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Eine furiose Dreiecksgeschichte zwischen einem Mann ohne Prinzipien und einem Paar, dessen Ehe allein auf Regeln gründet: "Tage ohne Wetter" ist eine absurde Komödie über das universelle Drama des Lebens, traurig und komisch zugleich.

Produktbeschreibung
Eine furiose Dreiecksgeschichte zwischen einem Mann ohne Prinzipien und einem Paar, dessen Ehe allein auf Regeln gründet: "Tage ohne Wetter" ist eine absurde Komödie über das universelle Drama des Lebens, traurig und komisch zugleich.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

Testbild des Bewußtseins
Sturmwarnung: John Barth in der Roman-AG / Von Peter Körte

In seinem Gaddis-Essay entwickelt Jonathan Franzen auch eine kleine Theorie über die Leser-Autor-Bindung. Während im "Kontraktmodell" Harmonie zwischen Autor und Lesergemeinde herrsche, bleibe im "Statusmodell" das große Werk für sich, unabhängig vom Leser - und wenn der es nicht versteht, dann ist er ein Philister. Franzens Überlegungen lassen sich leicht auch auf John Barth anwenden. Barth wird zwar gern in einem Atemzug mit DeLillo, Pynchon oder Gaddis genannt, doch man wird schnell kurzatmig, wenn es um die Titel seiner Bücher geht. Nur wenige sind ins Deutsche übersetzt, auch in Amerika ist der Großteil längst vergriffen. Prominenter wurde Barth ohnehin durch seinen Aufsatz "The Literature of Exhaustion" von 1967, der als erstes Manifest der postmodernen Literatur gilt.

Trotz dieser wenig aussichtsreichen Lage hat sich der junge Münchner Liebeskind Verlag entschlossen, die beiden ersten Romane von Barth herauszugeben. "Die schwimmende Oper" erschien im vergangenen Herbst, nun folgt "The End of the Road" (1958) unter dem Titel "Tage ohne Wetter", der ganz apart zwischen Tiefsinn und Nonsens pendelt. Doch das Buch erfüllt entsprechende Hoffnungen nicht, und man tut ihm kaum unrecht, wenn man frei nach Habermas sagt, bei der Lektüre betrete man verlassene Stufen der Reflexion, von denen sich schwer sagen läßt, wie gangbar sie einst waren. Die Hauptfigur Jacob Horner gibt das Betriebsgeheimnis ihrer kleinen Ich-AG bereits im ersten Satz preis: "Ich bin Jacob Horner, gewissermaßen." Er hat so viele Ansichten und Meinungen, wie eine Firma Aktien zirkulieren läßt, und er mag sich so wenig festlegen, daß sogar andere an seiner Existenz zweifeln. So ist der Kurs der Ich-AG schon bei der Erstemission im Keller, und wenn es darauf ankommt, ist Horner insolvent. Auch die new economy des postmodernen Romans, so scheint es retrospektiv, war oft eine große Blase, die irgendwann platzen mußte.

Die übrige Figurenkonstellation hat Barth aus seinem Erstling übernommen, auf den er 45 Jahre später in "Coming Soon!!!" noch einmal zurückkommen sollte. Horner, der eines Tages einfach auf einer Bahnhofsbank sitzen blieb und von einem obskuren Arzt aus seiner Paralyse erlöst wurde, kommt zu therapeutischen Zwecken als Grammatiklehrer an ein College namens Wicomico. Kurzfristig euphorisiert, freundet er sich mit seinem Kollegen Joe an und beginnt bald ein Verhältnis mit dessen Frau Rennie. Seine Teilnahmslosigkeit trägt er wie eine Monstranz vor sich her, und in dichten Schwaden zieht der Weihrauch des Existentialismus durch die Seiten. Man liest endlose Dialoge unter College-Menschen, die sich dauernd mit ihren Ansichten über Gott, die Welt, die Ehe und die Widerspruchsfreiheit des eigenen Lebensentwurfs traktieren müssen. So wirken sie wie mühsam animierte Thesenpapiere, und man begreift daher, daß Horner mitunter nur das "Testbild meines Bewußtseins" sieht, das im Aufsagen des Slogans "Pepsi-Cola ist doch toll" besteht.

Gewiß soll dieser enervierende Austausch etwas demonstrieren, und man muß es wohl auch als parodistische Einlage verstehen, wenn Horners Arzt mal wie Wittgenstein daherredet und seinem Patienten dann wieder empfiehlt, Sartre zu lesen, um sich wenigstens eine Haltung zuzulegen. Keine Frage, daß die moralische Abstinenz, mit der Barth die seltsame menage à trois schildert, für die späten fünfziger Jahre eine Provokation war. Frischer werden die verbalen Verausgabungen dadurch nicht, die jeden Ansatz von Plot ganz offenkundig wie ein geheimnisvoller Nebel verdecken sollen. Doch auf einmal schlägt dann in diese "Tage ohne Wetter" der Blitz ein. Knapp, ohne selbstreferentielle Salti beschreibt Horner da eine Abtreibung, in deren Verlauf Rennie unter den Händen eines Kurpfuschers stirbt, und in diesen acht Seiten liegen eine Härte und Grausamkeit, welche die ganzen Geschwätzigkeiten konterkarieren. Wenn dieser Tod in einem halben Kapitel das ganze Geplänkel wegfegen kann, dann allerdings werden die Proportionen zwischen dem Erzählten und der Erzählweise endgültig schief.

Es ist daher, wie man so gern mit interesselosem Wohlgefallen sagt, "verdienstvoll", die alten Romane John Barths erstmals auf deutsch zugänglich zu machen. Aber es darf schon ein wenig mehr als die Befriedigung philologischer Interessen dabei herauskommen. Es scheint, als habe John Barth eine Ahnung davon gehabt: "Postmodernismus", hat er einmal geschrieben, "ist, wenn man sich eine Krawatte bindet, während man gleichzeitig Schritt für Schritt den Vorgang des Krawattenbindens erläutert und über die Geschichte der Krawatte plaudert - und dennoch einen perfekten Windsorknoten zustande bringt". Das mag einigermaßen komisch sein, wenn man sich einen Comedy-Profi bei dieser Prozedur vorstellt; in der Literatur führen solche Übungen meist dazu, daß der Ausführende sich allmählich die Luft abschnürt oder sich den Hals verrenkt, weil er sich beim Erzählen ständig selbst über die Schulter schauen möchte.

John Barth: "Tage ohne Wetter". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Matthias Müller. Liebeskind Verlag, München 2002. 256 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.03.2003

Der feige Satan
Im Schatten des Rollkragens:
John Barth’ „Tage ohne Wetter”
Fragt man heute nach dem Schriftsteller John Barth, erntet man in aller Regel Schulterzucken. Die Hochzeit des 1930 geborenen Amerikaners waren die sechziger und siebziger Jahre. Damals verfasste er mit „The Literature of Exhaustion” (1967) das erste grandiose Manifest postmoderner Literatur und erschien mit Büchern wie „The Sot-Weed Factor” (1960) oder „Lost in the Funhouse” (1968) auf Augenhöhe mit Starautoren wie Donald Barthelme, William S. Burroughs und Thomas Pynchon. Man nehme nur noch einmal „ACID”, die von Rolf Dieter Brinkmann 1969 herausgegebene Anthologie über die „Neue amerikanische Szene” zur Hand, um sich die Namen zu vergegenwärtigen, die zu jener Zeit auch die deutsche Literatur beeinflussten.
Mittlerweile sind selbst in den USA viele Titel von John Barth vergriffen. Die wenigen Bücher, die in den Siebzigern und Achtzigern ins Deutsche übersetzt wurden, lassen sich bestenfalls antiquarisch aufstöbern. Umso erfreulicher ist es, dass der Münchner Liebeskind Verlag nun nach Barth’ Debüt „Die schwimmende Oper” (1957) auch den zweiten Roman „The End of the Road” (1958) bringt, unter dem Titel „Tage ohne Wetter”, in einer neuen, sehr gelungenen Übersetzung von Matthias Müller.
„Ich bin Jacob Horner, gewissermaßen”, stellt sich die Hauptfigur im ersten Satz vor und verursacht bei seinen deutschen Lesern einen Kurzschluss zu Max Frischs bekannter Roman-Eröffnung: „Ich bin nicht Stiller!” Beinahe zeitgleich erschienen, liegt über beiden Texten der Schatten des schwarzen Rollkragenpullovers: Ein Ich-Erzähler, der – ganz Existentialist – permanent die Grundlagen des eigenen Lebens reflektiert, in jeder Sekunde beobachtet, wie er seine Mitmenschen wahrnimmt und diese ihn, der die Welt als Maskenspiel erkennt und angesichts der unendlichen Vielfalt möglicher Rollen entscheidungsunfähig zu erstarren droht. Die moderne Spielart dieser existentiellen Skepsis inszeniert primär das Leiden an der Unmöglichkeit eines in sich stimmigen, zielgerichteten Lebens und Erzählens, die postmoderne Spielart dagegen zelebriert die Unstimmig- und Ziellosigkeit als neue bodenlose Grundlage für Leben und Literatur.
„Tage ohne Wetter” hat von beidem etwas. Wie der Nicht-Zustand des Titels sitzt Jacob Horner einen Tag lang regungslos auf der Bank einer Bahnhofshalle, bis ihn ein Arzt aufgreift. Zur therapeutischen Remobilisierung tritt Horner eine Dozentenstelle für „normative Grammatik und Stilkunde” an einem Kleinstadt-College der amerikanischen Ostküste an. Schnell schließt er Freundschaft mit seinem Kollegen Joe Morgan und dessen Ehefrau Rennie. Die Morgans haben ihre Beziehung streng nach den Regeln „Respekt” und „Integrität” ausgerichtet, jeder soll seine Entscheidungen unabhängig vom Partner treffen. „Was könnte alberner sein als der Vorsatz, sinnvoll zu leben?”, fragt Horner eines Tages Rennie, und die beiden beginnen ein Verhältnis. Rennie wird schwanger, doch sie weiß nicht, von wem. Beim Versuch, den Fötus abzutreiben, stirbt Rennie unter den Händen eines Kurpfuschers.
Die Wucht des Todes
Er fühle sich wie die Unvernunft, sagt Horner an einer Stelle, die gegen die Vernunft, alias Joe, um Rennie kämpft „wie Satan mit Gott um die menschliche Seele”. Trotz der ironischen Färbung drückt das Gleichnis den Schematismus aus, an dem der Roman aufs Ganze gesehen leidet. Ausufernde Dialoge führen philosophische Positionen gegeneinander wie Schattenboxer, die Merksätze in die Luft zimmern: „Was man tun wollte, ist letztendlich das, was man getan hat” oder „Gegen Angst kann man nichts machen, aber man muss sich entscheiden, feige zu sein”. Dagegen wirkt die Wucht von Rennies brutalem Tod wie ein Niederschlag, auch des Erzählgebäudes.
Ein literarisches Luftschloss auf Erden könnte der Roman sein, bliebe er auf der Höhe seiner ersten Kapitel. Der humorvolle Scharfsinn und die muntere Ironie jener Passagen erinnert an die Prosa von Samuel Becketts Erstling „Murphy”. Im Herbst will der Verlag die vergriffene Übersetzung des dritten Romans von John Barth, das komplexe Fabulierwerk „Der Tabakhändler” ( 1960), wiederauflegen.
THOMAS WILD
JOHN BARTH: Tage ohne Wetter. Roman. Aus dem Amerikanischen von Matthias Müller. Liebeskind-Verlag, München 2002. 256 Seiten, 20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

John Barth' Roman "Tage ohne Wetter", im Original bereits 1958 unter dem Titel "The End of the Road" erschienen, erinnert Rezensent Thomas Wild stark an Max Frischs "Stiller". Wie bei Frisch steht nach Auskunft Wilds auch bei Barth ein Ich-Erzähler im Mittelpunkt, der permanent die Grundlagen seines eigenen Lebens reflektiert, die Wahrnehmung seiner Mitmenschen beobachtet, die Welt als Maskenspiel erkennt und angesichts der unendlichen Vielfalt möglicher Rollen entscheidungsunfähig zu erstarren droht. "Die moderne Spielart dieser existentiellen Skepsis inszeniert primär das Leiden an der Unmöglichkeit eines in sich stimmigen, zielgerichteten Lebens und Erzählens", erklärt Wild, "die postmoderne Spielart dagegen zelebriert die Unstimmig- und Ziellosigkeit als neue bodenlose Grundlage für Leben und Literatur." Barth' Roman habe von beidem etwas, hält Wild fest. Zum Bedauern von Wild lässt der Roman nach den ersten Kapiteln, die durch "humorvollen Scharfsinn" und "muntere Ironie" glänzen, etwas nach. Ein großes Lob geht dagegen an Matthias Müller für seine "sehr gelungene Übersetzung".

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