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Produktdetails
  • Verlag: Jung und Jung
  • Seitenzahl: 86
  • Abmessung: 12mm x 121mm x 190mm
  • Gewicht: 153g
  • ISBN-13: 9783902144072
  • ISBN-10: 3902144076
  • Artikelnr.: 09636806
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Alfred Kolleritsch, der Herausgeber der renommiertesten österreichischen Literaturzeitschrift, sollte sich endlich auch als Autor einprägen, meint Rezensent Karl Riha, und sein neues Gedicht-Bändchen sei eine gute Gelegenheit dafür. Auch wenn der Titel und die Widmung der Gedichte auf konkrete Personen einen autobiografischen Ansatz des Autors vermuten ließen, täusche dieser Eindruck. Dieser Lyriker zeichnet sich vielmehr durch einige formale Charakteristika aus, erklärt der Rezensent. Dazu gehören variierende freie Formen und freie Bildlichkeit, in denen sich Naturbilder mit Liebesmotiven und diese mit Momenten einer durchdringenden Sprachreflexion "verknoten" würden, erläutert Riha. Auch gestalte Kolleritsch weniger "die Wonnen ekstatischer Vereinigung" als das "gemeinsame Alleinsein", und wenn die Titel häufig sehr abstrakt seien, zeichneten sich die Inhalte aber in der Regel durch "sehr konkrete, mitunter sogar höchst sinnliche Evokationen aus", die den Leser "`staunen und fragen` machen". Insgesamt hält Riha fest: Die radikale Dekomposition der Sprache, wie sie viele junge experimentell ausgerichtete Autoren erproben, sei nicht die Sache dieses Lyrikers, der vielmehr "den Satz vor den Silben schützen" möchte, wie er es selbst formuliert.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.09.2001

Der Dichter bleibt auf Distanz
Blitz der Erkenntnis: Alfred Kolleritsch erzeugt kurzfristig Licht

Alfred Kolleritsch ist aus dem Staunen nie herausgekommen. Im Februar dieses Jahres ist er siebzig Jahre alt geworden, aber die Welt sieht er jeden Tag an, als wäre sie gerade neu erschaffen worden. Was macht einer, dem alles, was anderen Menschen nie und nimmer ein Problem ist, weil sie sich sicher und souverän in der Welt bewegen, in der sie einen Ort gefunden haben, zum Rätsel geworden ist? Er fängt an nachzudenken, und über das Denken kommt er zum Schreiben. Und was er festhält, erklärt die Welt, die ihm so fremd ist, kein bißchen. So sitzt er am Ende vor Gedichten, die das Rätsel der Wirklichkeit, die er nicht und nicht zu benennen weiß, als ungeklärtes, unklärbares Geheimnis offenhalten.

Als Lyriker wird Kolleritsch heimgesucht von der Fassungslosigkeit. Weit reißt er die Augen auf, nimmt begierig auf, was ihm die Außenwelt zuspielt, auf daß es sein Gedächtnis verarbeitet, es verwandelt, etwas Neues daraus gestaltet. Alles, was er sieht, hört, riecht, gehört nur ihm. Daraus macht er seine Literatur, und alles, was sonst mächtig und selbstsicher im Raum steht, sieht unter seinem Blick ein bißchen gehemmter, ein bißchen verschämter, etwas weniger selbstsicher aus. Nichts paßt mehr in das System, in dem es sonst geborgen und aufgehoben ist. Für Kolleritsch gelten keine Denkschulen, keine Übereinkünfte, wie mit alltäglichen Dingen zu verfahren wäre. Mit jedem Gedicht fängt er ganz von vorne an, sich seines Staunens zu vergewissern.

Von allem Anfang an macht das die Literatur des Alfred Kolleritsch aus. Er ist geschult von den großen Denkern der Philosophie, er ist gewaschen mit den Wassern der Moderne, er weiß um die Möglichkeiten zeitgenössischer Literatur - er hört sich alles an, er sieht sich überall um und geht nirgendwo ganz und gar auf, bleibt auf Distanz. Von allem Anfang an ist Kolleritsch ein Skeptiker, der eine abgrundtiefe Scheu aufweist vor Verfestigungen. Suspekt ist ihm jedes Modell, das beansprucht, wahr zu sein. Er bleibt in ständiger Bewegung, wahrscheinlich ist es das, was den Menschen und seine Literatur so jung und unverbraucht wirken läßt. Er hat nichts als dieses bedrängende Insistieren auf der Undurchdringlichkeit des Dschungels Wirklichkeit. Er bemächtigt sich des Instruments der Sprache, um kleine Schneisen in das Dickicht zu schlagen. Und für kurze Zeit wird es hell, der Blitz der Erkenntnis erzeugt kurzfristig Licht, plötzlich wird etwas sichtbar, was alsbald wieder verschwindet. Auf den Augenblick kommt es an, auf den einen Moment im Hier und Jetzt, der wichtiger ist als alle Behauptungen von Dauerhaftigkeit.

Jetzt gibt es erneut Anlaß, Kolleritsch zu lesen. Zwei Lyrikbände sind erschienen, einer mit neuen Gedichten und einer mit einer Auswahl von Gedichten aus den letzten zwanzig Jahren. Und schon ist er wieder da, dieser Kolleritsch-Ton aus Nachdenklichkeit und bohrendem Nachfragen, schon versetzen sie einen wieder in Unruhe, diese unsteten Gebilde, die es darauf anlegen, dem Leser Gewißheiten wie Selbstgewißheit zu rauben. "Betrachten" heißt eines der Gedichte im jüngsten Lyrikband von Kolleritsch, und das bezeichnet eine Tätigkeit, die mit Bedacht gepflegt wird. Zum Betrachten gesellt sich das Denken, gemeinsam treffen sich die beiden Welterforschungssysteme in der Lust, der Welt auf den Grund zu gehen. "Wenn aus den Bergen Hügel werden, / das Harte den Stürmen nachgibt, / tiefer fällt der Horizont, / aus Felsen Erde wird, / näher der Schmerz, // werden wir uns im Gebüsch verlaufen . . ." Nichts Ewiges findet Kolleritsch in der Natur, sie befindet sich in beständigem Umbruch. Wenn schon die Monumente wie Berge und Felsen wandelbar sind, wie flüchtig ist dann erst die Existenz des Menschen, wie zaghaft wirkt seine Spur in der Geschichte. Gibt es da einen Halt?

Die neuen Gedichte von Kolleritsch haben sich der Liebe verschrieben. Liebe, ein Ewigkeitswert der Literatur, wird immer dann angerufen, wenn ein Dichter von der Stärke eines Gefühls Zeugnis ablegen will. Dann läßt er keinen Zweifel aufkommen, daß diesem Gefühl Dauer zukommt, dann schließt er jeden Widerspruch dagegen vehement aus. Wie einfach macht man es sich, wenn man die Liebe als eine unwandelbare Kategorie handelt, die, durch eine gewaltige Tradition beglaubigt, dem Menschen Sicherheit gibt. Alfred Kolleritsch ist nur zu verstehen, wenn man seiner Arbeit diese starke, vehemente Verweigerungsgeste zugesteht. Er begann zu schreiben, indem er sich von anderen, zumal von Traditionalisten und Konservativen absetzte. "Nachgemacht ist die Welt. / Tot sind die Meister." So schließt das Gedicht "Was bleibt", zuerst erschienen 1982 im Band "Im Vorfeld der Augen", jetzt aufgenommen in den Auswahlband. Sein Schreiben macht Sinn, wenn man es wahrnimmt als einen Kontrapunkt zu einem Leben aus zweiter Hand. Nie würde er seine Literatur als repräsentativ für etwas nehmen, was außerhalb seiner selbst ist. Seine Gedichte sind er selber - und sonst niemand. Er geht nicht auf die Menschen zu, um ihnen mit seinem Schreiben ein Stücklein Wahrheit ihrer selbst zu geben, er schreibt, was ihn allein bewegt. Vielleicht gibt es andere, die sich diesem seinem Denk- und Gefühlskosmos nähern, aber sie müssen diese Anstrengung aus eigener Kraft unternehmen. Das verleiht den Gedichten etwas Unnahbares. Fremd stehen sie da, funkeln uns an, allzu nahe lassen sie niemanden an sich heran. Den großen Entwürfen, die Wirklichkeit in den Griff zu kriegen, setzt Kolleritsch seine Lyrik entgegen, die im Auftrag des Dichters in die Welt entlassen werden, den Leser zu verunsichern - ja, aber auch zu entzücken. Kolleritschs Gedichte sind nie nur Suchbewegungen eines klugen Individuums, sondern stets auch Absetzbewegungen vom Geist der Mitte.

Nun ist Kolleritsch mehr als je zuvor beim Stichwort Liebe angelangt. Früher pflegte er sich herumzuschlagen mit philosophischen Konzepten, die er in seinen Gedichten kleinzukriegen suchte. Die Geschichte seines Ich und seines Landes, das vermurkste Denken in der Enge, die Beschränkungen des einzelnen, der zurechtgestutzt wird auf das Maß des Kleingeistes, das waren seine Obsessionen, gegen die er sich mit seiner Lyrik zur Wehr setzte. Jetzt ist er einfacher geworden. Die Liebe, dieses subjektive Gefühl, bringt ihn außer Tritt, aber wie man davon sprechen kann, ist ungewiß. "Einige Wörter sagen es, daß es uns geben muß." Das ist schon sehr viel, dafür lobt er die Wörter, denen er sonst so mißtrauisch begegnet. Kolleritsch steckt das nahe liegende Terrain ab, vergewissert sich dessen, was ihm in den Blick kommt, und hält sich stets vor Augen, daß es jenseits des Vertrauten das Unbekannte geben muß. Er beginnt beim Ich, rückt sich selbst ins Zentrum der Welt, er ist Souverän und Beobachter zugleich. Und er findet ein Du, ein Gegenüber, mit dem er seine Welt teilt: "An den gelben Blumen vorbei, / über den grasübersäten Rand, / kamen dir Wolken entgegen, / und im Dunst Hügel." So beginnt das Gedicht "Verharren", sinnlich, weltzugewandt, hungrig auf den Zauber der Natur.

Kolleritsch beläßt es jedoch nicht beim Feiern der Schönheit. Er kommt über das Sehen zum Sprechen, und damit vertreibt er jeden schönen Schein. Was auf der Welt ist, besteht nie nur für sich, es wird in Sprache gebracht, und damit eröffnet sich ein neuer Raum, der den Zugang ins Unbekannte erst möglich macht. Alfred Kolleritsch, der unruhige Geist mit dem suchenden Blick, ist ständig unterwegs. Aber manchmal kommt er an in einem Gedicht, und daran läßt er uns teilhaben. Das ist schön von ihm.

ANTON THUSWALDNER.

Alfred Kolleritsch: "Die Summe der Tage". Gedichte. Mit einem Nachwort von Arnold Stadler. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2001. 86 S., geb., 31,50 DM.

Alfred Kolleritsch: "Die Verschwörung der Wörter". Siebzig ausgewählte Gedichte. Mit einem Vorwort von Hans Eichhorn. Residenz Verlag, Salzburg 2001. 96 S., geb., 34,- DM.

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