Marktplatzangebote
12 Angebote ab € 1,81 €
  • Gebundenes Buch

"Der Lippenstift meiner Mutter" katapultiert uns mitten hinein in das Herz von Masuren, in die kleine Stadt Dolina Róz und zu ihren Bewohnern: die rosenkranzbetenden Großmütterchen und die verruchte Dorfschönheit, der ehemalige Wehrmachtssoldat und die prügelnden Väter, eine stalinistische Dichterin, der warmherzige Schuster Lupicki und natürlich die rebellierende Jugend, die verbotene Platten hört und Pläne für eine Revolution ausbrütet. Das beschauliche Dolina Róz steht aber schlagartig Kopf, als unvermittelt Barteks Großvater, ein melancholischer und geheimnisumwitterter Eisenbahner, von…mehr

Produktbeschreibung
"Der Lippenstift meiner Mutter" katapultiert uns mitten hinein in das Herz von Masuren, in die kleine Stadt Dolina Róz und zu ihren Bewohnern: die rosenkranzbetenden Großmütterchen und die verruchte Dorfschönheit, der ehemalige Wehrmachtssoldat und die prügelnden Väter, eine stalinistische Dichterin, der warmherzige Schuster Lupicki und natürlich die rebellierende Jugend, die verbotene Platten hört und Pläne für eine Revolution ausbrütet.
Das beschauliche Dolina Róz steht aber schlagartig Kopf, als unvermittelt Barteks Großvater, ein melancholischer und geheimnisumwitterter Eisenbahner, von
allen bloß "Franzose" genannt, aus dem Ausland zurückkehrt. In dem sich rasch
entspinnenden Chaos muss der junge Bartek seinen Platz finden. Keine leichte Aufgabe, schließlich hat Bartek vor allem Augen für seine unsichtbare Geliebte Meryl Streep sowie den Lippenstift seiner Mutter.
Mit Bartek hat Artur Becker eine wunderbare Romanfigur erschaffen: Ein polnischer Holden Caulfield, ein - wie sein amerikanisches Pendant - nicht besonders guter Schüler, ein Eigenbrötler, Träumer und Rebell, ein junger Kerl in der bizarren Welt der "Großen", einer der abhauen will, um dem Spießertum zu entkommen und um endlich sein Mädchen zu finden.
Autorenporträt
Becker, Artur
Artur Becker, geboren 1968 als Sohn polnisch-deutscher Eltern in Bartoszyce (Masuren), lebt seit 1985 in Deutschland, heute in Verden an der Aller. Er ist Romancier, Lyriker und Essayist. Nach "Die Zeit der Stinte" (dtv 2006) und "Das Herz von Chopin" (Hoffmann und Campe 2006) veröffentlichte er 2008 "Wodka und Messer. Lied vom Ertrinken" bei weissbooks.w. Im März 2009 erhielt Becker den Adelbert-von-Chamisso-Preis, im November 2012 folgte der DIALOG-Preis der Deutsch-Polnischen Gesellschaft Bundesverband e.V._
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.10.2010

Cowboys in der polnischen Provinz
Die postume Lustigkeit Osteuropas in der Ära des Kalten Krieges: Artur Beckers neuer Roman „Der Lippenstift meiner Mutter“
Es dürfte im alten Europa des Kalten Krieges kaum einen anderen Ort gegeben haben, der so verschlafen war wie Dolina Róz in den polnischen Masuren. Dort herrscht Kriegsrecht, in den Läden gibt es noch weniger zu kaufen als sowieso schon immer, und um zu ihren Abwechslungen zu kommen, müssen sich die Bewohner schon selbst was einfallenlassen. So zum Beispiel kann aus dem ganz normalen Gang eines Manns (und die Männer müssen hier viel gehen, denn ein Auto hat kaum einer, und auf den öffentlichen Nahverkehr ist kein Verlass) dank eines Tricks das klackernde Stolzieren eines Cowboys werden, wenn er sich nur von dem alten Schuster Lupicki ein dünnes Absatzeisen unter die Sohle nageln lässt.
„Keiner der Männer und heranwachsenden Jungen mochte auf das metallische Klappern auf den Bürgersteigen und Straßen – den hörbaren Beweis für die Männlichkeit oder Gerissenheit eines Kerls – verzichten. Ja selbst die Pfarrer, die Milizionäre und Barteks Lehrer griffen zu diesem altbewährten Köder, der alte Weiber, widerspenstige Töchter und begehrenswerte Schülerinnen vom Gymnasium oder von der Nähschule davon überzeugen sollte, dass sie es nicht mit irgendwelchen dahergelaufenen Hunden zu tun hätten, sondern vielmehr mit echten Helden, die zu jedem Schritt bereit seien – buchstäblich.“
Bartek, der fünfzehnjährige Protagonist dieser Geschichte, gibt sich große Mühe gibt, schon in dieser Macho-Liga mitzuspielen. Zuhause führen Oma Olcia, seine Mutter und deren beide Schwestern das Regiment, bildschöne schwarzhaarige Hexen, die ihren tranigen blonden Ehemännern auf der Nase herumtanzen, nicht zuletzt Barteks Vater, der sich in seiner Trunksucht kaum als männliches Leitbild eignet. Den titelgebenden Lippenstift der Mutter begreift Bartek als phallisches Szepter, an dessen Macht er teilzuhaben strebt, indem er sich heimlich nackt damit bemalt und zu den pseudo-neuguineanischen Klängen von „Ummagumma“ wilde Tänze aufführt. Überhaupt sind die Männer, die so angeberisch mit den Absätzen lärmen, in Wirklichkeit ein ziemlich erbärmlicher Haufen. Auszunehmen wäre hier einzig Barteks unvermutet heimkehrender Opa Franzose.
Seine Ankunft bedeutet d a s Ereignis von Dolina Róz; auf diesen Weiberhelden und Herumtreiber haben insgeheim alle gewartet. Dem Friseur Tschossnek gewinnt er beim Schach dessen Frau ab und zögert nicht, von diesem kombinierten Glück im Spiel wie in der Liebe sogleich Gebrauch zu machen.
Bartek ehrt das Himmelsgeschenk eines solchen Opas. Aber seine meiste Zeit verbringt er nach wie vor in der düsteren Werkstatt des Schusters Lupicki, weshalb er allgemein auch bloß „Schusterkind“ heißt. In dieser Werkstatt hat auch Barteks anderer Opa sein Auskommen, Monte Cassino, der so genannt wird, weil er als deutscher Soldat an dieser Front beide Beine verlor. Grummelt er, heißt es: Schweig, du nichtsnutziger Soldat einer untergegangenen Armee! Denn für jene Deutschen, die bei der Vertreibung 1945 doch irgendwie im Lande bleiben, gibt es wenig Sympathien, so gern man auch sonst die Care-Pakete mit Bohnenkaffee aus der BRD entgegennimmt.
So ließe es sich immer weiter erzählen aus der verschollenen Welt der polnischen Achtziger, als Partei und Kirche, scheinbar Erzfeinde, sich doch ziemlich einvernehmlich in die nationale Herrschaft geteilt hatten. Die Zeit schien still zu stehen; auch und gerade für das pubertierende Jungvolk, zu dessen Qual. Immer schien es hier Winter zu sein und alle Geschichte vergessen. Staunend hört Bartek, dass Dolina Róz einst Rosenthal hieß.
Es ist ein sehr lebendiges Panorama, das der schon jung übersiedelte polnisch-deutsche Autor Artur Becker entwirft; und er versteht es, gerade aus der Tristesse die buntesten Farben zu destillieren. Anders als vor zwei Jahren in seinem Roman „Wodka und Messer“ überbaut er diesmal die Wendung zurück ins Land seiner Jugend nicht mit einem angestrengt konstruierten Plot, sondern erzählt die Dinge in ihrem schlichten linearen Verlauf. Damit liegt Becker ganz im Trend der gegenwärtigen deutschen Literatur. Es wird überall viel besser erinnert als erfunden; und am besten dort, wo der Blick zurück in den europäischen Osten schweift. Aus dieser Himmelsrichtung erneuert und erfrischt sich derzeit der in die Jahre gekommene deutsche Roman. So liest man bei Becker viel Malerisches und weniges, das eigentlich überrascht.
Zum Schluss bleibt, bei allem Vergnügen der Lektüre, ein leiser Zweifel: Ob es wirklich in Ordnung ist, wenn einer das viele Traurige, das zu dieser Gegend, diesem Leben, dieser Zeit doch auch gehört haben muss, so gänzlich bloß als Fundus einer gewissermaßen postumen Lustigkeit benutzt.
BURKHARD MÜLLER
ARTUR BECKER: Der Lippenstift meiner Mutter. Roman. Weissbooks, Frankfurt am Main 2010. 314 S., 19, 80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2011

Ohne Spitznamen lebt es sich nicht gut
Geschichte als Kuriositätenkabinett: Artur Beckers Roman

Schule, Familie, Freunde - für Fünfzehnjährige bietet die Welt viele Probleme, und vieles davon sind vorhersehbar. Bartek, Artur Beckers fünfzehnjähriger Held, lebt im sozialistischen Masuren, im Jahr drei des polnischen Kriegsrechts. Und der Reiz von "Der Lippenstift meiner Mutter" liegt nicht in dem Berechenbaren, von dem freilich auch recht viel geboten wird. Bartek durchlebt all die bekannten Höhen und Tiefen jugendlicher Sinnsuche. Das heimliche Rauchen und Trinken gehört ebenso dazu wie der kritische Blick auf die eigene Familie, die unbeholfene Suche nach sexuellen Erfahrungen und die Zuflucht zu einer Geliebten, die nur in der Phantasie existiert. Für Bartek ist das Meryl Streep, in die er sich im Kino verliebt hat und an die er lange Monologe richtet. Das alles mag sich im masurischen Winter ähnlich abspielen wie anderswo auf der Welt, und allein für die Schilderung solcher jugendlichen Verwirrungen lohnte sich die Lektüre kaum.

Doch Becker hat seinen Roman mit allerhand skurrilen Gestalten bevölkert, die zum Verwandten- und Freundeskreis seines jugendlichen Helden gehören. So entsteht ein schillerndes Panoptikum kleinstädtischer Lebenswelt. Am unauffälligsten erscheint in dem bunten Treiben noch Barteks kleiner Bruder, wegen seines häufigen Fiebers nur "Quecksilber" genannt, dem die fürsorgliche Liebe der Älteren gilt. Spitznamen charakterisieren auch die anderen Familienmitglieder, zumal Barteks Großväter. Der eine musste in Hitlers Armee kämpfen und verlor in Italien beide Beine, seitdem trägt er den Namen "Monte Cassino" und fährt in seinem Rollstuhl durchs Städtchen. Der andere Großvater ist ein echter Filou, wird wegen seiner Weltläufigkeit nur "Franzose" genannt und gehört zu jenen "osteuropäischen Cowboys", denen es nach dem Krieg in ihrer ukrainischen Heimat zu eng wurde und die ins neue Polen, nach Masuren zogen: "Er war nach Ostpreußen eher wie ein Abenteurer gekommen, der noch im 18. Jahrhundert lebte, irgendwo in den Canyons des Wilden Westens oder in den Wäldern Alaskas." Nur dass in der modernen katholisch-kommunistischen Welt dann doch andere Gesetze als unter Goldgräbern gelten. Zum Beispiel hat Opa Franzose einst dem Friseur des Ortes beim Schachspiel eine Liebesnacht mit dessen Frau abgeluchst, was seinen zweifelhaften Ruf weiter verstärkt. Jetzt kehrt er nach langen Jahren zurück ins kleine Dolina Róz, das früher einmal Rosental hieß, und muss seiner Frau, der frommen Olcia, beichten, dass in Danzig eine Tochter von ihm aufwächst, von der seine Familie bislang nichts wusste.

Kein Wunder, dass sich Bartek angesichts solcher familiärer Verwirrungen immer wieder in die Schusterwerkstatt des freundlichen Herrn Lupicki flüchtet und dort den Erzählungen der Schuhmacher lauscht, während er heimlich auf ein Stelldichein mit der attraktiven Tochter des Hauses hofft und ihren debilen Bruder, den verkrüppelten Norbert, mit freundschaftlicher Zuneigung bedenkt. Schließlich wird Bartek, der sich unter vielen kaputten Schuhen mehr zu Hause fühlt als im elterlichen Plattenbau, selbst überall nur das "Schusterkind" genannt.

Angesichts der zahlreichen familiären und erotischen Verwicklungen gerät der Roman streckenweise zur Freakshow, bei der man leicht den Überblick über die vielfältigen Beziehungen verlieren kann. Denn zu Barteks Lebenswelt gehören noch viele weitere bizarre Gestalten: die alte Physiklehrerin Natalja etwa, die einst Oden auf Stalin schrieb, ausschließlich Rot trägt und nun ihre Wohnung durch unzählige Zimmerpflanzen in ein Gewächshaus verwandelt; der ehemalige Mörder Baruch, der nach Verbüßung seiner Strafe im Städtchen lebt und Bartek nach dem Willen seines Vaters von seinen angeblich gefährlichen sexuellen Phantasien heilen soll, oder seine deutsche Oma Hilde, die in Ostpreußen aufgewachsen ist und bis heute kein fehlerfreies Wort auf Polnisch schreiben kann.

Artur Becker, der selbst 1968 in Masuren geboren wurde, als Siebzehnjähriger nach Deutschland kam, seit langem in Niedersachsen lebt und 2009 mit dem Adelbert von Chamisso-Preis ausgezeichnet wurde, hat schon oft über die polnisch-deutsche Nachbarschaft geschrieben. Zuletzt erzählte er in "Wodka und Messer" (2008) von der Rückkehr eines polnischen Aussiedlers in seine masurische Heimat. Diesmal hat Becker ganz offenkundig auf eigene Erlebnisse zurückgegriffen, ohne freilich einen autobiographischen Roman zu schreiben. Immerhin teilt sein junger Held Bartek den Geburtsjahrgang mit seinem Autor und stammt aus derselben Region. Für Bartek ist die deutsche Vergangenheit seiner Heimat allgegegenwärtig, und oft genug wundert er sich darüber, dass viele der jetzigen Bewohner des Städtchens in Häusern leben, die sie nicht gebaut haben. Und wer weiß, womöglich gehen in den Kellern dieser alten Gebäude ja noch die Gespenster der deutschen Wehrmachtssoldaten und der viel älteren Ordensritter um?

Von solchen Überlegungen erzählt Becker ohne Ressentiment und ohne unmittelbare politische Botschaft. Die gemeinsame Geschichte von Polen und Deutschen ist für ihn eine Normalität, über die es nicht viele Worte zu verlieren gibt, es sei denn, sie bietet Stoff für neue skurrile Episoden - wie die vom vermeintlichen Spion, dem in die Vereinigten Staaten ausgewanderten Deutschen, der nach Dolina Róz zurückkehrt und verhaftet wird, als er die Orte seiner Kindheit fotografieren will. Zeitgeschichte wird so zu einem Kuriositätenkabinett, gespiegelt in den Augen eines neugierigen und verwirrten Teenagers, der immer wieder über der Frage nach dem Ziel seines jungen Lebens ins Schwanken gerät. Nicht anders schwankt das ganze Buch zwischen verschiedenen Genres, ist teils Entwicklungs-, teils satirischer Heimatroman und mitunter auch einfach nur ein buntes Panorama wunderlicher Zeitgenossen. Heraus kommt ein Pubertätsroman in doppeltem Sinne, ein Buch, dem man etwas mehr Ruhe und die ordnende Hand eines besonnenen Erzählers gewünscht hätte.

SABINE DOERING

Artur Becker: "Der Lippenstift meiner Mutter". Roman.

Weissbooks, Frankfurt am Main 2010. 314 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wenn in diesem Roman lediglich von den Pubertätsnöten des wie sein Autor 1968 in Masuren geborenen 15-jährigen Helden Bartek die Rede wäre, es wäre ein Coming-of-age-Roman wie viele andere, meint Rezensentin Sabine Doering. Indem Arthur Becker seinen Bartek aber mit derart vielen skurrilen Gestalten umgibt, entfaltet sich ein durchaus fesselndes und unterhaltsames Epochenbild, das "ohne Ressentiment" und ohne politische Intention aus der sozialistischen und deutsch-polnischen Vergangenheit erzählt, wie die Rezensentin lobt. Mitunter hätte sie sich in dem bunten Aufgebot schräger Vögel aber durchaus etwas mehr Besonnenheit und Ordnung von Seiten des Autors gewünscht, den sie gleichwohl besonders schätzt, wie sie kundtut.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein meisterhafter Roman." Rheinischer Merkur