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Immer wieder hat sich der Danziger Schriftsteller Stefan Chwin in seinem Werk mit Deutschland und den Deutschen auseinandergesetzt - nicht zuletzt in seinem preisgekrönten Roman Tod in Danzig. Und doch: Ich war nie ein Schriftsteller der polnisch-deutschen Versöhnung, schreibt Chwin in seinen Tagebüchern: Allein die Formulierung polnisch-deutsche Versöhnung ist mir zuwider, weil ich einfach nicht weiß, worin diese Versöhnung zwischen uns und den Deutschen bestehen sollte. Ich habe, versucht antideutsche Stereotypen und Vorurteile zu relativieren. Aber jenseits von Stereotypen schreiben ist…mehr

Produktbeschreibung
Immer wieder hat sich der Danziger Schriftsteller Stefan Chwin in seinem Werk mit Deutschland und den Deutschen auseinandergesetzt - nicht zuletzt in seinem preisgekrönten Roman Tod in Danzig. Und doch: Ich war nie ein Schriftsteller der polnisch-deutschen Versöhnung, schreibt Chwin in seinen Tagebüchern: Allein die Formulierung polnisch-deutsche Versöhnung ist mir zuwider, weil ich einfach nicht weiß, worin diese Versöhnung zwischen uns und den Deutschen bestehen sollte. Ich habe, versucht antideutsche Stereotypen und Vorurteile zu relativieren. Aber jenseits von Stereotypen schreiben ist doch nicht dasselbe wie nach Versöhnung streben... Chwins Deutsches Tagebuch, hier vorgelegt in der Auswahl von Krystyna Turkowska-Chwin und Marta Kijowska, setzt diesen Weg fort.
Autorenporträt
Stefan Chwin, Schriftsteller, Essayist, Literaturwissenschaftler, geboren 1949 in Danzig/Gdansk, wo er lebt und arbeitet. Europaweit bekannt wurde Chwin durch den vielfach ausgezeichneten Roman "Hanemann" (1995), deutsch: "Tod in Danzig" (1997). Auf Deutsch erschienen außerdem "Die Gouvernante" (2000) und "Der goldene Pelikan" (2005). Chwin veröffentlichte bisher zwei Tagebücher auf Polnisch: "Kartki z dziennika" (2004) und "Dziennik dla doroslych" (2008).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als ebenso verdienstvollen wie beeindruckenden Beitrag zum Völkerverständnis zwischen Deutschland und Polen würdigt Rezensentin Sabine Brandt Stefan Chwins "Deutsches Tagebuch". Wie der in Danzig geborene Schriftsteller, dessen Eltern die Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs am eigenen Leib erlebten und dem Sohn überlieferten, in klugen Beobachtungen von seiner Sehnsucht nach einer friedlichen Welt berichtet, ringt der Kritikerin größte Anerkennung ab. Angetan liest sie außerdem die Aufzeichnungen des Autors zum deutschen Wesen und zur deutschen Geistesgeschichte. Insbesondere aber bewundert Brandt Chwins vertrauensvolles Porträt von Günter Grass, den er ohne jede Wertung als eigensinnigen, aber doch gewöhnlichen Menschen darstellt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2015

Schnurrbart,
gefärbt?
Das „Deutsche Tagebuch“
des Polen Stefan Chwin
Da die Romane und Erzählungen Stefan Chwins vor allem in seiner Heimatstadt Danzig angesiedelt sind, gilt er bei seinen deutschen Lesern als eine Art polnisches Gegenstück zu Günter Grass. Nun, in seiner Bilanz über ein Vierteljahrhundert Reisen in deutsche Lande, lobt Chwin zwar überschwänglich „Die Blechtrommel“ und verteidigt Grass gegen den Vorwurf, zu spät mit seinem Jugendkapitel zur Waffen-SS herausgerückt zu sein, spottet aber zugleich über dessen Eitelkeit: „Sein Schnurrbart (gefärbt?)“ sinniert er: Wenn Grass vom Verkaufserfolg seiner Werke in den USA berichtete, „blähte er sich auf“.
  Auch macht der deutsche Literaturstar seinen polnischen Gast sprachlos, als dieser das Gespräch auf Witold Gombrowicz bringt. Grass und Gombrowicz haben zur selben Zeit, in den Jahren nach dem Mauerbau in der Frontstadt Westberlin gelebt, der polnische Emigrant hat sich in seinem experimentellen Werk und seinem Tagebuch mit der Frage nach dem Ursprung des Bösen gequält. Aber Grass weicht aus, hat offenbar nichts davon gelesen.
  Für Chwin ist dies indes die Hauptfrage im Verhältnis zwischen Deutschen und Polen. Er setzt an am berühmten Mephisto-Zitat von der „Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“ und fragt provozierend: Hatten die Nazis nicht das Ideal einer Welt, geführt von starken und schönen Menschen, wie sie Leni Riefenstahl und Arno Breker dargestellt haben? Konnten sie nicht in die Hirne junger Menschen, auch das des 16-jährigen Grass, die Überzeugung einpflanzen, dass die Schwachen und Hässlichen ausgemerzt werden müssten im Interesse des Ideals?
  Irritierende Gedanken, die Chwin mit Verweisen auf die stalinistischen Henker oder die Roten Khmer ergänzt, die ja auch glaubten, mit Mord und Totschlag eine ideale Gesellschaft schaffen zu können. Für ihn der schauerlichste Moment: SS-Männer oder Stalins Schergen, die bei ihrem Tun lachten und feixten.
  Chwin hat zur dröhnenden Arroganz dieser selbst ernannten Herren über Leben und Tod Berichte von Augenzeugen gesammelt. Zu ihnen gehörte seine Mutter, die angesichts der Massenmorde der SS beim Warschauer Aufstand 1944 gelobte, dem ersten Deutschen, den sie zu fassen bekomme, die Haut lebendig vom Leibe zu ziehen. Als sie aber als Sanitäterin auf der Seite der Aufständischen einen angeschossenen jungen SS-Mann fand, hat sie ihn verbunden und gepflegt, seine Rufe „Mutter, Mutter!“ schnitten ihr ins Herz.
  Chwin stellt nicht in Frage, dass deutsche und polnische Politiker Versöhnungsgesten machen müssen, doch glitten diese oft in ritualisierten „Versöhnungskitsch“ ab. So wie er Grass mit zwei spöttischen Bemerkungen auf menschliches Maß zurechtstutzt, nimmt sich er sich auch zwei Hauptversöhnungspolitiker vor: den zweimaligen polnischen Außenminister Wladyslaw Bartoszewski (ein „patriotischer Birkhahn“, der unablässig den „Pfauenschweif“ seiner Verdienste aufschlägt), und Egon Bahr, der in Eigenlob für seine Entspannungspolitik schwelgt, dabei aber die innenpolitischen Repressionen in der Sowjetunion sowie deren imperialistische aggressive Außenpolitik vergessen hat.
  Marta Kijowska ist es in ihrer Übersetzung gelungen, Chwins Doppelbödigkeit, die sich über deutsche wie polnische Befindlichkeiten mokiert, präzise wiederzugeben. Herausgekommen ist ein gelegentlich sarkastisches, stets fesselndes Buch, eine Pflichtlektüre für alle an Verständigung mit den Nachbarn im Osten interessierte Deutsche.
THOMAS URBAN
  
Stefan Chwin: Ein deutsches Tagebuch. Aus dem Polnischen von Marta Kijowska. Edition fototapeta, Berlin 2015. 256 Seiten, 19,80 Euro.
„Versöhnungskitsch“ nennt er
so manche politische Geste
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2015

Vielleicht kann Europa nur durch einen Gedächtnisverlust erlöst werden
Zwischen Alpen und Kattegat, Ärmelkanal und Ural öffnet jedes Berühren der Vergangenheit frische Wunden: Ein "deutsches Tagebuch" des Polen Stefan Chwin

Auf den ersten Blick weckt es Erstaunen, dass ein polnischer Autor eine Arbeit mit dem Titel "Ein deutsches Tagebuch" vorlegt. Der Begriff Tagebuch lässt uns zunächst an sehr persönliche Notizen denken, in denen der Schreiber seine Gedanken und Erinnerungen festhält, Gespräche mit sich selbst führt, Triumphe genießt und Niederlagen beklagt. Aber es wäre falsch, davon auszugehen, dass Tagebücher stets zu hundert Prozent intime Mitteilungen enthalten. Schließlich ist kein Erdenbewohner bloß ein privates Wesen, sondern immer auch in irgendein Weltgeschehen verstrickt, hat als Täter oder Opfer, mindestens aber als Zeuge teil an den historischen Vorkommnissen seiner Sphäre.

Dass dies auf einen Polen zutrifft, dessen Volk eine lange Problemgeschichte mit seinen Nachbarn durchlebte - nicht nur den Deutschen, aber weitgehend mit ihnen -, liegt auf der Hand. Der Schriftsteller Stefan Chwin kennt die schlimmste Phase der polnisch-deutschen Beziehungen nicht aus eigener Erfahrung. Geboren 1949 in Danzig, zu jener Zeit längst Gdansk geheißen, wuchs er auf als Erbe der Fakten, die den Zweiten Weltkrieg prägten; die Eltern erzählten ihm davon. Der Vater, aus Wilna stammend, doch ebenfalls polnischer Herkunft und Absolvent der Warschauer Handelsschule, entkam nach Kriegsende gerade noch der Verfolgung polnischer Intelligenzler durch die sowjetischen Sieger. Die Mutter, eine Sanitäterin, durchlitt die gesamte Kriegshölle im gebeutelten Warschau, blieb dennoch bis zum späten Fluchttag ihren Pflegeaufgaben treu. Während des Warschauer Aufstandes half sie sogar einem verwundeten deutschen Soldaten, obwohl sie zuvor eine Massenerschießung polnischer Zivilisten mit ansehen musste.

Wenn man mit solchen Überlieferungen aufwächst, liegt es eigentlich nicht sehr nahe, sich Gedanken um eine mögliche Versöhnung mit dem einstigen Feind zu machen. Aber Stefan Chwin ist nicht der Typ, der sich hinter alten Mauern einschließt und jeden Blick nach draußen verweigert. Er hat sich gründlich auf unserer Erde umgesehen und festgestellt, dass es kein Stückchen Lebensraum gibt, dessen Bewohner nicht fähig sind, andere Menschen zu unterdrücken. Im Tagebuch-Abschnitt "Die moralische Ordnung der Welt" schreibt er: "Dann hörte ich von den Roten Khmer", "Dann erfuhr ich von Hutu und Tutsi" und Ähnliches mehr. Und er zählt Mordorte auf: "Katyn, Srebrenica, Kambodscha, Ruanda oder Tschetschenien". Im Abschnitt "Die Vertriebenen" berichtet er von einer Lesung in Görlitz und vom Auftritt eines deutschen Zuhörers, der erregt reagierte, als der Autor die Vertreibung der Deutschen aus Danzig erwähnte. "Er nennt die Polen ,echte Teufel'", notiert Chwin. Und im folgenden Absatz konstatiert er: "Ich denke immer öfter, dass Europa nur durch einen vollkommenen Gedächtnisverlust erlöst werden könnte. Denn hier, auf den Ebenen zwischen Alpen und Kattegat, dem Ärmelkanal und dem Ural, öffnet jedes Berühren der Vergangenheit eine immer noch frische Wunde. Vielleicht sind also diese jungen Polen und Deutschen in T-Shirts, die, sobald sie im Fernsehen eine Sendung über die Kriegszeit sehen, blitzschnell den Kanal wechseln, gar nicht so dumm?"

Der Schriftsteller Chwin ist zu klug, um wirklich zu meinen, dass Abschalten eine Lösung aller Probleme sei. Aus derlei Sätzen spricht eine in Spott verkleidete Sehnsucht, es möge im menschlichen Tun und Lassen auch Märchenwunder geben, da ohne Wunder offensichtlich keine friedliche Menschenwelt möglich ist. In einem früheren Buch, dem Roman "Tod in Danzig", hatte Chwin eine Szene eingebaut, deren reales Vorbild eine einstige Tat seines Vaters war: Die entsprechende Romanfigur hilft nach Kriegsende im eroberten Danzig einem deutschen Medizinprofessor, der von plündernden Rotarmisten bedroht wird. Der junge Stefan Chwin, dem solche Geschichten überliefert wurden, hat also zwei lobenswerte Eltern, den tapferen Vater, der einen alten deutschen Herrn rettete, und die barmherzige Mutter, die in Warschau den schwerverletzten deutschen Soldaten versorgte. Der erwachsene Chwin kommt im "Deutschen Tagebuch" ausführlich darauf zu sprechen und bekennt, dass ihm jahrelang solche Altarbilder braven Polentums eher zuwider waren. Ob das alles "nur aus unserer verdammten polnischen Schwäche geboren" sei, fragt er sich eingedenk seiner einstigen Gefühle. "Also wären wir womöglich ganz anders, vielleicht sogar exakt wie die Deutschen, wenn Polen dem Klub der starken Nationen angehörte?"

Stefan Chwin möchte das nicht etwa wirklich. Das Sehnsuchtsbild seiner reifen Jahre gilt einer friedlichen Welt, deren Aufbau dort beginnen muss, wo man zu Hause ist. Und die Nachbarn müssen ebenso am Frieden interessiert sein und an der Vernunft, gegen die sie einst so barbarisch verstießen. Große Teile seines "Deutschen Tagebuchs" sind der Erforschung des deutschen Wesens gewidmet, der Geistesgeschichte, den politischen Vorkommnissen, den Berühmtheiten, die das alles zu verantworten hatten und haben. In diesem Zusammenhang findet sich im Buch auch ein sehr interessantes Persönlichkeitsbild von Günter Grass, das sich von den meisten bekannten Schilderungen unterscheidet: weder Lobhudelei noch Verdammung, stattdessen die Darstellung eines Menschen, der unser Bruder sein könnte, nur in manchem eben ein bisschen eigen und anders.

Wir können von Stefan Chwin, dem polnischen Betrachter deutscher Wirklichkeit, eine Menge über uns, unsere Geschichte, unsere Rolle im gegenwärtigen Leben lernen. Gleichzeitig öffnet er seinen Lesern die Tür zum polnischen Volk und lehrt sie, dessen Eigenheiten wahrzunehmen und zu akzeptieren. Einen eindrucksvolleren Beitrag zum Völkerverständnis kann man von niemandem erwarten, der sich an dieses schwierige Thema wagt.

SABINE BRANDT

Stefan Chwin:

"Ein deutsches Tagebuch".

Herausgegeben von Krystyna Turkowska-Chwin und Marta Kijowska. Aus dem Polnischen von Marta Kijowska. edition fototapeta, Berlin 2015. 256 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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