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Texte zeitgenössischer Kunstkritik lesen sich oft wie groteske Produkte entfesselter Prosa. Hemmungslos werden wahre Schwälle rhetorischen Unfugs über das interessierte Publikum ausgegossen. Nicht Dilettanten oder Gelegenheitsschreiber sondern Produkte ab, die man böswilligen Satirikern zuschreiben möchte, sondern die renommiertesten Vertreter ihrer Zunft. Anders als einst Hans Platschek, vermutet Christian Demand kein Interessenkartell von Kritik und Kunsthandel, er bezichtigt zeitgenössische Kunstvermittler auch nicht der Unlauterkeit. Vielmehr sieht er als Ursache für den weitgehend…mehr

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Produktbeschreibung
Texte zeitgenössischer Kunstkritik lesen sich oft wie groteske Produkte entfesselter Prosa. Hemmungslos werden wahre Schwälle rhetorischen Unfugs über das interessierte Publikum ausgegossen. Nicht Dilettanten oder Gelegenheitsschreiber sondern Produkte ab, die man böswilligen Satirikern zuschreiben möchte, sondern die renommiertesten Vertreter ihrer Zunft. Anders als einst Hans Platschek, vermutet Christian Demand kein Interessenkartell von Kritik und Kunsthandel, er bezichtigt zeitgenössische Kunstvermittler auch nicht der Unlauterkeit. Vielmehr sieht er als Ursache für den weitgehend affirmativen Charakter heutiger Kunstkritik einen Hang zur quasireligiösen Rhetorik der Verklärung. Problematisch wird diese Form der öffentlichen Hymnik vor allem dann, wenn sie Allgemeingültigkeit beansprucht und all diejenigen des Philistertums zeiht, die nicht in das Hohelied einstimmen. Demand verfolgt die Entwicklung des Kunstkritikers vom urteilenden, die Perspektive des Publikums einnehmenden Betrachters, zum öffentlichkeitsfernen Sprachrohr des Künstlers. Er nimmt seine Leser mit auf einen ausgesprochen unterhaltsamen Gang durch die Kunstgeschichte der vergangenen 200 Jahre.
"Eine brilliante Studie." Gustav Seibt (Merkur Juli 2004)
Autorenporträt
Demand, Christian
Christian Demand, Jahrgang 1960, studierte Philosophie und Politikwissenschaft in München, wo er 1996 promoviert wurde. In den neunziger Jahren arbeitete er als Musiker und Komponist, anschließend als Hörfunk-Journalist beim Bayerischen Rundfunk. Gastprofessor für Philosophie an der Universität für Angewandte Kunst Wien, von 2006 bis 2011 Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Seit 2012 Nachfolger von Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel als Herausgeber der Kulturzeitschrift Merkur. Bei zu Klampen veröffentlichte er »Wie kommt die Ordnung in die Kunst?« (2010), »Die Beschämung der Philister« (2012) und »Die Invasion der Barbaren« (2014).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2003

Die sieben Krücken der Kunstkritik
Christian Demand will das lyrische Ansingen und die Parawissenschaft abwürgen
Es ist jetzt möglicherweise zu spät, aber vielleicht findet der Autor dieses Buches ja doch noch einen verständnisvollen Richter, der ihm eine hochgradige „Kritikallergie” bestätigt und ein sozialstaatlich gesichertes Auskommen an Orten ermöglicht, an denen er nicht in Gefahr läuft, das Feuilleton einer Tageszeitung aufzuschlagen oder an eine Neuerscheinung über moderne Kunst zu geraten. Florida wäre in dieser Beziehung keine schlechte Adresse, aber auch Transnistrien und die Aleuten kämen in Frage. Wir leben außerhalb der Hörweite des Bayerischen Rundfunks, für den Demand arbeitet, werden aber in Zukunft das Schaffen dieses hit man der Kunstkritik aufmerksam verfolgen. Wie man auf den Aleuten sagt: Wer mit dem Finger auf jemanden zeigt, kann die Ärmel nicht hochkrempeln.
Am Schluss seiner Abhandlung bringt der Autor, mittlerweile komplett angewidert von seinem Gegenstand, noch ein „Medley” aus den handelsüblichen Klischees eines Schreibens, das ihm zufolge zwischen „lyrischem Ansingen und bizarrer Parawissenschaft” oszilliert, und merkt dazu an: „Mit weiteren Belegen lassen sich Eimer füllen – der Autor, der sich im Lauf der Jahre zahlreiche auf Halde gestellt hat, ist gerne bereit, auf Anfrage einige davon abzugeben.”
Die Kunstkritik als Entsorgungsfall – nach so einem Satz fällt es schwer zu versichern, dass dieses Buch keine Polemik ist, sondern ein auf hohem theorie- und kunstgeschichtlichen Niveau durchargumentierter Traktat, ja sogar eine Habilitationsschrift, bei der nur am Rand Hohn und Spott einsickern. Aber es ist so.
Demand wirft den „Kritikern” der Moderne Kritiklosigkeit und Argumentationsverweigerung vor. Im Zentrum seiner Kritik der Kritiker steht der Vorwurf des Parteienverrats. Ein schönes Zitat des Wiener Kunstkritikers Adalbert F. Seligmann aus dem Jahre 1910 verdeutlicht, worum es ihm geht: „Früher betrachtete sich die Kritik als den Ausdruck der Meinung des – gebildeten und kunstverständigen – Publikums, jetzt identifiziert sie sich mit den Künstlern.” Demand will diese Neupositionierung der Kritik mithilfe des von Roland Barthes eingeführten Begriffs der „letzten Figur” beschreiben – das ist das Argument eines ideologischen Systems, das letztendlich immer Recht behält, so wie in der Psychoanalyse ein Leugnen ein Geständnis ist. Aber Demand hält diesen Ansatz nicht konsequent durch, vielleicht weil es die „letzte Figur” der Kunstkritik nicht oder nicht mehr gibt: Ablehnung (durch die anderen) als Wahrheitsbeweis ist möglicherweise nicht länger als abendfüllend zu veranschlagen. Wir möchten die von Demand beobachteten Großargumente als Gehhilfen begreifen und darauf verweisen, dass sich Krücken zum Gehen und zum Wegscheuchen benutzen lassen.
Krücke Nr. 1 ist eine Scheuche. Die „Gegenseite” ist immer die „falsche Seite”, die Seite der Philister, Reaktionäre und der von Kulturindustrie und Zivilisation Verkrüppelten. Deswegen enthält sich die Kritik grundsätzlich negativer Äußerungen zu zeitgenössischer Kunst – falschen Beifall fürchtend. Krücke Nr. 2 ist die Scheuche, die der Kritik die Wacheren unter ihren Beobachtern vom Leib hält. Das „Grundaxiom der modernen Kunsttheorie, die Absage an einen normativen Kunstbegriff” wird „zur Neutralisierung von Kritik instrumentalisiert” – denn wenn alles geht, geht vor allem der kritische Gegeneinwand gegen irgendeine „avancierte” Position nicht. Aus Krücke Nr. 3 kommt oben Weihrauch heraus: Im Grunde lässt sich über Kunst nicht reden, sagt die Kritik, deswegen ist Kritik besser Beschwörung. Krücke Nr. 4 ist zum Überfliegen gedacht. Hegels Frage „nach dem Fortleben der Kunst nach ihrem Ende” wird Demand zufolge fahrlässig geleugnet; aus naheliegenden, betriebsinternen Gründen wird vielmehr so getan, als ginge es immer voran. Die ästhetische Moderne wird als eine Erfolgsstory konstruiert. Die 5. Krücke könnte man auch für einen Bischofsstab halten: Je kunstfeindlicher die Zeiten, desto notwendiger die Kritik. Die 6. Krücke hat die Kunstkritik verliehen, an die Kunst, die nämlich das Geschäft der Kritik besser besorgt als alle externe Beurteilung. Deswegen wird man auch keine Kunstkritik finden, die jemals ihre großartigen Prämissen und Visionen an der Realität der Rezeption und Nachwirkung überprüft, weil sich im Grunde kein Außenstandpunkt finden lässt.
Demand ist generell uninteressiert an Formaten, Erscheinungsorten und Stilen der Kritik. Ohne Unterscheidungen zu machen, verfolgt er seine Gedankenfiguren, ganz gleich, ob sie im Feuilleton, im wissenschaftlichen Buch oder in der Verlagswerbung auftauchen. Auch die historische und die geographische Dimension findet er eher vernachlässigenswert.
Wo Demand recht hat, hat er recht. Aber er hat nicht darüber hinaus recht. Ohne dass wir die Kontinuität der Kritik als Kritikverweigerung, als Beschämung und Verklärung bestreiten möchten, meinen wir doch, dass die Gegenwart anders aussieht – weniger konform. Auch dieses Buch kommt nicht allein, sondern ist Teil einer Öffnungstendenz. Es geht wieder etwas. Die „Texte zur Kunst” brachten neulich eine Nummer unter dem Motto „Verrisse” heraus. Die letzte, jetzt abgetretene Generation der Großkritiker hat das kritische Geschäft spät, aber nicht zu spät auf dem Schauplatz der Institutionen, der Kunstbeweger und Kunstgewinnler eröffnet. Nicht alles, was geht, fördert Kritik in dem von Demand gewünschten Sinne. Wir können die Verdrängung der Kunstkritik durch das Künstlerinterview beobachten. Der New Journalism hat in den USA neue Verfahren personennahen Schreibens über Kunst entwickelt. Es hat sich ein kunsthistorisches Fachschrifttum etabliert, das zeitgenössische Kunst und kunstferne Theorien zusammendenkt. Und was mit der Profi-Kritik überhaupt wird, ist ganz ungewiss. Wir haben das Zeitalter der Laienkritik erreicht, in dem sich Millionen Leser, Hörer und User ihr eigenes Forum geschaffen haben. Bildbetrachter weniger. Was diese, was die zeitgenössische Kunst und ihr (Nicht)Publikum angeht, so möchten wir mehr intuitiv die Beobachtung beisteuern, dass sich eine neue Haltung der Indifferenz, des gegenseitigen Gewährenlassens durchsetzt. Der Universalitätsanspruch der Kunst wird von den einen nicht mehr aufrechterhalten und von den anderen nicht mehr angenommen. Beide Seiten gefallen sich in dieser Haltung. Irgendwie ist das auch nicht gut.
WOLFGANG KEMP
CHRISTIAN DEMAND: Die Beschämung der Philister. Wie die Kunst sich der Kritik entledigte. zu Klampen Verlag, Springe 2003. 333 Seiten, 24 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Mit einer Ausnahme beschäftigt sich Martin Seel in seiner Besprechung: einem Hegelianer unter den Kunstkritikern. Christian Demand, so berichtet der Rezensent, wirft in seinem "großformatigen Schlachtengemälde", das "aufschlussreiche Fallstudien zu künstlerischen Kontroversen von 1800 bis heute" biete, den nachhegelschen Theoretikern der Kunst vor, hinter dessen berüchtigtem Befund vom Ende der Kunst zurückgeblieben zu sein. Georg Wilhelm Friedrich Hegel habe sich vom Funktionswandel der Kunst eine befreiende Wirkung versprochen, so Seel: Die Befreiung von ihrer Aufgabe, das Absolute darzustellen, sollte eine Hinwendung zur "lebendigen Gegenwärtigkeit", so ein Hegelzitat, der menschlichen Erfahrung bewirken. Demand hingegen beobachte das genaue Gegenteil: eine "illegitime Sakralisierung des künstlerischen Geschehens", die einen ideologischen Graben zwischen der esoterischen Mission der Kunst und "den vielen Schwererziehbaren draußen im Lande" ziehe, fasst Seel den Grundgedanken des Buches zusammen. Dabei scheitere der Autor, dessen Untersuchungen mit vielen "schaurig-schönen Kritikerzitaten und 816 Fußnoten verziert" sei, weil er sich ausschließlich an den Diskursen von Theorie und Kritik orientiere und sich als Kunstkritiker nicht mit der Kunst selbst beschäftige.

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