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So viel Anerkennung Ursula Krechel auch für ihre großen Romane letzthin erhalten hat, zunächst einmal und vielleicht sogar vor allem ist sie Lyrikerin. Um auch ihren neugewonnenen Leserinnen und Lesern einen Einblick in ihr überaus vielfältiges Werk zu geben, hat die Autorin hier selbst eine Auswahl aus ihren nicht-zyklischen Gedichtbänden getroffen. Hellwache Beobachtung des Gegen- und Miteinanders, die Gegenwart der Geschichte und die Geschichten der Gegenwart finden Aufnahme in diesen materialreichen Gedichten, in denen das Persönliche zum Spiegel allgemeiner Erfahrung wird. Die…mehr

Produktbeschreibung
So viel Anerkennung Ursula Krechel auch für ihre großen Romane letzthin erhalten hat, zunächst einmal und vielleicht sogar vor allem ist sie Lyrikerin. Um auch ihren neugewonnenen Leserinnen und Lesern einen Einblick in ihr überaus vielfältiges Werk zu geben, hat die Autorin hier selbst eine Auswahl aus ihren nicht-zyklischen Gedichtbänden getroffen. Hellwache Beobachtung des Gegen- und Miteinanders, die Gegenwart der Geschichte und die Geschichten der Gegenwart finden Aufnahme in diesen materialreichen Gedichten, in denen das Persönliche zum Spiegel allgemeiner Erfahrung wird. Die schmerzhafte Genauigkeit der Wahrnehmung und die Lust am Spiel mit den Wörtern bestimmen die kontrapunktische Spannweite dieser Lyrik. Die Sensibilisierung der Sprache, die mehr ist als Kunstfertigkeit, garantiert ihre Wahrhaftigkeit. Darüber hinaus sind dies Gedichte, die nicht zuletzt dadurch erfreuen, dass es intelligente Gedichte sind, die sich durchaus den Sinn für das Leichte und das Heitere bewahrt haben.
Autorenporträt
Ursula Krechel, geboren 1947 in Trier, lebt in Berlin. Für »Landgericht« erheilt sie 2012 den Deutschen Buchpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2013

Die Hand führt die Schrift, und die Schrift führt dich auf ein unbekanntes weites Feld
"Lieber! Leser ! Liebe! Lies!": Ursula Krechel, trotz ihrer großen Romanerfolge vor allem eine Lyrikerin, hat eine Auswahl aus ihren eigenen Gedichten getroffen

Seit ihren zwei großen Romanen - "Shanghai fern von wo" und "Landgericht" - zählt Ursula Krechel zu den bekanntesten Autorinnen unserer Gegenwart. Darüber vergisst sich leicht, dass die Schriftstellerin seit ihren Anfängen und bis heute vor allem Lyrikerin ist. Noch vor drei Jahren hat sie den schönen Band "Jäh erhellte Dunkelheit" vorgelegt, der in seinem Titel die Macht des Epiphanischen beschwört. Und jetzt - vielleicht um die neu hinzugewonnenen Leser ihrer Romane mit ihrem lyrischen Werk vertraut zu machen - lässt Ursula Krechel eine repräsentative Auswahl ihrer Lyrik folgen.

"Die da" lautet der klein und bescheiden gehaltene Titel - "Die da", das könnte wegwerfend klingen. Es könnte ebenso ängstlich gemeint sein, als ginge es um geliebte Geschöpfe, die noch nicht die rechte Beachtung gefunden haben. Dann wären "Die da" jene Gedichte, die Ursula Krechel uns besonders ans Herz legen möchte. Oder mit denen sie vielleicht auch an unseren Verstand, unsere intellektuelle Einsicht appellieren möchte. Für Letzteres spricht, dass die Dichterin ihnen gleich zwei Prosatexte nachgeschickt hat: den Essay "Auslassungen und Weglassungen" und ein regelrechtes "Nachwort" mit editorischen Informationen. Im "Nachwort" weist Krechel etwa darauf hin, dass sie ihre zyklischen Gedichte - so die sechzig Sequenzen von "Rohschnitt" - nicht für die Gedichtauswahl auflösen wollte. Man darf annehmen, dass es dafür einen eigenen Sammelband geben wird.

Sehr wichtig ist der Essay. Darin umkreist Krechel ein einziges Wort als das Zentrum der eigenen Poetologie. Es ist das Wort "verheert" aus Ingeborg Bachmanns Gedicht "Mein Vogel": "Was auch geschieht, die verheerte Welt / sinkt in die Dämmerung zurück." Zwar weiß sie, dass die Bachmann dieses Wort "besetzt" hält. Gleichwohl ist es für Krechel ein Grundmotiv des eigenen Schreibens: Die Prämisse, dass die "Verheerungen des Faschismus" fortstrahlen und dass die Poesie von diesen Verheerungen handeln muss - Krechels Romane, wie man jetzt weiß, eingeschlossen.

Dass dem so ist, kann selbst dem Leser nicht entgehen, der die essayistischen Zugaben versäumte und sich gleich den Gedichten zuwendet. Die Themen von Faschismus und Unterdrückung, von Emanzipation und Revolte erscheinen vor allem in den ersten der acht Kapitel. Da gibt es noch einige politische Allegorien à la Enzensberger: "Mit den Wölfen heult schon das gerissene Lammfleisch." Doch Krechels eigener Ton zeigt sich in der bösen "Hymne auf die gebändigte Schönheit der Frauen der bürgerlichen Klasse." Vor allem gelingt ihr ein Gedicht wie "Meine Mutter", das wahrhaft anthologiewürdig ist. Es ist die ergreifende Elegie auf die Mutter, der erst im Gedicht der Tochter die lebenslang verweigerte weibliche Befreiung zuteil wird. Ähnlich suggestiv triumphiert die balladeske Phantasie "Nach Mainz" über die seinerzeitige politische Aktualität. Da schwimmt das lyrische Ich zusammen mit Angela Davis und der Jungfrau Maria gegen den Strom, nämlich rheinaufwärts nach Mainz, wo ein sozialistischer Staat entsteht.

Dieses Gedicht aus Krechels Erstling "Nach Mainz" (1977) weiß bereits, dass die Utopien gefährdet sind. Knapp zehn Jahre später, in dem Band "Vom Feuer lernen", der 1985 erschien, spricht die Desillusion aus dem Befund: "Die blaue Welt vergreist / was rund und bunt war - eine Wüstenei. Schon / leiden wirs. Die Klassiker sind abgereist." Mancher erinnert sich: In den achtziger Jahren sprach man von den Klassikern auch und gerade dann, wenn man die Klassiker des Marxismus meinte.

Tempi passati? Nicht im Gedicht. Ursula Krechel ist es in ihrer Lyrikauswahl ohnehin nicht um Entwicklungschronologie und Dokumentation zu tun, sondern um die Aktualität ihrer Poesie.

Sie komponiert nicht historisch, sondern poetisch. Man kann ihre Auswahl als ein einziges Großgedicht lesen. Die Überschriften der acht Kapitel geben andeutungsweise eine lyrische Essenz: "Stimmen wie Hundegebell / Hörnerklang und Hall / Entblößung ist nur ein Wort / Wörterleiber / Licht wies nach Norden / Präferenzen keine / Ohne Fremdverschulden gehofft / Aus Wolken gefallen". Klingt das nicht wie ein eigenes Gedicht?

Krechel hat keines ihrer politischen Motive preisgegeben, nur sind ihr die poetischen wichtiger geworden. Wichtig ist ihr die "Verflechtung des Vorhandenen." Sind die Klassiker also zurückgekehrt? Nicht dass Krechel sich zum Klassiker stilisiert, doch "das innere Gespräch von Dichtern miteinander" ist ihr wichtig geworden. "Präferenzen keine" heißt das Kapitel, darin sie ihren Eideshelfern huldigt: Baudelaire und Flaubert, Celan und Rilke, Anne Sexton und Ingeborg Bachmann.

Bei diesem Dichtergespräch kann es nicht ausbleiben, dass das Gedicht selbst seine Stimme erhebt. Es spricht selbstbewusst, ja spröde, doch ohne jede Anbiederung. Da muss der Leser folgendes hören: "Ich bin es, die schreibt, und du liest / so werden wir niemals Geschwister." Wenn man aber weiterliest, wird man durch die alt-neue Verheißung der Poesie belohnt: "Ich bin es, die schreibt."

Auf diesem Feld, erfahren wir, dass auch das strenge Gedicht nicht ohne uns Leser auskommt. Es ruft uns - wenige Seiten später - in seiner Überschrift zu: "Lieber! Leser ! Liebe! Lies!" Mehr Ausrufungszeichen gibt es in dem ganzen Buch nicht. Daher sollten wir dem bewegenden Liebesangebot einer Dichterin, die stets auf billige Emphase verzichtet, folgen. Lesen wir also Krechels "Die da", große Gedichte, die sich eher klein machen als aufplustern. Es lohnt sich.

HARALD HARTUNG.

Ursula Krechel: "Die da. Ausgewählte Gedichte."

Verlag Jung und Jung, Salzburg 2013. 248 S., geb., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nein, Ursula Krechels neuer Gedichtband "Die da" ist nicht einfach nur ein "Best of" ihrer bisher erschienenen zwölf Gedichtbände, versichert Rezensent Martin Zingg. Vielmehr wählt Krechel die hier versammelten Gedichte so klug aus - etwa indem sie die Chronologie verändert-, dass dem Kritiker die lyrischen Stücke der Autorin und Dichterin in einem ganz neuen Licht erscheinen. Der Rezensent lauscht nicht nur den vielfältigen Stimmen, die in den Gedichten zu vernehmen sind, sondern folgt auch ihrem misstrauischen und genau beobachtenden Blick auf die Welt, genauer: auf Liebe, Landschaften, Reisen, Gemälde, Alter und Tod. Vor allem aber erscheinen dem Kritiker Krechels "lexikalische Streuner" geradezu synästhetisch - ihm drängen sich während der Lektüre nicht nur eindringliche Bilder auf, sondern er nimmt die Gedichte auch als Klangerlebnisse wahr, die er nur dringend empfehlen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH