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Mit einer Vorbemerkung von Peter Handke Im Sommer 1842, wenige Wochen nach ihrer Hochzeit und dem Entschluss, im alten Pfarrhaus in Concord ein gemeinsames Leben anzufangen, beginnen Nathaniel Hawthorne und seine Frau Sophia ein gemeinsames Tagebuch. Warum und für wen, wir wissen es nicht. Um ihr Glück, einander gefunden zu haben, festzuhalten? Aus Angst, es könnte sich wieder verflüchtigen? Um einander das Glück ihres jungen Ehelebens, zu bestätigen? Aus Angst davor, der andere könnte anders empfinden? Um es zu bewahren, zu betrachten, um es zu spiegeln: ein doppeltes Paradies? Oder um das…mehr

Produktbeschreibung
Mit einer Vorbemerkung von Peter Handke
Im Sommer 1842, wenige Wochen nach ihrer Hochzeit und dem Entschluss, im alten Pfarrhaus in Concord ein gemeinsames Leben anzufangen, beginnen Nathaniel Hawthorne und seine Frau Sophia ein gemeinsames Tagebuch. Warum und für wen, wir wissen es nicht. Um ihr Glück, einander gefunden zu haben, festzuhalten? Aus Angst, es könnte sich wieder verflüchtigen? Um einander das Glück ihres jungen Ehelebens, zu bestätigen? Aus Angst davor, der andere könnte anders empfinden? Um es zu bewahren, zu betrachten, um es zu spiegeln: ein doppeltes Paradies? Oder um das Paradies zu beschwören, es mittels Sprache überhaupt erst zu schaffen? Die erste Zeit ihrer Ehe, die das Tagebuch begleitet, war nicht ganz unbeschwert. Geldsorgen, eine Fehlgeburt, die Einsamkeit des abgeschiedenen Lebens auf dem Lande: auch das findet sich hier in Andeutungen, auch wenn Sophia Hawthorne einen Teil des Tagebuchs nach dem Tod ihres Mannes Nathaniel zerstört hat. Und trotzdem, in seinen schönsten Momenten zeigt es mit zauberischer Leichtigkeit, voll Heiterkeit und Gelassenheit, wo das Paradies verborgen sein könnte: in den kleinen Dingen des Alltags.
Autorenporträt
Nathaniel Hawthorne, geboren 1804 in Salem, Massachusetts, gestorben 1864 in Plymouth, New Hampshire, war einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller der Romantik. Sophia Hawthorne 1809 als Sophia Peabody in Salem geboren, 1871 gestorben.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Renate Wiggershaus nimmt das nun erstmals auf Deutsch vorliegende Tagebuch von Sophia und Nathaniel Hawthorne freundlich auf. "Das Paradies der kleinen Dinge" vermittelt für sie einen wunderbaren Einblick in die frühe Zeit der Ehe von Hawthorne und seiner Frau, in ein glückliches, wenn auch nicht sorgenloses Leben in großer Nähe zur Natur und zu Autoren wie Emerson, Henry David Thoreau und Margaret Fuller. Exzellent findet Wiggershaus die Edition und Übersetzung von Alexander Pechmann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2014

Im Paradies schreibt auch der Dichter keine Romane
Auf ins große Abenteuer der Einsamkeit zu zweit: Das Ehetagebuch von Sophia und Nathaniel Hawthorne

Was sich zwischen 1845 und 1855 in der amerikanischen Literatur ereignete, bedeutete nichts weniger als die Entdeckung einer anderen "Neuen Welt". In diesem einen Jahrzehnt erschienen so kühne, in die Zukunft weisende Werke wie Ralph Waldo Emersons Essays, Henry David Thoreaus "Walden oder Leben in den Wäldern", die Gedichtbände "Der Rabe" von Edgar Allan Poe und "Grashalme" von Walt Whitman, die Romane "Das Haus mit den sieben Giebeln" und "Der scharlachrote Buchstabe" von Nathaniel Hawthorne sowie der (dem "Genius Hawthornes" gewidmete) Roman "Moby-Dick" von Herman Melville. Drei dieser Autoren - Emerson, Thoreau und Hawthorne - liegen auf demselben Friedhof begraben, in Concord, Massachusetts, einer Ansiedlung westlich von Boston, die heute Pilgerstätte ist für viele "Aussteiger" und vielleicht auch für diesen oder jenen Bewunderer Hawthornes.

Nathaniel Hawthorne stammte ursprünglich aus Salem und litt lebenslang unter dem Trauma, dass seine Ahnen dort für blutige Indianer- und Hexenverfolgung verantwortlich waren, eine Erbschuld, die vielen seiner Werke wie ein Kainsmal eingebrannt ist und sie zugleich als Versuche der Entschuldung erscheinen lässt. Aus Salem kam auch die Malerin Sophia Peabody, mit der sich Hawthorne 1839 nach langem Zögern und gegen große äußere Widerstände verlobte.

Weil es ihm aussichtslos schien, mit Schreiben eine Familie zu ernähren, verdingte er sich als Zollinspektor im Bostoner Hafen - eine Tätigkeit, die später auch Melville ausüben und um die sich Poe vergeblich bewerben sollte. Bald war Hawthorne die Zöllnerexistenz leid und suchte sein Heil in der an Theorien von Charles Fourier orientierten Landkommune "Brook Farm" in der Nähe von Boston. Der dortige Mangel an Rückzugsmöglichkeiten heilte ihn aber rasch vom "Kommunismus" ("Sogar im Zollhaus fühlte ich mich nie so geknechtet und lustlos"), und nun gab er Sophias Drängen nach, die es in die Nähe der Transzendentalisten von Concord zog. Er entschied sich für das Abenteuer der Einsamkeit zu zweit.

In der Nähe der einstigen Indianersiedlung am Concord River, wo bereits Thoreau und Emerson lebten, bezog die junge Familie Hawthorne im Sommer 1842 ein altes Pfarrhaus, das einst Emersons Großvater gebaut und in dem Emerson selbst "Natur", das Manifest der Transzendentalisten, verfasst hatte. Noch war Hawthorne keine Berühmtheit, seine großen Romane wurden erst später geschrieben, und sein 1837 erschienenes Buch "Twice-Told Tales" (Zweimal erzählte Geschichten) hatte wenig Echo gefunden, obwohl es so einzigartige Erzählungen wie etwa "Earth's Holocaust" oder "Wakefield" enthielt, die nicht nur nach dem Urteil von Jorge Luis Borges bereits Kafka antizipieren. Auch wenn Hawthorne also weiterhin Geldsorgen plagten, Sophia viel kränkelte und sogar eine Fehlgeburt erlitt, wurden die drei Jahre in Concord nach eigenem Zeugnis zur glücklichsten Zeit seines Lebens.

Aufs schönste beglaubigt dieses Glück das Tagebuch, das Nathaniel und Sophia vom Juli 1842 bis Ende 1843 gemeinsam führten (später diente es Hawthorne als Vorlage für seine wunderbare Erzählung "The Old Manse"). Wenn je ein Buch einen Blick ins Paradies freigab, dann dieses, in dem Natur und Menschen für einmal nicht als Gegensätze erscheinen. Es wirkt nur folgerichtig, dass der unentwegte Glückssucher Peter Handke dieses Tagebuch eines neuen Adam und einer neuen Eva im Vorwort mit hell begeisterten Sätzen umkreist und uns ans Herz legt.

Eröffnet wird das Tagebuch mit Sophias malerischer Beschreibung einer Lichtung, von der aus man in weiter Landschaft das alte Pfarrhaus, den Concord River und gleißende Bergkämme am Horizont erblickt. Was die Schreiberin aber noch mehr als dieses prächtige Panorama entzückt, ist das Wissen, "dass mein lieber Mann neben mir stand". Auch Sophias spätere Eintragungen, ob sie nun dem Wetter, den Blumen, den Vögeln - sie nennt sie "Brüder im Glauben" -, einigen Nachbarn oder dem alten Pfarrhaus gelten, werden meist als Anrufungen dieses Mannes enden, der ihr als "Sonne in meinem Sonnensystem" oder gar als "echter Seraph" erscheint (Zeitgenossen schildern Hawthorne als bildschönen Mann). Die erste Tagebucheintragung von ihm wirkt wie ein Echo auf sie; es gebe, beteuert er, keinen anderen Sonnenschein als den, "der aus den Augen meiner Frau hervorstrahlt". Weil Hawthorne sonst eher, wie Goethe, ein "Meister des sachlichen Sagens" (Handke) ist, lässt sich solcher Überschwang kaum als Tribut an die Konvention abtun.

Höhepunkte der Tage von Concord sind für Nathaniel und Sophia zunächst die täglichen Spaziergänge in eine unberührte, wilde Natur, in der sie sich wie die ersten Menschen fühlen und ihnen alles, was sie erblicken, zum Ereignis wird, zum Wunder. Bald entdeckt Hawthorne auch die Freuden körperlicher Tätigkeit: Sägen, Holzhacken, Laubrechen, Unkrautjäten, Angeln, das Bad im schlammigen Fluss und die nicht ganz ungefährlichen Fahrten mit dem Kanu. In dem zum Pfarrhaus gehörenden alten Obstgarten, seinem Lieblingsort, besitzen alle Bäume für ihn individuellen Charakter und werden zum "Teil der Familie" erhoben. Außerdem bilden die Bäume für Hawthorne "eine denkwürdige Verbindung zwischen den Toten und Lebenden" von Concord. Überhaupt fasst er Naturerscheinungen gern als Symbole auf: "Es ist ein tröstlicher Gedanke, dass die kleinste Sumpfpfütze in sich ein Abbild des Himmels enthalten kann. Daran sollte man denken, wenn man versucht ist, manchen Personen ein Seelenleben abzusprechen, obwohl unser Schöpfer vielleicht auch in ihnen das Spiegelbild seines Antlitzes sieht."

In der "gesegneten Abgeschiedenheit" des alten Pfarrhauses werden menschliche Kontakte kaum vermisst. Manchmal kommen Emerson und Thoreau zu Besuch, aber nie gemeinsam. Von beiden liefert Hawthorne eindrückliche, nicht ganz ironiefreie Porträts, die seine Distanz zu den Transzendentalisten zeigen. "Eine Art Indianerleben unter zivilisierten Menschen führen zu wollen", wie Thoreau, schien ihm eher fragwürdig, und sein Urteil über ihn - "Er ist ein guter Autor - zumindest hat er einen guten Artikel geschrieben" - wünscht man keinem Autor. Wenn Hawthorne von Emerson spricht, "der ewig alles zurückweist, was es gibt, und nach dem Ungewissen sucht", liefert er im Umkehrschluss sein eigenes Porträt als das eines Mannes, der überzeugt davon ist, dass Erkenntnis nur aus der geduldigen Betrachtung jener sichtbaren Welt resultiert, die Goethe als "offenbares Geheimnis" apostrophierte. In diesem Kontext verrät ein Eintrag Hawthornes ziemlich nüchternes (calvinistisches) Verhältnis zur Religion: "Meine Frau ging vormittags in die Kirche - ihr Gatte nicht. Er liebt den Sabbat, auch wenn er kein bestimmtes Ritual hat, ihn zu feiern."

Dass Hawthornes Beziehung zu Sophia von geradezu religiöser Inbrunst erfüllt war, steht auf einem anderen Blatt. Die Freuden der Nacht bleiben in diesem Tagebuch jedoch ausgespart. "Süßeste kleine Bettgenossin", das ist das Äußerste, was der Puritaner Nathaniel hinzuschreiben wagt. Sophia hat das in der von ihr hinterlassenen Fassung des Tagebuchs aber ebenso gestrichen wie seinen Stoßseufzer: "Was nützt es überhaupt, allein zu Bett zu gehen?" Gottlob ließen sich viele ihrer Streichungen noch entziffern.

Vom Glück des Schreibens, das Hawthorne gern sein "Kritzeln" nennt, erfährt man in diesem Tagebuch kaum etwas. Im Paradies schreibt man keine Romane. Erst nach der Vertreibung aus dem Paradies erhält das Schreiben wieder seine eigentliche Bedeutung, zumal wenn es einen Versuch darstellt, wenigstens einen Abglanz des Paradieses festzuhalten. Weil sich riesige Mietschulden aufgehäuft hatten, wurden Sophia und Nathaniel Hawthorne 1845 aus dem alten Pfarrhaus von Concord vertrieben und kehrten nach Salem und damit in den Dunstkreis schuldbeladener Ahnen zurück.

PETER HAMM

Nathaniel und Sophia Hawthorne: "Das Paradies der kleinen Dinge". Ein gemeinsames Tagebuch.

Aus dem Amerikanischen übersetzt und hrsg. von

Alexander Pechmann. Mit einem Vorwort von Peter Handke. Verlag Jung und Jung, Salzburg und Wien 2014. 200 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.07.2014

Der verlorene Kerkerschlüssel
Nathaniel Hawthorne, der große amerikanische Erzähler mit dem Kameraauge, kann in seinen Romanen
„Der scharlachrote Buchstabe“ und „Das Haus mit den sieben Giebeln“ wiederentdeckt werden – und in einem Tagebuch
VON HARALD EGGEBRECHT
Der scharlachrote Buchstabe‘ hatte insgesamt nur einen Tonfall, ich musste bloß meine Stimmung treffen, dann konnte ich endlos fortfahren“, schrieb Nathaniel Hawthorne im November 1850 an seinen Bostoner Verleger James T. Fields. Dieser eine Tonfall endet aber nicht in ermüdender Monotonie, sondern gewinnt im Gegenteil eine ungeahnte Intensität, die das ganze Buch, das nicht nur für die amerikanische Literatur eine kaum zu überschätzende Bedeutung hat, durchpulst wie eben jener „endlos“ mögliche Erzählstrom, von dem Hawthorne spricht.
  Dabei ist „The Scarlet Letter“ nicht nur die Geschichte der Hester Prynne, einer stolzen, schönen Frau, die den Vater ihres unehelich geborenen Kindes nicht preisgeben will, was in der harten puritanischen Welt im Neuengland des 17. Jahrhunderts nichts als ein schändliches Verbrechen ist. Vor allem die Frauen des Ortes Salem animiert dieses angebliche Verbrechen zu schauerlichsten Strafwünschen bis hin zur Brandmarkung und zum Todesurteil. Dass sich am Ende das scharlachrote „A“, das Hester Prynne offen an ihrem Gewand tragen muss, verwandelt vom Schandzeichen zum Ausweis ihrer Besonderheit und Herausgehobenheit, gehört zum allegorischen Kern von Hawthornes gewissermaßen sich ständig vergewisserndem Schreiben, in dem jede Aktion, jedes Mienenspiel analysiert, gedeutet, metaphorisiert und kommentiert wird, bis die Dichte der Beobachtungen nachlässt und den Blick für das Weitere freigibt. Daher hat Jürgen Brôcan im erhellenden Nachwort zu seiner sorgsamen Neuübersetzung auch von einer extrem langsamen, gleichsam filmischen Bewegung und vom „Kameraauge“ des Autors gesprochen.
  Der berühmte Buchstabe „A“ gibt bis heute Anlass zu vielfältigen Spekulationen, was Hawthorne wohl mit ihm gemeint haben könnte. Adulteress (Ehebrecherin) scheint die plausibelste Erklärung zu sein, doch das Wort kommt im Text nie vor. Dafür heißt es späterhin, das „A“ bedeute, nachdem sich Hester um die Mühseligen und Beladenen kümmert, Angel , also Engel. Das „A“ gehört aber gewiss zu jener Art von Mystifikationen, die Hawthorne liebte und die zum letztlich schauerromantischen Inventar dieses Schriftstellers gehören, genauso wie sich Schwarzromantisches im zweiten großen Erzählwerk Hawthornes im titelgebenden „House of the Seven Gables“ manifestiert, dem Haus mit den sieben Giebeln. Beide Bücher schrieb Nathaniel Hawthorne in den Jahren 1850 und 1851 so gut wie hintereinander weg.
  Er selbst schätzte seine zweite „romance“ höher ein. Doch wirkt das fluchbeladene Haus, dessen Geschichte bis in die Zeit der berüchtigten Hexenjagd von Salem zurückgreift, in der Oberst Pyncheon Matthew Maule als Hexer hängen lässt, um an dessen Ländereien heranzukommen, in mancher Hinsicht etwas schmökerhafter. Das Buch ist allerdings ausbalancierter, stilistisch runder, weniger symbolistisch und allegorisch aufgeladen und in des Autors Augen wohl perfekter.
  Vor seiner Hinrichtung verflucht Maule Oberst Pyncheon: „Gott wird ihm Blut zu trinken geben!“ Schon bei der Einweihung des Siebengiebelhauses, das über dem so blutig unrechtmäßig erworbenen Grund errichtet wird, auf dem zuvor das Blockhaus des angeblichen Hexers stand, stirbt der Oberst so plötzlich wie unheimlich: „Zitternd wie Espenlaub schob sich die Gesellschaft näher und stellte fest, dass der starre Blick des Obersten unnatürlich verzerrt war; auf seiner Halskrause war Blut, und sein grauer Bart war getränkt davon.“ Der Graben zwischen den Maules und den Pyncheons ist, obwohl dieses Verhältnis nicht in kämpferischer Feindschaft ausgelebt wird, tiefer als der zwischen Montagues und Capulets über anderthalb Jahrhunderte hin. Erst mit der jungen Phoebe kommt Licht und Luft ins ominöse Haus und es bahnt sich eine Liebe zwischen ihr und dem letzten Maule, dem Künstler Holgrave, an. Die Jungen können die Macht des Fluchs brechen, indem sie am Ende das bedrohliche Haus verlassen.
  Hawthorne hat deutlich zwischen „romance“ und „novel“ (Roman) unterschieden: „Man vermutet, dass die letztgenannte Kompositionsform eine genaue Treue nicht nur gegenüber dem möglichen, sondern auch dem wahrscheinlichen und gewöhnlichen Gang menschlicher Erfahrung anstrebt. Die erste hingegen, die sich als Kunstwerk zwar streng den Gesetzen unterwerfen muss und unverzeihlich sündigt, wenn sie von der Wahrheit des menschlichen Herzens abschweift, hat das Recht, diese Wahrheit unter Gegebenheiten darzustellen, die in hohem Maße ihres Autors eigene Wahl und Schöpfung sind.“
  So raffiniert auch die Fäden im unheimlichen Siebengiebelhaus gesponnen und geknüpft werden, so sehr der Autor in die Seelen seiner Protagonisten sich vertieft, um dort deren vielfältige Schatten aufzuspüren, all das bleibt doch auf höchstem Niveau konventionelles Erzählkunstwerk.
  Dagegen erreicht keine der Gestalten aus dem Giebelhaus jene die Zeitgebundenheit durchbrechende und die Phantasie nahezu in Realität verwandelnde Präsenz von Hester Prynne. Dass diese Frauengestalt bis in die modernste Moderne reicht, dass sie feministischen Vorschein in sich trägt, dass Hester Prynnes schmähliche Straf- und dann siegreiche Läuterungsgeschichte vielfach verfilmt wurde, unter anderem von Wim Wenders und Roland Joffé, liegt auf der Hand.
  Was muss dieser düstere Mann Nathaniel Hawthorne – 1804 in Salem, Massachusetts, als Sohn eines Kapitäns, der in Surinam dem Fieber erlag, geboren und 1864 in Plymouth, New Hampshire, gestorben – die Bigotterie, Verlogenheit, Enge und Unmenschlichkeit jenes Puritanismus gehasst haben, der auch heute noch in manchem in den Vereinigten Staaten weiterwirkt.
  Es begann schon damit, dass er seinen ursprünglichen Namen Hathorne veränderte, um sich von den Ahnen zu distanzieren. Sein Urgroßvater war nämlich einst als Richter in die Hexenverfolgungen in Salem verwickelt. Zugleich war er, wie Hanjo Kesting im Nachwort zum „Haus mit den sieben Giebeln“ schreibt, „zutiefst geprägt von der christlichen und insbesondere calvinistischen Lehre von der Schuldbeladenheit der menschlichen Natur.“
  Hawthorne ist einer der Gründungsväter der amerikanischen Literatur, geschätzt vom großen Edgar Allan Poe und als Genie verehrt vom einzigartigen Herman Melville, der Hawthorne „Moby Dick“ widmete. Während Melville als Seemann und Walfänger auf dem Meer die Menschheitsseele suchte, wendete sich der Seemannssohn Hawthorne von vornherein ins Innere. Nach dem Besuch des Bowdoin College in Maine, wo er Freundschaft mit dem späteren Präsidenten Frederick Pierce und dem Dichter Henry Wordsworth Longfellow pflegte, zog er sich in eine Dachkammer in Salem zurück, eigenbrötelte dort vor sich hin und ging nur nachts vor die Tür: „Ich habe aus mir einen Gefangenen gemacht und mich in einen Kerker gesteckt“, schrieb er an Longfellow, „und jetzt finde ich den Schlüssel nicht mehr, mit dem ich mir aufschließen könnte.“  
  Zum Glück lernte er 1837 Sophia Peabody kennen und heiratete sie 1842. Danach zog das junge Paar ins alte Pfarrhaus von Concord, dem Herzort der amerikanischen Transzendentalisten um Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau. Diese Lebensphase, wohl eine der wenigen wirklich glücklichen Hawthornes, haben Sophia und Nathaniel in einem gemeinsamen Tagebuch festgehalten. Da werden die Freuden ländlichen Daseins beschrieben, Hawthorne schildert mit der gleichen Akribie, mit der er die Seelen seiner Protagonisten untersucht hat, nun das Heranwachsen verschiedener Kürbissorten, die vielen Farben der Blumen und das Vergnügen, all das in den Augen der geliebten Frau gespiegelt zu sehen. Nur manchmal will ihm auch dieses unschuldige Treiben, das ihn an Adam und Eva erinnert, dann doch wieder als letztlich verwerflicher Müßiggang erscheinen. Das gemeinsame Tagebuch, das Sophia vor der Veröffentlichung in einseitig pastoralem Sinn redigierte, endet mit einer emphatischen Hymne Sophias auf ihren Mann und ihre Beziehung. Das letzte Wort lautet: „Geheimnis.“
  Nathaniel Hawthorne musste trotz Ruhm seinen Lebensunterhalt zeitweilig als Zollbeamter fristen und zog von 1853 bis 1857 auf Veranlassung seines alten Freundes Frederick Pierce, nun US-Präsident, als Konsul mit der Familie nach Liverpool. Dort trafen er und Melville letztmalig zusammen. Es folgten noch Jahre in Florenz und Rom, bevor die Hawthornes 1860 nach Concord zurückkehrten. Wenn man seine Erzählungen und Phantasien liest, merkt man rasch, wie sehr er in allen Figuren selbst in seiner düster und bedrohlich glühenden Binnenschau steckt. Nathaniel Hawthorne sah in sich einen Mann, „der dem menschlichen Leben nicht entfremdet ist, aber doch mitten in ihm umhüllt ist von einem Schleier, der aus vermischten trüben und hellen Farben gewoben ist“.
Nathaniel Hawthorne: Der scharlachrote Buchstabe. Roman. Aus dem Englischen übersetzt und herausgegeben von Jürgen Brôcan. Hanser Verlag, München 2014. 480 Seiten, 27,90 Euro.
Nathaniel Hawthorne : Das Haus mit den sieben Giebeln. Roman. Aus dem Englischen von Irma Wehrli, mit einem Nachwort von Hanjo Kesting. Manesse Verlag, Zürich 2014. 512 Seiten, 24,95 Euro.
Sophia & Nathaniel Hawthorne : Das Paradies der kleinen Dinge. Ein gemeinsames Tagebuch. Aus dem Englischen und herausgegeben von Alexander Pechmann. Mit einem Vorwort von Peter Handke. Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2014. 200 Seiten, 19,90 Euro.
Der berühmte scharlachrote
Buchstabe A gibt bis heute Anlass
zu vielfältigen Spekulationen
Eine eigene Art, mit ihrem Körper umzugehen, entwickelt Hester Prynne in Hawthornes Roman „Der scharlachrote Buchstabe“, und mit den Verfolgungen durch die unnachsichtige puritanische Gesellschaft. Das Bild stammt aus der Verfilmung von Roland Joffé mit Demi Moore und Gary Oldman.
Foto: imago/United Archives
Nathaniel Hawthorne, geboren 1804 in Salem, Massachusetts, gestorben 1864 in Plymouth. Seine Meisterwerke „Der scharlachrote Buchstabe“ und „Haus mit den sieben Giebeln“ schrieb er 1850/51 hintereinander weg.     
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