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Produktdetails
  • Verlag: Hanani Verlag
  • Seitenzahl: 136
  • Erscheinungstermin: 7. Februar 2013
  • Deutsch
  • Abmessung: 190mm x 129mm x 12mm
  • Gewicht: 177g
  • ISBN-13: 9783944174006
  • ISBN-10: 3944174003
  • Artikelnr.: 36869583
Autorenporträt
Die Künstlerin Barbara Wrede aus Berlin gründete den Köterklub. In ihrem Neuköllner Atelier porträtiert, fotografiert und zeichnet sie Hunde und betreibt meditative, bis zu einem Quadratmeter große Fellstudien. Mit Buntstift.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2013

Zucker in Weinbrandsahne

Von wegen Freiheit: Die Künstlerin und Autorin Barbara Wrede bezweifelt in ihrem Erzählband "Musik für Barbiepuppen" die Verheißungen des Künstlerdaseins.

Wer das liest, ist d ..." Kennen Sie solche albernen Spielchen noch? In diesem Fall muss das selbstverständlich heißen: "Wer das liest, ist denk- oder literaturaffin." Oder so. Aber was lieben wir da eigentlich an Literatur? Letztlich doch die fertigen Romane, Dramen, Gedichte. Was wir dagegen häufig aus den Augen verlieren, sind die Lebens- und Arbeitsbedingungen, aus denen Literatur entsteht. In jüngster Zeit allerdings kommen vermehrt Bücher auf, die von den literarischen Produktionsbedingungen erzählen. Peter Lichts Dachkammerfarce "Die Geschichte meiner Einschätzung zu Beginn des 3. Jahrtausends" ist so Beispiel. Oder in mitteschnittiger Berlinvariante Rafael Horzons "Das weiße Buch". Auch Barbara Wredes Erzählungsband mit dem trügerischen Titel "Musik für Barbiepuppen" gesellt sich dazu. Die Berliner Künstlerin, Illustratorin und Autorin hat schon 2007 eine Erzählung veröffentlicht, die sich als Gründungsmanifest lesen lässt.

Dort schildert sie eine Schulung, mit deren Hilfe sie sich als Ich-AG selbständig machen will. Die Künstlerin bekennt sich, Teil der kapitalistischen Gesellschaft zu sein, selbstoptimiert, wettbewerbs- und marktorientiert zu agieren. Eine Netzwerkerin, mit immer neuen Projekten und Kontakten. Warum dann noch Kunst? Erst nach einigem Zögern folgt am Ende der titelgebende Entschluss: "Affenbarbier kann ich immer noch werden." So humorvoll das klingt, die Diskrepanz ist frappierend: Bahnten sich die inzwischen Grauen Punker im West-Berlin der achtziger Jahre noch im Leistungsboykott-Dunst den Weg zu ihrem Schreibtisch, reüssiert der Künstler inzwischen als Unternehmer.

Barbara Wrede hat sich ihr Sensorium für die gegenwärtigen Produktionsbedingungen bewahrt. In ihrem Erzählungsband kommen regelmäßig Zweifel auf, ob sich die Sicherheits-, Freiheits-, Individualitätsversprechen des Künstlerdaseins noch einlösen. Der Sinn ihres Handelns rinnt der Erzählerin durch die Finger. Etwa wenn in "Champagner in Plastikbechern" der Verkauf ihrer Kunst statt Freude Ambivalenz erzeugt: "Durch die geöffnete Hoftür schien der Mond. Anstatt mich über den Verkauf meiner Kunstwerke zu freuen, setzte Lähmung ein. Nie wieder würde ich einen Stift anfassen können. Was sollte nun werden? Sollte ich den Deal nicht lieber rückgängig machen? Was, wenn die Auswahl zu Hause nicht mehr gefiel?"

Solche Reflexionen bestimmen den Grundton der Geschichten. Allerdings gehen die Erzählungen darin nicht auf. Denn zugleich inszenieren sie wie Dramolette Beziehungen und Begegnungen. Noch während die Erzählerin ihre Gedanken sortiert, steht plötzlich eine Besucherin in der Galerie. Die Skepsis gegenüber dem eigenen Tun überträgt sich in Distanz und Vorsicht gegenüber dem anderen. Beispielhaft hierfür verläuft die Begegnung mit dem schwerhörigen Herrn E. in der großartigen Erzählung "Tiere im Fell": "Um sich Gehör zu verschaffen, musste man dicht an sein rechtes Ohr heran. Er hielt dann seine Handfläche dahinter, so als wollte er verhindern, dass die Worte unbenutzt hinter seinem Kopf verschwanden. Der Preis, die Distanz zugunsten der Verständigung aufzugeben, war mir zu hoch." Das trifft das Verhältnis der Erzählerin zur Welt und beschreibt zugleich den Charakter ihrer Zeichnungen sowie ihrer Sprache: Allürenfrei, etwas spröde, widerständig, deshalb aber umso eindringlicher erzählt und zeichnet Barbara Wrede. Gepaart sind die Eigenschaften mit feinfühliger Beobachtungsgabe und Intensitätssehnsucht. "Musik für Barbiepuppen" läuft höchstens mal im Abspann einer Fernsehserie. Stattdessen hört die Erzählerin den Gefühlsdämon Damien Rice.

Gedämpfter klingt eine andere Musik mit: das Niedersachsenlied. Irgendwie wird man das Erdverbundene, das dort besungen wird, während der Lektüre nicht los. Das liegt daran, dass die Autorin oft in das Dorf ihrer Kindheit zurückkehrt. Klar, auch der Kiez ist ein Dorf. Aber dort trifft man eben auf die Frau aus dem Vorderhaus und nicht auf die munter Baileys schlürfende fünfundachtzigjährige Tante Hilda, aus deren Mund doppeldeutige Beziehungsratschläge wie "Lass ihn zischen, nimm 'nen Frischen" absolut einleuchtend klingen. Am Ende weiß man nicht, von welcher Welt man gerne mehr hören würde. "Zucker in Weinbrandsahne" sagt es eigentlich schon. Das Landleben bedeutet keineswegs Idylle. Das Prekäre ist dort längst zu Hause. Wenn das Ehepaar Köllner sich mit Gelegenheitsarbeiten und der Organisation von Bestattungen über Wasser hält, weist ihr Broterwerb Parallelen zur künstlerischen Projektarbeit auf. Erinnern Sie sich noch? "Wer das liest, ist d ..." Wir, die Leser, haben unausweichlich auch am Produktionsprozess teil. Nicht nur denen, die lesen wollen, wie feinsinnig sich von dessen Paradoxien erzählen lässt, seien Barbara Wredes Erzählungen empfohlen.

CHRISTIAN METZ

Barbara Wrede: "Musik für Barbiepuppen". Geschichten und Zeichnungen. Hanani Verlag, Berlin 2012, 136 S., br., 13,40 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die Produktionsbedingungen von Kunst und Literatur? Wer will das lesen? Christian Metz schon, solange es nur von Barbara Wrede stammt. Der Autorin attestiert Metz ein Sensorium für die Paradoxien der Produktion und der damit einhergehenden Gedanken. Geht die Freiheit-und-Individualität-gegen-Sicherheit-Rechnung noch auf? Davon handeln die Texte in diesem Band, erklärt Metz. Allerdings nicht nur, denn darüber hinaus stößt Metz auf dramolettartige Inszenierungen von Beziehungen und Begegnungen. Sprachlich widerständig und eindringlich, meint er.

© Perlentaucher Medien GmbH