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Peter Bürger begreift das postmoderne Denken als Antwort auf die im Ersten Weltkrieg aufbrechende Krise der Moderne. Was diesem Denken seine Dynamik verleiht, ist die Auseinandersetzung mit den tragenden Kategorien der Moderne - Subjekt, Arbeit, Fortschritt -, die Hegel in der "Dialektik von Herr und Knecht" in einen konsequenten Zusammenhang gebracht hatte. Der dunkle Surrealismus antwortete darauf mit der Preisgabe des Subjekts, der Verweigerung der Arbeit und der Verwandlung der Welt in einen Raum von Möglichkeiten.

Produktbeschreibung
Peter Bürger begreift das postmoderne Denken als Antwort auf die im Ersten Weltkrieg aufbrechende Krise der Moderne. Was diesem Denken seine Dynamik verleiht, ist die Auseinandersetzung mit den tragenden Kategorien der Moderne - Subjekt, Arbeit, Fortschritt -, die Hegel in der "Dialektik von Herr und Knecht" in einen konsequenten Zusammenhang gebracht hatte. Der dunkle Surrealismus antwortete darauf mit der Preisgabe des Subjekts, der Verweigerung der Arbeit und der Verwandlung der Welt in einen Raum von Möglichkeiten.
Autorenporträt
Peter Bürger, geb. 1936, von 1971 bis 1998 Professor für Literaturwissenschaft (Romanistik) an der Universität Bremen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.04.2000

Gebieterische Gewalt
Peter Bürger erforscht dunkle Momente der Postmoderne
Brandbomben, Senfgas, Granaten . . . Auf alle möglichen Weisen streckte der Tod die Soldaten des Ersten Weltkriegs nieder, und mit ihnen starb jener strahlende Optimismus, der das europäische Lebensgefühl über zweihundert Jahre beflügelt hatte. Unter dem Banner von Aufklärung und Fortschritt hatte sich der Kontinent zu diszipliniertem Denken erzogen, den Verstand über das Gefühl, bürgerliches Kalkül über feudales Großmannstum gestellt – und war darüber in die größte Katastrophe seiner Geschichte gestürzt.
Im Zentrum von Peter Bürgers Mutmaßungen über den Ursprung der Postmoderne steht der Tod. Der massenhafte Tod auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs und, in seiner Folge, der Tod der Zuversicht. Produktivität war umgeschlagen in Vernichtung, die Bürgertugenden Ausdauer, Fleiß und Beharrlichkeit hatten am Ende nicht schöpferisches, sondern zerstörerisches Potential entfaltet. „So viel Greuel wären nicht möglich gewesen ohne ebenso viele Tugenden”, zitiert Bürger seinen Gewährsmann Paul Valéry. „Es bedurfte gewiß einer Menge wissenschaftlicher Erkenntnisse, um in so kurzer Zeit so viele Menschen zu töten, so viele Güter zu vergeuden, so viele Städte zu zerstören; aber es bedurfte auch nicht geringer moralischer Vorzüge. Wissen und Pflicht, ihr seid verdächtig geworden. ”
Aus dem Zweifel der Moderne an sich selbst, so Bürger, entstand jene tiefe Fortschrittsskepsis, die heute noch – etwas angestaubt mittlerweile – zum Grundinventar postmoderner Kulturkritik gehört. Die These ist nicht neu – aber das Buch kommt dennoch keineswegs zu spät. Längst hat das Etikett „Postmoderne” allen ernsthaften Anspruch verloren – es wird vornehmlich zur Nobilitierung eines belanglosen Interesses an Oberflächenphänomenen gehandelt. Bürger hat also viel mehr als nur historische Gründe, noch einmal die düstere Entstehungsgeschichte postmodernen Denkens in Erinnerung zu rufen, ihren dramatischen Ursprung aus der „Erfahrung des absoluten Ausgeliefertseins”.
Eine Gesellschaft, die ihren moralischen und ideologischen Kredit so gründlich verspielt hat wie die bürgerliche, kann kaum so weitermachen wie gewohnt. André Breton und seine Surrealisten suchten sie darum in ihren Grundfesten zu erschüttern, ihr „intellektuell und moralisch eine Bewusstseinskrise allgemeinster und schwerwiegendster Art” zuzufügen, wie es im Zweiten Surrealistischen Manifest von 1930 heißt. Aber die Attacken der Kunst tragen nicht weit in jener nervösen Zeit. Um die Revolution der Massen zu entfachen, bedarf es einer anderen, kräftigeren Sprache.
Vom Scheitern der surrealistischen Revolte zieht Bürger eine direkte Linie zu den dunkelsten Momenten des antimodernen Denkens – seinem Flirt mit Faschismus und Kommunismus. Es ist paradox: Das postmoderne Misstrauen gegen ideologische Fundamentalismen jeglicher Couleur orientierte sich in seiner frühen, utopischen Phase ausgerechnet an der verführerischen Symbolik totalitärer Bewegungen. In der affektgeladenen Sprache politisch radikaler Gruppierungen von rechts und links erkannten die Theoretiker im Umfeld des Surrealismus die revolutionären Triebkräfte in ihrer elementaren Form. Als „heilig”, als Verkörperung des „ganz Anderen” schienen ihnen die Führer der Bewegungen, berufen, der durchrationalisierten Gesellschaft einen neuen Mythos zu geben.
Gewalt lag in der Luft. Verbal griffen auch die Intellektuellen zu. Maurice Blanchot geißelte im faschistischen Combat das „erschlaffte” französische Volk, das nur durch „blutige Erschütterungen” wachzurütteln sei. André Breton und George Bataille, die Begründer der antifaschistischen „Contre- Attaque”, erklärten die Demokratie für nicht mehr zu retten und bekannten sich zu einer „gebieterischen Gewalt, die vor keiner anderen zurückweicht”. Und Roger Caillois plädierte für eine „militante und geschlossene Verbindung”, die auf die Disziplin „paramilitärischer Organisationen” und die Praktiken von „Geheimgesellschaften” zurückgreift.
So mündet die „Anti-Moderne” in die gleiche Katastrophe wie zweieinhalb Jahrzehnte vor ihr die „Moderne”. Die surrealistische Avantgarde zieht sich ernüchtert zurück auf ihr eigentliches Terrain: Theorie und Kunst. Bataille denkt nicht mehr daran, einen neuen Mythos zu stiften, denn eine zeitgenössische Mythologie kann sich nur auf die „Abwesenheit des Mythos” stützen. Und auch das „Heilige” ist nur negativ zu denken, als das „Anwesende des Abwesenden, erfahrbar nur in totaler Selbstverausgabung, der Annäherung an das Nichts, in letzter Konsequenz an den Tod.
Heroisch zwecklose Literatur
Maurice Blanchot entdeckt als den ureigenen Ort der Revolution die Literatur. Denn die unaufhörliche Bewegung der Sprache löst alle Gewissheiten auf, hebt zu Sinnaussagen nur an, um sie im nächsten Moment wieder fallen und im Nichts enden zu lassen. Literatur ist das Reich der reinen Negation – in ihm feiert Blanchot jene heroische Zwecklosigkeit, die die utilitaristische Moderne so unerbittlich aus ihrem Programm gestrichen hatte.
In einer kleinen Randnotiz zum Vorwort bezieht sich Bürger auf Habermas’ Buch Der philosophische Diskurs der Moderne, in dem der Frankfurter Philosoph für eine gleichsam postmodern geläuterte Moderne plädiert hat. Bürger geht es um etwas anderes – um „das Durchschreiten einer Denkerfahrung, die das Selbstverständnis der Moderne dadurch bereichert, dass sie es erschüttert”. Aber gerade Bürgers archäologischer Zugriff bestätigt, wie aktuell Habermas’ Ausführungen nach wie vor sind. Denn insbesondere die finsteren Seiten der frühen postmodernen Regungen zeigen, dass die Anstrengungen der Moderne trotz aller Schwächen nach wie vor unverzichtbar sind. Und ein Blick auf die gegenwärtige politische Situation lehrt, wie weit sie inzwischen fortgeschritten sind.
Zumindest in Westeuropa hat sich das politische Denken und Handeln von allen fundamentalistisch anmutenden Anwandlungen verabschiedet und zu Pragmatismus durchgerungen. Sieht man ab von gelegentlichen hypermoralischen Zuckungen – zuletzt sah das kleine Österreich sich ihnen verstärkt ausgesetzt –, scheinen die Chancen für eine verständigungsbereite transnationale Staatengemeinschaft besser denn je. Nach der Lektüre von Bürgers Buch wird man es begrüßen, dass die Verquickung von Politik und kollektiver Sinnstiftung seit Jahren auf dem Rückzug ist. Und vielleicht gelingt es Peter Bürger, nach seinem Abriss der modernen und antimodernen Tragödien in diesem Sinn auch eine entspannte postmoderne Politik populär zu machen.
KERSTEN KNIPP
PETER BÜRGER: Ursprung des postmodernen Denkens. Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000. 190 Seiten, 39 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"Peter Bürger versucht in diesem Band, die Postmoderne durch den Blick auf ihre modernen Anfänge in "einem Kraftfeld zwischen Hegel und Surrealismus" neu zu situieren. Allerdings, so der Einwand der Rezensentin Britta Herrmann, rennt er dabei, nämlich mit dem Hinweis auf die Verwurzelung der Postmoderne in der Moderne, die eine oder andere offene Tür ein. Seine eigene Bestimmung der Postmoderne (gegen von ihm nicht näher benannte Auffassungen, die sie als "spielerisch heiter" definieren) bleibt, so ein weiterer Kritikpunkt der Rezensentin, unscharf. Dennoch will sie dem Buch seine Verdienste nicht absprechen: den Hinweis auf die "spezifische historische Konstellation" findet sie wichtig.

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