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Rainer Werner Fassbinder gilt als der bedeutendste Regisseur des deuschen Kinos nach dem Zweiten Weltkrieg. Während die bisherige Literatur zu Fassbinder sich vor allem dem "maßlosen" Leben des ungemein produktiven Filmemachers verschrieben hat, steht in diesem Buch sein Werk im Zentrum: Thomas Elsaesser, einer der international renommiertesten Filmhistoriker, analysiert Fassbinders Filme als ebenso klarsichtige wie kritische Chronik der Bundesrepbulik und ihrer Vorgeschichte. Die politische und kulturelle Entwicklung nach der Wiedervereinigung hat dabei viele von Fassbinders bevorzugten…mehr

Produktbeschreibung
Rainer Werner Fassbinder gilt als der bedeutendste Regisseur des deuschen Kinos nach dem Zweiten Weltkrieg. Während die bisherige Literatur zu Fassbinder sich vor allem dem "maßlosen" Leben des ungemein produktiven Filmemachers verschrieben hat, steht in diesem Buch sein Werk im Zentrum: Thomas Elsaesser, einer der international renommiertesten Filmhistoriker, analysiert Fassbinders Filme als ebenso klarsichtige wie kritische Chronik der Bundesrepbulik und ihrer Vorgeschichte. Die politische und kulturelle Entwicklung nach der Wiedervereinigung hat dabei viele von Fassbinders bevorzugten Themen - wie faschistische Kontinuitäten und Rassismus - wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Anders als die englische Originalausgabe enthält der Band auf 536 Seiten viele Fotos und Sequenzen aus den Filmen.
Autorenporträt
Thomas Elsaesser ist derzeit Professor für Filmwissenschaft am Institut für Kunst und Kultur der Universität Amsterdam; zuvor lehrte er in Großbritannien und den USA. Zahlreiche Bücher als Autor und Herausgeber, u.a.: Der Neue Deutsche Film, Das Weimarer Kino - aufgeklärt und doppelbödig.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.06.2002

Wie man wird, was man haßt
Symbolträchtig: Thomas Elsaessers Fassbinder-Monographie

"Egal was ich mache, die Leute regen sich auf", hat Rainer Werner Fassbinder einmal von sich gesagt, wohl auch im Wissen darum, daß die Rezeption seines Werks noch für lange Zeit im Schatten seines exzessiven Lebens stehen würde. Am 10. Juni 1982 ist Fassbinders große Verausgabung zu Ende gegangen. Seither wird um die Verwertung der Filme gerungen, und aus dem Kreis seiner Vertrauten kommen immer neue Enthüllungen über seine Liebesunordnung und sein manisches Arbeiten. Aber auch die seriöse Filmwissenschaft hat in Fassbinder einen Gegenstand gefunden, an dem sie sich ihrer methodischen Möglichkeiten immer erst neu versichern muß. Thomas Elsaessers grundlegende, vor fünf Jahren in Englisch erschienene und nun von Ulrich Kriest übersetzte Monographie macht dies nur zu deutlich. Elsaesser lehrt in Amsterdam und ist durch bedeutende Veröffentlichungen zum Kino der Weimarer Republik und zum Neuen deutschen Film ausgewiesen.

In Fassbinder findet er nun jene Figur, die alle diese Traditionen in sich aufnimmt, sie in der Erfahrung des amerikanischen Kinos - vor allem des Melodrams - spiegelt, und aus diesen Übertragungsprozessen schließlich eine Position gewinnt, in der die "Unmöglichkeit von Identität" direkt auf Deutschland bezogen wird: Elsaesser deutet Fassbinder als einen Filmemacher der Überschreitung jener Grenzen, innerhalb derer sich das Subjekt beruhigt. "Die Gesamtheit der Bewegungen von Körpern und Werten macht Deutschland aus, dessen Geschichte von solchen Momenten möglicher ,Freiheit' durchzogen ist, in denen die seismographischen Verschiebungen zu Momentaufnahmen werden, von denen aus sich das Schicksal verschiedener Arten von freischwebender libidinöser Energie aufzeichnen läßt, die jedoch auch den Blick freigeben auf Momente extremer individueller Gefahr und selbstzerschmetternder Intensität, wenn Identitäten entwurzelt und Körper auseinandergerissen werden."

In "Die Ehe der Maria Braun" hat Fassbinders Idee einer Geschichtsschreibung aus dem Geist des Begehrens ihre populäre Ausprägung gefunden. In dem Moment, in dem Deutschland als Fußballweltmeistermannschaft und als Nation vor den Radiogeräten zu sich kommt, gibt es eine Explosion. Eine weniger eindeutige, dafür besonders radikale Vermittlung von Körpern und Werten findet in der Fernsehserie "Berlin Alexanderplatz" statt, die Elsaesser mit Recht in das Zentrum seiner Analysen stellt. In Döblins Roman hat Fassbinder sich vollständig wiedererkannt, in der Verfilmung hat er zuletzt auch sich selbst und seine künstlerische Praxis allegorisiert. Im Schwarzmarkt findet Elsaesser eine entscheidende Metapher für die komplizierten Identifikationsspiele, die Fassbinder entwirft. Auf dem Schwarzmarkt unterliegt der Tauschhandel nicht nur den Regeln der Äquivalenz, es geht auch um Übervorteilung und Initiation, um "radikal ungleiche Transaktionen" auch mit dem Publikum.

Das kontroverse Theaterstück "Die Stadt, der Müll und der Tod", das Fassbinder 1976 den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht hat, ging darin besonders weit. Elsaesser muß seine Auffassung von Subjektkonstitution schon sehr grundsätzlich formulieren, um die Schwächen des Stücks zu legitimieren: "Fassbinders ,Jude' ist zunächst einmal, noch vor seiner religiösen oder rassischen Zugehörigkeit, die Figur des ,Anderen', präziser formuliert, der okkupiert den Platz des ,Großen Anderen'. Dieser Platz ist nötig, damit Fassbinder den Mechanismus in Gang setzen kann, bei dem sich das Selbst durch den Anderen definiert und Identität nur aus der Identifikation mit dem Anderen entsteht." Tatsächlich ist es so, daß Fassbinder diesen Mechanismus der Identifikation nicht nur in Gang setzte, sondern ihn häufig so weit überdrehte, daß eine Subjektsposition darin nur mehr im Modus der Flucht möglich ist.

Elsaesser aber muß die Stellung (und den Jargon) halten, will er nicht die Position der Filmwissenschaft aufgeben. Deswegen folgt er Fassbinder auch an jenen Ort, an dem das Anstößige übermächtig wird: "In einem Jahr mit 13 Monden", der erste Film, den Fassbinder nach dem Selbstmord seines Geliebten Armin Meier drehte, erzählt eine deutsch-jüdische Liebesgeschichte als Auslieferung, Unterwerfung und Auslöschung der Figur Erwin (Volker Spengler), die Elvira wird. Es scheint, schreibt Elsaesser, "als habe Fassbinder gegen Ende seines Lebens aus der Sicherheitszone heraustreten wollen, in der Gesetz und Verbrechen einander wechselseitig implizieren als zwei Seiten des Symbolischen, die Subjektivität allein erst produziert". Das Terrain jenseits des Symbolischen ist das der größten Konkretion. Fassbinder erreichte es, indem er sich selbst und seine Schauspieler aufs Spiel setzte, indem er eine "Treibhausatmosphäre" herstellte, in der alles zum Ausbruch kommen mußte, was im Wechselspiel des Neuen deutschen Films mit den Filmförderungsgremien stillschweigend sublimiert wurde.

Elsaessers äußerst kenntnisreiches und in allen Registern des Symbolischen versiertes Buch ist in Relation zu Fassbinders Werk selbst der "große Andere". Es klärt auf, was beim Sehen der Filme immer nur der Rest bleiben kann, der sich als Aufregung manifestiert, im günstigeren Fall aber in der Erregung einer Form von Wissen, die dem Begriff für immer verschlossen bleibt.

BERT REBHANDL

Thomas Elsaesser: "Rainer Werner Fassbinder". Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Kriest. Bertz Verlag, Berlin 2001. 536 S., br., 25,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Fassbinder, stellt der Rezensent Bert Rebhandl fest, ist bis heute ein Filmemacher, der sich der raschen Einordnung entzieht. Der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser macht diesen Entzug in seinem vor fünf Jahren in englischer Sprache erschienenen, nun übersetzten Buch gerade zum Thema: in Fassbinders Filmen geht es, in der Formulierung des Rezensenten, um die "Überschreitung jener Grenzen, innerhalb derer sich das Subjekt beruhigt" - und zwar immer im deutschen Kontext, im Verhältnis von "Körpern und Werten". Im Zentrum der Analyse steht Fassbinders Verfilmung von "Berlin Alexanderplatz" - der Schwarzmarkt wird für Elsaesser zur "Metapher" des schwunghaften Handels, den der Regisseur mit Identifikationen trieb. Die psychoanalytische Deutung zieht sich durch die Untersuchung, der "Jargon" auch, meint Rebhandl. Das ist aber der einzig unfreundliche Kommentar. Insgesamt findet er das Buch nämlich "äußerst kenntnisreich und in allen Registern des Symbolischen versiert".

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