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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.2001

Geysir auf dem Gehsteig
Der Hund ist los: Erzählungen von Natasza Goerke

Geschichten, die mit so einem Satz anfangen, muß man einfach weiterlesen: "Wolken verhüllten die Sonne, und Denisa, die mit dem Charme einer offenen Wunde spazierenging, hob ein Stöckchen auf und warf es so weit sie nur konnte." Solchermaßen überraschende Wendungen sind Kennzeichen der polnischen Erzählerin Natasza Goerke, die 1960 in Posen geboren wurde und seit 1985 in Hamburg lebt. In dieser "Der Hund" betitelten Geschichte wird eine an sich nicht weiter bemerkenswerte Dreiecksromanze geschildert, in der Hunde als Einsamkeitströster und zur Kontaktaufnahme mit anderen Tierliebhabern im Park eine große Rolle spielen, wie sie es auch in zahlreichen deutschen und amerikanischen Fernsehkomödien tun. Doch die Stimmung ist alles andere als alltäglich, was an dem ungewöhnlichen erzählerischen Tonfall liegt, der Surrealismus, Spott und Zynismus auf artistische Weise verknüpft.

Gerne beginnen die kurzen Geschichten mit Alltagssituationen, um dann Satz für Satz alle in solchen Konstellationen üblicherweise enthaltenen Klischees ad absurdum zu führen. Mitunter steigern sich die skurrilen Züge der Handlung bis ins Absurde. Mit ätzender Schärfe wird beispielsweise in "Katharsis" ein Literatentreffen in der Wohnung eines prominenten Kritikers beschrieben, bis auf einmal ein geheimnisvoller, von gefährlicher Aura umgebener Schatten auftaucht, woraufhin Schriftsteller Bläulich ohnmächtig wird und auch die anderen Anwesenden nicht gerade eine gute Figur abgeben. Wer ist dieser Schatten? Es ist der Geist der Poesie.

Auch die Titelgeschichte "Abschied vom Plasma" handelt - wie übrigens sehr viele Erzählungen des schmalen Büchleins - vom Schriftstellerleben. Wenn der Leser hier die Erzählerin Frau Null kennenlernt, schließt er vielleicht nicht zu Unrecht auf ein ironisches Selbstporträt der Autorin: "Warum also schrieb sie? Nun, aus Kummer, denn die Zeiten waren nicht leicht. Frau Null gehörte, ob sie wollte oder nicht, zu der Generation, die auf jene Generation folgte, derer schon alle sterbensmüde waren. Diese Folgegeneration, die ursprünglich die junge genannt worden war, reifte nicht mehr unter Kellerbedingungen heran - sie schoß wie ein Geysir jungen Weins aus dem Gehsteig und überschwemmte in einer einzigen Nacht die ganze Palette jahrzehntealter Denkfiguren." Das liest sich hübsch, selbst wenn man das viele Erzählen vom Schreiben zum Schluß dann doch arg selbstreferentiell finden mag.

Die Prosa der Natasza Goerke hat zweifellos ihre Reize. Leider finden sich aber in diesem Buch auch schwächere Texte. Dazu gehört der Dialog des Lamas mit dem Zicklein in seinem pseudophilosophischen Duktus oder der ins Alberne kippende Witz in "Schuldner", einem Prosastück über den Buddha des Sechsten Palastes. Und weil Natasza Goerkes Geschichten nicht immer gleichmäßig dicht komponiert und von innerer Logik durchdrungen sind, gelingt es ihr noch nicht, eine geschlossene surrealistische Welt zu erzeugen, wie es beispielsweise hierzulande Felicitas Hoppe so meisterhaft geschafft hat. Trotzdem verdient Natasza Goerke für ihren zweiten, im positiven Sinn eigenartigen Prosaband durchaus Beachtung.

SILKE SCHEUERMANN

Natasza Goerke: "Abschied vom Plasma". Erzählungen. Aus dem Polnischen übersetzt von Hans-Peter Hoelscher-Obermaier. Verlag Rospo, Hamburg 2000. 112 S., geb., 28,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Was Marion Löhndorf über Natasza Goerkes Erzählband "Abschied vom Plasma" zu berichten weiß, weckt Neugierde. Hier scheint es sich um eine Autorin zu handeln, die neue Wege beschreitet, kann man als Fazit ihrer Rezension entnehmen. Die Heiterkeit dieser Autorin sei giftgetränkt, ihr Blick fürs Skurrile und Debile im Alltäglichen boshaft und manchmal hämisch, leitet die Rezensentin ihre Besprechung ein. Dabei fangen die Erzählungen meist ganz harmlos an, doch das erwartete Happy-End bleibe dann meist aus. Ungewöhnlich seien sowohl der Stil, wobei die Rezensentin einige erfindungsreiche Beschreibungen auch als "überinstrumentalisiert" kritisiert, wie auch die Wege, die die Hauptfiguren beschreiten. Bei den Beschreibungen der komplizierten Beziehungen zwischen Männern und Frauen ist man in diesen Erzählungen vor Überraschungen nie sicher, warnt Löhndorf. Ausweglose Erstarrungszustände finde man hier jedenfalls nicht, denn die Autorin habe sich ein Körnchen des Glaubens an die Möglichkeiten der Veränderung bewahrt. Die Moral der Geschichten ist oft so unkonventionell wie alles andere darin auch, versichert die Rezensentin.

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