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Die Zwillinge Alva und Irva sind vorherbestimmt für eine große Karriere im Postwesen. Ihr Großvater ist Postmeister, der früh verstorbene Vater war Briefträger, und ihre Mutter tut Dienst am Schalter des Hauptpostamtes. Die unzertrennlichen, aber in ihrem Wesen sehr verschiedenen Schwestern haben jedoch anderes im Sinn. Die extrovertierte Alva träumt davon, die Welt zu entdecken, die schüchterne Irva hingegen geht nur ungern aus dem Haus. Aus der Sehnsucht heraus, sich eine eigene Welt zu schaffen, beschließen die beiden, ihre Heimatstadt aus Plastilin nachzubauen. Mit Maßband und Notizblock…mehr

Produktbeschreibung
Die Zwillinge Alva und Irva sind vorherbestimmt für eine große Karriere im Postwesen. Ihr Großvater ist Postmeister, der früh verstorbene Vater war Briefträger, und ihre Mutter tut Dienst am Schalter des Hauptpostamtes. Die unzertrennlichen, aber in ihrem Wesen sehr verschiedenen Schwestern haben jedoch anderes im Sinn. Die extrovertierte Alva träumt davon, die Welt zu entdecken, die schüchterne Irva hingegen geht nur ungern aus dem Haus. Aus der Sehnsucht heraus, sich eine eigene Welt zu schaffen, beschließen die beiden, ihre Heimatstadt aus Plastilin nachzubauen. Mit Maßband und Notizblock bewaffnet, streift Alva durch die Straßen und vermißt Häuser, während Irva auf dem heimischen Speicher an dem ständig wachsenden Modell baut.
Mit viel Einfühlungsvermögen hat Edward Carey eine urkomische und zugleich berührende Geschichte geschrieben, die von bewohnten und erträumten Welten erzählt, von Nähe und Distanz, und davon, daß letztendlich alles nur eine Frage der Perspektive ist.
Autorenporträt
Edward Carey wurde 1970 im englischen Norfolk geboren. Nach der Schule besuchte er zeitweilig die Marineakademie, arbeitete als Aufseher in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett und studierte Theaterwissenschaften. Seitdem war er als Dramaturg an staatlichen Theatern in rumänien und Litauen tätig, wo er u.a. Werke von Robert Coover und Patrick Süskind für die Bühne adaptierte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2003

Heute baut man in Plastilin
Helden des Wiederaufbaus: Der zweite Roman von Edward Carey

Plastilin ist der Werkstoff der ersten Lebensjahre. Kinderhände kneten hingebungsvoll bunte Kugeln, bauen Puppenhäuser oder Garagen für Spielzeugautos und schmieren die bunte Masse fröhlich in Haare, Tischdecken und Teppiche. Der Eifer der frühen Baumeister läßt zumeist nach, wenn sich die leuchtenden Farben zu einem unansehnlichen Schlammbraun vermischt haben und die kleinen Skulpturen zerbröckeln. Große und dauerhafte Kunstwerke, so lehrt es die Erfahrung aus unzähligen Kinderzimmern, können aus Knete nicht entstehen.

Edward Carey versucht nun den Gegenbeweis. In seinem Roman "Alva & Irva" wird das Plastilin zur schöpferischen Ursubstanz, die Welten erschafft und der selbst Naturkatastrophen nichts anhaben können. Um die Ehrenrettung der Knete in Szene zu setzen, entwirft Carey einen skurrilen Kosmos, der von versponnenen und weltfremden Figuren bewohnt wird. Bereits in seinem ersten Roman "Das verlorene Observatorium" hatte der 1970 geborene Engländer das komplizierte Leben von Sonderlingen geschildert, die in einem heruntergekommenen Mietshaus seltsamen Beschäftigungen nachgehen. Während sich dieser erste Roman aber immerhin als liebenswürdige Karikatur des berüchtigten englischen Spleens lesen läßt, führt Carey seine Leser diesmal viel entschiedener in eine fiktive Welt.

Die Stadt Entralla, so wird erzählt, liegt irgendwo in einem kleinen, zentraleuropäischen Land. Doch weder der sorgfältig gezeichnete Stadtplan noch die in den Roman eingestreuten Hinweise für die touristische Erkundung können die Leser täuschen: Entralla ist nicht realer als Schilda oder Gottfried Kellers Seldwyla. Als moralischer Spiegel unserer realen Welt taugt jedoch dieses Entralla allerdings wenig, worauf es Edward Carey offenbar auch gar nicht abgesehen hat, viel zu wichtig ist ihm die detaillierte Konstruktion einer abstrusen Handlung.

Im Zentrum des Buches stehen die Zwillinge Alva und Irva. Äußerlich gleichen sich die hochgewachsenen Mädchen aufs Haar; Temperament und Charakter lassen sie jedoch zu sehr unterschiedlichen Personen werden. Was Studien zur Familienpsychologie oft genug beschrieben haben, wird hier zur Grundlage einer rasch erzählten Geschichte: Alva, die ältere der Schwestern, strebt in die Ferne, träumt von einem selbständigen Leben und läßt sich zur Kompensation ihrer Sehnsüchte die komplette Weltkarte auf die Haut tätowieren. Auf dem Busen findet das kleine Heimatland seinen Platz; über die Pobacken erstrecken sich reizvoll Australien und Neuseeland. Geopolitische Wertungen sind mit dieser Plazierung allerdings nicht beabsichtigt.

Mit solch sinnlicher Geographie kann die scheue Irva nur wenig anfangen, und während die große Schwester immer unruhiger in der Stadt umherstreift, zieht sie sich ins verschlossene Haus zurück. Die schwesterliche Harmonie wird erst wiederhergestellt, als sich die jungen Frauen an die Freuden ihrer Kinderzeit erinnern. Jetzt kommt endlich die Knete ins Spiel, denn die Zwillinge beginnen, aus Unmengen von Plastilin ein detailliertes Abbild ihrer Heimatstadt zu formen. Der Dachboden, auf dem die beiden ihr obsessives Hobby beginnen, wird schnell zu eng, und bald stapeln sich im Haus über achthundert Pappschachteln, in jeder eine realistische Miniatur von den Straßenzügen und Plätzen Entrallas. Das alles bliebe Privatvergnügen der exzentrischen Zwillinge, wenn nicht eines Tages ein verheerendes Erdbeben die Stadt verwüstete - deutliche Hinweise des Erzählers haben es lange genug vorbereitet. Wo Häuser aus Stein und Holz vernichtet werden, überstehen die gekneteten Modelle jede Erschütterung, und für kurze Zeit werden Alva und Irva im zerstörten Entralla als Heldinnen und Schutzpatroninnen des Wiederaufbaus gefeiert.

Doch auch der kurzfristige Ruhm kann die beiden Schwestern nicht aus ihrer Folie à deux lösen: An dem Tag, als Alva sich endgültig von der stillen Irva zu lösen versucht, erleiden beide einen symbiotischen Tod durch Herzschlag. Anteilnahme vermag dieses plötzliche Ende der Plastilin-Architektinnen allerdings kaum hervorzurufen, denn Careys Gestalten - die knetenden Zwillinge ebenso wie die vielen Nebenfiguren - sind blasse und thesenhafte Figuren, denen die Möglichkeit einer inneren Entwicklung versagt bleibt. Möglicherweise hat Carey die unablässige Kneterei sogar als poetologische Metapher für die mühevolle Kleinarbeit des Romanschriftstellers verstanden; doch ist es ihm nicht gelungen, seinen Protagonistinnen jene Mehrdimensionalität zu verleihen, die ihre Plastilinhäuser so reizvoll macht.

So gleicht die Lektüre des Buches dem Blick in das Schaufenster eines Spielzeugladens: Man erfreut sich an niedlichen Figuren und hübschen Dekorationen, hält womöglich für einen kurzen Moment der Betrachtung inne - und hat im Weitergehen bald vergessen, was die Aufmerksamkeit für kurze Zeit gefesselt hat.

SABINE DOERING

Edward Carey: "Alva & Irva". Roman. Aus dem Englischen von Jürgen Bürger. Liebeskind Verlag, München 2003. 256 S., geb., 20,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Karsten Kredel hat sich berühren lassen von Edward Careys märchenhaftem Roman über die "exzentrischen Schwestern" Alva und Irva und ihre Miniaturstadt. Die beiden sind, informiert er, "identische Zwillinge, konträre Charaktere" - der einen ist die Heimatstadt zu klein, der anderen kann sie gar nicht klein genug sein, doch so sehr sie in verschieden große Systemen leben, so untrennbar sind sie zugleich verbunden und lassen einander nicht entfalten - oder sich zurückziehen. "Es gibt kein Entkommen", so die traurige Botschaft von Careys "Elegie der Akzeptanz", doch haben wir, so interpretiert der Rezensent den Ruf des Autors, immer noch den Trost der Miniatur: "Kommen Sie herbei, schauen Sie, wie klitzeklein und reisengroß ein jeder ist!" Und Kredel hat augenscheinlich mit einigem Vergnügen hingeschaut.

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