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Es wäre verkehrt, die in diesem Band vereinigten drei literarischen Skizzen einfach als Erinnerungen zu bezeichnen. Es sind "literarisch verfremdete" Erinnerungen, hervorgegangenen aus der Suche nach der Wahrheit hinter dem, was geschehen ist. So ist denn auch nicht alles, was erzählt wird, eins zu eins umsetzbar. Ereignisse und Orte sind nicht immer geographisch festzulegen und chronologisch einzuordnen. Personen werden zu Typen: Josef in der ersten Skizze, der Archivar in der dritten. Vieles wurde nicht so formuliert und gesprochen, wie es hier wiedergegeben ist. Und doch ist es wahr. Die…mehr

Produktbeschreibung
Es wäre verkehrt, die in diesem Band vereinigten drei literarischen Skizzen einfach als Erinnerungen zu bezeichnen. Es sind "literarisch verfremdete" Erinnerungen, hervorgegangenen aus der Suche nach der Wahrheit hinter dem, was geschehen ist. So ist denn auch nicht alles, was erzählt wird, eins zu eins umsetzbar. Ereignisse und Orte sind nicht immer geographisch festzulegen und chronologisch einzuordnen. Personen werden zu Typen: Josef in der ersten Skizze, der Archivar in der dritten. Vieles wurde nicht so formuliert und gesprochen, wie es hier wiedergegeben ist. Und doch ist es wahr.
Die hier vereinigten drei Skizzen sind zu verschiedener Zeit entstanden. Was sie verbindet, ist das Nachdenken über das Leben des Autors, der in den Skizzen den Namen Ludwig trägt. Entstanden sind sie in Brachzeiten zwischen wissenschaftlichen Arbeiten. Die dritte Skizze des Bandes, die von Rom und dem Archivar handelt, entstand um die Jahrtausendwende, als der Autor nach zwanzig Jahren mit demEintritt in den "Ruhestand" die Stadt Rom verließ. Ein Lebensabschnitt ging zu Ende. Es galt Bilanz zu ziehen. Die erste Skizze, die sich der Familie Ludwigs zuwendet, entstand zum großen Teil im Frühsommer 2012, fast zufällig bei einem späteren Romaufenthalt und wurde dann mit Hilfe längst vergessener Briefe ergänzt. Im Winter 2012 entstand die zweite Skizze. Zu Grunde lag eine wissenschaftliche Arbeit.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.09.2015

Fußnote zur Unsterblichkeit
Der Historiker Otto Weiß erzählt aus seinem Leben
Otto Weiß wäre ein großartiger Lehrer gewesen. Doch Otto Weiß hatte nie eine Professur inne oder gar einen Lehrstuhl. Dennoch widmete ihm vor einem Jahr eine Riege von 14 Kirchenhistorikern, darunter Koryphäen wie Hubert Wolf und Karl Hausberger, eine Festschrift zum 80. Geburtstag – einem Alter, in dem mancher Ordinarius vergessen ist. Dass Otto Weiß akademische Verehrer hat, liegt an seiner einzigartigen Bescheidenheit, die sich paart mit Gelehrsamkeit und Witz, und dieser Witz kann hinterhältig sein, ein bisschen. Auch Weiß ist eine kirchenhistorische Kapazität. Nun hat er erstmals die wissenschaftliche Schiene verlassen und sich auf literarische Wege begeben. Im zarten Alter von 80 Jahren legte er die „Stationen meines Lebens“ vor. Ein Wagnis, keine Frage. Es handelt sich um autobiografische Skizzen.
  Wie macht sich der Wissenschaftler, der knorrige Materie wie den Kulturkatholizismus des frühen 20. Jahrhunderts anschaulich und geradezu unterhaltsam aufzubereiten vermag, als Schriftsteller? Als Anfänger schlägt er sich wacker. Er beginnt tief im 19. Jahrhundert mit seinen Ahnen und vor allem Ahninnen. Alles kleine Leut’ irgendwo in der süddeutschen Provinz, arme Frauen, Opfer der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die meisten Orte wie auch die meisten Namen hat er verfremdet. Weiß selbst nennt sich Ludwig.
  Diese Verfremdung legt eine Scham des Autors bloß, wobei nicht klar wird, wofür er sich schämt. Er wird sehr persönlich, schildert die eigene Mutter als Frau, die eine Vernunftehe mit dem einen Mann ebenso zu leben versteht wie eine leidenschaftliche Affäre mit einem anderen, und das gleichzeitig. Ludwig, der Stern unter ihren Kindern, soll Pfarrer werden. Wird er auch, bis er den Mann in sich nicht mehr unterdrücken kann, da er sich in eine Frau verliebt. Otto Weiß gehörte dem Redemptoristen-Orden an. Die Schilderungen des Noviziats, das er Mitte des vergangenen Jahrhunderts durchlebte, geben einen tiefen Einblick in die untergehende Welt der Klöster. Diszipliniert euch, demütigt euch um eurer Heiligkeit willen, sagt ein gestandener Mönch den Zöglingen, peitscht euch aus. Weiß hätte es probiert – doch die Vernunft siegte.
  Insider-Geschichten aus der Kirche sind reißfest wie Seemannsgarn. Und Stoff, um ihn zu spinnen, hat Weiß mehr als genug erlebt. Seine Demission aus dem geistlichen Stand, sein Leben als alleinerziehender Akademiker nach dem frühen Tod seiner Frau, seine eigene Eitelkeit, mit der er hier wundervoll spielt: Hauptsache für einen Historiker ist, dass er in den Fußnoten anderer unsterblich wird, schreibt Weiß und bekennt, wie eitel er selbst auf die Fußnoten schielt.
  Ein versierter Lektor hätte dem literarischen Anfänger Otto Weiß geraten, auf einen allzu gekünstelten Kunstgriff wie die Rückblende auf eine hochstaplerische Seherin zu verzichten, die im 19. Jahrhundert ein komplettes Männerkloster verrückt machte. Und er hätte dem Autor empfohlen, stärker auf seine Selbstironie und den Humor zu vertrauen, mit dem Weiß die Zunft der Historiker in Bielefelder und in Görresmenschen einteilt. Der Bielefelder als solcher sei „in inniger Hassliebe mit dem preußisch-deutschen Kaiserreich verbunden“ und habe keine Ahnung vom Katholischen, wohingegen der Görresmensch seine Debatten bevorzugt nebst Schweinebraten und Weißbier führt.
  Weiß balanciert geschmeidig durch beide Welten. Am wohlsten fühlt er sich aber bei seinem Freund, einem defätistischen Archivar im Vatikan, der letztlich sein Alter Ego ist. Für ihn ist Theologie „fromme Poesie“ und seine Bewunderung für Joseph Ratzinger hält sich in Grenzen: „Sohn eines Polizisten. Leidet darunter, dass er noch nie ein echtes Wunder erlebte.“ Otto Weiß war und ist immer unabhängig und selbstbewusst genug, so etwas zu sagen. Das könnte ein Grund sein, warum er nie Professor wurde, aber viele Freunde hat.
RUDOLF NEUMAIER
Otto Weiß: Stationen meines Lebens. Drei biografische Skizzen. Edition Tandem, Salzburg 2015. 300 Seiten, 18,50 Euro.
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