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Baden-Württemberg ist überall Spitze, ein Musterland eben. So tönt es jeden Tag aus allen Sprachrohren, vorneweg aus der Regierungszentrale. Bei soviel Weihrauch ist man geneigt, die frohen Botschaften zu glauben. Aber die ganze Wahrheit ist es nicht, es sei denn die vorderen Plätze gälten auch für den Filz und die Kumpanei zwischen Politik, Justiz und Wirtschaft.
Ein Autorenteam um Josef-Otto Freudenreich, den Chefreporter der Stuttgarter Zeitung, zeigt die Bögen und Linien auf, die zwischen den Mächtigen des Landes verlaufen. Die kundigen Journalisten zeichnen ein Bild von
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Produktbeschreibung
Baden-Württemberg ist überall Spitze, ein Musterland eben. So tönt es jeden Tag aus allen Sprachrohren, vorneweg aus der Regierungszentrale. Bei soviel Weihrauch ist man geneigt, die frohen Botschaften zu glauben. Aber die ganze Wahrheit ist es nicht, es sei denn die vorderen Plätze gälten auch für den Filz und die Kumpanei zwischen Politik, Justiz und Wirtschaft.

Ein Autorenteam um Josef-Otto Freudenreich, den Chefreporter der Stuttgarter Zeitung, zeigt die Bögen und Linien auf, die zwischen den Mächtigen des Landes verlaufen. Die kundigen Journalisten zeichnen ein Bild von Baden-Württemberg, das kein Blendwerk der Propaganda ist, sondern einen Blick auf Seiten eines Landes wirft, bei dem das 'Muster' einen ganz anderen Sinn bekommt.
Autorenporträt
Rainer Nübel, 1959 in Oberndorf geboren, lebt mit seiner Familie in Beuren, studierte in Tübingen Germanistik und Geschichte, danach arbeitete er als Redakteur bei der Nürtinger Zeitung, später bei den Stuttgarter Nachrichten. Seit 2000 ist er Mitglied der Reportageagentur "Zeitenspiegel" und Mitarbeiter des Magazins "stern".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.12.2009

Wenn der Staat wegschaut
Korruptionsfälle aus dem „Ländle”, die vielleicht typisch sind
Ein Buch wie eine Sammlung von Provinzpossen – unter dem vielversprechenden Reihentitel „Kritische Heimatkunde”. Der Titel verwendet hintersinnig das Zitat, mit dem sich das Land in ganz Deutschland vorstellt: überheblich, großtuerisch – und das der landesüblichen und historisch verankerten Bescheidenheit zum Trotz. „Wir können alles” steht für die Generation der Neureichen, der „Cleverles”, denen ihr Erfolg nach 1989, nach dem Ende des „Rheinischen Kapitalismus”, zu Kopfe gestiegen ist. Es gibt ihn weiterhin, den Bodensatz aus pietistischer Kultur, in dem im Ländle etliche wurzeln – auch Journalisten. Man muss sich vor Augen halten, dass der Gottvater des Rheinischen Kapitalismus über lange Jahre in Stuttgart domizilierte. Wer einmal zur „Samstagsgesellschaft” im Hause Klett war, hat erfahren, welcher Geist in der Villa Reitzenstein einmal herrschte – völlig unabhängig von der Person des jeweiligen Ministerpräsidenten.
Nun ist es ja so, und in gewisser Weise unvermeidlich, dass Journalisten weit mehr sehen und wissen, als sie zu Papier bringen können (und dürfen). Ein Journalist ist abhängig von seinen Quellen. Schriebe er so, dass die versiegen, so ist er Journalist gewesen. Einen Ausweg stellen Berichte dar, in denen die Bedingungen der Berichterstattung für den Leser durchsichtig gemacht werden. Liebt man es philosophisch, so könnte man „transzendentale” Berichterstattung dazu sagen.
In diesem Sinne hat der Chefreporter der Stuttgarter Zeitung sechs Kollegen pikante Strukturen im Hintergrund offenbaren lassen. Das Ausmaß der Pikanterie wird an der Danksagung deutlich. Die gilt nur einer einzigen namentlich genannten Person, „Rechtsanwalt Dr. Markus Köhler (. . .), der unsere Arbeit mit großem Engagement und dem ganzen Sachverstand des versierten Presserechtlers begleitet hat.” Dass Köhler sehr sachverständig amtiert hat, hat sich schon bezahlt gemacht. Der einstmals ehrwürdigen Schwäbischen Zeitung ist unter dem Titel „Ein christliches Blatt auf dem Boulevard” ein Kapitel gewidmet. Dem Versuch des Blattes, dieser Würdigung ihres Wandels juristisch Einhalt zu gebieten, wurde von der Presserechtskammer des Landgerichts Stuttgart abgewiesen.
Inhaltlich geht es um Skandalfälle, die samt und sonders bekannt sind – zumindest im Schwabenland. Zumeist sind sie auch rechtlich aufgearbeitet. Das Buch nimmt die Skandale nicht als Einzelfälle – die Beiträge haben die Haut des Kampf-Journalismus gleichsam abgestreift. Die Tonlage ist versöhnlich: Felix Huby hat sein Vorwort mit „Es menschelet überall” überschrieben. Erzählt werden Fälle, die ein Muster aufweisen: Der Staat ist Begünstigter von Straftaten finanzkräftiger Bürger. Das Systematische daran verdient bundesweit Interesse. Der Rechtsstaat soll eigentlich Rechtsbrüche ohne Ansehung der Person verfolgen. Zur Realität des Rechtsstaats gehört aber auch, dass der Staat zu Lasten großer Gruppen seiner Bürger versagt, wenn er Begünstigter und Strafverfolger zugleich ist. Diesem Konflikt wird in Deutschland häufig mit Wegsehen begegnet.
Die Strafverfolgung liegt regelmäßig in der Hand der Staatsanwaltschaft. In den Fällen, die hier thematisiert sind, ist problematisch, dass sie weisungsgebunden ist. Die Diversität des Rechtsstaats nach Bundesländern sorgt dafür, dass es Rechtsverfolgungsoasen auch innerhalb Deutschlands gibt – der Fall der einstmaligen Provinz-Bank Reithinger in Singen, die von einem „Investor” aus Bayern übernommen wurde, wird auf die Pointe gebracht: „Rechtsfrieden” (Nicht-Verfolgung) wird durch Übergabe an die bayerische Gerichtsbarkeit geschaffen, die dafür bekannt ist, „Verfahren wegen Kapitalanlagebetruges abzuweisen”.
Der Flowtex-Fall mit seinem „aberwitzigen Schwindel, der Hausmeister und Sekretärinnen nicht verborgen geblieben war”, ist nur zu verstehen vor dem Hintergrund, dass damals Justiz- und Wirtschaftsministerium in Stuttgart in den Händen von Freunden derselben Partei waren – und die Schweiz mit ihrem geldwäscheförderlichen Bankenrecht die notwendige Deckung für verdeckte Parteienfinanzierung bot. Der Flowtex-Schwindel wurde von deutschen, nicht dem Land Baden-Württemberg unterstellten, Steuerfahndern in Portugal, mit dort verfügbarem Material, schließlich zum Platzen gebracht – gegen die Finanzverwaltung und Staatsanwaltschaft im Musterländle.
Solche Strukturen, die weiterhin bestehen – siehe die aktuellen Ermittlungen gegen die Landesbank –, untergraben den Rechtsstaat und die Demokratie. Die ist auf Sicherung der Bedingungen von Fairness im Wettbewerb angewiesen. Die Lektüre dieses Buches vermag dem Satz „Es wird streng nach Recht und Gesetz geurteilt” eine ganz neue Bedeutung zu geben.
HANS-JOCHEN LUHMANN
JOSEF-OTTO FREUDENREICH (Hg.): „Wir können alles.” Filz, Korruption & Kumpanei im Musterländle. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2008. 240 S., 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Leider handelt es sich bei diesem Buch nicht um eine Sammlung von Provinzpossen, wie der Rezensent zuerst vermutet. Die sechs von Josef-Otto Freudenreich herausgegebenen Kollagen gehören laut Hans-Jochen Luhmann ins Fach transzendentale Berichterstattung, weil sie so pikante wie mustergültige Strukturen offenbaren, Skandale aus Schwaben mit überregionaler Relevanz, wie Luhmann uns versichert, wie der Flowtex-Fall oder die aktuellen Ermittlungen gegen die Landesbank. Dass der Ton nicht kämpferisch ist, sondern versöhnlich, meint der Rezensent, kommt allein daher, dass hier nicht der Einzelfall im Vordergrund steht.

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