor allem stattet er seinen Erzähler, den Detektiv, die Fachkraft für „Ehegeschichten” – das englische „matrimonial work” trifft die Sache genauer – mit einem Innenleben aus, groß genug, dass der Leser sich darin wiedererkennt und doch so, dass nicht nur die Zufälligkeit, sondern auch die Willkür des gesamten Arrangements jederzeit gegenwärtig ist.
Zwar scheint der Detektiv mit einem Schildchen auf der Brust herumzulaufen, auf dem „private eye” zu lesen ist. Aber die Plakette ist nur lose befestigt. Denn der Detektiv ist auch Sohn, auch Vater, verlassener Ehemann und geschasster Kollege. Und statt dass der Leser die Wahrheit über die Tat erfahren will, entsteht die Spannung in diesem Buch durch die Frage, wie es dazu hat kommen können, wie der „Sprung” zu verstehen sei, der den Helden und seine Geliebte aus ihrer Existenz katapultiert, der „einfache, riesige Schritt”, der ihr Leben in eine einzige, lange, absurde Prüfung verwandelt. Diese Geschichte geht zu Herzen.
Graham Swift hat sich für dieses Buch viel Zeit gelassen. In den achtziger und frühen neunziger Jahren hatte er fast alle zwei Jahre einen neuen Roman veröffentlicht, darunter The Sweet Shop Owner (1980) und Waterland (1988), zwei Meisterwerke des ebenso unauffälligen wie virtuosen Erzählens. Dann kam Last Orders, die Geschichte eines Begräbniszuges von London nach Dover, sein bisher größter Erfolg, für den er 1996 den Booker Prize erhielt. Dann kam sieben Jahre lang nichts mehr.
Wenn er jetzt wieder da ist, dann hat diese Rückkehr etwas von der Sparsamkeit und der Zurückhaltung, die Keith Jarretts Schallplatte „The Melody At Night With You” (1999) prägte – die Aufnahme, mit der dieser Pianist aus einer langen Krankheit genas, indem er für sich und ohne allen Zierrat lauter Klassiker des Jazz spielte, „I Got It Bad And That Ain-t Good” zum Beispiel oder „Someone Watch Over Me”. Und wie der Pianist seine standards ohne jeden Hinweis auf seine Virtuosität spielte, verzichtet Swift auf das meiste, was den gebildeten Leser im Stolz auf seine Bildung erfreuen würde. Denn selbstverständlich wiederholt sich in der Geschichte des Detektivs und der Mörderin im Gefängnis die Sage von Orpheus und Eurydike. Selbstverständlich ist das Gefängnis auch der Friedhof. Und selbstverständlich geht es darum, dass die Geliebte ins Leben zurückgeholt werden soll. Ein kunstgewerblich orientierter Autor hätte die Hinweise auf die griechische Mythologie nicht unterlassen. Er hätte sie gepflegt und vermehrt. Er wäre aufgetreten wie ein schlechter Barmusiker.
Zwei Ausnahmen gibt es von diesem Prinzip. Die eine ist die Geschichte des französischen Kaisers Napoleon III., der nach seiner Abdankung noch zwei Jahre im Asyl verbrachte - in eben jenen Londoner Vororten, in denen diese Geschichte spielt. Zurück ließ er Kaiserin Eugénie, die noch fünfzig Jahre in dieser Gegend vebrachte, fünfzig Jahre im Dienst einer ebenso möchtigen wie sinnlosen Aufgabe, die ihr Leben verzehrte und auslöschte. Die zweite Ausnahme ist, auf den letzten Seiten, eine Reverenz vor Bogart, Bacall und „To Have And To Have Not”: „Man könnte sagen, ich habe sie, wo sie mir nicht entwischen kann”, sagt der Detektiv, und der Satz enthält keinen Trost.
Es ist die Geliebte, die den Detektiv zur Literatur zwingt, zur einzigen Möglichkeit, mit dem Schicksal zurechtzukommen: „Sie können das, George. Schreiben Sie alles auf.” Einzig in der Schreibschule können die Toten ins Leben zurückgeholt werden. Und mit ihnen die Literatur. Denn wie anders wollte man vom Kitsch das Gefühl zurückgewinnen?
THOMAS STEINFELD
Warten auf das helle Licht des Tages. Bis es kommt, wird erzählt, aber langsam.
Foto: Bernd Wimmer
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Einer der bedeutendsten englischen Autoren erzählt in dieser Liebesgeschichte zwischen einem Detektiv und einer Mörderin von den oft überraschenden, manchmal überwältigenden Möglichkeiten, die in einem jeden Menschen stecken. "Booker-Preisträger Graham Swift macht aus dieser Story große Literatur." (Brigitte, 26.11.2003)
"Das helle Licht des Tages ist ... das schlichteste, aber auch das unglaublichste Buch dieser Saison ... ein spannendes Buch, eines, in dem sich von allein die Seiten wenden, eines, das vorangetrieben wird von einem ebenso ruhigen wie mächtigen Strom." (Thomas Steinfeld, SDZ, 04.09.03)