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Statt Gedichte gibt es in JUMP 'N' RUN Computerspiel-Level - und anstelle von Zyklen werden wir in acht unterschiedlichen Spielwelten herausgefordert. Diese tragen Titel wie "Gated Community" oder "Lunatic Asylum", was bereits andeutet, dass es bei Christian Schloyer nicht nur spielerisch zugeht: Seine bildgewaltige Lyrik handelt mitunter vom Wahnsinn als Ende aller Sinnsuche - und von einer apokalyptischen Menschheitsdämmerung als Folge technischen Fortschritts.

Produktbeschreibung
Statt Gedichte gibt es in JUMP 'N' RUN Computerspiel-Level - und anstelle von Zyklen werden wir in acht unterschiedlichen Spielwelten herausgefordert. Diese tragen Titel wie "Gated Community" oder "Lunatic Asylum", was bereits andeutet, dass es bei Christian Schloyer nicht nur spielerisch zugeht: Seine bildgewaltige Lyrik handelt mitunter vom Wahnsinn als Ende aller Sinnsuche - und von einer apokalyptischen Menschheitsdämmerung als Folge technischen Fortschritts.
Autorenporträt
Christian Schloyer, geboren 1976 in Erlangen, ist Lyriker, Sound-Writer, Klang- und Konzeptkünstler, Prosa-Autor und freier Werbetexter. Während seines Germanistik- und Philosophiestudiums initiierte er die offene Textwerkstatt Wortwerk. Er lebt in Nürnberg und verantwortet dort mit dem LiteraturDing e.V. die Nürnberger Lyriknacht. Nach "spiel - ur - meere" (kookbooks 2007) veröffentlichte er "panik - blüten" (poetenladen 2012). JUMP 'N' RUN ist sein dritter Gedichtband. Schloyer gewann u.a. den open mike, den Leonce-und-Lena-Preis und den Lyrikpreis München und erhielt den Bayerischen Kunstförderpreis. Zuletzt war er Stadtschreiber in Tübingen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2017

Hubschrauber in Verdunklungsgefahr
Lyrik auf allen Levels – Christian Schloyers „Jump ’N’ Run“ liest sich wie ein Computerspiel
„Gamification“ nennt man es, wenn Unternehmen eigentlich lästige Tätigkeiten dadurch reizvoller zu gestalten versuchen, dass sie ein Spiel daraus machen. Clevere Eltern kennen das Prinzip: Wer als Erster Zähne geputzt hat, kriegt einen Punkt. Wer am schnellsten einschläft, hat gewonnen. So gesehen kann man es bedenklich finden, dass der Lyriker Christian Schloyer auf die Idee eines „gamifizierten“ Lyrik-Bands gekommen ist.
Er heißt „Jump ’N’ Run“ und ist visuell aufgebaut wie eins dieser alten Arcade-Spiele aus den Achtzigern, bei denen es darum ging, zwischen verschiedenen Plattformen herumzuhüpfen, Leitern rauf und runter zu klettern und dabei möglichst nicht mit den herumstreunenden Gegnern zu kollidieren. Entsprechend sollen wir hier entlang Pfeilen und Leitern zwischen kurzen, über die Doppelseite verteilten Versgruppen springen, die aneinander anschließen. Meistens gibt es mehrere Abzweigungen, „Spieler 1“ kann also eine Vielzahl möglicher Lesewege durch die „Levels“ einschlagen. Das Erreichen des nächsten Levels muss durch altmodisches Umblättern realisiert werden, auch Abkürzungen und Rückwege sind möglich. „Jump ’N’ Run“ ist somit ein einziges, gewaltiges Langgedicht aus unzähligen Strophenpartikeln, potenziell endlos, auf der letzten Seite wartet nur das „Game Over“.
Daher ist es schwierig zu sagen, was das eigentlich für eine Landschaft ist, durch die man da lesend turnt. Level 1 („Testumgebung im Himmel“) startet „im gewimmel der stadt“, bevor wir da aber richtig angekommen sind, ertönt ein „hupen das nicht von/ dieser welt dass du elektroniker“ – und schon steht die erste Entscheidung an – „ausbremst wie ein endgegner“ oder „beobachtest wie sie funkmasten errichten“. Ein Gefühl des Getriebenseins und der Haltlosigkeit stellt sich ein, während „man einfach nur läuft durch die geschäfte/ rennt durch die fußgänger durch die fern-/ züge läuft wenn es erst einmal läuft“. Dabei begegnen dem „Spieler 1“ Games-Referenzen wie die „koordinate/ hinterm fadenkreuz der erfassungsoptik/ des zerstörungsdroiden“, aber auch „bären + bullen“. Dann wieder schreitet er in Level 19 plötzlich „zur generalinspektion der märchen“ oder setzt „im massivsten mehrspielermodus … alles auf den pornotorpedo“. Und die Immobilienpreise? Die sind, abhängig von der Entscheidung des Spielers, entweder „im keller“ oder „nackt unterm badetuch“.
Viele dieser kleinen Ideen sind wirklich schön, auch wenn man sich bei all der Streunerei zwischen ihnen durchaus fragt, wo man sich eigentlich befindet, was das nun alles miteinander zu tun hat, ob es einen inneren Zusammenhang gibt oder ob der nur in Form der aufgemalten Pfeile und Treppen besteht. Die meiste Zeit verbringt „Spieler 1“ damit, sich auf der Seite zu orientieren oder – gegen die Spielregeln – zur vorherigen Versgruppe zurückspringen, weil er über der Entscheidungsfindung, wo es weitergehen soll, den letzten Vers vergessen hat. In den späteren Levels schlagen kleine Zeichnungen von Atomexplosionen mit sattem „BOMB“ in den Text ein, Leitern krümmen, Pfeile verheddern sich.
Christian Schloyer, der Dichter, der uns hier zum herumhüpfenden Lesen animiert, hat unter anderem den Leonce-und-Lena-Preis gewonnen, den Open-Mike-Wettbewerb und vergangenes Jahr den Lyrikpreis der Stadt München – was an dieser Stelle lediglich anzeigen soll, dass es kein verschrobener Außenseiter ist, dem die Idee eines „Jump ’N’ Run“-Bandes kam. Vergleicht man sein Gedicht „im trailer die chemtrails der apokalyptischen reiter“, das uns hier als Level 57 begegnet, mit seiner „normalen“ Notation im aktuellen Jahrbuch der Lyrik, keimt im vom vielen Gaming erschöpften Leser der Wunsch nach einem „Jump ’N’ Run“-Band ohne Jump ’N’ Run auf. Da stürzt mit wildem Zug durch den Text ein Hubschrauber ab und versinkt zum Schluss in der „verdunklungsgefahr“ – in der „Jump ’N’ Run“-Gestalt hingegen kreiselt er in diffusen Einzelteilen über die Seite, zusammengeschnürt durch Pfeile und Leitern, die nicht nach Lyrik, sondern nach harter Arbeit aussehen.
Der Band mit seiner lustigen Idee ist ein eigentümliches Beispiel für das selbstauferlegte Problem, das die aktuelle junge Lyrik bisweilen damit zu haben scheint, für sich zu stehen. Kaum eine Lesereihe außerhalb der Literaturhäuser, die nicht ihr ganz eigenes Konzept besitzt, wie der dichterische Vortrag mit der jeweiligen „Location“, der lokalen „Community“ oder zumindest mit bildender Kunst performativ interagieren kann. Junge Menschen sitzen und lesen vor, aber es sind keine Menschen, sondern Installationen von Lesenden. Bloß keine „Wasserglaslesung“, bloß keine geheimbündlerische Esoterik, bei der Dichter von oben herab unschuldige Zuhörer mit Worten bewerfen, ohne dass diese zugleich Teil der Performance wären.
Hinsichtlich der Publikationen druckt man Heftchen in Minimalauflage bei kleinen Leipziger Verlagen, die noch mit DDR-Schreibmaschinen arbeiten, das Ganze hinterher in Handarbeit zusammenbinden und dann für 2,50 Euro verkaufen. Den Umschlag kann man ablösen, ihn entfalten und als Poster an die Wand hängen. Oder man konzipiert gleich „lyrische Objekte“, die man dann nur noch anschauen, aber nicht mehr im exklusiven Sinn verstehen muss. Vielmehr arbeitet der Leser spielerisch an der Sinnbildung mit.
Bei solchen Formaten weiß man oft nicht mehr so recht, wo die Lyrikvermittlung aufhört und die Lyrik anfängt. Sie sorgen dafür, dass jeder seinen Platz in der Sprache findet. Nicht mehr die Festung eines Geheimnisses soll sie sein, sondern eine gemeinsame Lebensform, eine Art analoges Internet. Solche Gedichte betätigen sich als Streetworker der Sprache. Daran ist überhaupt nichts auszusetzen – solange sie nicht auch so klingen, so lederjackenhaft cool. „Du findest Donkey Kong, machst ne Prinzessin oder einen Prinzen hin (zur Schnitte oder zur Schnecke)“, schreibt Schloyer im Klappentext. Er habe nur eine Bitte: „Press Play on Tape! & bring den Affen um die Ecke.“
PHILIPP BOVERMANN
Christian Schloyer gewann den
Open-Mike-Wettbewerb, bekam
den Lyrikpreis der Stadt München
Christian Schloyer: Jump ’N’ Run. Gedichte. Coverdesign: Michael Jordan. Poetenladen Verlag, Leipzig 2017. 160 Seiten, 21,80 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Christian Schloyers Gedichtband "Jum 'n' Run" sieht aus wie die schlichten Computerspiele aus den achtziger Jahren, als man seinen Spieler nur Gänge entlang und Treppen hinauf von einem Level ins nächste folgte. Und Philipp Bovermann erkennt, dass es auch so gemeint ist: Als Leser turnt man sich seinen eigenen Weg durch diese Gedichte Schloyers, von der ersten Ebene "Testumgebung  im  Himmel" bis zu den "chemtrails der apokalyptischen reiter" auf Level 57. Viele schöne Ideen entdeckt der Rezensent, auch wenn er eigentlich nie richtig weiß, wo er sich gerade befindet. Noch lieber wären ihm gewesen, wie er einräumt, diesen "Jump 'n' Run" ohne Jump 'n' Rund zu lesen.

© Perlentaucher Medien GmbH