Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 18,00 €
  • Broschiertes Buch

Der vorliegende Band bietet eine repräsentative Auswahl des erzählerischen Gesamtwerks Lee Hochols (*1932), eines der bekanntesten koreanischen Gegenwartsautoren. Geboren in Wonsan, einer Hafenstadt im heutigen Nordkorea, geriet Lee während der Wirren des Koreakrieges (1950–53) in den Süden des Landes und entschied sich, dort zu bleiben. So befasst er sich in den ersten vier Erzählungen dieses Bandes, die in den 1950er Jahren entstanden, mit der Thematik dieses Krieges. Im Zentrum der in diesem Band vorgestellten Prosa steht jedoch Lees Werk der 1960er und 1970er Jahre, jener Zeit, in der Park…mehr

Produktbeschreibung
Der vorliegende Band bietet eine repräsentative Auswahl des erzählerischen Gesamtwerks Lee Hochols (*1932), eines der bekanntesten koreanischen Gegenwartsautoren. Geboren in Wonsan, einer Hafenstadt im heutigen Nordkorea, geriet Lee während der Wirren des Koreakrieges (1950–53) in den Süden des Landes und entschied sich, dort zu bleiben. So befasst er sich in den ersten vier Erzählungen dieses Bandes, die in den 1950er Jahren entstanden, mit der Thematik dieses Krieges. Im Zentrum der in diesem Band vorgestellten Prosa steht jedoch Lees Werk der 1960er und 1970er Jahre, jener Zeit, in der Park Chung Hee als Präsident der 3. und 4. Republik Südkorea in eine Entwicklungsdiktatur führte. Drei Erzählungen aus den 1990er Jahren runden diese Auswahl ab, in ihnen thematisiert Lee noch einmal eines der wichtigsten Anliegen seines gesamten literarischen Schaffens – die Verarbeitung der nationalen Teilung, des Traumas seiner Generation. Im Februar 2013 wurde in Südkorea erstmals eine Frau in das Amt des Präsidenten eingeführt. Park Geun Hye ist die Tochter Park Chung Hees, jenes Mannes, der 1961 durch einen Militärputsch an die Macht kam und bis zu seiner Ermordung 1979 die Geschicke Koreas lenkte. An seiner Person scheiden sich die Geister: Ist er für die einen der Modernisierer par excellence, der „starke Mann“, der in dem zu Beginn der 1960er Jahre noch zu den ärmsten Staaten der Welt gehörenden Südkorea die Grundlagen für eine rasante wirtschaftliche Entwicklung legte, so sehen die anderen in ihm den brutalen Diktator, der Oppositionelle ins Gefängnis werfen ließ und selbst vor Folterungen und politisch motivierten Morden nicht zurückschreckte, unter dem Banner des Antikommunismus demokratische Grundrechte mit Füßen trat und politischen Gehorsam mit wirtschaftlichen Geschenken belohnte. Beide Sichtweisen spiegeln Realität wider, es sind die zwei Seiten einer Medaille – der sogenannten nachholenden Modernisierung. Vor diesem politischen Hintergrund sind die in den 1960er und 1970er Jahren entstandenen Erzählungen dieses Bandes zu verstehen. Lee Hochol hält der Entwicklungsdiktatur den Spiegel vor – jenseits wirtschaftlicher Entwicklungspläne, beeindruckender Exportstatistiken oder erschütternder Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Seine Protagonisten sind die „kleinen Leute“. Um ihr Denken und Fühlen, ihre Ängste geht es in seinen Erzählungen. Für sein literarisches Werk erhielt der Autor in Korea zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Hyundai Literaturpreis (1961), den Tongin-Literaturpreis (1962) sowie den Orden für besondere Verdienste im Kulturbereich (2002).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die in diesem Band für deutsche LeserInnen zusammengefassten Texte des Koreaners Lee Hochol aus den Jahren 1955 bis 2000 bieten für Steffen Gnam nicht nur einen Querschnitt durch das Schaffen des Autors, sondern zugleich exemplarische Teilungsliteratur. Es geht um Brüche, Rätsel und Zerrbilder in der koreanischen Geschichte in diesen Erzählungen, die Lee im Privaten wiedererkennt, wie Gnam erläutert. Besonders der Blick aufs Individuelle, Unideologische scheint Gnam von Bedeutung zu sein. Ob der Autor nun vom Soldatendasein oder von Exil und Entfremdung berichtet, stets findet der Rezensent sich mit seinen eigenen Erwartungen als Leser konfrontiert. Indem der Autor die Groteske oder das Surreale streift, entwickelt er laut Gnam eine eigene Geschichtsphilosophie, die Ideologien als Illusionen entlarvt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.01.2014

Im geteilten Land ist das Groteske die rechte Form

Korea aus der Sicht von Lee Hochol: Der gegenüber beiden politischen Systemen kritische Schriftsteller stellt für deutsche Leser eine Auswahl seines Schaffens zusammen.

Der 1932 geborene Autor und Freiheitskämpfer Lee Hochol ist ein exemplarischer Vertreter koreanischer Teilungsliteratur und Chronist der Schizophrenie einer die traditionellen Werte generalüberholenden verspäteten Moderne. Die vom Autor selbst für das deutsche Lesepublikum ausgewählte und mit einem Vorwort versehene Sammlung "Heimatlos" mit fünfzehn zwischen 1955 und 2000 publizierten Erzählungen bietet einen Querschnitt seines Schaffens und auch der sich darin in Rätseln, Brüchen und Zerrbildern spiegelnden koreanischen Geschichte.

Die japanische Kolonialzeit von 1910 bis 1945, die Teilung des Landes in Interessensphären und Stellvertreterkämpfe während des Korea-Kriegs 1950 bis 1953, die Auswüchse und Repressalien der Militärdiktaturen der sechziger bis achtziger Jahre - all das äußert sich bei Lee im vom Politischen durchdrungenen Privaten.

Der in Wonsan im heutigen Nordkorea geborene Autor geriet mit achtzehn Jahren als Soldat der kommunistischen Volksarmee in Kriegsgefangenschaft und entschied sich, im Süden des Landes zu bleiben. Ein Getriebener der Verhältnisse, ist Lee Poet und Apologet kleiner Leute als der eigentlichen Freigeister in den Nischen der Systeme und weltanschaulichen Wechselfälle.

Lee entwirft weniger historische Literatur als individuelle Psychogramme und unideologische Sittengemälde der Diaspora. In der düster-sogkräftigen Debüterzählung "Heimatlos" (1955) verschlägt es vier Jugendliche in der vom Vorrücken der Volksarmee gekennzeichneten Frühphase des Kriegs in die Hafenstadt Pusan als Flüchtlingsmagneten und letzten südkoreanischen Rückzugsort, wo sie in leeren Güterzugwaggons leben.

Tragikomische Memoiren aus der Mikrosicht der Soldaten als Verfügungsmasse der Geschichte wie in "Geburtstagsparty" oder der als Zaubermärchen erzählte Gefangenenmarsch in "Das wahre Gesicht" schildern neben Exil und Entfremdung in Intermezzi Verbrüderungen im Inferno und Brückenschläge über ideologische Gräben hinweg.

Im Antikriegspamphlet "Gesetzlos, illegal, legal" erweitert Lee die historische Kritik an der "autoritären Befehlsgewalt", als "Bomben wie Regentropfen vom Himmel fielen", und am "Gesetz in ungesetzlichen Zeiten des Krieges" um den "legitimierten Diebstahl" der Freiheit und die trügerische Ruhe und Repression in Friedenszeiten als "Fortsetzung der Front". Seine Satire "Die Immobilie" schildert dagegen die Tücken und Fallgruben des Besitz- und Dünkeldenkens im kapitalistischen Süden. Die "menschlichen Kosten" des Krieges fanden in der Entwicklungsdiktatur der sechziger und siebziger Jahre ihre sublimierte Fortsetzung: im Humankapital einer "nachholenden Modernisierung".

Geschickt spielt und jongliert Lee mit der Ironie der Geschichte und dem Stilmittel der Verkehrung von Leseerwartungen. Die Groteske wird ihm ein Gegengift zur Willkürherrschaft der Doktrin des Antikommunismus und Alltagsabsurdität der autokratischen Regimes. So gerät in "Vermasselter Amtsantritt" ein Kommunistenhasser und Veteran des Korea-Kriegs nach dem Militärputsch von 1961 und der von ihr proklamierten "Revolution" und "neuen Moral" ins vermeintliche oder reale Visier der Staatsmacht, flüchtet sich vor ihrem imaginären Zugriff in Bordelle und frönt einem übersteigerten Verfolgungswahn, der durch aus Radios gehämmerte antikommunistische Parolen orchestriert wird.

Autobiographische Erfahrungen - 1974 und 1980 wurde Lee jeweils für mehrere Monate inhaftiert - verarbeitet der Essay "Flucht": Er schildert den ersehnten ersten Freigang eines Häftlings, wobei im technokratisch gesteuerten "Draußen" die in Misskredit gebrachte Sprache und der Alltagsrhythmus der Militärdiktatur - die "aufblitzenden Autoscheinwerfer und Leuchtreklamen verliehen der Stadt das Flair einer Gespensterhöhle" - gefährlicher scheinen als die Gefängniszelle.

Die ebenfalls ins Surreale spielende Erzählung "Zermürbt" inszeniert die Landesteilung als absurdes Theater. Eine festlich gekleidete Familie harrt in einem zur Gewohnheit gewordenen, vom greisen Familienpatriarchen angeführten Ritual im Empfangszimmer der gegen Mitternacht vermuteten Rückkehr einer Tochter, die vor mehr als zwanzig Jahren in den Norden ging. Das Warten auf die Wiedervereinigung der Familien und Koreas gerät Lee hier zum Godotschen Kammerspiel.

So erweitern sich die Erfahrungen des Bruderkriegs zu einer Geschichtsphilosophie, die Ideologien als Irrläufer der Geschichte und Illusionen entlarvt. Einen Schlüssel zur Wiedervereinigung sieht Lee etwa im Essay "Zwiedenker", einem Vergleich zweier Nachkriegskarrieren, statt in Gipfeltreffen und Systemdebatten in der Zugewandtheit der Individuen als Triebkräfte einer Traumfabrik des Friedens: "Ab heute sind wir andere Menschen, du und ich. Ohne Berechnung und ohne falsche Rücksichten wollen wir uns ganz offen begegnen. Ist das nicht ein Anfang?"

STEFFEN GNAM.

Lee Hochol: "Heimatlos". Erzählungen.

Aus dem Koreanischen von Heike Lee und Tae Hoon Lee. Ostasien Verlag, Großheirath 2013. 289 S., br., 21,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr