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In Mussolinis Italien, im Schatten der Fabriken von Fiat und Olivetti, begegneten sich in den Dreißiger Jahren in Turin ein paar gebildete junge Leute. Sie gründeten Zeitschriften und Verlage, schrieben kritische Artikel, nahmen Verbannung und Gefängnis auf sich und fühlten sich als Avantgarde. Und das waren sie: Aus dem Kreis um Cesare Pavese, Leone und Natalia Ginzburg und den Verlag Einaudi kam jener Geist, der nach 1945 das Klima intellektueller Freiheit in Italien wesentlich geprägt hat. Maike Albath, die Italien kennt und liebt, beschwört in ihrem Buch die Stadt, in der diese stolze…mehr

Produktbeschreibung
In Mussolinis Italien, im Schatten der Fabriken von Fiat und Olivetti, begegneten sich in den Dreißiger Jahren in Turin ein paar gebildete junge Leute. Sie gründeten Zeitschriften und Verlage, schrieben kritische Artikel, nahmen Verbannung und Gefängnis auf sich und fühlten sich als Avantgarde. Und das waren sie: Aus dem Kreis um Cesare Pavese, Leone und Natalia Ginzburg und den Verlag Einaudi kam jener Geist, der nach 1945 das Klima intellektueller Freiheit in Italien wesentlich geprägt hat. Maike Albath, die Italien kennt und liebt, beschwört in ihrem Buch die Stadt, in der diese stolze Episode aus Italiens jüngerer Vergangenheit ihren Lauf nahm, und ihre einmalige geistige Landschaft: Selten haben Intellektuelle einen so nachhaltigen Einfluss auf die Geschicke eines ganzen Landes genommen.
Autorenporträt
Maike Albath, geboren 1966 in Braunschweig, lebt in Berlin. Sie hat mehrere Jahre in Turin und Padua gelebt und ist eine der profiliertesten Kennerinnen der italienischen Gegenwartskultur. Ihre Arbeit als Literaturkritikerin wurde 2003 mit dem Alfred-Kerr-Preis belohnt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.08.2010

Sachbücher des
Monats September
Empfohlen werden nach einer monatlich erstellten Rangliste Bücher der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie angrenzender Gebiete.
1. CLAUDIA HONNEGGER, SIGHARD MECKEL, CHANTAL MAGNIN (Hrsg.): Strukturierte Verantwortungslosigkeit – Berichte aus der Bankenwelt. Suhrkamp Verlag, 399 Seiten, 16 Euro.
2.JONATHAN SAFRAN FOER: Tiere essen. Übersetzt von Isabel Bogdan, Ingo Herzke und Brigitte Jakobeit. Verlag Kiepenheuer & Witsch. 399 Seiten, 19,95 Euro.
3.BARBARA EHRENREICH: Smile or die. Wie die Ideologie des positiven Denkens die Welt verdummt. Übersetzt von Gabriele Gockel und Barbara Steckhan. Verlag Antje Kunstmann, 288 Seiten, 19,90 Euro.
4. EVA ZÜCHNER: Der verschwundene Journalist. Eine deutsche Geschichte. Berlin Verlag, 288 Seiten, 24 Euro.
5. MICHEL DE CERTEAU: Mystische Fabel. 16. bis 17. Jahrhundert. Übersetzt von Michael Lauble. Suhrkamp Verlag, 541 Seiten, 32 Euro.
6.JOHN KENNETH GALBRAITH:Eine kurze Geschichte der Spekulation. Übersetzt von Wolfgang Rhiel. Eichborn Verlag, 122 Seiten 14,95 Euro.
7. MAIKE ALBATH: Der Geist von Turin. Pavese, Ginzburg, Einaudi und die Wiedergeburt Italiens nach 1943. Berenberg Verlag, 182 Seiten, 19 Euro.
8. CHRISTIAN MAREK:Geschichte Kleinasiens in der Antike. (Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung). C. H. Beck Verlag, 950 Seiten, 44 Euro.
9.-10. ARND POLLMANN: Unmoral. Ein philosophisches Handbuch. Von Ausbeutung bis Zwang. C.H. Beck Verlag, 301 Seiten, 14,95 Euro.
JOSEF H. REICHHOLF: Naturschutz. Krise und Zukunft. Suhrkamp Verlag, 169 Seiten, 10 Euro.
Besondere Empfehlung des Monats September von Petra Kammann:
DONATA ELSCHENBROICH: Die Dinge. Expeditionen zu den Gegenständen des täglichen Lebens. Verlag Antje Kunstmann, 208 S., 18,90 Euro
Die Jury: Rainer Blasius, Eike Gebhardt, Fritz Göttler, Wolfgang Hagen, Daniel Haufler, Otto Kallscheuer, Matthias Kamann, Petra Kammann, Guido Kalberer, Elisabeth Kiderlen, Jörg-Dieter Kogel, Hans Martin Lohmann, Ludger Lütkehaus, Herfried Münkler, Wolfgang Ritschl, Florian Rötzer, Johannes Saltzwedel, Albert von Schirnding, Norbert Seitz, Eberhard Sens, Hilal Sezgin, Volker Ullrich, Andreas Wang, Uwe Justus Wenzel.
Die nächste SZ/NDR/BuchJournal-
Liste der Sachbücher des Monats erscheint am 30. September.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2010

Fiat ist nicht alles

Von Cesare Pavese über die Ginzburgs bis Italo Calvino: Maike Albath huldigt Turin als Ort einer weltoffenen Kultur und beleuchtet ein faszinierendes Kapitel der jüngeren Geistesgeschichte.

Ein verschwommenes Foto mit vier jungen Männern auf einem Steinmäuerchen 1932 hoch über Santo Stefano Belbo steht für das geistige Ambiente dieses Buchs. Man erkennt darauf Leone Ginzburg mit wirrem Haarschopf und strenger Brille, ganz auf den Schreibblock auf seinen Knien konzentriert. Neben ihm sitzt nachdenklich der Schriftsteller Cesare Pavese. Eine Stimmung gemischt aus Tatendrang, Ernsthaftigkeit und verspieltem Müßiggang liegt über dem Bild.

Die in Berlin lebende Autorin Maike Albath sieht darin einen Grundzug jenes Klimas, das seit dem Aufstieg Mussolinis in Turin rund um den Verleger Giulio Einaudi, die Intellektuellen Ginzburg und Norberto Bobbio, die Schriftsteller Pavese und Natalia Ginzburg, später auch Italo Calvino, ein liberales und geistig anspruchsvolles Gegen-Italien gedeihen ließ. Dass in Turin ein besonderer Geist geherrscht habe, der sich gegen die Aufgeregtheit der Schwarzhemden, gegen die grauslige Operettenrepublik von Salò und den früh sich anbahnenden Berlusconi-Klimbim richtete, ist zwar zunächst eine bloße Behauptung. Aber der Autorin gelingt es überzeugend, von der Vignette des Fotos Verbindungslinien zur Ausstrahlung der Fiat-, Universitäts- und Arkadenstadt des Piemont zu ziehen.

Turin war immerhin der Ort, wo unter dem als "König von Italien" auftretenden Vittorio Emanuele di Savoia 1861 das Parlament eines erstmals geeinten Landes zusammentrat. Landes-, Orts-, Individual- und Geistesgeschichte werden von Albath aufschlussreich und anregend ineinander verwoben: mit dem festen Knotenpunkt der Verlagsgründung von Einaudi im Januar 1934. Der Zweiundzwanzigjährige setzte mit dem weltgewandten Exilrussen Ginzburg und dem an amerikanischer Literatur interessierten Pavese auf Leute, die Fernblick mit Ortstreue verbanden.

Unaufgeregt werden die politischen Verstrickungen dargestellt. Während Leone Ginzburg den für Universitätsprofessoren obligatorischen Eid auf Mussolini verweigerte und damit seine akademische Karriere beendete, waren Bobbio und Pavese seit den späten zwanziger Jahren mehr oder weniger freiwillig Mitglieder der faschistischen Partei. Seit seiner Gründung war das Unternehmen Einaudi eine politische Gratwanderung - noch 1942 nahm der Verlag Hans Grimms Buch "Volk ohne Raum" ins Programm - und legte doch von Anfang an die Basis einer weltoffen liberalen Gegenkultur. Der Philosoph Benedetto Croce, auch er bis 1925 ein Sympathisant Mussolinis, war eine bestimmende Figur für jene nachkommende Generation, die über amerikanische Literatur und Pariser Intellektuellentum den piemontesischen Eigensinn gegen die faschistisch verkrampfte Italianità römischer Prägung neu belebte.

Bei Einaudi und seinen legendären Mittwochssitzungen wurde dieser Geist weit über das Kriegsende hinaus zur Institution. Die Autorin schildert ihn einerseits in biographischen Kurzporträts: der zwischen sexuellen Frustrationen und literarischer Vision sich aufreibende Pavese, die nach dem Tod ihres Mannes literarisch zu sich findende Natalia Ginzburg, der souverän zwischen fremden und eigenen Manuskripten navigierenden Italo Calvino. Und sie scheut sich nicht, ihre mit vielen Details aufwartende Studie mit reportagehaften Einschüben aufzulockern.

Einaudi sei eine "echte Universität ohne Abschlussprüfung" gewesen, zitiert sie den späteren Verlagsleiter Roberto Cerati. Statt mit der Nase in den Katalogen zu leben, hätten die Einaudi-Leute fast alle auch selbst geschrieben. Die Utopie hat allerdings in diesem Haus, das seit 1994 zu Mondadori und damit zum Medienimperium Berlusconis gehört, nicht länger überlebt als anderswo. Der jüngste Essayband des Nobelpreisträgers und langjährigen Hausautors José Saramago, so erinnert die Autorin, sei im vergangenen Jahr bei Einaudi abgelehnt worden.

Ein Verlag, eine Stadt, ein Land, ein besonderer Geist - die Liebe Maike Albaths zu ihrem Thema spricht aus jeder Zeile und verleitet sie manchmal zu etwas gewagten Perspektivsprüngen. Aber weil sie ihren Gegenstand exzellent kennt und den erzählten Ereignissen auch Spannung abzugewinnen weiß - das Buch beginnt mit Cesare Paveses mysteriösem Selbstmord am 16. August 1950 in einem Hotelzimmer am Turiner Hauptbahnhof -, folgt man ihrem Zickzackweg gern. Ein gewagtes Unternehmen ist hier weder feuilletonistisch zerfleddert noch akademisch eingetrocknet, sondern schillert verlockend zwischen Hommage, biographischer Skizzenfolge, lockeren Apropos und der Präsentation eines faszinierenden Kapitels europäischer Geistesgeschichte.

JOSEPH HANIMANN

Maike Albath: "Der Geist von Turin". Pavese, Ginzburg, Einaudi und die Wiedergeburt Italiens nach 1943. Berenberg Verlag, Berlin 2010. 191 S., Abb., geb., 19,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eine traurige, aber "klug komponierte" Geschichte hat Rezensent Hans Woller in Maike Albaths Sachbuch "Der Geist von Turin" gefunden. Mit "glänzenden biografischen Miniaturen" und Zeitzeugenberichten versehen, erzählt die deutsche Kulturjournalistin vom Aufstieg und Verfall des Turiner Verlagshauses Einaudi, welches mit dem Ziel, "Bildung für jedermann auf höchstem Niveau" zu vermitteln, vor allem nach 1945 seine Hochzeit erlebte. Obwohl sich das Verlagshaus bald in ganz Europa etabliert hatte, führten Ende der siebziger Jahre politische und persönliche Konflikte innerhalb der Verlagsbelegschaft zum Konkurs und schließlich zum Verkauf ausgerechnet an Silvio Berlusconi, "der nun wahrlich nicht für kulturelle Blüte" bürge, so Hans Woller seufzend. Der Rezensent erkennt deutlich Albaths Sehnsucht nach einer Zeit, in der man noch "nach Herzenslust" Bücher machen konnte, auch wenn in ihrem Buch darunter zum Teil die umsichtige Recherche des historischen Kontextes leide. Gern teilt Woller aber ihre etwas "naive Hoffnung", dass die Zeiten, als Bücher noch die Welt verändern konnten, auch in Italien irgendwann zurückkehren.

© Perlentaucher Medien GmbH