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Ganz neue Häuser wollten sie beim Bauhaus, fehlte noch der Neue Mensch, der hinein sollte. Der wurde praktischerweise zu jener Zeit in Sowjetrussland hergestellt. Also machte sich zu Beginn der dreißiger Jahre ein Teil der begabtesten unter den jungen deutschen Architekten auf den Weg nach Osten, etwa der Frankfurter Städtebauer Ernst Mey oder der frisch geschasste Bauhausdirektor Hannes Meyer. Vorangegangen waren ihnen Stars wie Le Corbusier und Mendelssohn. Leider nur erklärte Stalin modernes Bauen bald zur kapitalistischen Verirrung - und so verschwanden die idealistischen Architekten in…mehr

Produktbeschreibung
Ganz neue Häuser wollten sie beim Bauhaus, fehlte noch der Neue Mensch, der hinein sollte. Der wurde praktischerweise zu jener Zeit in Sowjetrussland hergestellt. Also machte sich zu Beginn der dreißiger Jahre ein Teil der begabtesten unter den jungen deutschen Architekten auf den Weg nach Osten, etwa der Frankfurter Städtebauer Ernst Mey oder der frisch geschasste Bauhausdirektor Hannes Meyer. Vorangegangen waren ihnen Stars wie Le Corbusier und Mendelssohn. Leider nur erklärte Stalin modernes Bauen bald zur kapitalistischen Verirrung - und so verschwanden die idealistischen Architekten in Straflagern, wurden umstandslos erschossen oder kehrten, wenn sie Glück hatten, nach dem Krieg in ganz und gar verändertes deutsches Bauland zurück. Ein vergessenes Stück Architekturgeschichte, das Ursula Muscheler ans Licht befördert.
Autorenporträt
Ursula Muscheler, promovierte und praktizierende Architektin, lebt in Düsseldorf. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Architekturgeschichte, zuletzt "Möbel, Kunst und feine Nerven. Henry van de Velde und der Kultus der Schönheit 1895-1914" (2012) und "Gruppenbild mit Meister. Le Corbusier und seine Mitarbeiter" (2014), beide bei Berenberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2016

Wir kamen uns
ungemein heldenhaft
und revolutionär vor
Anfang der Dreißigerjahre reisten viele Protagonisten
des Neuen Bauens in die junge Sowjetunion,
auf die Großbaustellen des ersten Fünfjahresplans.
Was sie erlebten und erreichten, schildert Ursula Muscheler
in ihrem bewegenden Buch „Das rote Bauhaus“
VON CATRIN LORCH
Der Architekt wollte am liebsten mit dem Zeppelin nach Moskau entschweben. Denn in Deutschland war es ein öffentlich diskutiertes Ereignis, dass der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May 1930 seine gut dotierte Beamtenstelle aufgab, weil die Sowjetunion ihn und seinen Stab angeworben hatte, die neuen Industriestädte zu bauen. Die Presse feierte sie als „Russlandfahrer“, die deutsche Botschaft in Moskau unterstützte sie als Vorhut der deutschen Wirtschaft. Die Avantgarde reiste nicht ohne Grund. Das Neue Bauen war in Deutschland durchaus umstritten, wurde als „bolschewistisch“ geschmäht. Bedeutende Planer wie der Niederländer Mart Stam oder Margarethe Schütte-Lihotzky, die mit der Frankfurter Küche den Urtyp aller Einbauküchen entworfen hatte, fühlten sich geehrt und sagten „gefühlsmäßig mit fliegenden Fahnen“ zu, wie sich Schütte-Lihotzky später erinnerte.
  Wie ihre Kollegen vertraute sie den Revolutionsfilmen, der neuen Literatur, die im Malik-Verlag erschien, und der Propaganda der kommunistischen Auslandszeitungen. Auch die wenig begeisterten Berichte, etwa von Erich Mendelssohn, der Mitte der Zwanziger in Leningrad die „Verschandelung“ seiner Textilfabrik beklagte, schreckten nicht ab. Noch im Zug geisterte Mart Stam durch die Abteile, um die Kollegen zu verpflichten, Pläne und Entwürfe künftig nur noch als Kollektiv zu unterzeichnen. „Wir fanden das sehr schön und kamen uns ungemein heldenhaft und revolutionär vor.“
  „Ihre Hoffnung erfüllte sich nicht“, konstatiert Ursula Muscheler schon im Vorwort ihres Buches „Das rote Bauhaus“. Die Architekturgeschichte hat sich lange damit abgefunden, dass über das Wirken der Architekten des Neuen Bauens in der jungen Sowjetunion nicht viel bekannt ist – vor allem das Schaffen Ernst Mays und des Bauhausmeisters Hannes Meyer, der kurze Zeit später mit einer Gruppe von Absolventen in Moskau eintraf, die sich selbst den Namen „Bauhaus-Stoßbrigade Rot Front“ gaben. Was das Neue Bauen in der Ferne hinterließ – von einem Zeilenbau der Frankfurter Städtebauer in Sibirien existierte lange nicht mehr als ein verwaschenes Schwarzweißfoto –, war für Architekturhistoriker zu wenig. Doch Ursula Muscheler hat nicht Fotos und Grundrisse interpretiert, sondern sich mit Briefen, Tagebüchern, Erinnerungen beschäftigt. Viele der „Russlandfahrer“, so ihr Fazit, „endeten mitsamt ihrem Anhang als Opfer der Stalinschen Höllenmaschinerie im Massengrab oder im Archipel GULag.“
  „Das rote Bauhaus“, das sich liest wie ein geschickt montierter Briefroman, ist ein bewegendes Buch. Es erinnert daran, dass auch Europäer schnell zu Arbeitsmigranten, politisch Verfolgten, Heimatlosen werden können. Der für viel Geld abgeworbene Ernst May galt bei seinem Aufbruch eher als ein gefeierter Baumeister, der seinen Wirkungskreis erweiterte. Doch als seine Abreise bekannt wurde, bewarben sich mehr als 1000 Architekten bei ihm, um der Arbeitslosigkeit zu entfliehen.
  Wenige Tage, nachdem man die Frankfurter in einem Grandhotel untergebracht hatte – das eigens gebaute Wohnhaus war noch nicht fertig gestellt –, traf auch Hannes Meyer in Moskau ein. Er hatte seinen Umzug von der Prawda verkünden lassen: „Ich fahre in die UdSSR, um dort zu arbeiten, wo eine wirklich proletarische Kultur sich entwickelt. Ich bitte die russischen Genossen, mich und meine Gruppe nicht als seelenlose Spezialisten zu betrachten, die es auf irgendwelche besonderen Privilegien abgesehen haben.“ Die „Brigadisten“ Philipp Tolziner und Konrad Püschel hatten sich ganz in diesem Sinn vor der Abreise haltbare Arbeitsuniformen aus Manchesterstoff schneidern lassen. Während Meyer sich allerdings als Spezialist in Valuta bezahlen ließ, galten die Bauhaus-Absolventen nur als „qualifizierte Facharbeiter“, die sich enge Arbeitsräume mit sowjetischen Kollegen teilten. Dafür sprachen sie bald russisch, ließen sich auf Datschen und zum Skilaufen mitnehmen.
  Auch Ernst May, der an der Spitze von 800 Architekten und Ingenieuren für zwanzig Städte zuständig war, fühlte sich fest ins sowjetische Aufbauwerk integriert und schrieb aus Nowosibirsk: „Wir haben in Kusnetz in einer fieberhaften Arbeit ein sehr gutes Projekt für eine Stadt von 90 000 Einwohnern gemacht. In kurzem Kampfe setzten wir dasselbe durch, und am nächsten Tage wurde bereits mit der Verlegung der Gleise begonnen. In Tirgan ging die Sache ebenso fein.“
  Doch die Zeilenbauten Frankfurter Prägung erinnerten die Sowjets eher an Militärbaracken, während der Frankfurter Architekt Walter Schwagenscheidt aus Magnitogorsk entsetzt berichtete, dass die vierstöckigen Bauten keine inneren Trennwände hatten. Hunderte hausten in Bretterverschlägen hinter bunt gestrichenen Fassaden. „Das Ergebnis einer fast 2-jährigen Tätigkeit einer Gruppe von Architekten, von der man doch immerhin sagen kann, dass sie anderswo schon Beachtliches geleistet hatte, mit einem riesigen russischen Apparat, ist geradezu niederschmetternd.“
  Auch Bruno Taut, der in den Zwanzigern häufig als Berater oder für Vorträge nach Moskau geladen worden war, verzweifelte bei seinem Versuch, seine Ideen in Stein und Beton auszuführen, als er – in Deutschland so gut wie arbeitslos geworden – 1932 nach Moskau kam. Ein Entwurf für ein Hotel unterlag der Säulen-Architektur eines russischen Kollegen, seine Pläne für eine Wohnbebauung hatte er viermal umzuarbeiten, weil die schlichte Fassade nicht ankam. Hannes Meyer, so notierte Taut, sei „beunruhigend nervös“ und lebe „ganz russifiziert“. Und über May: „Hat er früher zu dick aufgetragen, so trägt er jetzt zu sehr ab.“ Taut reiste 1933 ab, nicht ahnend, dass er schon auf der schwarzen Liste der Nationalsozialisten stand.
  Nach der Machtergreifung Hitlers wurden Rückreisen schwieriger. Nur wenige konnten es sich leisten, „neu anzufangen“ wie Ernst May, der sich in Britisch-Ostafrika eine Kaffeeplantage kaufte. Der Druck, sich anzupassen stieg. Ausgerechnet Meyer erwärmte sich nun für historische Formen und schrieb in einem Magazin: „Wir Architekten machten aus der Abwesenheit von Bildern, Skulpturen, Säulen und Ornamenten einen Lehrsatz und kokettierten mit den leeren Wandflächen einer kunstlosen Architektur, die den Kapitalisten erwünscht war, weil sie die Baukosten herabminderte.“ Dass er als Architekt dennoch nicht reüssierte, war seine Rettung. Er reiste ab, als er die Unterhaltszahlungen an seine Kinder nicht mehr aufbringen konnte.
  Lang ist die Liste derer, die nicht so viel Glück hatten. Kurt Meyer, ehemaliger Kölner Stadtbaurat, wurde mit seiner Frau nach Sibirien deportiert, wo er kurz vor Kriegsende starb, seine Frau an die Gestapo ausgeliefert, der Sohn landete im Kinderheim. Philipp Tolziner erfror fast in einem sibirischen Lager.
  Während sich Walter Gropius und Mies van der Rohe in den USA etablierten, landete Hannes Meyer weitgehend unbeschäftigt in Mexiko. Schütte-Lihotzky und ihr Mann wurden in der Türkei als Architekten verpflichtet. Nach Kriegsende mussten die „Russlandfahrer“ feststellen, dass sie weder im Westen gefragt waren noch in Ostdeutschland, das sich bald auch ästhetisch der Dominanz der Sowjetunion beugte. Als Formalist angeprangert, gab Mart Stam 1953 seinen Hochschulposten in der DDR auf und kehrte zurück in die Niederlande. Philipp Tolziner blieb in der Sowjetunion und setzte nach dem Krieg als Leiter der Restaurierungswerkstatt für Baudenkmäler in Perm erste Denkmalschutzprojekte durch. Er starb 1996 in Moskau, wo er noch lange nach seiner Pensionierung – erfolglos – Vorschläge zur Lösung der Parkplatznot einreichte.
Viele der „Russlandfahrer“
endeten „als Opfer der
Stalinschen Höllenmaschinerie“
Knapp zwei Jahre Arbeit
talentierter Architekten –
das Ergebnis: niederschmetternd
  
  
  
  
Ursula Muscheler: Das rote Bauhaus. Eine
Geschichte von Hoffnung und Scheitern. Berenberg Verlag, Berlin 2016. 168 Seiten, 22 Euro.
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