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Port-au-Prince. Das Gerücht verbreitet sich in Windeseile. "Geht nicht nach draußen", heißt es, "heute Nacht passiert etwas." Langsam wird es dunkel, der Strom fällt aus. An Stromstörungen hat man sich längst gewöhnt - ebenso daran, Wut und Hunger hinunterzuschlucken. Die Anhänger der Opposition wollen mit Gewalt an die Macht, doch es besteht Gefahr, dass die Miliz des Diktators unter der Bevölkerung ein Blutbad anrichtet. Auf der Suche nach einem letzten Kunden irrt ein Taxifahrer durch die Straßen der Hauptstadt. Zur selben Zeit flüchtet ein junger Mann mit seiner Arbeitskollegin in das Haus…mehr

Produktbeschreibung
Port-au-Prince. Das Gerücht verbreitet sich in Windeseile. "Geht nicht nach draußen", heißt es, "heute Nacht passiert etwas." Langsam wird es dunkel, der Strom fällt aus. An Stromstörungen hat man sich längst gewöhnt - ebenso daran, Wut und Hunger hinunterzuschlucken. Die Anhänger der Opposition wollen mit Gewalt an die Macht, doch es besteht Gefahr, dass die Miliz des Diktators unter der Bevölkerung ein Blutbad anrichtet. Auf der Suche nach einem letzten Kunden irrt ein Taxifahrer durch die Straßen der Hauptstadt. Zur selben Zeit flüchtet ein junger Mann mit seiner Arbeitskollegin in das Haus eines Freundes, der hoch oben auf einem Hügel über der Stadt wohnt. Es soll ihre erste gemeinsame Nacht werden. Währenddessen steht die Besitzerin des größten Bordells der Stadt am Fenster und betrachtet sorgenvoll die Szenerie. Sie spürt, dass bald schon Blut fließen wird Lyonel Trouillots Debütroman "Straße der verlorenen Schritte" hat auch heute, fünfzehn Jahre nach seinem Erscheinen in Frankreich, nichts von seiner Kraft eingebüßt. In seiner mitreißenden, poetischen Sprache schildert Lyonel Trouillot die Ereignisse einer einzigen Nacht, in der sich das tragische Schicksal eines ganzen Landes offenbart. Denn wer Hass sät, wird Sturm ernten.
Autorenporträt
Lyonel Trouillot, 1956 in Port-au-Prince geboren, zählt zu den wichtigsten Autoren Haitis. Anfang der achtziger Jahre verließ er sein Heimatland und ging ins Exil in die USA. Nach seiner Rückkehr engagierte er sich als Autor für die Demokratiebewegung in seinem Land. Sein Debütroman 'Straße der verlorenen Schritte' erschien 1998 in Frankreich, seitdem hat er sechs Romane veröffentlicht, darunter 'La belle amour humaine', der für den renommierten Prix Goncourt nominiert wurde. Lyonel Trouillot lehrt Kreolische und Französische Literatur in Port-au-Prince.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Um sich an die an Brüchen und Chaos reiche Geschichte Haitis zu erinnern, empfiehlt Cornelius Wüllenkemper dieses Frühwerk des haitianischen Lyrikers und Romanciers Lyonel Trouillot. Der Autor schildert hier Ereignisse jener Nacht vom 30. September 1991, als der Duvalier-Clan Haitis zarte Demokratiebewegung im Keim erstickte. Wie Trouillot lauter kleine Geschichten in verschiedenen Handlungssträngen erzählt und miteinander verknüpft, hat den Rezensenten beeindruckt. Auch dass der Autor seine Figuren nicht aus dem Milieu der Intellektuellen wählt, sondern Taxifahrer, Prostituierte und Postbeamte, gefällt Wüllenkemper gut. Langsam entwickelt sich beim Lesen das feingesponnene Netz aus Andeutungen und Verbindungen der Handlungsstränge und gibt den Blick frei auf das Leben im Dauerchaos, erläutert Wüllenkemper die Stärke des Romans. Dass der Autor sich der Mittel des Nouveau roman bedient, assoziativ, raffiniert Zeitebenen verschiebend und Erzählperspektiven verschränkend arbeitet, wie der Rezensent auflistet, scheint dem Buch einen zusätzlichen Reiz zu verleihen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.03.2014

Mit Julio Iglesias in den Kampf
Soundtrack der Hölle: Lyonel Trouillots Frühwerk über seine Heimat Haiti
Nicht erst seit das verheerende Erdbeben im Frühjahr 2010 Haitis Zukunft in nur
48 Sekunden unter sich begrub, gilt der Karibikstaat als ein Ort, dessen Geschichte durch eine endlose Serie von Katastrophen, Gewaltexzessen und zerstörten politischen Perspektiven geprägt ist. Zuletzt schilderte Raoul Peck in seiner Kino-Dokumentation „Tödliche Hilfe“, dass auch die milliardenschweren Aufbauhilfen des Westens den Strudel an Korruption, Chaos und Massenarmut nurmehr beschleunigen. Die Journalistin und Autorin Kettly Mars dagegen erzählt in ihrem kürzlich erschienenen Roman „Vor dem Verdursten“ etwas differenzierter von den zwischenmenschlichen und zivilgesellschaftlichen Abgründen, die das Leben der Haitianer prägen. Und das Frühwerk des Lyrikers, Romanciers und Literaturprofessors Lyonel Trouillot, „Straße der verlorenen Schritte“, wirft einen Blick zurück auf einen der großen Brüche dieser gescheiterten Gesellschaft nach der Diktatur des Duvalier-Clans.
  Nach der Absetzung des Duvalier-Sohns „Baby Doc“ 1986 durch das amerikanische Militär folgten Jahre des politischen Chaos und zahlreicher militärischer Umstürze, bis 1991 der Armenpriester Jean-Bertrand Aristide zum Präsidenten gewählt wurde. Der Versuch von Aristides Reformpolitik, die ärgste Armut zu bekämpfen, die Duvalier-Unterstützer politisch kaltzustellen und tradierte Netzwerke von Geld und Macht aufzubrechen, dauerte indessen nur wenige Monate. Trouillots Roman spielt am Ende dieser kurzen Episode der Hoffnung, die in der Nacht des 30. September 1991 mithilfe des Militärs brutal niedergeschlagen wurde.
  Um die Geschehnisse dieser Nacht zu schildern, bedient Trouillot sich unterschiedlicher Protagonisten. Da ist der Taxifahrer Ducarmel Désiré, der nicht nur seinen lebenswichtigen Toyota, sondern auch seinen Glauben an die Menschen und sein rechtes Bein verliert. Außerdem hören wir einen namenlosen Postbeamten, der die erste gemeinsame Nacht mit seiner Kollegin Laurence verbringt und am Ende von der Liebe enttäuscht und von der Hoffnung auf eine Zukunft für sein Land verlassen wird. Im Mittelpunkt der in 36 kurzen Abschnitten erzählten, eng miteinander verwobenen Handlungsstränge steht jedoch eine alternde Bordellbetreiberin. Sie kennt die tragischen Lebensgeschichten ihrer Mädchen, aber auch die Männer zu gut, um sich vom blutigen Geschehen der Nacht wirklich beeindrucken zu lassen. „Das hier ist kein Land, sondern eine Fabrik des epischen Scheiterns“, stellt sie schon im Prolog lakonisch fest. „Siebenundzwanzigtausend Quadratkilometer Hass und Trostlosigkeit.“
  Trouillots Protagonisten sind keine Intellektuellen. Deren politische Relevanz hatte der Duvalier-Clan in drei Jahrzehnten Diktatur erfolgreich unterminiert. Politische Aktivisten oder Ideologen gleich welcher Couleur kommen in Trouillots Roman denn auch eher schlecht weg: Gérard, der ehemalige Dissident und Lehrer, der seinen Beruf aufgab, weil „die Realität sich nicht den Theoremen anpassen wollte“, dient in der Nacht des Militärputsches als „Orakel“, das von den blutrünstigen Gewaltexzessen gegen die Anhänger des „Propheten“ Aristide in den Slums von Port au Prince mehr fabuliert als berichtet.
  Während in besagter Nacht der Postbeamte mit seiner Freundin „zum ersten Mal über die Leere, die innere Hölle, über diese Stadt triumphiert, die draußen brannte“, betet ihr Schulfreund André für eine vage politische Zukunft. Den Soundtrack zum kruden Ambiente, in dem es dem haitianischen Volk nur noch ums nackte Überleben geht, liefert der Taxifahrer Ducarmel, der seine Fahrgäste nachts mit Songs von Julio Iglesias einlullt.
  Trouillots Haiti-Roman erschöpft sich aber keineswegs in der desperaten Erzählung menschlicher Tragödien und wiederkehrender Gewaltexzesse. Im plaudernden Ton seiner Protagonisten verbirgt sich ein geradezu überwältigendes Netz aus subtilen Handlungskreuzungen und metaphorischen Andeutungen zum Leben im politischen und gesellschaftlichen Dauerchaos. Traumgleiche Assoziationen und Szenenfolgen, die Verschiebung der Zeitebenen, die Verschränkung von Erzählperspektiven und die ständige Unsicherheit, ob das Erzählte nicht doch nur falsch erinnert wird: Das sind ziemlich exakt die bewährten Techniken des französischen Nouveau roman aus den Fünfzigerjahren.
  Lyonel Trouillot bildet mit seiner wie im Schwindel rotierenden Erzählweise literarisch äußerst raffiniert und extrem verdichtet die Traumatisierung von Menschen durch Terror und Chaos ab. Am Ende triumphieren dann doch die Kohorten des neuen „Propheten“. Es gibt also noch Hoffnung für die geschundene haitianische Seele: das Angebot seines Schulfreundes André, ihn unter dem neuen Führungsclan zum Postdirektor zu machen, lehnt der kleine Beamte ab: „Von Diktatur zu Diktatur. Von Prophet zu Prophet. Wer hatte je die Zeit, ein Individuum zu werden!“
CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Lyonel Trouillot: Straße der verlorenen Schritte. Roman. Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer und Claudia Steinitz. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2013. 160 S., 16,90 Euro.
Der Roman blickt zurück auf
die kurze Episode der Hoffnung
in der Geschichte Haitis
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