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Seit einigen Jahren wird in den Sozial- und Kulturwissenschaften international kaum ein Phänomen so lebhaft diskutiert wie das der Globalisierung. Nachdem die zu Anfang vorherrschende Sichtweise von Globalisierung als Entwicklung einer homogenen Weltkultur zunehmend an Evidenz verlor, rücken die lokal unterschiedlichen kulturellen Praktiken und Perspektiven als Teil von Globalisierung ins Zentrum des Interesses. Diese Neujustierung des Fokus erlaubt auch längst überfällige neue Lesarten des vermeintlich einfachen Verhältnisses von "Amerikanisierung" und Globalisierung. Dabei wird deutlich,…mehr

Produktbeschreibung
Seit einigen Jahren wird in den Sozial- und Kulturwissenschaften international kaum ein Phänomen so lebhaft diskutiert wie das der Globalisierung. Nachdem die zu Anfang vorherrschende Sichtweise von Globalisierung als Entwicklung einer homogenen Weltkultur zunehmend an Evidenz verlor, rücken die lokal unterschiedlichen kulturellen Praktiken und Perspektiven als Teil von Globalisierung ins Zentrum des Interesses. Diese Neujustierung des Fokus erlaubt auch längst überfällige neue Lesarten des vermeintlich einfachen Verhältnisses von "Amerikanisierung" und Globalisierung. Dabei wird deutlich, dass die oft als "Amerikanisierung" wahrgenommene Globalisierung weltweit heterogene Resonanzen erzeugt, hybride Kulturen, Fluchtlinien und Gegenbewegungen treten gleichermaßen hervor. Der Band "Globales Amerika", in dem sich einige der prominentesten Denker der Globalisierung zu Wort melden, präsentiert anregende Lektüren dieser bislang wenig beleuchteten Seite der Globalisierung und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Problems insgesamt. Für das 21. Jahrhundert erweist sich die Perspektive eines "methodologischen Kosmopolitismus" (Ulrich Beck) als richtungsweisend.
Autorenporträt
Beck, UlrichUlrich Beck (1944-2015) war Professor für Soziologie an der Universität München und Visiting Centennial Professor an der London School of Economics and Political Science.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2004

Die Resistenz des deutschen Wurstbrotes
Ulrich Beck, Natan Sznaider und andere prüfen und präzisieren die Thesen der Globalisierung

Seitdem die moderne Gesellschaft sich selbst reflektiert, ist emphatische Gesellschaftskritik eine Triebfeder von Erkenntnis und Theoriebildung gewesen. Das galt für Marx, Engels und ihre Zeitgenossen, und es galt vor zehn Jahren, als die erste Welle des neuen Globalisierungsdiskurses Ängste und Abneigungen widerspiegelte. Die Folge waren Konzepte wie George Ritzers "McDonaldisierung" der Welt, in denen Alltagsphänomene auf den Punkt gebracht wurden und die sich deshalb leicht popularisieren ließen. Doch wie weit trägt ein solcher Begriff analytisch? Stehen Rationalisierung, Standardisierung und Produktionseffizienz im Vordergrund, oder geht es um die Uniformierung des Konsums? Beobachten wir den Siegeszug der Amerikanisierung, oder haben sich die McDonald's-Prinzipien von der Kultur der Vereinigten Staaten abgelöst und marschieren als globale Macht um die Welt, auf der Suche nach Feinden, aber auch nach Verbündeten in den Regionalkulturen?

Seit dem "11. September" hat sich der antiamerikanische Impuls der Globalisierungskritik in manchen Bereichen zugespitzt, doch zugleich hat sich das Bemühen um Differenzierung und empirische Überprüfung mancher wahrhaft "globalen" Thesen verstärkt. Verunsicherung breitet sich aus, scheinbare Gewißheiten werden in Frage gestellt. Davon legt ein von Ulrich Beck, Natan Sznaider und Rainer Winter herausgegebener Band Zeugnis ab. Aufbauend auf einer Konferenz auf Schloß Elmau im Oktober 2000, erhalten prominente Vertreter der Globalisierungsdebatte wie George Ritzer, John Tomlinson oder Roland Robertson Gelegenheit zur Weiterführung und Präzisierung ihrer Positionen; Fallstudien aus unterschiedlichen Disziplinen kommen dazu. Auf eine einheitliche Linie sind die Beiträge nicht getrimmt. Amerikakritische Stimmen stehen neben proamerikanischen. Der Dissens darüber, ob eine amerikanisch geprägte Globalisierung denn die Weltkultur im Griff habe, oder lokale Kulturen und Rezeptionsbedingungen der Standardisierung Grenzen setzen, durchzieht das Buch wie ein roter Faden.

So stehen zwei nationale Studien über Amerikanisierungsprozesse in Frankreich und Japan in einem spannungsreichen Kontrast zueinander. Richard Kuisel präsentiert Belege dafür, daß "diese stolze Nation sich hat amerikanisieren lassen". Er betont damit die Uniformität und soziale Universalität der Amerikanisierung Frankreichs, die sich über Klassenunterschiede hinwegsetze und die kulturelle Praxis, die Aneignungsformen und Semantiken zum Beispiel der Ernährungs- und Freizeitkultur einschließe. Den von Rainer Winter und anderen stark gemachten Hinweis auf die Aktivität und Produktivität der Konsumenten, auf die lokalen Anverwandlungen der globalen Kultur und damit auf die Grenzen der Manipulationsthese läßt er nicht gelten. Anders ist Gerard Delantys Sicht auf Japan. Unter der Oberfläche amerikanisierter Massenkultur habe das Land die Amerikanisierung "in hohem Maße einfach unterlaufen". Japan selbst wende sich wieder vermehrt den asiatischen Nachbarn zu. Auch lasse sich eine Japanisierung des Westens beobachten.

Insgesamt bestimmt dieser Ansatz die Generallinie der Autoren: die Frage nach den wechselseitigen Einflüssen, nach kulturellem Synkretismus, hybriden Formationen in einer vielschichtigen Globalisierung. Der Einfluß der Vereinigten Staaten beschränkt sich dabei nicht auf die Dominanz von Hollywoodfilmen, Jeanshosen und Fast food, sondern stellt, auf einer Metaebene der kulturellen Kommunikation, auch Ressourcen der Traditionsbildung und der normativen Grundierung zur Verfügung. Das zeigt Natan Sznaider an der in den neunziger Jahren vieldiskutierten "Amerikanisierung des Holocaust". Rob Kroes liefert eine Analyse des Internets als amerikanischer Kultur: Informalität der Kommunikation, Enthierarchisierung und Demokratisierung pflanzen sich in Milliarden E-Mails fort und schaffen Standards der politischen Normierung von globaler Gesellschaft - das Internet als Gemeinschaft der Tugendhaften. Tocqueville hätte daran seine Freude gehabt.

Auf diese Weise weitet sich der Kulturbegriff, der in den Debatten über Amerikanisierung und Globalisierung noch immer (und trotz der Gegenbeispiele auch in diesem Band) unter einer spezifischen Verengung leidet. McDonald's und das Internet, Medienästhetik und Popkultur prägen unverhältnismäßig heftig das Bild. Der Schwerpunkt liegt auf materiellen Artefakten der Kultur, während Mentalitäten und Verhaltensweisen, politisch-kulturelle Leitbilder und Erwartungen nicht nur seltener in den Blick kommen, sondern auch empirisch resistenter gegen die Standardisierung sind. Aber selbst in der populären und kommerziellen Kultur würde es lohnen, die Felder gescheiterten Amerikanisierung zu studieren. Dazu gehört der gescheiterte Export des amerikanischen Sports. Im Sport als zentralem Feld weltweiter Massenkultur hat Europa, nicht Amerika, den globalen Siegeszug angetreten, vom Fußball bis zur Formel 1; von den olympischen Wintersportarten ganz zu schweigen. Die Globalisierung europäischer Kultur wird von den Europäern häufig verschämt verschwiegen. Auch in anderer Hinsicht müßte die holistische Kategorie der "Amerikanisierung" aufgebrochen werden. Denn was man damit beschreibt, steht ja auch innerhalb der Vereinigten Staaten in einem Konflikt mit regionalen Traditionen, mit partikularen Kulturen. Rainer Winter weist darauf hin, ohne es genauer auszuführen.

Zu welcher Gesellschaftstheorie der Globalisierung verdichten sich diese Beobachtungen? Ulrich Beck macht dazu Vorschläge, die von dem Begriff eines "verwurzelten Kosmopolitismus" ausgehen. Das ist seine Variante, das Zusammengehen von Globalisierung und lokaler "embeddedness" zu beschreiben und emphatisch zu artikulieren - laßt uns neue Kosmopoliten sein! Auch er überschätzt mit dieser Emphase den empirischen Bestand der kulturellen Globalisierung. Sind die "Arbeiter der Welt" inzwischen, wenn nicht politisch, so doch kulinarisch vereint? In Milliarden Mittagspausen kommen nichts als Burger, Pommes und Coke auf den Tisch. Die eine Hälfte der Welt ernährt sich von Reis, die andere nicht - und der Deutsche schmiert sich gerne ein Wurstbrot. Vielleicht ist die Amerikanisierung in bestimmten Kulturformen eingekapselt; in andere dringt sie auch über längere Zeiten kaum ein.

Gegen Becks schicke Gegenüberstellung einer nationalen "ersten Moderne" und einer globalen zweiten oder "reflexiven Moderne" könnte man nicht nur einwenden, daß die klassische Moderne der neunziger Jahre des neunzehnten oder in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts so national nicht war. Vielmehr war es gerade diese Zeit der heroischen, technisch-industriellen Moderne, in der Amerika weltweit zum Leitbild eines neuen Menschen und einer neuen Gesellschaft wurde, und mit dem Verlust dieser Vision, spätestens seit den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, hat die kulturelle Heterogenität wieder zugenommen. Darin liegt ein Grund für wachsende Mißverständnisse bis hin zum "clash of civilizations". Für eine Theorie der Globalisierung gibt es noch viel zu tun.

PAUL NOLTE

Ulrich Beck, Natan Sznaider, Rainer Winter (Hrsg.): "Globales Amerika?" Die kulturellen Folgen der Globalisierung. Cultural Studies, Band 4. transcript Verlag, Bielefeld 2003. 340 S., br., 25,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für eine "Theorie der Globalisierung" gebe es "noch viel zu tun". Mit dieser Feststellung beschließt Paul Nolte seine Besprechung dieses von Ulrich Beck, Natan Sznaider und Rainer Winter herausgegeben Bandes - der aus einer im Oktober 2000 im Schloss Elmau abgehaltenen Tagung hervorgegangen ist, wie man erfährt. Der Rezensent kommt zu diesem Urteil vor allem, weil sich durch diesen Band, wie er festgestellt hat, "wie ein roter Faden" ein bestimmter, für die Globisierungsdiskussion bezeichnender Dissens ziehe. Und der lasse sich, findet Nolte, dann auch durch entsprechende Vorschläge Ulrich Becks in diesem Band nicht wirklich überwinden. Dieser Dissens besteht nach Nolte in der Uneinigkeit der Globalisierungstheoretiker über die Frage, ob denn nun eine "amerikanische Globalisierung" die Weltkultur "im Griff" habe, oder ob nicht vielmehr "lokale Kulturen und Rezeptionsbedingungen" der "Standardisierung" deutliche Grenzen setzen würden.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Gerade weil das Besondere als global bzw. universell erlebt wird, bestehen zumindest auch Chancen auf die Entwicklung eines globalen Weltbürgertums und einer globalen Zivilgesellschaft. Diese durchaus positive Botschaft lässt sich aus den meisten Beiträgen dieses Bandes gewinnen. Sie beruht weniger auf oberflächlichen Trendbeschreibungen, als vielmehr auf einem tieferen Verständnis der dialektischen Beziehungen zwischem Globalem und Lokalem, zwischen Universellem und Partikularem. Gerade weil der Sammelband diese grundlegende Wechselwirkung gut verdeutlicht, sind seine Beiträge, die bis auf das Resümee von Ronald Robertson allesamt vor dem 11. September 2001 geschrieben wurden, mit diesem globalen Großereignis der Terroranschläge von New York auch nicht obsolet geworden.« Ludger Pries, Soziologische Revue, 1 (2007) Besprochen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.04.2004, Paul Nolte erlassjahr.de, 30/9 (2004)