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Produktdetails
  • Die Sisyphosse
  • Verlag: Faber & Faber, Leipzig
  • Seitenzahl: 119
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 256g
  • ISBN-13: 9783932545481
  • ISBN-10: 3932545486
  • Artikelnr.: 24564121
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2000

Erdwärts
Die lyrischen Grabungen
Friedemann Bergers
Es gibt also doch noch Entdeckungen. Friedemann Berger, 1940 in Schroda/Posen geboren („Wo du zur Welt kamst, sprach man Polnisch. Der Krieg wurde auf deutsch geführt”), ist kein ganz Unbekannter. Aber dass der ehemalige Leiter des Gustav Kiepenheuer Verlags Weimar (bis zur Kündigung durch den neuen Eigentümer 1994), dass der Herausgeber der „Bibliothek des 18. Jahrhunderts” und der „Orientalischen Bibliothek” auch seinerseits einen Roman, Erzählungen und Gedichte (OrtsZeiten, 1973; Einfache Sätze, 1987) veröffentlicht hatte, wussten nur Eingeweihte. Weder in Arnolds Kritischem Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur noch im Autorenlexikon des Pen ist sein Name verzeichnet. Die „Ausgewählten Gedichte 1961–1999” suggerieren zwar die Vorstellung von der Spätlese eines modernen Klassikers, aber dem Leser (möge es ihn geben!) wird das Erlebnis einer tief beeindruckenden ersten Begegnung zuteil.
Mit einem Dichter, den ich nicht anstehe in die Nähe der großen Lyriker „der anderen Seite” zu rücken, in den Umkreis von Peter Huchel und Johannes Bobrowski. Und das nicht nur deshalb, weil diese Namen und ihr Werk (neben vielen anderen) in Bergers Gedichten immer wieder unmittelbar oder anspielungsweise beschworen werden. Es sind Fundstücke des lyrischen Archäologen, als den sich Friedemann Berger versteht.
Er übersetzt „Archäologie” als „Gespräch über zurückliegende Zeiten”. Der Gesprächscharakter dieser Gedichte ergibt sich schon daraus, dass das lyrische Ich mit vielen Zungen spricht: denen von Lenz, Seume und Tieck, von Puschkin, Mandelstam, Marina Zwetajewa, von Jakob Haringer und Iwan Goll, Bartók und Nolde, Brecht und Eich, aber auch denen von chinesischen Dichtern und Malern zwischen dem 8. und dem 20. Jahrhundert. (Berger war von 1985 bis 1990 Redaktionsleiter im Verlag für fremdsprachige Literaturen in Peking. )
Zu den Menschen gehören Orte, sie haften ihnen an, auch wenn sie aus ihnen vertrieben wurden oder nie an ihnen zu Hause waren. Berger vermag mit wenigen Worten unvergessliche Aufenthaltsaugenblicke zu skizzieren, in denen Landschaft, Geschichte und Personen in eins verschmelzen.
Der Zehnjährige, per Zwangsumsiedlung nach Gotha verschlagen, bekam eine Anthologie in die Hand mit dem Titel: „Vom Schweigen befreit”. Sie befreite nun auch ihn zum Wort. Ein Satz wies die Richtung, die unverlierbare Spur: „Die Vergessenen und Verfemten: Sie treffen sich auf der hohen, unverletzlichen Ebene der Kunst. ” Von der Flucht in ästhetische Höhenlagen hielt ihn die geschändete Sprache zurück, in die er hinein geboren war. Die Fakten einer von den Gräueln des Jahrhunderts stigmatisierten Biografie hängen an den Vokabeln wie Steine, ziehen sie erdwärts, „immer dem grund zu” (ein Zitat aus einem Gedicht Franz Fühmanns). Die Melancholie der Ohnmacht lyrischen Sprechens angesichts der Geschichte bestimmt den Rhythmus der Langzeilen. Sie erinnern an Wellen, die immer von neuem gegen das Ufer des Schweigens anrennen.
ALBERT VON SCHIRNDING
FRIEDEMANN BERGER: Archäologie. Von der Errichtung der großen Mauer bis nach ihrer Zerstörung. Ausgewählte Gedichte 1961–1999. Verlag Faber & Faber, Leipzig 2000. 120 Seiten, 24 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Es gibt also noch Entdeckungen", so beginnt Albert von Schirnding seine relativ kurze aber sehr informative Besprechung dieses Gedichtbandes. Er erzählt vom Leben des Autors, der im Literaturbetrieb vor allem als Leiter des Gustav Kiepenheuer Verlags und Herausgeber zweier wichtiger Literatur-Reihen bekannt ist. Die Qualität seiner Gedichte verdankt sich, so von Schirnding, auch dem umfassenden Wissen über andere "lyrische Zungen", von Lenz über Puschkin zu Zwetajewa und Eich. Und immer wieder gehören zu Menschen "Orte, sie haften ihnen an", auch und gerade wenn sie daraus, wie der Autor selbst (bei Posen geboren ), vertrieben wurden. Eine "Flucht in die ästhetische Höhenlage" ist das Gedichteschreiben bei Berger nicht, zu stark erinnert die Sprache selbst immer wieder an das Schweigen und die "Ohnmacht des lyrischen Sprechens" gegenüber den Schändungen des Jahrhunderts. Diesem Buch wünscht von Schirnding viele Leser.

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