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Kaum gab es den Film, hatten die Dichter ihn auch schon für sich entdeckt: Er schenkte ihnen die Bilder, das künstliche Licht,den Blick auf die moderne Zeit. Gedichte entstanden, die so rasant und trickreich wie ein Film abliefen, es wurden Tagträume zu Papier gebracht, durch die Asta Nielsen, Charlie Chaplin und Marilyn Monroe promenierten. Vorhang auf für die erste deutschsprachige Anthologie, die sich dem faszinierenden Zusammenspiel von Kino und Lyrik widmet.Mit Gedichten von Iwan Goll, Ferdinand Hardekopf, Bertolt Brecht, Joachim Ringelnatz, Else Lasker-Schüler, Rolf Dieter Brinkmann,…mehr

Produktbeschreibung
Kaum gab es den Film, hatten die Dichter ihn auch schon für sich entdeckt: Er schenkte ihnen die Bilder, das künstliche Licht,den Blick auf die moderne Zeit. Gedichte entstanden, die so rasant und trickreich wie ein Film abliefen, es wurden Tagträume zu Papier gebracht, durch die Asta Nielsen, Charlie Chaplin und Marilyn Monroe promenierten. Vorhang auf für die erste deutschsprachige Anthologie, die sich dem faszinierenden Zusammenspiel von Kino und Lyrik widmet.Mit Gedichten von Iwan Goll, Ferdinand Hardekopf, Bertolt Brecht, Joachim Ringelnatz, Else Lasker-Schüler, Rolf Dieter Brinkmann, Jürgen Becker, Hans Magnus Enzensberger, Friederike Mayröcker, Thomas Brasch, Thomas Kling, Durs Grünbein, Marcel Beyer und vielen anderen.
Autorenporträt
Alfred Kerr (ursprünglich Kempner), ist 1867 in Breslau geboren, studierte Literaturwissenschaft in Berlin beim großen Erich Schmidt. 1905 veröffentlichte er sein erstes Buch bei S. Fischer: "Das neue Drama". Mitarbeit als Kritiker vornehmlich an "Der Tag", dem von ihm geleiteten zweiten "Pan" und dem "Berliner Tageblatt". 1933 Flucht aus Deutschland. Mühselige Existenz in London. Zwei Bücher im Exil: "Die Diktatur des Hausknechts und Walther Rathenau". "Erinnerungen eines Freundes." 1948 erlitt Alfred Kerr als Besucher in Hamburg einen Schlaganfall.

Andreas Kramer, Jahrgang 1966, avancierte nach seinem Fotostudium an der École d'arts appliqués in Vevey als Profifotograf und Globetrotter. Seit 20 Jahren arbeitet und bereist er den ganzen Globus als Fotograf. Mit seiner Lebenspartnerin entdeckte er auf einer vierjährigen Weltreise die Vorliebe zum Langstreckenwandern.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2009

Der nackte Fuß der Ava Gardner

Zum ersten Mal liegt eine Anthologie deutschsprachiger Kinogedichte vor. Sie belegt eindrucksvoll die große Vielfalt lyrischer Auseinandersetzung mit dem Medium Film und dem magischen Ort Kino.

Im Kino überwintert das Illusionäre. Dort exponiert sich, optisch und akustisch hochgerüstet, die Bildlichkeit des Lebens, aufbereitet zum nervenkitzelnden Konsumprodukt. Filme, schrieb Walter Benjamin, bewirken eine "therapeutische Sprengung des Unbewussten". Was ist der Film nicht alles: schnulzenhaft und gewaltbereit, schönfärbend und entstellend, so erotisch wie "Die flambierte Frau", so märchenhaft wehmütig wie "Cinema Paradiso". Er bietet visualisierte Musik und musikalisierte Handlung und bleibt auf gesamtkünstlerische Totalwirkung ausgerichtet. Das Kino ist die zum Innenraum erklärte große Welt, die nach Popcorn riecht und intime Nähe zu den Stars simuliert. Im Kino gestaltet sich ein bildoffener poetischer Raum, von Film zu Film immer wieder aufs neue.

Es gibt bekanntlich eine Poetik des Films; seltener dagegen führt man sich das Cinematische als lyrischen Gegenstand vor Augen. Dies nun ermöglicht die erste Anthologie deutschsprachiger Kinogedichte, deren erklärtes Vorbild das "Faber Book of Movie Verse" gewesen ist. Diese Anthologie, herausgegeben von Andreas Kramer und Jan Volker Röhnert, darf man getrost einen Wurf nennen, veranschaulicht sie doch den schieren Reichtum lyrischer Auseinandersetzung mit dem Medium Film und dem magischen Ort Kino seit dem Expressionismus. Der Band orientiert sich am Gestaltungsprinzip des Schwarz-Weißen, um auf diese Weise die Vielfarbigkeit der cinematografischen Lyrik um so eindrucksvoller hervorzubringen.

Was sahen und sehen die Poeten im Kino? Den Filmvorführer, das Lichtspielhaus (um wie vieles anschaulicher ist doch dieses Wort als Kino!), einige Filmlegenden, Buster Keaton etwa, Chaplin natürlich (auch als "Schepplin" à la Tucholsky) und immer wieder Asta Nielsen, die Monroe, die Filmstätten Babelsberg und Hollywood. Buñuel sieht sich gewürdigt und Pasolini, Visconti auch. Gedichte über Lauren Bacall, Ulrich Mühe, Nicole Kidman, Bruno Ganz und Bollywood sind wohl noch im Entstehen. Eignet sich Sharon Stone für ein Gedicht? Sie wäre ein Stoff für Rolf Dieter Brinkmann gewesen, bedenkt man sein Gedicht "Der nackte Fuß von Ava Gardner", einer der vielen Fundstücke in dieser staunenswerten Anthologie. "Es gibt Schlimmeres als Zehen, das / weiß ich / aber es gibt nichts, was / sich mit der Zehe von Ava / Gardner vergleichen lässt. / Ein / Vorhang teilt sich und ich / dringe ein in den / wüsten Traum / aus Chinaseide, Plisee, Tüll / und beiseite / geschleuderten leichten / Sandalen. Sie ist barfuß!" Das lyrische Ich als Voyeur, gar Eindringling, das sich von seinen Eindrücken nicht mehr erholen kann - bis zum nächsten Film.

Vor der Filmwelt wurde sogar der hartgesottene Kritiker zum ironisch bis satirisch gestimmten Poeten. Alfred Kerr reimt im November 1912: "Nietzsche selbst in Firnenpracht / Hätte heut Kontrakt gemacht; / Filmte in modernen Lustren / Einsam hüpfend Zarathustren." Ein weiteres Motiv vieler Gedichte bilden die Apparaturen der filmischen Illusion, die Sucht nach filmischen Welten, die Montage von bildwirksamen Versatzstücken, von Shakespeare bis zum Mord an Trotzki (Durs Grünbein), aber auch die Exponiertheit dieser filmischen Orte, wiederum ganz wie in "Cinema Paradiso", etwa im Filmgedicht von Ursula Krechel: "Da entflammte das Kino. / Schmerz / sperrte die Münder der Klappsessel. / Wo Füße scharrten, lagen / Teppiche aus Flammen, / Der Vorhang riss, / Das Kino zeigte sich selbst."

Diese Anthologie wirft die Frage auf, was das denn sei, ein Filmgedicht. Haben wir darunter eine regelgerechte Teilgattung zu verstehen? Und was wäre die Regel, der das Filmgedicht gerecht werden muss, um als ein solches zu gelten? Reichen bloße Anspielungen auf filmische Szenen, gewisse Diven oder technische Apparate? Oder soll man Worte filmbildlich abrollen lassen, und sei es nur das eine Wort Film, das Ernst Jandl in seinem gleichnamigen Gedicht wie einen Filmstreifen vorführt - einschließlich gewisser Jandl-üblicher Buchstabenvariationen und Auslassungen? Oder hat Peter Handke das Regelrezept für diese lyrische Spezies gefunden, indem er alle Informationen über den Film "Bonnie und Clyde" mit Warren Beatty und Faye Dunaway nach Trailerart gedichthaft anordnet? Nein, natürlich gibt es auch für Filmgedichte keine Regeln (mehr).

Es fällt freilich auf, dass bestimmte Poeten ein besonderes Verhältnis zum Medium Film unterhielten oder unterhalten: allen voran Rolf Dieter Brinkmann, aber auch Thomas Kling, Hans Magnus Enzensberger und Durs Grünbein. In ihren Gedichten konkurriert das suggestive optische Material mit der kritischen Distanz zu diesem magischen Medium.

Umgekehrt lassen sich auch Gedichte verfilmen; man denke an den Film "Poem" von Ralf Schmerberg, der kunstvoll eine Tendenz aufnahm, die sich durch eine Unzahl von Videoclips zu bestimmten Gedichten im Netz, atmosphärischen Wortverfilmungen, wenn man so will, beständig weiterentwickelt. Ein Vorreiter dieser Entwicklung war Billy Collins, ein Poet Laureate der Library of Congress, der einige seiner eigenen Gedichte verfilmt ins Netz stellte. Manche sehen ja in dieser Entwicklung eine ganz neue Zukunft für die anscheinend so wenig absatzträchtige Lyrik. Man stelle sich allein den Fundus expressionistischer Lyrik vor, die ja nach (warum nicht filmischer) Verarbeitung drängt, um nicht zu sagen schreit! Das im übrigen informative Nachwort hätte in dieser Richtung etwas mutiger ausfallen dürfen.

Das Besondere am gelungenen Film- oder Kinogedicht, die Anthologie belegt dies vielfältig, liegt in der Art, wie es die Worte und Sprachbilder zu einer Art Lichtspiel zu machen versteht, ihnen szenische Beweglichkeit verleiht, mit Illusion und Ernüchterung arbeitet und den Übergriff des Filmischen auf das Leben zeigt. Else Lasker-Schüler gelang dies in ihrem Gedicht "Komm mit mir in das Cinema", einer Aufforderung zur Zweieinsamkeit im Illusionsraum Kino, die freilich mit einem desillusionierenden Eingeständnis beginnt: "Dort findet man, was einmal war: / Die Liebe!" Erwartung, filmische Handlung, Zuschauerverhalten sehen sich vor der Gewalt der Bilder fusioniert: "Liegt meine Hand in deiner Hand / Ganz übermannt im Dunkel, / Trompetet wo ein Elefant / Urplötzlich aus dem Dschungel - / Und schnappt nach uns aus heißem Sand / Auf seiner Filmenseide / Ein Krokodilweib, hirnverbrannt, / Dann - küssen wir uns beide." Bilder, die einen so erstaunen lassen, dass selbst der Satzbau ins Schlingern gerät und die Vergangenheit des Liebens, buchstäblich die Eingangsprämisse, im realen Kuss vergessen lässt.

Oder halten wir es mit Nicolas Born und seiner Begegnung mit Pasolini im Traum, der wir solche unvergesslichen Zeilen verdanken: "mit der Kamera fand er Länder / die er durch die dunkle Brille nicht mehr sah. / Meine Bilder jammern, sagte er. / ich könnte Stummfilme machen; seit Jahren / habe ich kein Wort mehr gehört." Das Gedicht endet mit der Feststellung "die Kinowäsche war wieder ganz weiß". Denn die Weißwäscher in der Traumfabrik Kino sind unter uns und kennen unsere Sehnsüchte genau, so genau wie die Dichter dieser Sammlung jene Weißwäscher und ihr magisches Medium.

RÜDIGER GÖRNER

Jan Volker Röhnert, Andreas Kramer (Hrsg.): "Die endlose Ausdehnung von Zelluloid". 100 Jahre Film und Kino im Gedicht. Edition AZUR, Dresden 2009. 232 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rüdiger Görner feiert die von Jan Volker Röhnert und Andreas Kramer herausgegebene Anthologie mit Film- und Kinogedichten als echten "Wurf", weil hier erstmals der ganze Reichtum dieser Themengruppe zu bestaunen sei. Die Herausgeber haben sich erklärtermaßen an das Vorbild der "Faber Book of Movie Verse" gehalten und Gedichte seit dem Expressionismus bis heute versammelt, erklärt der begeisterte Rezensent. Besonders die Kinoaffinität von Rolf Dieter Brinkmann, Thomas Kling, Hans Magnus Enzensberger oder Durs Grünbein ist ihm dabei klar geworden, und so findet er dieses Feld äußerst ergiebig. Gedanken macht sich Görner über die Frage, ob das Inhaltliche oder das Formale die Gattung des Film-Gedichts bestimmt, und etwas mehr und Beherzteres hätte er sich im ansonsten von ihm als informativ gelobten Nachwort zum Thema Gedichtverfilmungen gewünscht. Seiner Begeisterung für diesen Band tut das allerdings keinen Abbruch.

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