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Ärmliche, mit Flüchtlingen überladene Fischerboote, abgerissene Gestalten in Auffanglagern prägen unser Bild illegaler Immigration - dass die Not Zehntausender auch ein äußerst lukratives Geschäft ist, wird uns dagegen kaum bewusst. Tatsächlich steht hinter den Menschenströmen, die jedes Jahr nach Europa gelangen, ein riesiges Netzwerk von Schleppern und Schleusern, aber auch hochprofessionellen Geschäftsleuten, denn mit dem illegalen Grenzübertritt lassen sich Milliarden verdienen, kaum weniger als im Drogengeschäft.Die Autoren haben entlang der Hauptrouten illegaler Immigration recherchiert…mehr

Produktbeschreibung
Ärmliche, mit Flüchtlingen überladene Fischerboote, abgerissene Gestalten in Auffanglagern prägen unser Bild illegaler Immigration - dass die Not Zehntausender auch ein äußerst lukratives Geschäft ist, wird uns dagegen kaum bewusst. Tatsächlich steht hinter den Menschenströmen, die jedes Jahr nach Europa gelangen, ein riesiges Netzwerk von Schleppern und Schleusern, aber auch hochprofessionellen Geschäftsleuten, denn mit dem illegalen Grenzübertritt lassen sich Milliarden verdienen, kaum weniger als im Drogengeschäft.Die Autoren haben entlang der Hauptrouten illegaler Immigration recherchiert und lassen die neuen Menschenhändler selbst sprechen: Anwerber und Skipper, Vermieter illegaler Unterkünfte, Geldhändler. Hinter einem raffinierten, extrem flexiblen Netzwerk verbergen sich die Großen des Geschäfts: etwa der Kroate Josip Loncaric, der über Jahre 90 Prozent der chinesischen Immigration nach Europa kontrollierte, oder Muammer Küçük, der türkische Boss der illegalen Immigrationim Mittelmeerraum. Über Augenzeugenberichte aus einer Schattenwelt, die niemand kennt, zeigt das Buch die größte kriminelle »Reiseagentur« der Welt bei der Arbeit.
Autorenporträt
Andrea Di Nicola lehrt als Kriminologe an der Universität Trient. Als Experte für organisierte Kriminalität war er an allen großen nationalen und internationalen Studien beteiligt und arbeitet für die UN, die Europäische Kommission, das Europaparlament, den Europäischen Rat und andere Organisationen.

Giampaolo Musumeci ist Fotograf und Dokumentarfilmer, Journalist und Radiomoderator. Für sein Spezialthema Immigration hat er weltweit recherchiert und für zahlreiche internationale Medien gearbeitet, u.a. die ZEIT.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Einen wichtigen Beitrag leisten der Kriminologe Andrea Di Nicola und Journalist Giampaolo Musumeci mit ihrem Buch, findet Ulrich Ladurner. "Bekenntnisse eines Menschenhändlers" beschätigt sich mit dem Geschäft der Schlepper, die jährlich Millionen für das Schleusen von Flüchtlingen kassieren, erfährt der Rezensent. Dabei fokussieren sich die Autoren auf zwei Namen und beschreiben unter anderem, warum die Menschenhändler so schwer zu fassen sind. Ladurner kritisiert hier zwar eine gewisse Besserwisserei der Autoren, findet das Buch insgesamt jedoch verdienstvoll.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.04.2015

Im Flüchtlingsstrom fischen
Die italienischen Journalisten Andrea Di Nicola und Giampaolo Musumeci lassen in ihrem
Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ Schleuser über ihre Geschäftspraktiken berichten
VON FELIX STEPHAN
Europa ist dem Untergang nirgendwo so nahe wie in der New York Times-Kolumne des amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträgers Paul Krugman: Die gemeinsame Währung sei eine Fehlkonstruktion, die Geldpolitik der EZB wirkungslos, Deutschland schnüre der europäischen Wirtschaft die Luft ab und wenn sich nicht schleunigst sehr vieles ändere, sei bald eine ganze Generation verloren, mindestens aber ein Jahrzehnt.
  Dennoch wachsen in einigen Regionen Afrikas und Asiens ganze Generationen mit der Vorstellung auf, dass es einen größeren Erfolg als die Emigration nach Europa gar nicht geben kann, selbst wenn die Faktenlage eigentlich dagegen spricht. Hohe Wachstumsraten und neue Jobs gibt es derzeit eher in den wachsenden Schwellenländern. Die europäischen Asylgesetze sind mitunter restriktiv. Und häufig werden Abschlüsse selbst renommierter Universitäten nicht anerkannt, weshalb sich Ingenieure und Ärzte als Erntehelfer durchschlagen, während Boomländer wie Angola, Nigeria oder Indien nach Fachkräften dürsten, die wiederum nicht selten aus Europa anreisen.
  Europa gilt vor allem dort als Verheißung, wo nicht Paul Krugman das Bild von Europa prägt, sondern eine Branche, die vom Image Europas als Schlaraffenland sehr gut lebt: die Schleuserbanden. Wahrscheinlich tut kaum jemand so viel für Europas Ruf in der Welt wie die Akquisitoren der verschiedenen Schleuserringe, die in sämtlichen Entwicklungsländern des Planeten das Fantasma des europäischen Traums verkaufen, um so neue Kunden anzuwerben. An der Südgrenze der EU ist in den vergangenen Jahrzehnten ein extrem profitables Geschäftsfeld für geschickte Logistiker entstanden, das vor allem von zwei Faktoren abhängig ist: einem Flüchtlingsstrom, der niemals versiegt, und ein rigides europäisches Grenzregime, das die Preise kontinuierlich in die Höhe treibt.
  Die italienischen Autoren Andrea Di Nicola und Giampaolo Musumeci haben mehrere Monate in der Branche recherchiert. Der Titel ihres Buches „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ ist ein wenig irreführend, in Wahrheit berichten hier mehrere Schleuser aus ihrem Berufsalltag: Der arbeitslose sibirische Skipper Alexandr, der sich auf eine unverfängliche Stellenanzeige gemeldet hatte und beim Vorstellungsgespräch erfuhr, er könne in kürzester Zeit ein Jahresgehalt verdienen, wenn er Menschen statt Bananenkisten transportiert.
  Oder Tom, „ein ruppiger Ire um die vierzig“, der einige Jahre hauptberuflich Marihuana von Holland nach England geschmuggelt hat, bis er gemerkt hat, dass es sehr viel lukrativer ist, Flüchtlinge auf die Ladeflächen von Lkws zu schmuggeln, deren Fahrer von den blinden Passagieren nichts ahnen. Um die Thermoscanner der Grenzbeamten zu überlisten, hat Tom eine einfache Methode entwickelt: Er wickelt die Flüchtlinge in Alufolie ein.
  Oder der Ägypter El Douly, in dessen Restaurant eines Tages Flüchtlinge aufkreuzten, denen er aus Gefälligkeit sagte, wo sie den lokalen Schleuserkönig Fadil finden könnten, der ihnen sicher weiterhelfen werde. Wenig später meldete sich Fadil persönlich bei El Douly und zahlte ihm eine Provision, die höher war, „als ich in einem Monat in meinem Restaurant verdienen kann. Da war ich einundzwanzig. Und so wurde ich Schleuser.“
  Je nach Route und Komfort bezahlen Flüchtlinge bis zu mehrere zehntausend Euro, um nach Europa zu gelangen. Vom Fußmarsch durch die Wüste bis zum Direktflug in der Business Class mit gefälschtem Pass organisieren die Schleuser alles, was man sich leisten kann. Vom Selbstverständnis her sind sie Reiseveranstalter unter erschwerten Bedingungen. Und wie in jedem anderen Markt entscheidet auch hier der gute Ruf über Erfolg und Misserfolg des Unternehmens: Wem es zu häufig nicht gelingt, seine Kunden über die Grenze zu bringen, dem bleiben sie bald weg. Dafür sorgt neben der Grenzpolizei auch der interne Wettbewerb.
  Dieser unregulierte Markt, der den Kontinent der sozialen Marktwirtschaften umgibt wie die Ringe den Saturn, hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten radikal verändert: In den Neunzigern habe es noch Bosse gegeben, die das Geschäft beherrscht haben. Selbst Gaddafi hat den Flüchtlingsstrom als politische Verhandlungsmasse gegenüber europäischen Regierungen eingesetzt, was zumindest den Vorteil hatte, dass man wusste, wen man im Falle überlasteter Auffanglager anrufen konnte.
  Heute hat sich die Branche in eine unendliche Zahl selbständiger Unternehmer zerstoben, die je nach Bedarf untereinander kooperieren, wobei jeder das Feld beackert, das er am besten beherrscht: Flüchtlingsgruppen als akkreditierter Reiseleiter nach Rom einfliegen. Reisepässe auf Flughafentoiletten umtauschen. Mit dem Pkw so nahe wie möglich an die serbisch-ungarische Grenze heranfahren. Jeder Schleuser ist für seinen eigenen kleinen Abschnitt verantwortlich. So ist ein Wirtschaftszweig entstanden, der sich stets organisch selbst regeneriert. Weil es eher keine hierarchisch organisierten Schleusermafias mehr gibt, ist jede Verhaftung nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Nachfolger stehen sofort bereit. Nicht selten sind es selbst ehemalige Flüchtlinge, die eine Gelegenheit wittern.
  Weil auch die Schleuser ein Interesse an stabilen Arbeitsbedingungen haben, sind die überfüllten, klapprigen Frachter, die herrenlos im Mittelmeer treiben, nicht nur eine humanitäre Katastrophe, sondern auch schlecht fürs Geschäft. Solche Selbstmordkommandos können eigentlich nur Gauner organisieren, die nicht vorhaben, jemals wieder in dieser Branche tätig zu sein. Der Schleuser El Douly erzählt die Geschichte eines Ägypters, der Flüchtlingen versprochen hatte, die Überfahrt gegen Vorkasse zu organisieren, dann aber mit dem Geld einfach verschwunden war. Der Hochstapler wurde vom lokalen Schleuserkönig Fadil geschnappt und ermordet. Schlechte Presse konnte Fadil auf seinem Gebiet nicht gebrauchen.
  Die italienischen Autoren lassen die Schleuser weitgehend selbst reden, was schon rein dramaturgisch eine gute Idee ist, da sich die Haltlosigkeit der Selbstlügen proportional zur Umständlichkeit ihrer Rechtfertigungen verhält. Kein einziger Schleuser, der in diesem Buch zu Wort kommt, hält sich für einen Kriminellen. Dass sie den Ärmsten des Planeten ihre letzten Ersparnisse abpressen, sie skrupellos in Lebensgefahr bringen und ihre Schützlinge jederzeit gnadenlos am Straßenrand liegen lassen, wenn sie nicht mehr zahlen können, kommt im Selbstbild der Schleuser nicht vor.
  Sie betrachten sich vielmehr als talentierte Logistiker, die einem ehrenwerten Beruf nachgehen: Sie helfen Menschen, erfüllen ihre Träume und beheben die globale Ungerechtigkeit. In manchen Regionen ist der Flüchtlingsstrom so zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor geworden. Die erfolgreichsten Schleuser steigen zu wichtigen politischen Akteuren auf, ganze Industrien hängen vom Wohl ihrer Organisation ab. Seitdem etwa Serbien eine EU-Grenze hat, sind die Preise für Hotels, Restaurants, Taxifahrten im Grenzgebiet massiv gestiegen. Bezahlt werden sie von Irakern, Syrern, Pakistanern, Sudanesen, Eritreern, die sich für diese Route entschieden haben, weil sie das gefährliche Mittelmeer umgehen wollen.
  Je mehr Flüchtlinge durch diese Gegend kommen, desto besser geht es der lokalen Wirtschaft. Polizei ist hier deshalb weit und breit nicht zu sehen. Das kommt auch den Flüchtlingen zugute: Weil das Risiko überschaubar und die Konkurrenz groß ist, gibt es eine Taxifahrt vom Schleuser-Knotenpunkt im serbischen Bogovadja zur ungarischen Grenze schon für 50 Euro pro Kopf. Es ist die letzte Etappe, danach sind sie in Europa. Und damit nach monatelanger Reise endlich wieder ganz am Anfang.
Andrea Di Nicola, Giampaolo Musumeci: Bekenntnisse eines Menschenhändlers – Das Milliardengeschäft mit Flüchtlingen. Aus dem Italienischen von Christina Ammann. Verlag Antje Kunstmann, München 2015. 206 S., 18,95 Euro. E-Book 14,99 Euro.
Wegen der Thermoscanner der
Grenzbeamten wickelt Tom
die Flüchtlinge in Alufolie ein
Die Schleuser arbeiten in einem
Wirtschaftszweig, der sich
organisch selber regeneriert
Im Rahmen der Aktion „Mare nostrum“ gerettete Schiffbrüchige, zwanzig Meilen nördlich der libyschen Küste im Juni 2014.
Foto: AP/Massimo Sestini
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