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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2005

Verhaltenes Lachen in der Herkuleskeule
Jetzt ist Kleinzschachwitz an der Reihe: Die DDR im Brechungswinkel einer neuen Folge zur Stadtgeschichte Dresdens

Stadtgeschichte - das hat leicht die trockene Anmutung des Archivalischen. Das "Dresdner Geschichtsbuch", von dem jetzt die zehnte Folge vorliegt, sucht das zu vermeiden. Es wird herausgegeben von dem Dresdner Stadtmuseum im "Landhaus" in der Wilsdruffer Straße, bei dem sich seit der Entideologisierung nach 1990 ein Besuch allemal lohnt. Zur Zeit ist es geschlossen, weil das "Landhaus" renoviert wird, ein im Stil des Übergangs vom Barock zum Klassizismus von dem Baumeister Krubsacius für die Landstände und die Steuerämter errichtetes Gebäude. Die DDR hatte die ausgebrannte Ruine des Landhauses nicht abräumen lassen, wie sie es sonst mit der Innenstadt tat. Es wurde wieder aufgebaut und Anfang 1966 als - entsprechend eingefärbtes - Stadtmuseum eröffnet.

Das Lektorat auch des zehnten Bandes - die Reihe bietet auf insgesamt rund 2500 Seiten eine eingängig präsentierte Stadtgeschichte - hat Matthias Griebel besorgt. Er ist Sohn des in den zwanziger Jahren bekannten Dresdner Malers Otto Griebel. Er wurde nach der Wende Direktor des zu erneuernden Stadtmuseums. Er brachte eine profunde Kenntnis von Dresden mit, die er sich selbst erarbeitet hatte, und einen Sinn für das Anschauliche, den ein solches Museum braucht. Der Baugeschichte des Landhauses ist ein Kapitel des zehnten Bandes gewidmet.

Er folgt, wie seine Vorgänger, dem Prinzip der Einteilung nach Sachgebieten. Regelmäßig wird die Geschichte eines Dresdner Stadtteils erzählt. Diesmal ist Kleinzschachwitz an der Reihe, 1921 eingemeindet, am Elbufer gegenüber dem berühmten Schloß Pillnitz gelegen, eine Mischung aus ehemaligem Dorf und später entstandenem Villenvorort. Er wurde geprägt unter anderem durch den russischen Fürsten Putjatin, der 1749 in Kiew geboren wurde und sich später in Kleinzschachwitz ansiedelte. Dort ließ er nach seinen Plänen ein Haus bauen. Wegen der Anekdoten, die sich um seine Person ranken, aber auch wegen seiner zahlreichen Stiftungen (darunter die eines Schulhauses für den Ort) ist Putjatin bis heute unvergessen. Ein 1997 errichtetes Denkmal erinnert an ihn.

Auf Dresden als Wirtschaftsstandort macht diesmal ein Blick auf die dort zu hohem Rang entwickelte Verpackungsindustrie aufmerksam. Die Lektüre läßt einen fast bedauern, so viele Verpackungen achtlos dem Müll überantwortet zu haben. Ein ernstes Stück Alltagsgeschichte der DDR wird am Beispiel der Machtübernahme der Kommunisten in Dresden anschaulich gemacht. Bei den Kommunalwahlen vom 1. September 1946 gewannen die Liberalen (LDP) und die CDU zusammen eine knappe Mehrheit, was ihnen angesichts des tatsächlichen Machtmonopols der kommunistischen SED, hinter der die Besatzungsmacht stand, nicht viel nützte. Die Reproduktion eines Wahlplakats belegt, daß Größen des Kulturlebens sich der SED als Wahlhelfer zur Verfügung stellten: Ein Plakat der SED nennt in größerer Schrift, als dem Parteikürzel gegönnt wird, "Palucca", die berühmte Tänzerin, als ihre Kandidatin.

Reale DDR-Geschichte ist auch ablesbar an den Porträts der drei letzten SED-Oberbürgermeister. Sie hießen Gute (drei Jahre im Amt), Schill (rund zwanzig Jahre im Amt und ehedem ein Soldat der von der SED geschmähten "verbrecherischen Hitler-Wehrmacht") und schließlich Berghofer, der über die Jugendorganisation FDJ in die größere Politik kam. Er versuchte gegen Ende seiner Amtszeit, den Stil vorsichtig zu ändern. Nach der freien Kommunalwahl vom Mai 1990 wurde er abgelöst. Er versuchte eine Rückkehr in die Politik mit einer Kandidatur bei der Direktwahl des Oberbürgermeisters im Jahre 2001. Seine einstige Partei, die sich nun PDS nannte, unterstützte ihn nicht. Trotzdem bekam er beachtliche 12 Prozent.

Mit besonderem Brechungswinkel spiegelt sich die DDR in der Geschichte eines Kabaretts in Dresden, der "Herkuleskeule". Das vielbesuchte Haus hatte einen Modus vivendi mit der SED gefunden in der Weise, daß die Kritik gerade eben nicht so scharf wurde, daß die SED sich durch Unterdrückung als beklagenswert humorlos und zugleich unsicher hätte zeigen müssen. Das Dresdner Publikum, erprobt im Erleiden von Diktaturen, verstand und lachte nicht zu laut.

Ein trauriges Kapitel wird aufgeschlagen mit einem Beitrag über die Totenzahlen, die bei den britischen Bombenangriffen vom Februar 1945 auf die engen Wohnquartiere der Innenstadt und vor allem der südlichen und östlichen Vororte zu beklagen waren. Zu lesen ist ein knapper Überblick über die propagandistische Färbung der in der ersten Zeit mitgeteilten Totenzahlen: Erst durften es möglichst viele sein, wegen der Anklage wahlweise gegen das nationalsozialistische System als Verursacher des Krieges und gegen die "Monopolkapitalisten" wegen der Grausamkeit ihrer Kriegführung. Die Überlagerung der Zählung durch den Zwang zur Eile, das Heranrücken der Roten Armee und das Daniederliegen der Verwaltung machten es schwer, den Zahlen zu trauen. Der Autor hält sich in der Nähe der seit Mitte der fünfziger Jahre gleichsam "amtlichen" 35 000. Dabei überschätzt er wahrscheinlich die Fähigkeit der Bürokratie zu unbeirrtem Funktionieren. Er unterschätzt die Zahl der Flüchtlinge, die Dresdens Bevölkerung über die vor dem Krieg ermittelten rund 650 000 steigen lassen. Der Beitrag nimmt 100 000 zur Angriffszeit in Dresden untergeschlüpfte Flüchtlinge an. Das sind wahrscheinlich zu wenige, wenn auch die von manchen angenommene Zahl von damals insgesamt mehr als einer Million Bewohner der Stadt zu hoch gegriffen sein dürfte.

Der Lesbarkeit des Buches dient, wie bei seinen neun Vorgängern, eine reiche, freundliche, gelegentlich Schreckliches zeigende Bebilderung. Diese Methode lädt ein zum Wiedererkennen und erleichtert das Erkennen. Ein Aufsatz über die Rolle des Pferdes als Zugtier (leider manchmal als Schlachttier), also als Wirtschaftsfaktor, wird illustriert auch durch einschlägige Anzeigen von einst. Da empfiehlt sich eine Firma Heinrich Gläser als Herstellerin von "Luxuswagen" - gemeint waren "herrschaftliche" Kutschen. Später stellte sie Karosserien für Luxusautomobile her, für Maybach, Horch oder Mercedes, wenn gewünscht, nach Maß. Mit dem letzten Krieg war damit Schluß.

FRIEDRICH KARL FROMME

"Dresdner Geschichtsbuch". Folge 10. Herausgegeben vom Stadtmuseum Dresden. Verlag DZA, Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg 2004. 277 S., geb., 19,70 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Friedrich Karl Fromme zeigt sich recht angetan von diesem Band und lobt dabei gleichzeitig die gesamte Reihe "Dresdner Geschichtsbuch". Besonders gefällt dem Rezensenten, dass hier nicht Regionalgeschichte im üblichen Stil geboten wird, sondern dass den Lesern von heute vermittelt werden soll, "wie der Boden beschaffen, wie er entstanden ist, auf dem sie jetzt stehen". So wird im vorliegenden Band beispielsweise eine kleine Firma für "diskrete Gegenstände" vorgestellt, die selbst die DDR überlebte und Kundenwerbung ganz eigener Art betrieb, wie Fromme betont. Auch um Eingemeindungen, Vergnügungsstätten (wie das "Tanz-Palais Barbarina" oder den "Regina-Palast") und Schulbildung geht es in diesem Buch. Da auch in jedem Band der Reihe jeweils ein Oberbürgermeister vorgestellt wird, ist in diesem sechsten Ernst Zörner porträtiert, der der erste Oberbürgermeister der NS-Zeit war, wie der Rezensent informiert. Nur ein einziges Thema hat der Rezensent offenbar in diesem Band vermisst: Einen Beitrag zu der Ruine des Palasthotels Weber, das seinerzeit einen der ersten "freien Läden" beherbergte und heute Anlass für eine Debatte ist, was aus dieser Ruine werden soll.

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