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Semesteranfang an der Eliteuni Sommerstadt: In das beschauliche, jedoch keineswegs verschlafene, malerisch gelegene Örtchen strömen die Studenten. Aber Bologna, Module, Elite, Kompetenzen - was hat das alles mit Studieren zu tun? Michelle, das hübsche, anschmiegsame, durchaus nicht auf den Kopf gefallene Erstsemester, wird es bald herausfinden.

Produktbeschreibung
Semesteranfang an der Eliteuni Sommerstadt: In das beschauliche, jedoch keineswegs verschlafene, malerisch gelegene Örtchen strömen die Studenten. Aber Bologna, Module, Elite, Kompetenzen - was hat das alles mit Studieren zu tun? Michelle, das hübsche, anschmiegsame, durchaus nicht auf den Kopf gefallene Erstsemester, wird es bald herausfinden.
Autorenporträt
Annette Pehnt, geboren 1967, studierte und arbeitete in Irland, Schottland und den USA. Heute lebt sie als freie Autorin in Freiburg und lehrt dort an der Pädagogischen Hochschule. Sie hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. 2008 wurde Annette Pehnt mit dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet, 2009 erhielt sie den Italo-Svevo-Preis, im Jahr 2012 wurde sie mit dem Solothurner Literaturpreis geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2011

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind beabsichtigt

In dieser Literaturbetriebsposse hat nicht nur die Autorin einen Ruf zu verlieren: Annette Pehnts vergnüglicher Schlüsselroman über eine Freiburger Hochschule sollte zunächst nicht erscheinen. Dann fand "Hier kommt Michelle" doch noch den passenden Verlag - und wurde zu einem Überraschungserfolg.

Über dieses Buch kann man drei Geschichten erzählen. Die erste spielt in Freiburg, wo die Autorin Annette Pehnt nicht nur lebt, sondern als Dozentin an der Pädagogischen Hochschule, die Lehrer ausbildet, markante Blicke auf studentische Frischlinge und den Unibetrieb wirft. Der tägliche Umgang hat sie zu einem kurzweiligen kleinen Roman über die ersten Semester einer solchen ehrgeizigen Studentin inspiriert, der eindeutig ironische Untertöne hat: "Hier kommt Michelle". Die Universität ist freilich ein hermetischer Raum, aus Yuccapalmen, Antragstellern, frustrierten Dozenten, die, wo immer man sie trifft, gerne über die all zu frontal beschulte, neue, naive Generation jammern, die keine eigenen Fragen stellt, sondern nur Aufträge ausführt - das Gegenteil wissenschaftlichen Arbeitens. Ein Terrain also, über das man sich wunderbar lustig machen kann.

Längst gibt es dafür eine eigene Gattung, den Campusroman, der durchaus kabarettreife Züge trägt, Stegreiftheater sozusagen, das von der realen Bühne des Lebens in Literatur zu verwandeln keine ganz leichte Aufgabe ist. Annette Pehnt - das macht sie zu einer der interessantesten Gegenwartsautorinnen - hatte schon immer auch Sinn für feinen, nie grobschlächtigen Humor, für die dem Alltag innewohnende Komik, die zugleich im Scheitern tragische Züge erhält. Im Grunde also ist sie eine ernsthafte, gut zu lesende, weil nie künstlich schwerfällige Autorin. Jetzt hat sie ein unterhaltsames Buch geschrieben, das mit dem höchsten literarischen Anspruch bricht: "Mein Beitrag zur Trivialliteratur", wird sie zitiert.

Und hier beginnt die zweite Geschichte. Sie spielt immer noch in Freiburg, aber im Untergrund. "Michelle" als Manuskript, erschien nämlich vorerst nicht im Hausverlag der Autorin, dem Piper Verlag, der sonst immer sehr daran interessiert ist, alle Texte zusammenzuhalten. Thomas Tebbe, Programmleiter Belletristik und Annette Pehnts Lektor, nimmt seine Aufgabe ernst, worunter eben auch fällt, den Schützling vor einer Veröffentlichung zu bewahren, die dem "Autorenprofil" schaden könnte. Er fand, der Text "besitze keine größere literarische Strahlkraft", gibt aber zu, dass er sich beim Lesen amüsiert habe. "Michelle" blieb vorerst in der Schublade. Weil sie aber mit ihrem "schmalen, flinken Körper" nach einigen privat organisierten Lesungen die regionalen Herzen nicht nur betroffener Universitätsmitglieder erobert hatte, half Friedemann Holder: Er brachte das Druckwerk in seiner Reihe "Text Mission" im Verlag der linksalternativen Freiburger Buchhandlung Jos Fritz unter, die immer schon - wie ihr Namensvetter - für die Unterdrückten kämpfte. Das war 2010.

Der Roman kommt im kecken Jackentaschenformat daher, mit einmontierten Fotos aus Michelles Alltag. Die Kapitel heißen "Module", wie der Albtraum aller Studierenden - im Post-Bologna-Jargon bezeichnet man damit die einzelnen Bauteile, für die am Ende der Abschluss winkt; sie sind das Kapital. Inzwischen ist dem Werk ein kleiner Erfolg beschieden. Piper will nun nachrücken und als Geste an die Autorin "Michelle" doch im Taschenbuch veröffentlichen - Broschur verzeiht mehr als das förmlich gebundene Buch.

Die dritte, vergnüglichste, etwas gemeine Geschichte spielt in "Sommerstadt", unschwer als süddeutsche Unistadt zu erkennen. Hier plant Michelle ihr neues Leben. Sie ist eine reizende Abiturientin mit rascher Auffassungsgabe und ausgeprägter Schwäche für Katzen, bereit, einiges auszuprobieren, "schließlich hat sie sich in den letzten Jahren sehr am Riemen gerissen, und gelohnt hat es sich, das sagt jeder, und sie selbst sagt es sich voller Stolz". Sie meldet sich überall an und will alles richtig machen, wenn man ihr nur sagt, was sie machen soll. Geschichte ist nicht ihr Ding. Sie glaubt sogar, wie viele ihrer Altersgenossen, "dass man die Gegenwart nur ohne Geschichte verstehen kann". Eben noch im Abi geschwitzt, "den Teddy als Glücksbringer gegen den Multivitaminsaft gelehnt", will sie vorankommen, Scheine machen, die Ernte ihrer strebsamen Schulzeit einfahren. Wie eindimensional sie gezeichnet ist!

Inzwischen gibt es schon den Begriff für diesen neuen überbehüteten Typus, mit dem Annette Pehnt in krasser Überzogenheit spielt, was sicherlich beim Schreiben viel Spaß gemacht hat: "parentified kids". Dazu passend die mit Adleraugen über ihren Kindern kreisenden Eltern, genannt "helicopter parents", eingeladen zum Erstsemestercafé und sogar schon mit eigenem Wikipedia-Eintrag und lustigen Graffiti im Netz vertreten. So lustig ist das aber eigentlich nicht. Und so kommt, was kommen muss: Michelle gerät (für den erforderlichen Kreativ-Schein) in die Schreibwerkstatt einer bösartigen Schriftstellerin, die ihr am Ende mit schlechter Note bescheinigt, sie habe nichts zu sagen. ("Mutter: Na du sagst doch gerade was, oder? Michelle: nickt und lacht unter Tränen.")

Michelle stürzt in eine kleine depressive Krise, rappelt sich aber dank eines Auslandssemesters und schottischen Biers wieder auf, um schließlich selbst Teil des Betriebs zu werden, als wissenschaftliche Hilfskraft eines Professors. Jetzt lacht und lästert sie vorsichtig mit. Nur demonstrieren gegen die immer schlechteren Studienbedingungen will sie vorerst lieber nicht. Aber das kann ja noch werden. Pehnts Campus- und Entwicklungsroman ist erst "Bd. 1", an dessen Ende die alte, ehrwürdige Universität in Flammen aufzugehen droht. Weg mit dem ganzen Zeugs. Ein würdiges Ende für einen Kultroman.

Sagen wir es wie die Germanisten mit ihrem Lieblingstheoretiker Bourdieu: Die verschiedenen Akteure des Felds, in diesem Fall des Unibetriebs, im weiteren Sinn des Bildungssystems, sind in ihrer Überzeichnung gut getroffen, und zwar alle, vom Rektor bis zu dessen überfordertem Pressesprecher, von der doppelbelasteten Teilzeitkraft auf Abschussrampe bis zum längst gekündigten traurigen Fall. Alle sind erkennbar Teil eines gigantischen Schuld-Verschiebe-Bahnhofs, der im Kindergarten beginnt und mit Uni-Abschluss längst nicht endet. Ein Machtapparat mit Hintertürchen, die Michelle mit hinreißender Energie zu finden versucht. Darüber ohne die Schwerlast täglicher politischer Debatten eine bissige Satire lesen zu dürfen ist erleichternd. Der Charakter des Textes als Schlüsselroman ist völlig sekundär - und offenbar die Figuren auch so gut getarnt, dass nicht alle eindeutig dechiffrierbar sind. Über eines aber sind sich die gemeinhin wohlinformierten Kreise einig: Jeder kennt aus seiner Sprechstunde eine "Michelle", die freimütig zugibt, den zu besprechenden Roman aus privaten Gründen nicht gelesen zu haben und ohne Scham eine Arbeit ohne eine einzige Fußnote abgibt. Die Dozenten selbst - blass, schwarz gekleidet, belesen, aber ständig nur tratschend - kommen übrigens nicht viel besser weg.

Annette Pehnts Lektor mag recht haben: Die Autorin hat, nach Romanen wie "Insel 34", "Mobbing", "Haus der Schildkröten", einen Ruf zu verlieren. Aber kann der Literaturbetrieb wirklich so schlecht differenzieren? Das hier servierte, locker geschriebene Abziehbild, das auch Wahrheit birgt, rechtfertigt die Autorin mit einfachen, aber wirkungsvollen Waffen: Sie benennt die Schwächen mit Hilfe eines Vorsatzes (anstelle einer Zueignung) lieber gleich selbst: "Dieser Roman ist larmoyant, verbittert, arrogant, ungerecht und unpsychologisch; er enthält Stereotypen, Versatzstücke, Gesellschaftskritik, Verhöhnungen, Polemik und ein negatives Weltbild. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind beabsichtigt." Der andere Distanzierungstrick ist noch älter und besteht im regelmäßigen Einschub des Porträts der Erzählerin (das bekanntlich nicht zu verwechseln ist mit dem Autoren-Ich!). Diese Erzählerin freut sich diebisch, das harmlose Mädchen entworfen zu haben, um ihr Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Manchmal wird es ihr ob der eigenen Häme etwas mulmig. Und so schleicht sich beim Leser sogar etwas Mitleid ein für den rüden Umgang mit Michelle.

Annette Pehnt, und das ist das Interessante an allen drei Geschichten, hat damit nicht nur ihrer Figur, sondern sich selbst Begleitschutz gegeben. Unterstützt wird sie von den Herausgebern, neben Friedemann Holder noch Michael Staiger, die in mittlerweile zwei flockigen Vorworten auf Vicki Baums Kolportageroman "Menschen im Hotel" (1929) referieren, als Vorwarnung: Hier gilt das Drehtürprinzip. Keine kunstfertigen Charaktere. Nur Teile, nichts Ganzes. Und genau das sollte den Pehnt-Lesern zugemutet werden: dass sie auch dieses Büchlein rezipieren als Teil eines Werkes, das vielversprechend wächst. Im Frühjahr 2012 gibt es wieder einen ernsthaften Roman über die Verstrickung dreier Mütter aus verschiedenen Generationen. Bis dahin darf offenherzig gelacht, sich dafür geschämt und nebenbei analysiert werden.

ANJA HIRSCH

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als Campus-Satire hat Anja Hirsch den Roman sehr vergnügt gelesen, als Literaturbetriebssatire hat sie die Geschichte des Romans weniger erheitert. Aus Sorge um den guten, ernsthaften Ruf der Autorin wollte der Verlag diese leichte Erzählung lieber nicht veröffentlichen. Der Freiburger Buchladen Jos Fritz nahm das Manuskript mit offenen Händen, brachte es heraus und landete damit einen durchaus respektablen Erfolg. Bei Hirsch jedenfalls leidet Pehnts Status als ernsthafte Autorin kein bisschen unter diesem Ausflug ins triviale Fach, sie hat sich bestens amüsiert. Die Personen dieses Dramas um die von Bologna verwüstete Bildungslandschaft sind natürlich heillos überzeichnet: Michelle das ehrgeizige Erstsemester, das keine Fragen kennt, nur richtige Antworten und gute Noten, die helicopter mum, die doppelbelastete Teilzeitkraft, der Rektor, der Pressesprecher. Wie Pehnt sie aber alle als Teil eines "gigantischen Schuldverschiebe-Bahnhofs" zeichnet, "der im Kindergarten beginnt und mit Uni-Abschluss längst nicht endet", das findet Hirschs absolute Zustimmung.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Das alles ist sehr witzig, auf 138 Seiten. Eine bitterböse Satire auf eine Streberin, gut geschrieben - unbedingt lesen!", bei SWR1 "Buchtipps vom literarischen Quadrat", 06.12.2019