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Die Tradition kulturkritischen Denkens hat einigen Scharfsinn darauf verwendet, Risiken der Industrialisierung kultureller Formen zu beschreiben. Vergleichsweise selten fiel der Blick auf die produktiven Leistungen der "Massenkultur". Damit meine ich nicht nur Unterhaltung oder die Pazifizierung politischer Ansprüche, sondern die Erzeugung von Wahrnehmungs- und Kommunikationsmustern, die es erlauben, eine so hochgetriebene Kontingenz auszuhalten, wie die moderne Gesellschaft sie hervorbringt. Künste, Wissenschaften und Philosophie stellen Formexperimente auf Dauer, die für eine Permanenz der…mehr

Produktbeschreibung
Die Tradition kulturkritischen Denkens hat einigen Scharfsinn darauf verwendet, Risiken der Industrialisierung kultureller Formen zu beschreiben. Vergleichsweise selten fiel der Blick auf die produktiven Leistungen der "Massenkultur". Damit meine ich nicht nur Unterhaltung oder die Pazifizierung politischer Ansprüche, sondern die Erzeugung von Wahrnehmungs- und Kommunikationsmustern, die es erlauben, eine so hochgetriebene Kontingenz auszuhalten, wie die moderne Gesellschaft sie hervorbringt. Künste, Wissenschaften und Philosophie stellen Formexperimente auf Dauer, die für eine Permanenz der Differenzierung kultureller Sinnformen sorgen. Ihre Resultate geben gewöhnlich die Beurteilungsfolie für die "Massenkultur" ab. Aber wären diese Leistungen der "Hochkultur" gesellschaftlich möglich, gäbe es nicht komplementäre Sinnformen, die mit einem hohen Maß an Typisierung für ausreichende kommunikative Anschlussfähigkeiten und Wahrnehmungsroutinen sorgen? Was ist gefährlich an Typisierung? Worin besteht sie? Wenn in diesem Buch von "Massenkultur" die Rede ist, so meint der Ausdruck nicht eine schlechtere Variante der "Hochkultur".
Gefragt wird vielmehr nach Typisierungsleistungen der Kommunikation und der Wahrnehmung. Recht betrachtet, ermöglichen Typisierungen von Sinn gerade die Ausbildung von Individualität, deren Untergang Kritiker der Typisierung beklagen. Mit Hilfe massenhaft bekannter und anschlussfähiger Symbolformen kann Individualität überhaupt erst bemerkt, begehrt, kultiviert, mit Emotionen, Motiven, Kognitionen und Verhaltensweisen bekleidet und in diversen Arenen gesellschaftlicher Kommunikation vorgeführt und genossen werden.
Typisierungen lassen sich an vielen Beispielen beobachten. Ich habe mich für das Kino entschieden, weil Filme sich im 20. Jahrhundert zu der wohl bedeutendsten Form entwickelten, mit der die Gegenwartskultur sich einem Massenpublikum darstellt und zu einem reflektierten Umgang mit ihren eigenen Möglichkeiten anregt. Fastjeder ist von Filmen fasziniert. Sie berühren existentielle Fragen, die in vergleichbarer Konkretheit und ohne tadelnde Haltung von der Religion kaum noch beantwortet werden. Thema dieses Buches ist also eine Theorie der Massenkultur. Exemplarisch entfaltet wird sie am Beispiel des Kinos. Diagrammatisch ist die Methode der Darstellung. Mein Ziel ist es, Darstellung als eine Praxis vorzuführen. Entwickelt an Darstellungen des Kinos, beschreibt sie die Praxis der Philosophie, mithin ein philosophisches Konzept von Theorie. Plausibilität gewinnen Darstellungen in der Durchführung am Material.
Autorenporträt
Dirk Rustemeyer, geb. 1959, ist seit 1998 Professor für Philosophie an der Universität Witten/Herdecke. Seit 2001 Lehrstuhl für Pädagogik an der Universität Trier. Bei Velbrück Wissenschaft hat er veröffentlicht: Diagramme. Dissonante Resonanzen: Kunstsemiotik als Kulturtheorie (2009).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.07.2013

Ein wenig
teuflisch
Dirk Rustemeyer feiert die
„Integrationsleistung“ des Kinos
Filme gehören nicht zum originären Geschäft der Philosophie. Die bewegten Bilder, mit denen sie es Jahrtausende lang zu tun hatte, fanden sich nicht im Kino, sondern am Sternenhimmel – und wurden mit der Aufklärung nicht mehr Metaphysikern, sondern Physikern überlassen. Als sich vor gut einem Jahrhundert jedoch in den Lichtspielhäusern Leinwände mit bewegten Bildern zu füllen begannen, erhielt auch die Philosophie wieder Interpretationsrechte: Was können sie bedeuten?
  Für Dirk Rustemeyer, Philosophie-Ordinarius an der Universität Witten/Herdecke, verheißen sie die „massenkulturell wichtigste Erfindung des 20. Jahrhunderts“. In der „staunenswerten Stabilität“, mit der moderne Gesellschaften trotz ihrer hochgradigen Differenzierung gesegnet seien, erkennt Rustemeyer eine Integrationsleistung, die seiner Ansicht nach nirgends so vorzüglich vollzogen werde wie im bilderbewegten Kino. Musik, Theater, Literatur? Im Vergleich mit den formalen Möglichkeiten und realen Reichweiten des Films inzwischen alles massenkulturelle Kleinkaliber.
  In acht Kapiteln versucht Rustemeyer in seinem Buch „Darstellung“ dieses Primat des Kinos beispielreich zu erörtern. Für seine Auswahl dient ihm leitmotivisch ein Zitat von Jean-Luc Godard: „Ein Bild ist nicht stark, weil es brutal oder phantasievoll ist, sondern weil die verknüpften Ideen weit auseinanderliegen.“ Rustemeyer kommentiert also dezidiert Blockbuster, in denen metaphysische, religiöse und politische Motive cineastisch neu verwoben und so einem breiten globalen Publikum anschaulich gemacht werden.
  Wie wir heute mit „Batman“ über Gut und Böse, mit „Apocalypse Now“ über Wirklichkeit und Mythos oder mit „Dirty Harry“ über Macht und Souveränität aufgeklärt werden, zeigt Rustemeyer anhand bis ins kleinste Detail vordringender Szeneanalysen. Wie diese Kassenschlager „analytische Kraft mit Ansprüchen an Unterhaltung“ vereinen, imponiert dem Autor, der besonders Clint Eastwood immer wieder als Meister der „starken Bilder“ vorführt. Eastwoods „Gran Torino“ ist gar ein ganzes Kapitel gewidmet, das sich vor allem mit der Persönlichkeit des Protagonisten, des „ewigen Amerikaners“ Walt Kowalski befasst.
  Die Auswahl der Filme folgt weder chronologischen noch repräsentativen Kriterien. Sie ist einigermaßen willkürlich, insofern der Autor Werke wählt, anhand derer er etwas zu zeigen vermag – etwa 150 Filme werden insgesamt besprochen. Dennoch hat dieses Buch nichts mit einem klassischen Nachschlagewerk gemein; ebenso wenig mit einer ökonomischen, technischen oder soziologischen Rekonstruktion filmischen Schaffens. Rustemeyer entwickelt vielmehr entlang der Filmbetrachtungen eine Philosophie, bei der sich „das epistemische Ideal des Bestimmens durch Begriffe zur Praxis einer Darstellung durch Beispiele“ verschiebt. Unter diesem Fokus scheint es ihm dann auch gerechtfertigt, vom Kino als einem „philosophischem Ort“ zu sprechen, an dem wir etwas „über die Wirklichkeit des Möglichen“ erfahren.
  Nicht immer sind Rustemeyers theoretische Exkurse mit den filmischen Beispielen sinnvoll abgestimmt; Letztere verlieren an Präsenz, wenn die sie umgebenden Reflexionen an Redundanz zunehmen. Doch dieser Mangel wirkt weniger schwer als die Leistung, die der Autor vollbringt: dass er nämlich ein entspanntes Verhältnis zur Massenkultur entwickelt und damit Einspruch gegen eine allzu aufgeregte Kulturkritik erhebt. Massenkultur sei, so beschließt Rustemeyer seine Darstellung, „vielleicht ein wenig teuflisch, gefährlich bestimmt nicht“. Besser lassen sich die 700 Seiten nicht zusammenfassen.
PHILIP KOVCE
Das Kino als philosophischer Ort,
hier erfahren wir etwas über
die „Wirklichkeit des Möglichen“
  
  
  
  
  
Dirk Rustemeyer:
Darstellung. Philosophie
des Kinos. Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2013. 643 Seiten, 68 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Hans J. Wulff schätzt Dirk Rustemeyers Buch "Darstellung" als "Entwurf einer Philosophie des Kinos". Dabei geht es dem Kulturphilosophen und Bildungstheoretiker seines Erachtens nicht nur um eine "semiotisch inspirierte" Filmtheorie, sondern auch um die Praxis einer Interpretation, die auch tiefere Sinnstrukturen des populären Kinos einbezieht. Wullf lobt in diesem Zusammenhang Rustemeyers Augenmerk auf einer Sensiblisierung für die im Kino angesprochenen Tiefenthemen. Das Buch erscheint ihm insofern auch als kluger Beitrag zur Förderung von Medienkompetenz, deren Ziel nicht der Konsum, sondern die Reflexion und Nutzung des Kinos als Instrument des Denkens ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2014

Glotzt nicht so romantisch, denkt lieber nach
Ein Beitrag zum Stichwort "Medienkompetenz": Dirk Rustemeyers Entwurf einer Philosophie des Kinos sieht für den Zuschauer die Rolle des Philosophen vor

Das Kino breitet, ähnlich dem Theater, nicht nur Sensationen für das Auge, Belustigendes und Kitschiges ebenso wie Skandalöses und Widerwärtiges vor dem Auge des Zuschauers aus. Es ist auch eine kulturelle Agentur, in der es um Werte geht, um politische Ideen, Rechtsgrundsätze und dergleichen mehr. Das ist kein neuer Gedanke. Trotzdem wird das Kino bis heute gern als Erscheinungsform einer rein kommerziell orientierten Massenkultur diffamiert, die das Publikum nur unterhält, es dabei einlullt und verführt, es mit falschem Bewusstsein unterfüttert und vielleicht Instrument von Mächten ist, die sich des Kinos bedienen, um die Massen gefügig zu machen und sie auf manchmal fatale ideologische oder politische Programme einzuschwören.

Dirk Rustemeyers Buch handelt nicht vom Kunstkino, sondern gerade von den populären Formen, von jenen Filmen, die der Massenkultur zugerechnet werden. Rustemeyer ist Kulturphilosoph und Bildungstheoretiker, und es geht ihm darum, nach den Leistungen des populären Kinos zu fragen. Für ihn ist es eine symbolische Form, eine Zwischenform von Laboratorium und Versuchsanstalt. Es ist zugleich eine Insel der Erkenntnis, ein mit Bedeutungen aufgeladener Möglichkeitsraum, in dem Gewusstes und Geglaubtes mit der imaginären Realität der Erzählung zusammenstoßen können. Es ist keine moralische Anstalt, auch diese Assoziation möchte sich einschleichen, kein Ort also, an dem der Zuschauer zum besseren oder sogar guten Menschen wird (auch wenn sich in manchen der zahllosen Beispiele, die Rustemeyer durchkonjugiert, die Frage nach einer inneren "Moral von der Filmgeschicht'" durchaus stellt). Sondern ein Ort, der in der Welt und außerhalb ihrer gleichzeitig ist und der dank der Konkretheit der Erzählung und der Anschaulichkeit ihrer Erscheinung als sinnliches Ereignis eine "Erfahrung innerweltlicher Transzendenz" erlaubt, wie es gleich eingangs des Buches heißt.

Seit der Aufklärung kursiert die These, dass die Bühne eine Plattform der Auseinandersetzung um ethische und moralische, politische und religiöse, existentielle und philosophische Fragen und Glaubensannahmen ist. In Theater und Kino wird aus Werten Erzählung. Rustemeyer fädelt seinen Entwurf in diese Tradition ein, zeigt an zahlreichen detaillierten Lektüren einzelner Filme, wie man die Grundannahme am Material entfalten kann. Vielleicht greifen Filme zurück auf Reales wie beispielsweise den Vietnam-Krieg - "Apocalypse Now" wird von Rustemeyer wie ein Kronzeuge seiner These bis in die Details der Inszenierung vorgestellt. Aber sie rekonstruieren nicht nur, sondern stellen das Dargestellte als Modell vor. Jeder Film ist Ausdruck einer reflexiven Praxis, soll das heißen, Station und Medium eines umfassenden semiotischen Prozesses, den man wiederum "Kultur" nennen kann.

Es geht Rustemeyer aber nicht nur um die Grundlegung einer semiotisch inspirierten Filmtheorie, sondern auch um den Gewinn für die Praxis der Interpretation, um die Durchforstung jenes Urwalds von Motiven, Erzählmustern, Dingsymboliken, religiösen, historischen und archaischen Mythen, Gleichnissen, Rechtsgrundsätzen, der zum Verständnis jedes einzelnen Films aktualisiert werden muss. Er greift auf eine Sammlung von mehr als hundert Filmen zurück, um zu zeigen, wie im Kino nicht nur "Optionen und Reflexionsfiguren des gesellschaftlichen Lebens" gezeigt werden, sondern dass das Kino ein Ort praktizierter, nichtakademischer Philosophie ist und Probleme der Metaphysik, der Religionsphilosophie und der politischen Philosophie in der handfesten, sinnlich anschaulichen Form der Erzählung für den Zuschauer erschließt, unterhalb der philosophischen Begriffsarbeit.

Der Zuschauer wird in dieser Sichtweise zum Philosophen, der das, was er sieht, mit dem, was er sonst darüber denkt, abzugleichen hat. Als reine Fiktion, in der die soziale Welt versinkt und das Staunen und das Schauen ganz in den Vordergrund treten, als rein ästhetische Genussform; oder als Einladung, im Spiegel des Films Eigenes zu bedenken, als sei der Film ein Labor zur Erprobung der Belastbarkeit der Realitätseinstellung des Zuschauers.

Rustemeyers Deutung legt insofern nahe, heranwachsende Zuschauer für die Tiefenthemen zu sensibilisieren, die im Kino allenthalben angesprochen werden. Insofern ist seine Darstellung ein Beitrag zum Stichwort "Medienkompetenz", mit welcher der Zuschauer als reflektierender und distanzgewisser Bürger dem Apparat des Kinos nicht ausgeliefert ist, sondern ihn als Instrument des Denkens zu benutzen lernt.

HANS J. WULFF

Dirk Rustemeyer: "Darstellung". Philosophie des Kinos.

Velbrück Verlag, Weilerswist-Metternich 2013. 643 S., geb., 68,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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