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Ein Tag im Leben eines alleinstehenden Herrn. Die brüchige bürgerliche Gesellschaft war zeitlebens eines der wichtigsten Themen Isherwoods. Seine kultivierten britischen Helden beobachten die Berliner Halbwelt in Cabaret mit ähnlicher Distanz wie die Spießbürger im Alptraum der amerikanischen Vorstädte in Der Einzelgänger der autobiografische Hintergrund ist leicht zu erkennen.

Produktbeschreibung
Ein Tag im Leben eines alleinstehenden Herrn. Die brüchige bürgerliche Gesellschaft war zeitlebens eines der wichtigsten Themen Isherwoods. Seine kultivierten britischen Helden beobachten die Berliner Halbwelt in Cabaret mit ähnlicher Distanz wie die Spießbürger im Alptraum der amerikanischen Vorstädte in Der Einzelgänger der autobiografische Hintergrund ist leicht zu erkennen.
Autorenporträt
Christopher Isherwood wurde 1904 in der Grafschaft Cheshire als Sohn eines englischen Offiziers geboren. Nach erfolglosen Studien der Geschichte und Medizin in Cambridge und London ging er 1929 nach Berlin. Von 1942 bis zu seinem Tod im Jahr 1986 lebte er im kalifornischen Santa Monica. Christopher Isherwood zählt zu den berühmtesten Schriftstellern seiner Generation.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.11.2005

Aus dem Kontinent des Zweifels
Erstmals übersetzt: Christopher Isherwoods "Der Einzelgänger"

1963 flog Christopher Isherwood zum ersten Mal nach Indien. Der knapp Sechzigjährige hatte zwanzig Jahre zuvor die Philosophie der Vedanta kennengelernt und eine Zeitlang im amerikanischen Ashram seines indischen Gurus gelebt, der ihn nun mit auf eine Konferenz über Weltreligionen nahm. Dort sollte Isherwood über Vedanta-Yoga sprechen, Reden halten, die er ironisch "God lectures" nannte. Auf dem Weg nach Kalkutta kamen ihm Zweifel: Wie sollte er, der neben Vedanta ein einwandfreies Leben in Sex und Alkohol verbrachte und Romane wie "Der Einzelgänger" geschrieben hatte, vor diesen Leuten wie ein frommer Mönch auftreten? Er beschloß, über einen meist betrunkenen Schüler Ramakrishnas zu reden, der seinen Meister ausgerechnet durch seinen Suff in Trance zu versetzen pflegte.

Trinken und Ekstase, Alkohol und Sex sind Themen dieses Romans "Der Einzelgänger", der jetzt erstmals von Axel Kaun ins Deutsche übersetzt wurde. Isherwood versuchte seine zwei Identitäten mit zwei Autobiographien zu befriedigen, die eine über sein sinnliches Leben, die andere über sein geistiges Selbst und die Philosophie der Vedanta. Von der Vedanta läßt sich in diesem Roman nur ahnen, allenfalls im Sinne der eigentlichen Bedeutung des Wortes: "Ende der Veden". Faßt man Vedanta jedoch als Aufforderung zur Bewußtheit auf, in welcher Situation und unter welchen Prämissen auch immer, so findet sich diese in der Beobachterinstanz, denn in diesem "Roman" - eher die Chronik eines Tages - zeigt sich das Bewußtsein als Selbstbeobachtung. Der Protagonist entsteht erst nach und nach, in einer Art morgendlichen Puzzles, in dem Cortex und andere Beteiligte aus den oberen und unteren Etagen ein Ich namens George zusammensetzen. Bald erfahren wir, daß George allein in einem Haus lebt, daß sein Lebensgefährte bei einem Unfall umkam, daß er Brite ist, achtundfünfzig Jahre alt und Literatur in Kalifornien lehrt.

So entfaltet sich das Bewußtsein an diesem einen Tag - ironisch, lebensuchend, überlebend, aber immer noch erotisch aufgeladen: ein Seminar an der Uni, die Interaktion mit den Studenten und Kollegen, für die dieser Brite immer noch ein seltsamer Vogel ist. Wissen sie, daß er schwul ist? Manchmal möchte er sich rächen am sexuellen Establishment, aber dann erfreuen ihn die männlichen Tennisspieler bei ihrem morgendlichen Spiel, und es ist wieder das gute alte Griechenland. Isherwood kostet die Fremdheit seines Alter ego aus, es ist Vergnügen im Spiel, die Abstände zu Amerika, zur Bürgerlichkeit, Familie und zu der Ehe, zur Heterosexualität auszumessen.

Unterderhand kommt aber Leid in den Blick: eine sterbende Freundin im Krankenhaus, das eigene Altern, das gerade noch überwindbar scheint, und immer wieder die Erinnerungen an seinen Jim. Später am Abend wird George eine Annäherung an einen Studenten riskieren, da lebt seine griechische Knabenliebe, amerikanisch gewandet, wieder auf, aber es wird nicht ganz was daraus. Statt dessen Masturbation und, vielleicht, der Tod des Protagonisten im Bett: Das Ich irrt heimatlos umher, während der materielle Körper der Müllabfuhr anheimgegeben wird. Das ist zumindest die Version eines Endes.

Neben der sexuellen Offenlegung, die Isherwood mit wachsender Gelassenheit vornimmt, wird hier auch das Verhältnis zwischen Europa und Amerika in neues Licht gesetzt. Isherwood hatte bekanntlich das prüde England verlassen, um das Berlin der Weimarer Zeit auszukosten. Seine bekanntesten Werke sind hier entstanden ("Mr. Norris steigt um", "Leb wohl Berlin"), auf denen auch der Film "Cabaret" mit Liza Minelli basiert.

Für die meisten Leser verliert sich dann seine Spur. Deutschland verließ er gleich zu Beginn der Naziherrschaft, 1939 emigrierte er in die Vereinigten Staaten, verdingte sich als Drehbuchautor bei Hollywood und wurde Professor an einem College. Außerdem schrieb er noch eine Reihe von Romanen, die weitgehend unbekannt geblieben sind. Schade, denn sie erzählen auch etwas über den Gegensatz von Alter und Neuer Welt, was von ferne her an Jean Baudrillard erinnert. Die Amerikaner, so behauptet George, seien Eremiten der Zukunft, sie lebten nur noch in symbolischen Welten. Dagegen seien die Europäer die reinsten Materialisten, die noch an das Dingliche glaubten.

In "Der Einzelgänger" wird auch der Anfang der sechziger Jahre lebendig: Kalter Krieg, Kuba-Krise, Angst vor einem Atomschlag, Minoritäten, die beginnen, sich zu behaupten gegenüber der dominanten Kultur, und Drogen. George erzählt einem Studenten, daß er etwas unbefriedigende Erlebnisse damit hatte. Mehr als Veilchen, die sich zu Schlangen wandeln, und Holzmaserungen, die flüssig wurden, waren nicht zu haben gewesen, keine wirklichen Visionen. Mit der Droge hatte Isherwood kurze Bekanntschaft gemacht, als er zum Freundeskreis von Aldous Huxley gehörte. Auf einer Englandreise fuhr er nach einer Dosis Meskalin sogleich mit einem Taxi zur Westminster-Kathedrale, um zu sehen, ob Gott sich darin aufhielte; das Ergebnis war ein Lachanfall.

Isherwood hatte für seine Umwelt wohl immer etwas Befreiendes und Direktes. Vielleicht war das ein Grund, warum sein Guru kurz vor seinem Tod zu ihm sagte, er habe die Anlage zu einem Heiligen. Das war nun Isherwoods Sache nicht. Genauso wie in der Spiritualität lebte er in Sinnlichkeit und Selbstbefragung, und dieser Roman stammt zweifellos aus dem Kontinent des Zweifels.

ELMAR SCHENKEL

Christopher Isherwood: "Der Einzelgänger". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Axel Kaun. Nachwort von Gerhard Hoffmann. Verlag MännerschwarmSkript, Hamburg 2005. 191 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der aus England stammende Christopher Isherwood, der bis zum Nazi-Regime in Berlin lebte und dann nach Amerika emigrierte, ist über seine Romane "Mr. Norris steigt um" und "Leb wohl Berlin", auf denen der Film "Cabaret" basiert, kaum bekannt geworden, bedauert Elmar Schenkel. Dabei seien die Bücher, die er in den 60er Jahren schrieb, durchaus lesenswert, weil sie über den "Gegensatz von Alter und Neuer Welt", über Homosexualität und das Leben von Minderheiten erzählen, betont der Rezensent, der es deshalb auch begrüßt, dass nun der Roman "Der Einzelgänger" auf Deutsch vorliegt. Darin wird ein einziger Tag im Leben des homosexuellen College-Professors Georg erzählt, der in seinem Umfeld als "seltsamer Vogel" angesehen wird und das durchaus selbstironisch genießt. Der Rezensent stellt fest, dass der Autor es regelrecht auskostet, die "Fremdheit" seines Helden und seine Ferne von gesellschaftlichen Normen wie Heterosexualität, Familie und Ehe darzustellen. Gleichzeitig sei aber auch Leid spürbar, wenn es um eine im Sterben liegende Freundin, um den verstorbenen Partner oder das "eigene Altern" gehe, so der Rezensent weiter, der nachvollziehbar findet, dass Isherwood auf seine "Umwelt wohl immer etwas Befreiendes und Direktes" gehabt hat.

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