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Aus der Zeit, als John M. Keynes Mitglied der britischen Delegation in Versailles war, stammt diese Erinnerung an Carl Melchior - jüdischer Bankier aus Hamburg - Keynes Verhandlungspartner auf Seiten der besiegten Deutschen; ein Feind, der zum Freund wurde.
Dies ist eine einzigartige Nahaufnahme der Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, die schicksalhaft für Europa wurden - für seinen Biographen Robert Skidelski ist dieser Text "das persönlichste und beste, was Keynes je geschrieben hat".

Produktbeschreibung
Aus der Zeit, als John M. Keynes Mitglied der britischen Delegation in Versailles war, stammt diese Erinnerung an Carl Melchior - jüdischer Bankier aus Hamburg - Keynes Verhandlungspartner auf Seiten der besiegten Deutschen; ein Feind, der zum Freund wurde.

Dies ist eine einzigartige Nahaufnahme der Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, die schicksalhaft für Europa wurden - für seinen Biographen Robert Skidelski ist dieser Text "das persönlichste und beste, was Keynes je geschrieben hat".
Autorenporträt
John Maynard Keynes (1883-1946), englischer Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Mathematiker. Er zählt zu den bedeutendsten Ökonomen überhaupt und ist Namensgeber des Keynesianismus.

Joachim Kalka, geb. 1948, lebt als Kritiker und Übersetzer in Stuttgart. Die Darmstädter Akademie verlieh ihm für sein Übersetzungswerk 1996 den Johann-Heinrich-Voß-Preis und wählte ihn zum Mitglied.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2004

Keynes outet sich

Von dem deutschen Sozialwissenschaftler Edgar Salin stammt die Feststellung, der große britische Ökonom John Maynard Keynes sei kein geborener Professor gewesen, sondern ein Mann, der sich im linksliberalen Londoner Intellektuellenzirkel, der Bloomsbury-Gruppe, und im Ballett - Frau Keynes war eine russische Tänzerin - wohler gefühlt habe als im Hörsaal. Diesen Eindruck stützt die Veröffentlichung zweier Erinnerungstexte, die vor Mitgliedern der Bloomsbury-Gruppe vorgetragen wurden. Der wichtigere Essay behandelt die Freundschaft - Keynes spricht sogar offen von Liebe - des Briten zu einem Mitglied der deutschen Delegation bei den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg in Versailles. Der Hamburger Privatbankier Julius Melchior erschien nicht nur Keynes als das würdigste Mitglied der deutschen Unterhändler. Es ist darüber spekuliert worden, ob Keynes' enger Umgang mit Melchior die deutschfreundliche Haltung des Briten beeinflußt hat, der schon früh in einem bekannten Buch die aus seiner Sicht unsinnige wirtschaftliche Bürde kritisierte, die Deutschland in Versailles tragen mußte.

gb.

John Maynard Keynes: Freund und Feind. Zwei Erinnerungen. Berenberg-Verlag, 19 [Euro]

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.10.2004

Der Geist von Cambridge
Über Freund und Feind: Essays von John Maynard Keynes
Das Erscheinen der beiden wichtigsten nicht-ökonomischen Essays des britischen Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes in einem elegant ausgestatteten, von Joachim Kalka vorzüglich übersetzten Band ist ein Grund zum Feiern. Denn diese Essays bieten einen Schlüssel nicht nur zu Keynes’ Denken, sie erschließen auch eine Geisteshaltung, die das Denken des 20. Jahrhunderts in seinen besseren Ausformungen stark geprägt hat, die jedoch von ihren klügsten Vertretern, etwa von Keynes selbst, in nachdenklichen Augenblicken durchaus auch in ihren Schwächen wahrgenommen wurde. Dieses Buch atmet den Geist der Aufklärung in ihrer gequälten, für das 20. Jahrhundert typischen Form. Beide Aufsätze entstanden als Vorträge, die Keynes vor einem Kreis alter Freunde hielt, und sie haben noch immer etwas von der Aura kultivierter, feinsinniger After-Dinner-Gespräche im frühen 20. Jahrhundert.
Der erste Aufsatz, „Dr. Melchior. Ein besiegter Feind”, ist eine Reflexion über Keynes’ Begegnung mit Carl Melchior, dem Partner des Hamburger Bankiers Max Warburg, während der Friedensverhandlungen von 1919 in Paris, Trier und Spa. Sehr anschaulich schildert er die bedrückenden, irritierenden Bedingungen, unter denen damals Frieden geschlossen werden sollte, während weite Teile Deutschlands Hunger litten und in einen Strudel der Unordnung und der radikalen, gewalttätigen Ideologisierung gerieten. Für sich genommen ließe sich die Beschreibung des Durcheinanders, das man anrichten kann, wenn man eine besiegte, in sich gespaltene Gesellschaft zu befrieden und zu demokratisieren versucht, in großen Teilen ohne weiteres auf den heutigen Irak übertragen.
Die Aufhebung der Blockade
Das konkrete Problem bestand darin, dass Deutschland dringend Nahrungsmittel brauchte, Briten und Amerikaner bereit waren, diese Nahrungsmittel zu liefern, allerdings nur gegen hartes Geld (Gold) oder die Preisgabe der deutschen Handelsflotte, während die Franzosen auf Reparationszahlungen in Gold bestanden und die deutschen Verhandlungsführer sich weigerten, die Schiffe preiszugeben. So blockierten sich alle Parteien in einem Zirkel aus gegenseitigem Misstrauen, Hass und Kleinlichkeit.
Die radikalen, unnachgiebigen Verhandlungsführer auf Seiten der Franzosen und der Deutschen mussten durch den messerscharfen Verstand der Briten (nämlich durch Keynes selbst und den sarkastischen britischen Premierminister David Lloyd George) gedemütigt und in die Schranken verwiesen werden. Unter ausgiebiger Verwendung von abscheulichen antisemitischen Stereotypen machte sich Lloyd George über den französischen Finanzminister Klotz (der Jude war) und über dessen Forderung nach „Gold” lustig.
Die Lehre, die uns Keynes erteilt, hat vieles für sich: Im Grunde handelt es sich um eine einfache Lektion in praktischer Moral. Statt durch endlose Verhandlungen in nutzlosen Ausschüssen könne man auf der Grundlage des freundschaftlichen Umgangs aufgeklärter Männer zu einer vernünftigen Lösung gelangen. Den Höhepunkt dieser Erinnerung bilden denn auch diejenigen Passagen, in denen sich zeigt, wie Keynes und Melchior miteinander zu sprechen vermögen, wie einstige Feinde durch Vernunft und gegenseitige Sympathie zu Freunden werden können. Auch den nachdenklichen Melchior „mit Augen, die uns glänzend anblickten und in denen eine ungewöhnliche Trauer stand und doch der Ausdruck eines ehrlichen Tieres, das der Jäger in die Enge getrieben hat”, schildert Keynes als typischen Juden - der allerdings für ihn das Beste der jüdischen Tradition verkörpert.
Die Botschaft von Keynes’ Aufsatz klingt schon im deutschen Titel an. „Freund und Feind” ist nichts anderes als eine Zurückweisung der zentralen Idee Carl Schmitts, alles Politische erwachse aus dem Gegensatz von Freund und Feind. Das wichtigste Wort dieses Titels ist also das unscheinbarste - „dies süße Wörtlein und”, wie es ein großer Deutscher des 19. Jahrhunderts einmal formuliert hat. Nicht mehr Keynes, nicht mehr Melchior, sondern Keynes und Melchior, England und Deutschland. Tatsächlich glaubten viele Beobachter, in Keynes’ Haltung zu Melchior auch ein homoerotisches Element erkennen zu können.
Für Keynes erwuchs das Grundproblem Deutschlands aus dem Vermächtnis des Wagnerianismus, wie er sich im geschmacklosen Protz der Villen in Spa entfaltete, in denen noch bis vor kurzem der Kaiser und seine Generäle residiert hatten. „Man könnte manchmal glauben, daß kein einzelner Mensch eine größere Verantwortung trägt als Wagner. Offensichtlich war das Selbstbild des Kaisers entsprechend geformt. Und was war Hindenburg anderes als der Baß, was Ludendorff anderes als der dicke Tenor in einer drittrangigen Wagnerinszenierung?” In dieser Perspektive stand Wagner für bourgeoisen Pomp, bombastischen Gefühlsüberschwang und falsche Emotionalität. Wagnerianismus war das Gegenteil von echter Freundschaft.
Noch eindringlicher kommt der Grundgedanke dieses Essays in einem Text von Keynes aus dem Jahre 1938 zum Ausdruck. „Meine frühen Überzeugungen” ist ein Loblied auf jene vor allem von den „Principia Ethica” des Philosophen G. E. Moore geprägte Weltanschauung, die in der idealistischen Atmosphäre des Cambridge vor 1914 entstehen konnte. Dort feierten die Intellektuellen der Vorkriegszeit die Befreiung aus der konventionellen Moral, aber auch vom utilitären Kalkül des Benthamismus, der Keynes zufolge im 20. Jahrhundert einfach auf den ökonomischen Determinismus des Marxismus übertragen wurde. Sie verwarfen die Lehre von der „Erbsünde” in all ihren Aspekten: „Wir hatten keinen Respekt vor traditioneller Weisheit oder vor eingebürgerten Restriktionen.” Das Gute fanden sie nicht in Gott oder im Naturrecht, sondern in einer bestimmten Bewusstseinslage.
Bis zum Jahre 1938, als er diese Erinnerungen schrieb, waren Keynes allerdings Zweifel gekommen, ob das, was das Ideal von Cambridge verhieß, tatsächlich genügte. Schon 1914 war dieses Ideal heftig kritisiert worden - vor allem von D. H. Lawrence, dem es irreal und unreif erschien und der Keynes’ Freunden erzählte, Keynes sei ihm im Traum als Küchenschabe erschienen. 1938 erkennt auch Keynes mit erschreckender Klarheit, wie dünn und verletzlich der Firnis der Zivilisation geworden ist - „dieser dünne Rationalismus, der über die Kruste der Zivilisation dahinhüpfte und Wirklichkeit und Wert der vulgären Leidenschaften ignorierte; verbunden mit Libertinage und umfassender Ehrfurchtslosigkeit”.
Melchior selbst war offenkundig ein Opfer der neuen Politik: Mehrmals hatte man ihm in den Kabinetten der Weimarer Republik den Außenministerposten angeboten, doch er hatte immer dankend abgelehnt, weil er fürchtete, er werde als Jude bald Ziel nationalistischer Verunglimpfungen sein. Ende 1933 war er mit gebrochenem Herzen gestorben - zu einer Zeit, als klar war, dass die verheißungsvolle Vision von Freundschaft und Rationalität, die ihn mit Keynes verband, für immer untergegangen war. Keynes’ Aufsatz von 1938 beschreibt insofern auch, wie der Traum von einer durch gute, bedeutende Menschen gestalteten Politik unterging.
Das Ideal und der Hass
Wenn man sich die allgemeine Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit von 1938 vor Augen führt, ist es bemerkenswert, wie viel von der alten Cambridger Vision sich nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbeleben ließ - zum großen Teil dank des diplomatischen Geschicks von Keynes selbst bei der Suche nach einer Regelung für die Nachkriegszeit. Als die Welt durch die Institutionen von Bretton Woods und den Marshall-Plan neu gestaltet wurde, kamen die Ideen aus dem Cambridge der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in praktischerer Ausprägung wieder zum Vorschein. Aber die Einwände, die Keynes 1938 so deutlich wahrgenommen hatte, blieben bestehen: Wie sollte eine aufgeklärte, rationale Welt mit dem grenzenlosen Hass umgehen, der sich gegen Melchior und Walther Rathenau und gegen die gesamte jüdische Bevölkerung Deutschlands gerichtet hatte? Jetzt erkannte Keynes, dass die liberale Vision in stabilen Institutionen verankert werden musste. Die Freundschaft guter Menschen reichte nicht aus, die Welt zu reformieren.
HAROLD JAMES
JOHN MAYNARD KEYNES: Freund und Feind. Erinnerungen. Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Mit einer Einleitung von Dorothea Hauser. Berenberg Verlag, Berlin 2004. 128 Seiten, 19 Euro.
Harold James ist Professor für Geschichte an der Princeton-University.
Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Literarisches Meisterwerk", "glänzend geschrieben" - Henning Ritter hat in dem Nationalökonomen John Maynard Keynes einen vorzüglichen Schriftsteller entdeckt. Ausgezeichnet findet der Rezensent auch die Übersetzung dieser beiden unter dem Sammeltitel "Freund und Feind" nun endlich auf Deutsch vorliegenden Erinnerungstexte. Keynes beschreibt eine untergegangene Welt, eine Welt zwischen Cambridge und Bloomsbury, zwischen dem Vertrag von Versailles und G. E. Moores "Principia Ethica", geistreich bis zur Überheblichkeit, idealistisch bis zur Narretei. In dem Text "Meine frühen Überzeugungen" blickt der berühmte Wissenschaftler kopfschüttelnd auf die realitätsfremden Überzeugungen seiner Jugend zurück; in "Ein besiegter Feind" wendet er sich, gleichfalls kopfschüttelnd, dem lächerlichen Gebaren der Delegierten während der Versailler Friedensverhandlungen zu. Der Titel des letzteren Textes, so Ritter, bezieht sich auf eine mit dieser satirisch-scharfsichtigen Abrechnung dezent verwobene Liebesgeschichte, in der ein jüdischer Bankier aus Hamburg, einer der besiegten Feinde, die zweite Hauptrolle spielte.

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