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Helgoland, frühe Zwanziger Jahre: Werner Heisenberg formuliert die Theorie der Unschärferelation und hebt damit die Gesetze der klassischen Physik ebenso aus den Angeln wie das über Jahrhunderte wissenschaftlich geschärfte Weltbild. Ausgehend von dieser Verunsicherung macht Jérôme Ferrari in seinem Roman Verbindungslinien sichtbar, die seitdem Physik und Wissenschaft, Sprache und Literatur, Kultur und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erschüttern.Er schildert, wie die Nationalsozialsten die Sprache vergiften und mit ihrem Terror das politische und kulturelle Leben bis in den tiefsten Kern…mehr

Produktbeschreibung
Helgoland, frühe Zwanziger Jahre: Werner Heisenberg formuliert die Theorie der Unschärferelation und hebt damit die Gesetze der klassischen Physik ebenso aus den Angeln wie das über Jahrhunderte wissenschaftlich geschärfte Weltbild. Ausgehend von dieser Verunsicherung macht Jérôme Ferrari in seinem Roman Verbindungslinien sichtbar, die seitdem Physik und Wissenschaft, Sprache und Literatur, Kultur und Politik, Wirtschaft und Gesellschaft erschüttern.Er schildert, wie die Nationalsozialsten die Sprache vergiften und mit ihrem Terror das politische und kulturelle Leben bis in den tiefsten Kern zersetzen, wie Wissenschaftler eine Dekade später die erste Nuklearbombe in New Mexico testen und keine vier Wochen später der Tod sein neues Gesicht in Hiroshima zeigt, wo die Mächte aus dem Inneren des Atoms kaum einen Schatten von den Menschen übrig lassen, und wie im neuen Millennium Dubai zu einer im Rausch des Wachstums berstenden Stadt wird, ein kaltes, Energie verschlingendes Monstrum, das sich ganz der Ideologie der Machbarkeit hingibt, mit der etwas so schnell entsteht, wie es in der Krise vergeht.Mit der Kraft der Metapher und dem notwendigen Schweigen spannt Ferrari einen poetischen Bogen uüer die Auflösungsprozesse und Entgrenzungen der vergangenen hundert Jahre. Entlang des streitbaren Lebens von Werner Heisenberg - von seiner bahnbrechenden Entdeckung über seine Verstrickung mit dem Nationalsozialismus, die Internierung in Farm Hall bis zu seiner berühmten Münchener Rede 1953 - beschreibt er, wie dem Menschen die Welt entgleitet und wirkmächtige, unkontrollierbare Prozesse Wirklichkeitenund Wahrheiten produzieren.
Autorenporträt
Jérôme Ferrari, 1968 in Paris geboren, ist Philosophielehrer und gehört zur neuen aufsteigenden Literatengeneration Frankreichs. 2012 wurde er mit dem "Prix Goncourt" ausgezeichnet. Die Jury befand, er habe durch seine Sprache und seinen Stil überzeugt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eigentlich würde Matthias Hennig lieber Werner Heisenbergs "Der Teil und das Ganze" empfehlen als Jérôme Ferraris Versuch, den Physiker in einer biografischen Nacherzählung vorzustellen. Der laut Hennig aus Rahmenhandlung und Binnenerzählung bestehende Text, der wichtige Stationen im Leben Heisenbergs in vom Autor poetisch ausgeschmückten Anekdoten und Erinnerungen des Nobelpreisträgers auserzählt, erscheint dem Rezensenten bisweilen unelegant und unmotiviert konstruiert. Auch wenn es Ferrari mitunter gelingt, physikalische Probleme zu poetisieren, wie Hennig erklärt, befriedigt ist der Rezensent nach der Lektüre ganz und gar nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.02.2015

Der Blick über
Gottes Schulter
Jérôme Ferrari macht den Pionier der Atombombe,
Werner Heisenberg, zur Symbolfigur des Epochenbruchs
VON JOSEPH HANIMANN
Wenn an einem Frühjahrstag 1945 der Atomphysiker Werner Heisenberg zu Hause in seinem bayrischen Urfeld von einem amerikanischen Soldaten verhaftet wird und diesen beim Abtransport mit strahlender Miene fragt: Sagen Sie mir, sind unsere Berge und Seen nicht wunderschön? – dann springt eine Ahnung von Glück von der Hauptfigur auf den Erzähler dieses Romans und weiter, so will es scheinen, auf den Autor, vielleicht sogar bis zum Leser.
  Jérôme Ferrari braucht solche Momente, in denen das Erhabene sich am Chaos reibt, für sein erstaunliches neues Buch. Und er hat sie in Heisenbergs Autobiografie „Der Teil und das Ganze“, in dessen übrigen Werken und Briefen reichlich gefunden. Das Ergebnis ist aber keine Romanbiografie, sondern eine minutiös dokumentierte und doch literarisch ganz freie Darstellung eines deutschen Gelehrtenschicksals, die wie in einem Teilchenbeschleuniger die wissenschaftlichen, politischen, philosophischen, existenziellen Leuchtspuren aufblitzen lässt.
  Der 1968 in Paris geborene Wahlkorse Ferrari ist einer der interessantesten Autoren seiner Generation und seit seinem 2012 mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Roman „Predigt auf den Untergang Roms“ eine anerkannte Größe der französischen Gegenwartsliteratur. Dieses neue Romanprojekt hat ihm jedoch Mühe bereitet – nicht wegen des Erwartungsdrucks nach dem Goncourt, versichert er, sondern wegen der Schwierigkeit des Unterfangens. Als Philosophielehrer in Ajaccio, Algier und zuletzt am französischen Gymnasium von Abu Dhabi hatte er immer wieder mit deutschen Autoren zu tun und sich allmählich in den Kopf gesetzt, einen Roman über Deutschland zu schreiben – wohl wissend, wie aberwitzig ein solches Projekt ist für einen wie ihn, der weder Sprache noch Land und Leute kennt.
  Ferrari ist mit seinem südländisch herben Temperament keiner, der leicht ins Schwärmen käme. Wenn er aber von der deutschen Philosophie und von der deutschen Musik zu reden beginnt und zur Erklärung auch noch den Text „Deutsches Requiem“ von Borges aus „Das Aleph“ anführt, könnte einem angst werden. Zum Glück ist der Franzose feinfühlig, weise und belesen genug, um dem Sog der Stereotypen zu entgehen.
  Die Schriften Heisenbergs über Quantenphysik und Unschärferelation hatte er schon als Student gelesen und das Thema ist auch bereits in seinen ersten Roman eingegangen. Anreiz zu diesem neuen Buch war für ihn das jugendliche Aussehen des Forschers auf Fotos und Zeitdokumenten: ein wissenschaftlicher Lausbub, der mit dreiundzwanzig Jahren in den Abgrund der Materie blickte, es zwischen Lagerfeuer, Platon-Lektüre und Mozart-Sonaten in der Atomforschung schnell zu höchsten Ehren brachte und sich dann für Hitlers Uranprojekt einspannen ließ.
  Wäre Ferrari provokationslustig und skandalfreudig wie Michel Houellebecq, hätte er dieses Thema zwischen dem Unheimlichen und dem Lakonischen prächtig auffahren können. Mehr als das Sarkastische und Grelle liegt ihm aber das Verschlungene, Vielschichtige, Schillernde. Sein Erzähler spricht von der Figur Heisenbergs nur in der Form eines distanzierten „Sie“. „Dreiundzwanzig Jahre waren Sie alt, und hier, auf dieser trostlosen Insel, wo keine einzige Blume blüht, war es Ihnen zum ersten Mal gegeben, Gott über die Schulter zu schauen“ – so lautet der Anfangssatz des Romans, der mit Heisenbergs Intuition von der Unschärferelation im Jahr 1925 auf Helgoland einsetzt.
  Es folgt dann ein subtiles Spiel dieses Erzählers, der etwa das Alter des Autors hat, wie Ferraris frühere Romanhelden in Korsika lebt und seinen Gegenstand Heisenberg umkreist wie die Teilchen in einer Wilsonschen Nebelkammer: auf Bahnen, die nie ganz bestimmbar sind. Mitten im Satz kann dieser Erzähler da und schon wieder weg sein.
  Ferrari erzählt die Geschichte des Forschers in seinem Jahrhundert: von der Erleuchtung auf Helgoland über die Ahnung der heraufziehenden politischen Katastrophe und die Auseinandersetzung mit Niels Bohr bis zur klaren Frage Albert Speers im Heereswaffenamt, ob eine deutsche Atombombe machbar sei, und schließlich zur Internierung 1945 mit anderen deutschen Forschern im englischen Farm Hill und zum Erschrecken über Hiroshima. Wie das alles auf 130 Seiten aufgerollt wird, zeugt von großer Kompositionskunst. Ferrari taucht mit seinem gerafften Sprachstil die Episoden ins Säurebad konkreter Szenen und lässt Zeitgeschichte unmittelbar aufscheinen. Die physikalische Forschung ist in den Zwanzigerjahren seit Max Planck ein Ruinenfeld, kein theoretisches Modell stimmt mehr mit den Beobachtungen überein, das Atom ist wissenschaftlich ein Albtraum – bis Einstein, Heisenberg und einige andere begreifen, dass es mit der Anschaulichkeit der klassischen Physik vorbei ist und „die gesegnete Zeit der Bilder endgültig der Vergangenheit angehört“.
  Ein Roman wie dieser hat alle Aussicht, zum wissenschaftsgeschichtlichen Digest zu geraten. Dieser Gefahr entgeht Ferrari geschickt. Sein Heisenberg steht uns mit seinen menschlichen Zügen vor Augen und versinkt doch nicht in biografischen Anekdoten. Von seinem klassischen Ideal des Wahren, Guten und Schönen mag er auch am Rand des Chaos nicht lassen. Der „Monotonie des Chaos“ hält er die „ruhige Beharrlichkeit“ eines Weltvertrauens entgegen, das sich in der „Weißen Rose“ oder in der Chaconne von Bachs d-Moll-Partita ausdrückt. Zugleich muss er sich vom Erzähler über seine Verantwortung befragen lassen. Und als Internierter im englischen Farm Hill spricht er wie seine Kollegen: Sie hätten doch so viel Gutes getan und nur das Beste gewollt. Die Gespräche der deutschen Forscher sind von den Briten insgeheim aufgezeichnet und später publiziert worden. Ferrari hat auch diese Zeugnisse verwendet. Es ist das einzige Kapitel im Buch, in dem der Erzähler sich hinter die Faktizität zurückzieht und Heisenberg in der dritten Person auftritt. Der Forscher behauptete später, die Entwicklung der deutschen Atombombe absichtlich hintertrieben zu haben – eine Darstellung, die ihm Niels Bohr nie abnehmen wollte.
  Wenn der Erzähler, mittlerweile Investor in der Golfregion, am Schluss des Romans nach der letzten Finanzkrise im Taxi durch eine Bauruinenstadt in der Wüste zum Flugplatz fährt, rollt diese Heisenberg-Story weiter uns direkt vor die Füße. Das „Prinzip“ ist nicht mehr nur jenes der physikalischen Unschärferelation, sondern das einer nicht mehr stabilisierbaren Zivilisation der totalen Machbarkeit. Der Investor hört per Kopfhörer Depeche Mode , während die Wolkenkratzer am Straßenrand vorbeiflitzen, der Taxifahrer schweigt, und dem Mann dämmert: Nichts vermag den Menschen, der überall in der Welt nur noch sich selbst und seinem eigenen Werk begegnet, vor der endgültigen Einsamkeit zu retten. Heisenberg erscheint als ein Pionier jener Entwicklung, in der die Macht nicht mehr den Menschen gehört, sondern „zwischen ihnen und durch sie hindurch den Weg bahnt, gleichgültig, ob man sie ersehnt oder meidet“: Kreation und Rebellion werden zu Symptomen derselben Unterwerfung.
  Jérôme Ferrari widerlegt zusammen mit einigen anderen Autoren fulminant das Gerücht, der französischen Gegenwartsliteratur seien die großen Themen ausgegangen. Und dass der Secession-Verlag, dessen Programmleiter Christian Ruzicska Ferraris Bücher mit viel Sprachgespür selber übersetzt, diesen neuen Roman zeitgleich mit dem bei Actes Sud erscheinenden französischen Original herausbringt, ist ein Beweis starker europäischer Gegenwartsliteratur.
Jérôme Ferrari: Das Prinzip. Roman. Aus dem Französischen von Christian Ruzicska und Paul Sourzac. Secession Verlag für Literatur, Zürich 2015. 133 Seiten, 19,95 Euro.
Wenn Jérôme Ferrari von
deutscher Philosophie oder Musik
spricht, gerät er ins Schwärmen
Nach dem Krieg bestritt
der Forscher seine Verstrickung
in das Nazi-Regime
Kann ein Roman die Unschärferelation in sich aufnehmen? Jérôme Ferrari in Paris. Foto: Stephane Grangier/Corbis
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2015

Vom Wunsch, Gott über die Schulter zu schauen
Befallen vom Fieber der Abstraktion: Jérôme Ferrari erzählt radikal und eindringlich vom Physiker Werner Heisenberg

Literatur und Philosophie sind ein altes Ehepaar, das eine tiefe und manchmal abschreckende Zuneigung verbindet. Hegel und Heidegger haben im Garten der Literatur Belege gewildert, der junge Nietzsche wollte in der attischen Tragödie gar die bessere Philosophie sehen. Schriftsteller gehen ihrerseits ganz unterschiedlich mit philosophischen Gedanken um. Meist werden sie indirekt verhandelt, durch literarische Universen: Sie sind zugleich Modelle, die Vorstellungen illustrieren oder widerlegen. Oder sie inszenieren Debatten zwischen Figuren, in denen die Settembrinis und Naphtas dieser Welt um ihre rechte Deutung ringen. Seltener und schwieriger ist die direkte Arbeit am Begriff, die gern als "Reflexionsprosa" abgekanzelt wird. Immer aber besteht die Gefahr, dass literarische Schönheit - des Wortes oder der erfundenen Welt - im Begriffssarg zu Grabe getragen wird.

So gesehen, hat "Das Prinzip", der neueste Roman des Philosophielehrers und Goncourt-Preisträgers Jérôme Ferrari, die Sargnägel alle eingeschlagen: Er handelt vom Leben und Werk Werner Heisenbergs und versucht, die berühmte Unschärferelation in Literatur umzusetzen. Die Messlatte liegt hoch, die Formeln der modernen Physik sind noch abstrakter als Begriffe der traditionellen Philosophie; der Titel und die Gliederung nach physikalischen Kategorien bringen das perfekt zum Ausdruck. Hinzu kommt, dass Ferrari sich kopfüber in die Konzepte stürzt, sie seinen Erzähler hin und her wälzen lässt.

Ein abstrakteres Thema, schwierigere Begriffe kann man sich kaum vorstellen - kann das literarisch gutgehen? Es kann: Ferraris Worte sind wunderbar plastisch, seine psychologischen Beobachtungen genau und seine Überlegungen von existentieller Dringlichkeit. Aber nicht ohne Einschränkung: Etwas mehr konkretes Leben hätte den Roman packender gemacht, ohne ihm Tiefe zu nehmen; das hat der Autor selbst in früheren Werken vorgemacht.

"Das Prinzip" erzählt Heisenbergs Leben in vier Teilen: "Position" handelt von der Münchner Studienzeit bis zum Nobelpreis 1932; dieser längste Abschnitt erläutert Heisenbergs Denken. "Geschwindigkeit" berichtet die Zeit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs: Hier steht Heisenbergs moralische Haltung unter dem NS-Regime im Zentrum. "Energie" erzählt die sechsmonatige Kriegsgefangenschaft in Farm Hill bei Cambridge, und "Zeit" schließlich wirft mittels einer Rede von 1953 einen Blick auf die Nachkriegsjahre. Den vier Lebensstationen des Physikers entsprechen drei des anonymen Ich-Erzählers: Im ersten Teil scheitert er 1989 in der mündlichen Abschlussprüfung seines Philosophiestudiums an einem Auszug aus Heisenbergs "Physik und Philosophie". Im zweiten arbeitet er im Sommer 1995 in einer korsischen Bar und verlässt schließlich Vater und Cousin. In Teil drei tritt er nicht auf, im Schlussteil hat er seine Überzeugungen im Nahen Osten verkauft, lässt wegen der Finanzkrise 2009 aber auch dieses Leben hinter sich.

Ferrari macht sich nicht zum Biographen, er betreibt eher eine Art Alchimie. Einerseits möchte er Heisenbergs Erkenntnis übersetzen, physikalische Modelle in Worte verwandeln. Andererseits bringt er dadurch die Schönheit von Heisenbergs Gedanken zur Geltung. Heisenbergs Erkenntnis an sich ist eine schreckliche: "Sie haben weit mehr als nur die Kausalität widerlegt, Sie haben mit der mörderischen Arglosigkeit der Jugend ein Auflösungsurteil verkündet, das die letzten Bestandteile der Materie in Kreaturen der Vorhölle verwandelt, blasser und durchsichtiger als Gespenster - arme Dinger ohne Eigenschaften, beraubt so sehr von allem, dass sie darüber unbeschreiblich werden, kaum mehr Verheißungen auf Dinge, verloren irgendwo zwischen dem Möglichen und dem Wirklichen, in der Erwartung, dass der Blick des Menschen sich ihnen zuwende und sie zur Existenz ruft."

Auch das Denken ist nur in seltenen Momenten, in denen es dem Physiker gelingt, "Gott über die Schulter zu schauen", erträglich. Ansonsten ist es "ein Zauber von Geschwindigkeit und Kraft, Grausamkeit, Schmerz und Ekstase, die offene Wunde, in der man verbissen weiterstochert". Die Gedanken entziehen sich, daher bleibt nur die Wahl "zwischen einer Metapher und dem Schweigen". Sprachliche Bilder jedoch sind ungenau, weiß der Philosoph Ferrari. Doch haben sie ihren Nutzen: "Was aber die Sprache so unbeholfen ausdrückt, das lässt sich mit einem Schlage in einer Gleichung von solcher Prägnanz und Simplizität fassen, dass es deren Giftigkeit verbirgt." Die tolpatschige Literatur kann die Radikalität der physikalischen Einsicht erst fassbar machen.

Für den Autor führt Heisenbergs Modell in einen Nihilismus, den er wie in der "Predigt auf den Untergang Roms" paradoxerweise in gnadentheologische Begriffe kleidet: Ferrari ist ein jansenistischer Atheist. Allerdings ist "Das Prinzip" radikaler als die "Predigt": Während der Vorgängerroman am lebensfrohen Beispiel einer korsischen Bar die Vergänglichkeit beschrieb, führt Ferrari dem Leser jetzt vor Augen, dass "die Dinge keinen Grund besitzen". Die eine, physische Welt, in der wir leben, ist eine unendliche "Vorhölle des Möglichen", eine ewige Strafe, verhängt von Gott, "Herr des Schreckens". Man denkt an Augustinus, der dem "Sündenklumpen" der Menschheit die "Todesstrafe" zumisst - nur hatte der Kirchenvater mit dem Sündenfall einen Grund zur Hand. Gnade erfährt der Mensch auch bei Ferrari, durch Augenblicke des Verstehens und der Schönheit.

Die Verflüchtigung des Wirklichen prägt den Roman: Ferrari scheint selbst vom "abstrakten Fieber" Heisenbergs befallen zu sein. Das konkrete Leben spielt in "Das Prinzip" eine Nebenrolle, immer geht es um große Fragen. Ferrari konzentriert sich auf den Dialog mit dem Physiker, den er höflich in der zweiten Person Plural anspricht. Geht es ihm zunächst darum, Heisenbergs Thesen zu begreifen, hinterfragt er später seine Entscheidung, nach 1933 in Deutschland zu bleiben. Er lässt mögliche Beweggründe Revue passieren, die Abgründe dieses Menschenlebens erweisen sich jedoch ebenfalls als unverständlich: "Unentwirrbar ist dies."

Das hält Ferrari zum Glück nicht davon ab, die Physiker, die sich mit dem Naziregime arrangiert hatten, während ihrer britischen Gefangenschaft 1945/46 mit satirischer Schärfe vorzuführen. Das Haus in Farm Hill war mit Mikrofonen gespickt, daher weiß die Nachwelt, was geredet wurde: Das schwach entwickelte Schuldbewusstsein schockiert. Besonders pikant, ja brisant wird die Diskussion, als man die Herren Professoren über den Bombenabwurf von Hiroshima unterrichtet: Die Reaktionen schwanken zwischen Entsetzen über die Zerstörung und Neid auf die technische Leistung der Amerikaner.

Der letzte Abschnitt ist Heisenbergs Münchener Rede "Das Naturbild der heutigen Physik" (1953) und zugleich dem September 2009, also der Fast-Gegenwart, gewidmet: Der Ich-Erzähler geht im Sultanat Oman obskuren Geschäften nach. Hier wie andernorts bestehen Bezüge zum Leben Ferraris, der in Abu Dhabi unterrichtet hat. Der kürzeste Teil des Romans ist auch der schwächste: Vorher funktionierte die Verbindung zwischen Physiker und Erzähler, der eine las den anderen und versuchte, ihn zu verstehen. Hier jedoch knirscht es: Heisenberg entwickelt in seiner Rede die Vision einer von "Wucherungen unserer Organe" verschlungenen Welt, kritisiert die moderne Hybris - sie wie Ferrari auf die Finanzkrise zu übertragen scheint verkürzt.

Wichtiger ist freilich die große Parallele zwischen Physiker und Dichter, die Ferrari entwickelt. Bei allen Unterschieden ist ihre Aufgabe vergleichbar: "hinauszureichen über das Vermögen der Sprache, um zu sagen, was unsagbar, und so präzise wie möglich sämtliche Ordnungen zu beschreiben einer hypothetischen, mannigfaltigen, unbeschreiblichen Wirklichkeit". Einsichten, nüchtern und präzise formuliert, in schönen Bildern sublimiert: Philosophie und Literatur haben gute Tage vor sich.

NIKLAS BENDER

Jérôme Ferrari: "Das Prinzip". Roman.

Aus dem Französischen von Christian Ruzicska und Paul Sourzac. Zürich, Secession Verlag für Literatur 2015. 136 S., geb., 19,99 [Euro].

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