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Wsewolod Nekrassow (1934-2009) wurde in Moskau geboren und blieb seiner Geburtsstadt zeitlebens treu. Nach einem Studium der Philologie arbeitete er seit Ende der 1950er-Jahre an seinem umfangreichen literarischen Werk.
Wsewolod Nekrassows Werk steht einzig in der russischen Dichtung des 20. Jahrhunderts.
Nekrassow schuf eine Poesie der gesprochenen Rede. Seine zutiefst lyrische Aufmerksamkeit verbindet sich mit sprach-analytischem Witz. Nekrassow legt rhetorische Mechanismen und Alltagsintonationen frei und spürt der Sättigung des einzelnen Worts mit sozialer und persönlicher
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Produktbeschreibung
Wsewolod Nekrassow (1934-2009) wurde in Moskau geboren und blieb seiner Geburtsstadt zeitlebens treu. Nach einem Studium der Philologie arbeitete er seit Ende der 1950er-Jahre an seinem umfangreichen literarischen Werk.

Wsewolod Nekrassows Werk steht einzig in der russischen Dichtung des 20. Jahrhunderts.

Nekrassow schuf eine Poesie der gesprochenen Rede. Seine zutiefst lyrische Aufmerksamkeit verbindet sich mit sprach-analytischem Witz. Nekrassow legt rhetorische Mechanismen und Alltagsintonationen frei und spürt der Sättigung des einzelnen Worts mit sozialer und persönlicher Lebenswirklichkeit nach.

Nekrassows Gedichte fanden jenseits der sowjetischen Zensur nur in Samisdat-Ausgaben oder im Ausland ihren Weg zum Leser. Seit Anfang der 1990er-Jahre konnten einige Ausgaben seiner Gedichte und Essays erscheinen.

Die vorliegende Werkauswahl ist eine Hommage an Wsewolod Nekrassow von seinen Freunden. Günter Hirt und Sascha Wonders legen erstmals eine umfangreiche Auswahl aus allen Schaffensperioden Nekrassows in deutscher Sprache vor.
"Nun ist ein großer russischer Beitrag experienteller Poesie in deutscher Sprache zugänglich geworden, kein abschließender der Moderne, denn dazu scheint er zu lebendig und zu abgewandt von irgendwelchen Vergangenheiten. Nein, Nekrassow suchte gleich konkreten Dichtern die Reform in der Komplexität, die Sprache der Poesie der eigenen Zeit. Sie bekennt sich zur naiven Weltformel der Poesie: 'Ich lebe ich sehe', und sie setzt sie zum Lesen vor Augen. Da wird auch der Hörende sehend, der Sehende hörend. Was Poesie ausmacht." Eugen Gomringer
Autorenporträt
Nekrassow, Wsewolod
Wsewolod Nekrassow (1934-2009) wurde in Moskau geboren und blieb seiner Geburtsstadt zeitlebens treu. Nach einem Studium der Philologie arbeitete er seit Ende der 1950er-Jahre an seinem umfangreichen literarischen Werk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.2017

Tee mit Sonne, Milch mit Mond
Wort dort fort Tort: Der russische Konzeptlyriker Wsewolod Nekrassow

Mit den Nekrassows im Russischen ist es wie mit den Zweigs im Deutschen: In der Literatur gibt es gleich mehrere von ihnen, und sie sind nicht miteinander verwandt. Nikolai Nekrassow stellt als Dichter im neunzehnten Jahrhundert die Frage "Wer lebt glücklich in Russland", Wiktor legt im zwanzigsten Jahrhundert den Roman "Stalingrad" vor, keineswegs ein parteikonformes Werk, Wsewolod rebelliert mit "Barackenpoesie" gegen den Staat - und zählt, bei allen Unterschieden in der Form, auch Nikolai zu seinen Lehrern.

Wsewolod Nekrassow (1934 bis 2009) gehörte der Künstlergruppe Lianosowo an, die sich Ende der fünfziger Jahre in den Baracken des gleichnamigen Moskauer Bezirks gebildet hatte, in der Tauwetterzeit, als zahlreiche Verbannte aus den Lagern zurückkehrten. Als Underground und nonkonformistische Gruppen blühten. Nächtelang saß man in Küchen und diskutierte, organisierte Ausstellungen in den eigenen vier Wänden. Mit Furor wehrte man sich gegen verschwurbelte Sprache. "Bitte mich / Meines Lebens zu entledigen", heißt es im Gedicht "Gesuch" bei Nekrassow. Geschrieben wurde auf alles, was nicht niet- und nagelfest war, auf Konservenbüchsen und Kleidung, Papier wurde auf alt getrimmt. Nur ja keine Ehrfurcht vor dem gedruckten Wort zeigen!

Die "Gefahr", durch eine Buchveröffentlichung qua "Nobilitierung" mundtot gemacht zu werden, bestand für Nekrassow kaum. Seine Gedichte kursierten meist nur in selbstgefertigten Kopien (Samisdat) oder im Ausland (Tamisdat). Geändert hat sich das erst nach der Perestroika und Publikationen im Internet, gewürdigt wurde sein Schaffen im Jahr 2007 mit dem Andrei-Bely-Preis. Dem Helmut Lang Verlag ist es nun zu danken, dass mit der zweisprachigen Zusammenstellung "Ich lebe ich sehe" das OEuvre erstmals umfassend auf Deutsch vorliegt. Zu beziehen ist die Ausgabe übrigens nur direkt beim Verlag oder in Buchhandlungen. Eugen Gomringer hat ein Vorwort gestiftet, was insofern schön ist, als Nekrassow und dem sowjetischen Underground vorgeworfen wurde, die deutsche Konzeptlyrik nur kopiert zu haben; in beigefügten Aufsätzen weist Nekrassow indes konzise nach, dass in diesem Fall das Rad tatsächlich zweimal erfunden wurde.

Günter Hirt und Sascha Wonders, die Nekrassow noch persönlich kennengelernt haben und Herausgabe wie Übersetzung besorgten, haben die schwierige Aufgabe insgesamt gut bewältigt. Nekrassow hat stets den prozessualen Charakter seines Werks unterstrichen, die einzelnen Gedichte immer wieder neu kombiniert; feste Zusammenstellungen gab es nicht, Jahreszahlen fehlen. "nicht ausgehalten / hat Russland seine Freiheit / nicht ausgehalten hat es / seine russianische Dummheit" - wann mag er diese Worte geschrieben haben?

In ihrem Nachwort erklären Hirt und Wonders einige Namen, ansonsten verzichten sie auf Anmerkungen. Eine Deutschlandreise des Dichters inspiriert sprachhybride Schöpfungen: "ZUM/ GUM/ Dumkopf/ Und/ Zum Toifel" heißt es da, teils in Kyrilliza, teils in Latiniza, doch dass es sich nicht nur beim GUM, sondern auch beim ZUM um ein Kaufhaus handelt und Mosselprom, Mostorg und Wojentorg ebenfalls "Wirtschaftsbegriffe" sind, geht, sofern man mit den russischen Gegebenheiten nicht vertraut ist, verloren. Was bleibt, ist die Wucht der unmittelbaren "sprachlichen Konfrontation".

Nekrassow hat stets den Grad auszuloten versucht, der Alltagssprache von Kunst trennt. So minimalistisch wie möglich, das war sein Credo, um sich dem russischen Alltag, Natureindrücken, dem Aufbruch, dem Verlust und dem Tod zu nähern. Typographisch schlägt sich das im Extremfall in einem Blatt nieder, auf dem in einem Rechteck nur ein einziger Punkt prangt. Sprachlich setzt er auf Wiederholungen, Alliterationen und Zungenbrecher, teilweise auch auf Reime. Die Übersetzung hält meist nur bei den Wiederholungen mit, traut sich dafür jedoch ein "nirgendzu" oder den "Straßenbahnernen Winkel" und formt die simple, aber nicht naive Sprache des Originals gut nach. "Morgens gibt es bei uns / Tee mit Sonne / Zur Nacht - / Milch mit Mond / Und in Moskau Elektrizität / Mit Sprudelwasser." Es sind Zeilen wie diese, die den "Klang-Geschmack" der Wörter bewahren, den Nekrassow stets gesucht hat.

CHRISTIANE PÖHLMANN.

Wsewolod Nekrassow: "Ich lebe ich sehe". Gedichte.

Aus dem Russischen von Günter Hirt und Sascha Wonders. Helmut Lang Verlag, Münster 2017. 356 S., br., 24,- [Euro].

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