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  • Buch

Produktdetails
  • Verlag: nova & vetera
  • ISBN-13: 9783936741193
  • ISBN-10: 3936741190
  • Artikelnr.: 27512916
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.02.2010

Ein Austritt, der kein Austritt ist
Eine gründliche Analyse zum Streit um die Kirchensteuer
Bei keiner anderen Frage sind Seelenheil und Politik derart eng verbunden: Welche Folgen darf der Kirchenaustritt vor einer staatlichen Behörde haben? Bekanntlich reicht es hierzulande, das Standesamt aufzusuchen und ein Formular zu unterschreiben, um in den Augen des Staates als konfessionslos zu gelten. Die Pflicht zur Kirchensteuerzahlung erlischt dann. Ist der Ausgetretene aber damit wirklich ein Ex-Protestant etwa geworden? Und haben deutsche katholische Bischöfe das Recht, automatisch die höchste Kirchenstrafe zu verhängen, die Exkommunikation?
Nein, lautet die Antwort eines päpstlichen Rundschreibens vom März 2006. Nein, sagt der Freiburger Kirchenrechtler Hartmut Zapp. Seinen Austritt aus der Körperschaft, nicht aber aus der Glaubensgemeinschaft will die Erzdiözese Freiburg nicht akzeptieren. Demnächst wird die zweite Instanz darüber entscheiden. Nein, sagt auch Gerald Gruber in einem gründlichen Buch mit Sprengkraft. Der zweite Vorsitzende des Wiener Diözesangerichts bedenkt die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) mit klaren Worten. Sie befinde sich ,,zweifelsfrei‘‘ im Widerspruch zum Vatikan und lasse durch ihren ,,Beharrungsbeschluss‘‘ die ,,Probleme im Umgang mit dem Kirchenaustritt auf ein nicht vertretbares Maß‘‘ ansteigen.
,,Beharrungsbeschluss‘‘ meint die Erklärung, mit der die Bischofskonferenz im April 2006 auf das Schreiben des ,,Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte‘‘ reagierte. Demnach bleiben die ,,deutsche Rechtstradition‘‘ und die ,,bewährte Praxis‘‘ unangetastet. Der Austritt vor der staatlichen Behörde – ,,aus welchen Gründen auch immer‘‘ – erfülle den Tatbestand eines schismatischen ,,Abfalls von der Kirche‘‘ und ziehe immer die Tatstrafe der Exkommunikation nach sich.
In Rom sieht man die Sache anders. Das Verdienst von Grubers detailgenauer Analyse ist es, die Herleitung wie auch die Weiterungen des römischen ,,Paradigmenwechsels‘‘ darzulegen. Das Rundschreiben habe ,,auch neues Recht geschaffen‘‘. Zum ersten Mal wurde verbindlich festgelegt, welche formalen Bedingungen erfüllt sein müssen, damit ein ,,Abfall von der Kirche‘‘ vorliegt. Nötig sind eine ,,innere Entscheidung‘‘, deren ,,äußere Bekundung‘‘ und die Annahme der Entscheidung durch die zuständige kirchliche Autorität. Der bloß ,,rechtlich-administrative Akt‘‘ im Angesicht des Staates reiche nicht aus, ,,weil der Wille zum Verbleiben in der Glaubensgemeinschaft bestehen bleiben könnte‘‘.
Für Gruber gibt es keinen Zweifel: Im Gegensatz zu den österreichischen haben die deutschen Bischöfe keine Lehren aus der amtlichen Erklärung gezogen. In Österreich gilt eine Einzelfallprüfung, die Gruber für angemessen hält. Wie sonst soll jene Bewertung der Austrittsmotive stattfinden, die Rom verlangt und die man in Freiburg, München, Stuttgart nicht leisten mag? Schließlich bedeutet Exkommunikation die Drohung, das Seelenheil zu verspielen. So drakonisch urteilen sollte nur, wer sich gewiss ist, der Austritt entspringe dem festen Willen, Glauben, Sakramente und pastorale Leitung abzulehnen. In Österreich erhält jeder Austrittsbereite ein Schreiben über die Folgen, Gespräch und Widerruf können sich anschließen. Erst nach drei Monaten wird der Austritt wirksam.
Bezeichnenderweise wäre das Rundschreiben, das die deutschen Bischöfe in Erklärungsnot bringt, ohne deutsche Bischöfe nicht entstanden. Gruber erzählt die Vorgeschichte: 1971 und 1991 wandte sich der jeweilige Osnabrücker Bischof, 1993 jener von Augsburg, 2005 schließlich jener von Rottenburg-Stuttgart an den Vatikan, um Klarheit zu erhalten. Stets stand ein Einzelfall zur Debatte. Bereits 1971 lautete die Auskunft: Wer seine Kirchensteuer nicht bezahlt, müsse nicht unbedingt ein Apostat sein. Im Mai 2005 wurden dem Stuttgarter Oberhirten auf eine eherechtliche Anfrage hin die drei formalen Kriterien für einen Austritt genannt, die dann 2006 gesamtkirchlich festgeschrieben wurden.
Ein Kapitel im Prolog zur Grundsatzentscheidung hört auf den Namen Georg Gänswein. Der heutige Privatsekretär des Papstes hat in seiner kirchenrechtlichen Dissertation von 1995 entschieden für das Prinzip argumentiert, getaufte Katholiken stünden ein für allemal in der vollen Gemeinschaft der Kirche: Nichts vermag die Taufe abzuwaschen. Eine Ahnung von diesem Prinzip lässt sich bei den deutschen Katholiken an unvermuteter Stelle finden. In einer 2005 veröffentlichten Handreichung werden kirchliche Begräbnisse auch für Ausgetretene legitimiert – sofern die Verstorbenen dennoch ,,dem kirchlichen Leben und Glauben verbunden‘‘ waren.
Was folgt aus Grubers materialreichem Buch für den Streit um die Kirchensteuer? Deren Ende ist mit dem päpstlichen Rundschreiben nicht gekommen. Wohl aber lässt sich die automatische Exkommunikation als Folge des steuersparenden Gangs zum Standesamt nicht aufrechterhalten. Der Raum der Gründe muss je neu und individuell ausgemessen werden. ALEXANDER KISSLER
GERALD GRUBER: Actu Formali ab ecclesia catholica deficere. Zur Problematik des vor staatlicher Stelle vollzogenen Kirchenaustritts. Verlag nova & vetera, Bonn 2009. 344 Seiten, 36 Euro.
Bedeutet die Nichtzahlung von Kirchensteuer automatisch die Exkommunikation?
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Gründliches "materialreiches" Buch mit Sprengkraft, findet Alexander Kissler. Was genau es mit dem päpstlichen Rundschreiben vom März 2006 auf sich hat, in dem erklärt wird, der steuersparende Kirchenaustritt sei mitnichten als kirchliches Kapitalverbrechen zu behandeln (wie von deutschen katholischen Bischöfen praktiziert) und rechtfertige somit auch nicht die Exkommunikation, hat der Rezensent hier erfahren. Von Gerald Gruber, dem zweiten Vorsitzenden des Wiener Diözesangerichts, lernt Kissler ferner, dass in Deutschland keine Lehren aus der amtlichen Erklärung gezogen wurden und dass eine individuelle Prüfung der Austrittsumstände- und -gründe (wie etwa in Österreich) allemal die bessere Lösung ist.

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