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'Zerbrochenes Glas' ist Stammkunde einer heruntergekommenen Bar in Brazzaville, deren Name Programm ist: 'Angeschrieben wird nicht'. Tag für Tag versammelt sich hier ein Haufen skurriler Gäste, um Palmwein zu trinken und über das Leben zu schwadronieren. Der Kirche ist die Bar ein Dorn im Auge, denn manch einer der Gläubigen erliegt der Versuchung, die Messe zu schwänzen und stattdessen einen zur Brust zu nehmen. Doch die ständigen Anfeindungen lassen den Wirt kalt, schließlich nennt man ihn nicht umsonst 'Sture Schnecke'. Und die Kundschaft zeigt sich solidarisch bis zum letzten Tropfen: Als…mehr

Produktbeschreibung
'Zerbrochenes Glas' ist Stammkunde einer heruntergekommenen Bar in Brazzaville, deren Name Programm ist: 'Angeschrieben wird nicht'. Tag für Tag versammelt sich hier ein Haufen skurriler Gäste, um Palmwein zu trinken und über das Leben zu schwadronieren. Der Kirche ist die Bar ein Dorn im Auge, denn manch einer der Gläubigen erliegt der Versuchung, die Messe zu schwänzen und stattdessen einen zur Brust zu nehmen. Doch die ständigen Anfeindungen lassen den Wirt kalt, schließlich nennt man ihn nicht umsonst 'Sture Schnecke'. Und die Kundschaft zeigt sich solidarisch bis zum letzten Tropfen: Als 'Zerbrochenes Glas' sich daranmacht, für die Nachwelt die Historie des Etablissements niederzuschreiben, erzählt jeder Gast nur allzu gerne die Geschichte seines Lebens.
Autorenporträt
Alain Mabanckou wurde 1966 in der Republik Kongo geboren. Mithilfe eines Förderstipendiums verlässt er Ende der achtziger Jahre seine Heimat, um in Paris sein Jurastudium fortzusetzen. Danach Eintritt in einen französischen Wirtschaftskonzern, für den er fast zehn Jahre lang als juristischer Berater tätig ist. Während dieser Zeit erscheinen zwei Lyrikbände und sein Debütroman, für den er den 'Grand Prix littéraire de l'Afrique noir' erhält. Weitere Romanveröffentlichungen folgen, darunter 'African Psycho' (2003) und 'Black Bazar' (2009). Mit seinem Roman 'Stachelschweins Memoiren' gewinnt er 2006 den renommierten Prix Renaudot, 2012 wird er von der Académie française für sein Gesamtwerk mit dem Grand Prix de Littérature ausgezeichnet. Alain Mabanckou lebt abwechselnd in Paris und Los Angeles.
Rezensionen
"Ein bemerkenswerter, kluger Roman." -- Lena Bopp, FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

"Vortrefflich jongliert Mabanckou mit Wortwitz und Ironie." -- Gaby Mayr, SWR2

"Alain Mabanckou fängt den Zauber Afrikas ein." -- Laura Hamdorf, KulturSPIEGEL

"Ein inhaltlich und atmosphärisch ungewöhnliches Werk." -- Jeanette Villachica, NEUE ZÜRCHER ZEITUNG

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als beißende Gesellschaftssatire mit Sympathie für die Wehmut alter Männer, die sich nach ihrer Mutter sehnen, bezeichnet Jeanette Villachica diesen 2005 im Original erschienenen Roman des vielschreibenden kongolesischen Autors Alain Mabanckou. Die um eine Bar und die dort zusammenlaufenden (Männer-)Lebensgeschichten kreisende Story fordert die Rezensentin durch Anspielungen auf afrikanische Legenden und historische Ereignisse, aber auch durch ihre atemlos plaudernde Erzählweise. Die Derbheit der Szenen aus dieser Macho-Welt, warnt Villachica, kann deprimieren. Die Rezensentin selbst zieht es allerdings vor, dem Autor auf seinem Weg durch die Drastik in die Burleske zu folgen und schließlich lauthals zu lachen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2013

Erzähl mir nichts von brennenden Bibliotheken
Geschichten aus einer Bar in Brazzaville, Kongo: Alain Mabanckous Roman „Zerbrochenes Glas“
Der Schriftsteller Alain Mabanckou, geboren 1966 in der Republik Kongo, lebt in Paris und Los Angeles, wo er französische Literatur unterrichtet. Die meisten Bewohner seiner Heimat haben diese Metropolen nie gesehen, aus der Republik Kongo kommen kaum Touristen. Wer Kongo verlässt, tut es meistens als Auswanderer. Das kleine westafrikanische Land mit der Hauptstadt Brazzaville wird oft mit der viel größeren Demokratischen Republik Kongo verwechselt, Hauptstadt Kinshasa. In seinem Roman „Zerbrochenes Glas“ – das Original erschien 2005 – schreibt Alain Mabanckou über eine fiktive Bar in Brazzaville. Die Bar heißt „Angeschrieben wird nicht“, und Mabanckou erzählt die Geschichten der Stammgäste: wie deren Familien zerbrechen, weil die Frauen sich für andere Männer entscheiden, wie die Männer hinter der Bar um die Wette pinkeln, wie sie J. D. Salinger lesen und darüber nachdenken, was in den kalten Ländern mit den ganzen Enten passiert, wenn es Winter wird, und wieso in der Bibel alle Engel weiß sind.
  Alain Mabanckou, eine der stärksten Stimmen der französischen Gegenwartsliteratur, Gewinner des Prix Renaudot 2006 und von der Académie francaise für sein Gesamtwerk mit dem Grand Prix de Littérature ausgezeichnet, verleiht in diesem Roman seinen Landsleuten eine Stimme. Er leuchtet hin, wo man sonst kaum hinschauen würde, gibt jenem Land etwas zurück, das er als Student im Alter von 22 Jahren so froh war zu verlassen. Wo Menschen leben, gibt es einen Alltag, den man literarisch schildern kann. So könnte die Botschaft dieses Buches heißen.
  Wenn Mabanckou denn auf irgendeine klappentexttaugliche Botschaft aus wäre. Zum Glück hat er viel mehr zu bieten. Der kleine Kongo dient Mabanckou lediglich als Hintergrund, Brazzaville skizziert er nur. Die Bar „Angeschrieben wird nicht“ könnte auch woanders stehen, Mabanckous Männer und Frauen könnten woanders trinken. Sie sind so ortlos wie Edward Hoppers „Nighthawks“, sie leben in einer Phantasmagorie. Der Wirt von „Angeschrieben wird nicht“ heißt Sture Schnecke, er will, dass seine Kneipe, für die er gegen eine Vereinigung ehemaliger Alkoholiker kämpfen musste, der Nachwelt in Erinnerung bleibt. Er drückt dem Ich-Erzähler, er heißt Zerbrochenes Glas, ein Heft in die Hand. Das Zeitalter der Geschichten, die seine bettlägerige Großmutter immer zum Besten gab, sei vorbei, diktiert der Wirt dem Zerbrochenen Glas ins Heft. Heute zähle allein das geschriebene Wort, weil es bestehen bleibe, alles Mündliche sei „nur Schall und Rauch, Wildkatzenpipi, der Wirt des Angeschrieben wird nicht kann Binsenweisheiten von der Art wenn in Afrika ein Greis stirbt, verbrennt eine Bibliothek nicht leiden, und wenn er dieses ausgelatschte Klischee hört, wird er mehr als sauer und schießt sofort zurück, hängt doch ganz davon ab, welcher Greis, also hört auf mit dem Stuss.“
  Sture Schnecke taucht danach nur sporadisch auf, etwa um dem Erzähler zu empfehlen, er solle sich eine nette Freundin zulegen. Aber Zerbochenes Glas ist schon Mitte sechzig, ein geschiedener pensionierter Lehrer, seine Gedanken sind woanders. Er denkt an seine Mutter, die ihn alleine großzog, an seine Kindheit: „Ab dem zwölften Lebensjahr ist das Leben nur noch Scheiße, die Kindheit ist unser wertvollstes Gut, der ganze Rest eine Ansammlung von Dummheiten und Schweinereien.“
  Als Kind trieb er sich am Fischerhafen herum und brachte, wenn er Glück hatte, einen Thunfisch nach Hause, und seine Mutter sagte: „Geh nicht mehr an die Côte Sauvage, dort sterben die Leute, es gibt da böse Geister, gestern hat man am Strand zwei Kinder gefunden, ihre Bäuche waren aufgebläht, die Augen verdreht, ich will dich nicht eines Tages so vorfinden, wenn es so sein sollte, folge ich dir nach, ich kann nicht ohne dich leben, ich lebe nur noch für dich.“ Die Geschichte ist tragisch, seine Mutter ertrank im Fluss Tschinouka, als Zerbrochenes Glas jung war, und er vermisst sie auch im Alter so stark, dass er am Ende Selbstmord begeht, um wieder bei ihr zu sein. Aber bevor er seine letzte Flasche Rotwein leert und im vertrauten Fluss verschwindet, ganz ohne Selbstmitleid, schreibt er die Geschichten anderer Kneipengäste auf, die eins gemeinsam haben: Sie sind so unglücklich, dass sie das eigene Unglück für das größte auf Erden halten.
  Da ist ein sechsfacher Vater, dessen Frau ihn eines Tages aussperrt, weil sie ihn satt hat, seinen unersättlichen sexuellen Drang, seine dreckigen Fingernägel, sein aufbrausendes Ehegattengemüt. Sie entscheidet sich für einen fetten Bibel-Guru, der im Fernsehen vor der Hölle warnt, sich gerne mit weißgekleideten Kindern umgibt und, davon ist der Verlassene überzeugt, hoch in den Loango-Bergen Sexorgien veranstaltet. Sie erzählt der Polizei, ihr Gatte bekäme jeden Tag Durchfall, ächze beim Pinkeln, schlafe mit minderjährigen Prostituierten und, das Schlimmste, „sie sagte diesen Menschen, die bei uns zu Hause waren, dass ich nachts aufstehen würde, um meine Tochter zu berühren, unsittliches Zeug“.
  Der Mann landet im Gefängnis, wird zweieinhalb Jahre lang systematisch vergewaltigt und muss nach seiner Entlassung Pampers tragen. „Nachdem er mit seinem Bericht zu Ende war, hob der Pampers-Typ sein Glas, um mir ,Tschau‘ zu sagen, leerte es in einem Zug, schenkte sich sofort nach, leerte es wieder in einem Zug, murmelte ,na gut, na gut‘, und als er dann endlich aufstand, konnte ich sein von vier dicken, übereinander getragenen Windeln aufgedonnertes Hinterteil aus der Nähe betrachten, ein feuchter Hintern, mit Fliegen, die ihn umschwirrten, und er hielt es für geboten, mir zu sagen, ,kümmere dich nicht um die Fliegen, Zerbrochenes Glas, das ist immer so, die Fliegen sind meine treuesten Freunde, ich verjage sie nicht einmal mehr, sie finden mich ja doch, wo ich auch bin, ich habe das Gefühl, dass es immer dieselben sind, die mir hinterherjagen‘.“
  Da ist die Geschichte eines Druckers, der sein Glück in Paris versucht und sich in eine weiße Französin verliebt. Der Mann spricht wie ein Gangsta-Rapper: „Tatsache ist, sobald dich andere Neger mit einer Weißen sehen, glauben sie, auch sie könnten sie flachlegen, denn sie meinen, wenn es eine normale Weiße bei geistiger Gesundheit mit einem Gorilla aus dem Kongo treibt, könne sie es ebenso gut mit dem ganzen zoologischen Garten, wenn nicht mit dem ganzen Reservat treiben.“ Sie heiraten und wohnen „abseits vom Pariser Geschrei, abseits vom Negerneid in all seinen Spielarten“, und kurz danach betrügt ihn die Französin mit seinem eigenen Sohn aus dem früheren Leben.
  Mabanckou spielt mit postkolonialen Klischees, auf eine derbe Art, das tut er auch in seinen Romanen „African Psycho“ (2003), „Stachelschweins Memoiren“ (2006) und „Black Bazaar“ (2009). Die beiden letzten sind bereits bei Liebeskind erschienen, erstaunlich, dass Mabanckous Erfolgsroman „Zerbrochenes Glas“ erst jetzt in Deutsche übersetzt wurde. Das Schönste an diesem Buch ist nicht das Spiel mit Klischees oder Mabanckous unaufdringlicher Humor oder seine Vergleiche. (Über einen Mann namens Casimir, der Lackschuhe und schwarzes Sakko trägt, heißt es etwa, er sei „ausstaffiert wie ein Notar, ein Totengräber, ein Opernhausdirigent, zum Kotzen“.) Das Schönste ist, dass Mabanckou all seine Figuren mit dem Respekt und der Sorgfalt eines Puppenschauspielers behandelt. Seine behutsame Hand packt sie aus, lässt sie ins Leben zappeln und packt sie wieder weg.
  Zerbochenes Glas ist eine Puppe, die ihr eigenes Leben entwickelt. Er fällt tief, aber in seinem Notizheft schreibt er vom Paradies. „Zum ersten Mal wird der liebe Gott ein Glas, das zerbrochen ist, reparieret haben (. . .) und wenn mir dort oben
irgendwelche böswilligen Engel irgendeinen Scheiß erzählen, um mich daran
zu hindern, durch die große Pforte zu schreiten, dann, glaube mir, dann komme ich trotzdem rein, und zwar durchs Fenster.“
TIM NESHITOV
  
Alain Mabanckou: Zerbrochenes Glas. Roman. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Liebeskind Verlag, München 2013. 222 Seiten, 18,90 Euro.
Jeder der Kneipengäste
hält sein eigenes Unglück
für das größte auf Erden
Ein „Sapeur“, der die französische Eleganz in die Republik Kongo holen will, vor seinem Haus in Brazzaville.
FOTO: HECTOR MEDIAVILLA/POLARIS/LAIF
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.05.2013

Wenn im Kongo eine Bar schließt
Aberwitz und Alltagswahnsinn: Der kongolesische Schriftsteller Alain Mabanckou erklärt uns seine Heimat

Mehr als ein halbes Jahrhundert ist es mittlerweile her, dass der malische Schriftsteller und Ethnologe Amadou Hampâté Bâ vor der UN-Vollversammlung eine Rede hielt und darin den berühmten Satz prägte: "Wenn in Afrika ein Greis stirbt, verbrennt eine Bibliothek." Im Jahr 1960, als die große Zeit des Aufbruchs und der Dekolonisierungspolitik ihren Höhepunkt erreicht hatte, wirkte solch ein Satz euphorisierend. Die Wissensschätze und Geschichten dieses riesen Kontinents, so ließ er die Welt selbstbewusst wissen, sind nicht in Büchern niedergelegt oder sonstwie schriftlich überliefert, sondern existieren im lebendigen Gedächtnis von Erzählern, mit denen alle nachfolgenden Generationen beständig Austausch üben müssen. Denn Afrikas wahres Potential sind Menschen, keine Rohstoffe, und Afrikas Kultur- und Bibliotheksbestände sind von deren Nutzern nie zu trennen. Was aber bleibt, wenn sich die Zeiten ändern und das Gespräch der Generationen stirbt?

Hier kommt der Wirt in Spiel, Inhaber einer kleinen Bar in der Republik Kongo mit dem sprechenden Namen "Angeschrieben wird nicht" und doch, was Überlieferung angeht, ein entschiedener Befürworter der Schriftform: "das Zeitalter der Geschichten, die seine bettlägerige Großmutter immer zum Besten gab, sei vorbei, heute zähle allein das geschriebene Wort, weil es bestehen bleibe, alles Mündliche sei nur Schall und Rauch", so erklärt er kategorisch, denn er kann "Binsenweisheiten von der Art, wenn in Afrika ein Greis stirbt, verbrennt eine Bibliothek, nicht leiden, und wenn er dieses ausgelatschte Klischee hört, wird er mehr als sauer". So beginnt dieser Roman, der sich ganz der schriftlichen Fixierung einer Serie verwickelter Geschichten widmet, gleich mit der Absage an liebgewonnene Vorstellungen und mit dem erklärten Bruch bewährter Selbstbilder - ein Akt, der überfällig war, weil afrikanische Autoren selbstverständlich längst auch Bücher schreiben und weil die Schrift keineswegs immer erst im Zuge der Kolonialisierung in Afrika genutzt wurde.

Der kongolesische Autor Alain Mabanckou, Jahrgang 1966, mehrfach preisgekrönt und seit geraumer Zeit in Kalifornien lebend, hat sich gewiss noch nie gescheut, mit hergebrachten Klischees aufzuräumen und das Selbstverständnis einer neuen Schriftstellergeneration zu artikulieren, die weniger euphorisch als parodistisch oder kritisch mit ehrwürdigen Überlieferungen und mit kulturpolitischen Pionierleistungen à la Hampâté Bâ umgeht. In "Stachelschweins Memoiren" und "Black Bazar", die in den letzten Jahren bereits auf Deutsch erschienen sind, entfaltete er schon ein ganzes Repertoire an gleichermaßen amüsanten wie grotesken Erzähleinfällen, die sich ebenso unbekümmert im mythisch-afrikanischen wie im populärkulturell-globalen Fundus durchgehend bedienen. In "Zerbrochenes Glas", im Original 2005 herausgekommen, setzt er dieses Verfahren fort und reflektiert dabei zugleich sein eigenes Vorgehen als Schriftsteller, der für die Nachwelt festhält, was ansonsten zu verschwinden droht.

Schauplatz hierfür ist die besagte Bar, ein ziemlich heruntergekommenes Etablissement, das für eine illustre Schar verkrachter Existenzen zu einem letzten Einkehrort geworden ist, zuweilen Heimathafen, zuweilen Selbstdarstellungsbühne, immer aber eine Plattform für schier endlose Gespräche. Zum Stammpublikum zählen beispielsweise ein scheinbar biederer Familienvater, den allerdings die unbändige Lust immer wieder zu den Huren treibt, während seine Gattin sich mit einem evangelikalen Priester tröstet, oder ein plattfüßiger Drucker, der einst in Frankreich eine Weiße ehelichte und ein vorbildliches Leben mit ihr führte, bis sein Sohn aus einer früheren Verbindung auftaucht und die Französin bald auf andere Gedanken bringt, oder auch eine sehr trinkfeste Besucherin, die anschließend mit dem Getrunkenen kraft ihrer muskulösen Blase allerhand Erstaunliches zu Wege bringt und dies auch gerne mal in öffentlichen Wettkämpfen zur Schau stellt - ein bizarrer Typenreigen voll seltsamer Eigenheiten und oft mit reichlich deftigen Geschichten.

Alles, was in dieser Bar so vorgeht und im Laufe der durchzechten Nächte dort zur Sprache kommt, wird im Auftrag des gestrengen Wirts von einem Erzähler namens "Zerbrochenes Glas" treulich aufgeschrieben, um es für spätere Zeiten zu bewahren, angereichert mit vielen literarischen Zitaten oder Buchtiteln, die wie vertraute Echos aus Bibliotheksgewölben klingen, und kommentiert durch eigene Gedanken zum wechselvollen Lauf der Welt. Und je länger wir seinen Berichten mit zunehmender Faszination folgen, desto dringlicher stellt sich die Frage, was dieser Erzähler eigentlich wohl zu berichten hätte, wenn er denn mal von sich selbst erzählen würde, statt immerfort nur anderen die Stimme zu leihen. Davon erfahren wir tatsächlich, allerdings erst ganz zum Ende seiner Aufzeichnungen, wenn wir der wilden Mischung aus Groteske, Lebenskrisen, Schicksalsschlägen, Aberwitz und Alltagswahnsinn, die sie uns fortwährend bieten, bereits längst verfallen sind. Da spätestens begreifen wir auch, was uns dieser große Kleinroman über das zeitgenössische Afrika erzählt: Wenn im Kongo eine Bar dichtmacht, verbrennt eine Bibliothek.

TOBIAS DÖRING

Alain Mabanckou: "Zerbrochenes Glas". Roman.

Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2013. 242 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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