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Martin Heidegger ist als Person wie als Philosoph höchst umstritten. War seine Nazi-Verstrickung nur eine kurzzeitige persönliche Verfehlung oder drückt sich in seinem gesamten Denken philosophisch sublimiert der völkische Wahn aus? Nachdem die turbulenten Debatten um Heideggers braune Vergangenheit weitgehend abgeklungen sind, wendet sich der amerikanische Philosophiehistoriker Tom Rockmore einem unstrittigen und dabei umso erstaunlicheren Faktum zu: der beispiellosen Faszination, die Heidegger auf die französischen Philosophen der Nachkriegszeit - von Sartre bis hin zu Derrida und Foucault -…mehr

Produktbeschreibung
Martin Heidegger ist als Person wie als Philosoph höchst umstritten. War seine Nazi-Verstrickung nur eine kurzzeitige persönliche Verfehlung oder drückt sich in seinem gesamten Denken philosophisch sublimiert der völkische Wahn aus? Nachdem die turbulenten Debatten um Heideggers braune Vergangenheit weitgehend abgeklungen sind, wendet sich der amerikanische Philosophiehistoriker Tom Rockmore einem unstrittigen und dabei umso erstaunlicheren Faktum zu: der beispiellosen Faszination, die Heidegger auf die französischen Philosophen der Nachkriegszeit - von Sartre bis hin zu Derrida und Foucault - ausgeübt hat. In der modischen Gestalt des Poststrukturalismus und Dekonstruktivismus erlangte seine Philosophie eine weit über Europa hinausreichende Wirkung. Rockmore weist nach, dass Heideggers Aufstieg zum führenden "französischen" Philosophen paradoxerweise nach 1945 einsetzte, wobei sein NS-Engagement durchaus bekannt war und im Umkreis von Sartre heftig diskutiert wurde. Heidegger un d die französische Philosophie gibt dabei einen fundierten Überblick über Frankreichs intellektuelle Szene und den fachphilosophischen Betrieb nach dem Krieg. Es beleuchtet die politischen Dimensionen der Heidegger-Rezeption und deckt ihre bewusste Steuerung durch den "Meisterdenker" und seine französischen Schüler auf. Das Resultat ist ernüchternd: Eine fehlerbelastete Interpretation der Heideggerschen Philosophie durch die französischen Philosophen ebnete seinem Denken weltweit den Weg, obwohl es sich als nicht immun gegen die völkische Barbarei erwiesen hatte.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.03.2001

Kehre, wem Kehre gebührt
Sollte Heidegger der bedeutendste Philosoph der französischen Nachkriegszeit sein? Eine skeptische Studie aus Amerika
Die erstaunliche Heidegger-Renaissance des vergangenen Jahrzehnts ging vor allem von Frankreich aus – in der deutschen Diskussion war sein Werk, das die fünfziger Jahre beherrscht hatte, durch die philosophische Emanzipation der Sechziger verdrängt worden. In Frankreich gab es keinen derartigen Bruch – Derrida griff auf Heidegger zurück, Lyotard, Foucault, Deleuze akzentuierten an seinen Texten die eigene Position, zur Zeit entwickeln Lacoue-Labarthe und Nancy sein Denken weiter.
Mit Recht nennt also Tom Rockmore Heidegger den „Meisterdenker der französischen Philosophie”, den „bedeutendsten ,französischen‘ Philosophen der Nachkriegsdiskussion”. Auch wenn er damit über das Ziel hinaus schießt – was wäre dann mit Sartre? –, belegt seine Studie doch den nachhaltigen Einfluss dieses Philosophen in Frankreich. Warum ausgerechnet ein Befürworter des Nazi-Okkupationsregimes für mehrere Generationen französischer Intellektueller zu einer Leitfigur werden konnte, versucht Rockmore, Philosophieprofessor in Pittsburgh, mit den besonderen Rezeptionsbedingungen im Nachbarland zu erklären.
Die Aneignung Heideggers begann dort schon vor dem Nationalsozialismus, um 1930, als nur wenige Schriften übersetzt waren – „Sein und Zeit” zum Beispiel lag erst 1964 in Teilen, 1986 vollständig vor. Alexandre Kojèves charismatische Vorlesungen in den Dreißigern bastelten am frühen Mythos. Auch Sartre, der 1933/34 nach Berlin kam, um seine Husserl-Studien zu intensivieren, eignete sich die Fundamentalontologie an.
Wo Rockmore solche einfluss- und institutionsgeschichtlichen Strukturen rekonstruiert, überzeugt seine Studie. Am überraschendsten erscheint hier ein Befund aus der zweiten Phase der Heidegger-Rezeption, die mit der Diskussion über den Humanismusbrief 1945-47 zusammenfällt. Rockmore arbeitet die singuläre Position Jean Beaufrets heraus, der den Diskurs vor allem wegen seiner persönlichen Beziehung zu Heidegger lange Zeit dominierte. Er beeinflusste das französische Bild in einer für den Philosophen äußerst kritischen Phase. Als die Alliierten ihn mit Lehrverbot belegten, setzte Beaufret in Frankreich jene Entschuldigungsmechanismen durch, die dort bis zu den 1987 publizierten Recherchen von Farias Bestand haben sollten: Heidegger sei politisch naiv gewesen, die „Kehre” in seiner Philosophie der Dreißiger lasse sich als Abwendung vom Nationalsozialismus verstehen.
Die dritte Phase der Rezeption bezeichnet Rockmore als „Bildung einer heideggerianischen Orthodoxie” – an der vor allem Beaufret, später Derrida besonders intensiv beteiligt waren. Rockmores kenntnisreiches Panorama bleibt allerdings immer dort skizzenhaft, wo er es versäumt, seine mitunter schroffen Thesen durch Textanalysen zu belegen. So behauptet er, dass die französische Heidegger-Rezeption „größtenteils auf systematischer Missdeutung beruht”. Kojève habe Heidegger anthropologisch missverstanden, Sartre schätzte die Stellung des Subjekts in dessen Theorie falsch ein, weshalb Heidegger in Frankreich als ein Vertreter des Humanismus gelesen werde. Diese These dämonisiert entweder Heideggers durchaus vorhandenen Einfluss auf die Meinungsbildung in Frankreich – oder sie entmündigt mehrere Generationen französischer Philosophen. Denn warum diese die für Rockmore so klar ersichtlichen Fehler begehen konnten, bleibt letztlich rätselhaft. Plausibler erscheint da der Gedanke, dass die französische Philosophie etwas Produktives an Heidegger erkannte, für das Rockmore das Sensorium fehlt.
Über Heideggers Philosophie und deren französische Lesarten steht Rockmores ablehnendes Urteil von vornherein fest, weil er die innere Verwobenheit des heideggerschen Denkens mit dem Nationalsozialismus als gültig voraussetzt. Unbestreitbar bleibt das Verhalten des einstigen Rektors während des Nationalsozialismus der wunde Punkt aller Heidegger-Apologeten. Die philosophisch interessante Frage aber sei, so sagt es auch Rockmore, ob Heideggers Nazismus „aus seiner Philosophie folgt oder auf dieser beruht”. Gerade diese Frage kann er aber mit den Mitteln der Rezeptionsgeschichte nicht beantworten – dass er dennoch immer wieder über diese hinaus geht, schädigt sein ansonsten sinnvolles Projekt.
SVEN KRAMER
TOM ROCKMORE: Heidegger und die französische Philosophie. Deutsch von Thomas Laugstien. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 2000. 310 S. , 58 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Es ist eine interessante Frage, warum ein Befürworter der Nazi-Okkupation Frankreichs wie Martin Heidegger für mehrere Generationen französischer Intellektueller zu einer Leitfigur werden konnte, denkt Sven Kramer. Tom Rockmore, Professor für Philosophie in Pittsburgh, versucht diese Frage mit den besonderen Rezeptionsbedingungen in Frankreich zu beantworten, berichtet der Rezensent. Das sei ihm aber nicht gelungen, kritisiert Kramer. Die Studie überzeuge zwar da, wo sie einfluss- und ideengeschichtliche Strukturen rekonstruiere. Aber ihre Grenze würde immer dann offensichtlich, wenn Rockmore schroffe Thesen mit Textanalysen zu belegen suche, beschwert sich der Rezensent. Rockmore habe zwar ein kenntnisreiches Panorama der philosophischen Rezeptionsgeschichte von Heideggers Schriften entworfen. Aber eine plausible Antwort auf die Frage, warum Heidegger trotz aller Umstrittenheit einen so starken Einfluss auf die französische Philosophie ausübte, bietet er nicht, resümiert der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH"
"Heidegger hat in Frankreich größeren Einfluß auf seinesgleichen ausgeübt, als es irgendeinem anderen Philosophen des 20. Jahrhunderts in einem fremden Land vergönnt gewesen ist. Rockmore hat diese komplizierte Geschichte mit allen ihren intellektuellen Verbindungslinien höchst aufschlußreich dargelegt." (Washington Post)