Produktdetails
  • Verlag: A 1 Verlagsges.
  • Seitenzahl: 88
  • Deutsch
  • Abmessung: 220mm
  • Gewicht: 262g
  • ISBN-13: 9783927743625
  • ISBN-10: 3927743623
  • Artikelnr.: 10325424
Autorenporträt
Günter Herburger, geboren 1932 in Isny/Allgäu, studierte Philosophie und Sanskrit in München und Paris. Er lebte und arbeitete in verschiedenen Berufen in Frankreich, Spanien, Nordafrika und Italien. Herburger publizierte Romane, Erzählungen, Gedichte, Hörspiele, Fernsehdrehbücher sowie literatur- und gesellschaftskritische Beiträge. Er ist Mitglied des PEN und lebt heute als freier Schriftsteller in München. 2011 wurde Günter Herburger mit dem Lübecker Literaturpreis "Von Autoren für Autoren" ausgezeichnet und mit dem "Johann Friedrich von Cotta-Literatur- und Übersetzungspreis 2011".
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.04.2002

Das Pferd Angela
Schuhe gegürtet: Günter Herburger mit neuen Gedichten
Günter Herburger ist der Langstreckenläufer unter den deutschen Schriftstellern. Das stimmt in einem ganz wörtlichen Sinn, und zugleich ist es die Schlüssel-Metapher für das Werk. Die neuen Gedichte, die der Autor vorlegt, zeigen nirgends die Spur eines alternden Lyrikers. „Als er Siebzig war und war gebrechlich / Drängte es den Lehrer doch nach Ruh.” Der Anfang der Brechtschen Laotse-Legende passt überhaupt nicht auf den siebzigjährigen Herburger. Aber wenn es dann von der Güte im Lande heißt, dass sie wieder einmal schwächlich war, von der Bosheit, dass sie wieder einmal nach Kräften zunahm, scheint doch auch vom Verfasser der „Thuja”-Trilogie und der in zahlreichen Bänden (es sind mit der „Fliegenden Festung”, glaube ich, elf) gesammelten Gedichte die Rede zu sein. Die letzte Zeile der ersten Strophe beseitigt den letzten Zweifel: „Und er gürtete den Schuh.”
Marathon ist überall
Schon lange ist der Dichter unterwegs, seit bald vier Jahrzehnten; 1964 erschienen die Erzählungen „Eine gleichmäßige Landschaft” und zwei Jahre später kam der erste Gedichtband „Ventile” heraus. Die lyrische Begleitstimme zum epischen Werk verstummte nie, und nie ging ihr der Atem aus. „Die langen Gedichte, die inzwischen gemacht werden”, schrieb Herburger in einem Kursbuch-Aufsatz von 1967, „sind immer noch zu kurz, sie müssen länger werden.” Das längste Gedicht im jüngsten Band heißt „Der Kopf” und hat 96 sechszeilige Strophen, die sich über zwanzig Seiten erstrecken.
Es hilft nichts, der Leser muss mitlaufen, und wenn er zurückbleibt oder gar schlapp macht, liegt es an seiner Unbeweglichkeit. Ihn straft Angela Schwertführer mit vernichtender Verachtung, und er wird nie mit einer Kavalkade von Pferden, an deren Spitze Angela, mit ihrer Lichtpistole das Rot von Ampeln ausradierend, dahinsprengt, auf der Buxheimer und der Wernher-von- Braun-Straße durch Memmingen kommen und das Schloss erreichen, in dem ihr Lehrer Hans Magnus Vorhölzel residiert. Das Schloss, erfahren wir andern, gehörte früher einem verarmten Fürsten, diente nacheinander als Brauerei, Hühnerstall und Asylantenheim, bis es ein Labor zur Herstellung transparenter Industrietinten wurde.
Man sieht, dass sich über diese Gedichte nur sprechen lässt, indem man sie nacherzählt: aber wem? Denen, die daheim geblieben sind und hinter dem Ofen hocken? Vergeblich; denn sie werden sich doch keine Vorstellung machen können. Wie soll man ihnen begreiflich machen, was der Gestapochef Kaltenbrunner, der Chimborazo-Zeichner Alexander von Humboldt und ein griechischer Skeptiker aus dem zweiten Jahrhundert mit dem sprechenden Namen Sextus Empiricus in und zwischen den Zeilen verloren haben? Strapaziös ist er schon, der Lauf durch diese dreißig, in fünf Abschnitte gegliederten Langstreckengedichte, mitten durch das Gestöber der Partikel von Bildern, Gerüchen, Erinnerungen, Episoden, die der nimmermüde Fuß des Marathon-Poeten, wo immer er hintritt, aufwirbelt. Marathon ist zwar überall, aber nirgends trifft man es öfter als im Allgäu. Der in Isny geborene Günter Herburger ist auf der ganzen Welt zu Hause, entführt uns nach Kaliningrad und an die Südspitze Japans, aber er kehrt auch immer wieder ins Land seines Herkommens zurück. Dem Gedenken an seinen Allgäuer Landsmannn, den im vergangenen Jahr verunglückten Schriftsteller W. G. Sebald, ist der Band gewidmet.
ALBERT VON SCHIRNDING
GÜNTER HERBURGER: Eine fliegende Festung. Gedichte. A1 Verlag, München 2002. 96 Seiten, 15,80 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

"Kühne Einfälle" und "krause Ideen" sind seit eh und je Markenzeichen von Günter Herburgers Gedichten, die wie bei der "ecriture automatique" keinem Formprinzip unterworfen zu sein scheinen, sondern wie in dem Erzählgedicht "Der Kopf" einen Strom "schier uferloser poetischer Disgressionen" absondern, meint Rezensent Michael Braun. Mehr noch als früher lässt Herburger seinem Hang zur Phantastik freien Lauf, so Braun, unterfüttert sie mit "kryptowissenschaftlichen Exkursen", sprengt alle Versgrenzen; eine Mischung aus heimatverbundenem Ezyklopädismus, Literaturzitaten und Traumsequenzen, stellt Braun fest. Herburger war immer fasziniert vom Fliegen, berichtet Braun, sein Lieblingsbild sei das der (titelgebenden) "fliegenden Festung", wobei Herburger die negative Konnotation durch den Zweiten Weltkrieg durchaus bewusst ist, behauptet der Rezensent. Der Dichter habe sich eigenmächtig die Lizenz zum freien Flug und freien Phantasieren erteilt, weshalb seine Gedichte Braun an "vollgestopfte Schubladen, die klemmen" erinnern; eine Formulierung, die übrigens von Herburger selbst stammt.

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