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Produktdetails
  • Verlag: Legueil
  • Originaltitel: Le Marteau sans maitre; Moulin premier
  • Seitenzahl: 164
  • Deutsch, Französisch
  • Abmessung: 230mm x 145mm
  • Gewicht: 164g
  • ISBN-13: 9783980424769
  • ISBN-10: 3980424766
  • Artikelnr.: 09514231
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.06.2003

Du bist mit dem
Leben in Verzug!
René Chars früher Gedichtzyklus
„Der herrenlose Hammer”
René Char ist 1988 gestorben, mit achtzig Jahren, auf dem Gipfel eines Ruhms, der seitdem nicht schwächer geworden ist: In der französischen Kultur des zwanzigsten Jahrhundert gilt Char als der Inbegriff des Dichters schlechthin, des Sehers und Verkünders von Rätselworten, des einzigen Modernen, dem es gelungen sei, bis an die vorsokratischen Ursprünge des abendländischen Denkens zurückzugehen. Und zugleich als einer, der fest in seiner geschichtlichen Gegenwart als Handelnder verankert war, als Offizier in der Schattenarmee der Résistance und noch in seinem Widerstand gegen Atombewaffnung und Umweltzerstörung.
Ein Mann, der in der Weltliteratur zuhause war und doch in seiner provenzalischen Heimat und seiner Geburtsstadt L’Isle-sur-Sorgue ein Leben lang eingewurzelt blieb. Char selbst hat einiges beigetragen zu diesem monumentalen, doch auch von Erstarrung bedrohten Bild, nicht zuletzt durch die noch von ihm selbst geprägte, kanonische Pléiade-Ausgabe seiner Oeuvres complètes im Jahre 1983 – in Frankreich eine ungeheure Ehre für einen noch lebenden Autor, die nur solchen monstres sacrés wie André Gide oder Julien Green zuteil wurde. Die „Oeuvres complètes” beginnen mit dem Zyklus „Le Marteau sans maître” aus dem Jahr 1934. Ihn sah der gegenüber seinem Frühwerk ansonsten sehr kritische Char als den eigentlichen Anfang seines poetischen Schaffens an. Das ist ein Zeichen der Treue gegenüber einer bedeutenden, wenn auch kurzen Epoche seines Lebens: der Zugehörigkeit zur surrealistischen Bewegung zwischen 1929 und 1936. Seine Begegnung mit Paul Eluard, André Breton, Louis Aragon, René Crevel und ihren Freunden im Jahre 1929 wurde für Char zum entscheidenden Wendepunkt. Hier fand er Freunde, die wie er einen kulturrevolutionären Bruch mit der jüngsten Vergangenheit herbeizwingen wollten: „Ich war ein Aufrührer und ich suchte Brüder, in L’Isle war ich allein”, sagte er viel später.
Der Bruch mit dem Surrealismus war dann unausweichlich, weil Char die politische und vor allem die parteipolitische Wendung seiner Freunde nicht mitvollziehen konnte. Einige, allen voran Aragon, wurden von Aufrührern zu Parteipolitikern; andere, wie Breton, behielten ihre intellektuelle Unabhängigkeit zwar bei, ihren Weg in einen trotzkistisch gefärbten Marxismus musste Char trotzdem verweigern. Die Katastrophe der europäischen Kultur hat der Surrealismus als Bewegung nicht überstanden. Char schwieg als Dichter während des Krieges und widmete seine ganze Energie dem entschlossenen Handeln gegen die Barbarei; danach folgte er seinem Weg als Einzelgänger außerhalb aller Gruppen.
Was die surrealistischen Jahre für sein Werk bedeutet haben, dessen ist sich Char jedoch immer bewusst geblieben. Und es ist ein großes Glück für den deutschen Leser, dass er sich in einer großzügigen Ausgabe des Marteau, also des surrealistischen Char, nun selbst davon überzeugen kann. Horst Wernickes Übersetzung besitzt dabei die große Qualität, diese häufig so rätselhaften Gedichte mit einer zurückhaltenden Genauigkeit wiederzugeben, die der Lektüre (mit dem französischen Original gegenüber) keine Interpretationen oder eigenen Lesarten aufzwingt, sondern erlaubt, den Gebilden, ihren Schocks, ihren auch nach einem Dreivierteljahrhundert noch verblüffenden, verstörenden Bildern, Wort für Wort, Satz für Satz zu folgen.
Gemeinsame Gegenwart
Am ehesten kann man diese Wirkung des Surrealismus vielleicht als eine große Befreiung ansehen, als eine Schule des Sehens, Assoziierens, Träumens und Festhaltens von deren Spuren im Wort: eine Schule der schöpferischen Freiheit. Erst der Surrealismus hat es Char erlaubt, Bewusstes und Unbewusstes, Gelesenes und Geträumtes, Bild und Reflexion in vollkommener Freiheit assoziativ miteinander zu verknüpfen, ein Verfahren, hinter das er auch später nie wieder zurückgegangen ist. Und doch sind diese Gedichte alles andere als eine beliebige Wortverknüpfungsmaschine, in die der Leser nun alles Beliebige hineinzulesen vermag. Bereits in diesem frühen Werk ist nämlich zu erkennen, was Char schon damals von seinen Freunden unterschied: die Neigung zur Reflexion und philosophischen Sentenz, die Empfindlichkeit für zeitgeschichtliche Erschütterungen.
Char selbst sah in seinem Zyklus eine Art seismographisches Zeichen: „Der Schlüssel zum „Herrenlosen Hammer” steckt in jener vorausgeahnten Realität der Jahre 1937 bis 1944. Der erste freigesetzte Schimmer schwankt zwischen dem Fluch der Folter und dem Wunder der Liebe”, schrieb er 1945. Noch mehr als viele andere verbietet René Chars frühes Werk die Paraphrase oder „Interpretation” in drei Sätzen, sondern verlangt nach der eigenen Assoziationskraft des langsamen Lesers. Es drängt dich zu schreiben / Als wärest du mit dem Leben in Verzug / Wenn dem so ist sei Geleit deinen Quellen / Eile dich / Eile dich weiterzugeben / Deinen Teil an Wunderbarem an Rebellion an Wohltat / Wirklich du bist mit dem Leben in Verzug, heißt es in dem Gedicht „Commune présence”, das den Band schließt. „Gemeinsame Gegenwart” ist das, was den langsamen Leser erwartet.
WOLFGANG MATZ
RENÉ CHAR: Der herrenlose Hammer. Übersetzt von Horst Wernicke. Zweisprachige Ausgabe. Verlag Jutta Legueil, Stuttgart 2002. 163 Seiten, 20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Bei den Gedichten dieser zweisprachigen Ausgabe, die Lyrik aus dem Frühwerk des Autors von 1929 bis 1933 versammelt, wird Felix Philipp Ingold zum "Träumer". Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Gedichte weniger auf der Ebene der Bedeutungen verständlich sind, als in ihrer "klanglichen und rhythmischen Qualität" wahrgenommen werden wollen, erklärt der Rezensent. Deshalb seien besondere Kenntnisse oder Kompetenzen zum Verständnis auch nicht erforderlich, sondern vor allem "spontane Wahrnehmung" und "Assoziationen", so Ingold, für den Char dennoch oder gerade deshalb zu den "schwierigsten" Lyrikern der Zeit gehört. Der Rezensent sieht den Autor zwar durchaus der surrealistischen Lyrik verhaftet, hebt aber vor allem die "archaisch anmutende Schlichtheit" und den "unverwechselbaren Personalstil" der Texte hervor. Und wenn auch diese Verse "weitgehend unverständlich" bleiben, wenn man sich ihnen auf der Bedeutungsebene nähert, so entfalten sie bei einer quasi "naiven Lektüre" ihren dichterischen Zusammenhang, so der Rezensent angetan.

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