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Der Großunternehmer August Thyssen verstand sich zeitlebens als Bürger. Wie brachte Thyssen seine Existenz als ökonomischer Akteur, sein Selbstverständnis als Bürger und seine persönlichen Lebensentwürfe und Erwartungen in Einklang? Welche bürgerlichen Leitbilder wirkten auf die konkrete Lebensführung zurück? Welche Zäsuren gab es im notwendigen Zusammenspiel von Biographie und Lebensführung? Welchem Wandel unterlag das bürgerliche Leben zwischen den Generationen? Die sozialhistorische Biographie beschreibt das Leben eines namhaften Wirtschaftsbürgers im sozialen, ökonomischen, kulturellen…mehr

Produktbeschreibung
Der Großunternehmer August Thyssen verstand sich zeitlebens als Bürger. Wie brachte Thyssen seine Existenz als ökonomischer Akteur, sein Selbstverständnis als Bürger und seine persönlichen Lebensentwürfe und Erwartungen in Einklang? Welche bürgerlichen Leitbilder wirkten auf die konkrete Lebensführung zurück? Welche Zäsuren gab es im notwendigen Zusammenspiel von Biographie und Lebensführung? Welchem Wandel unterlag das bürgerliche Leben zwischen den Generationen? Die sozialhistorische Biographie beschreibt das Leben eines namhaften Wirtschaftsbürgers im sozialen, ökonomischen, kulturellen sowie politischen Kontext seiner Zeit. Nachdem der Lebensweg Thyssens und die Anforderungen des bürgerlichen "Wertehimmels" in den Jahren seines ökonomischen und sozialen Aufstiegs vorzüglich miteinander korrespondierten und er die allgemeinen Spielregeln der bürgerlichen Gesellschaft auch später durchaus respektierte, nahm seine Lebensführung seit den ausgehenden 1870er Jahren Formen eines bürgerlichen Eigenwegs an. Es waren vor allem die spezifischen Familienbedingungen, die ihn ein Leben führen ließen, das sich von den Biographien anderer Großunternehmer zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik unterschied, und die mit dazu beitrugen, dass sich sein Lebensentwurf, der auf eine Dynastiebildung hinauslief, nicht verwirklichen ließ.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.10.2008

Wenig Glück im empfohlenen Welthause
Jörg Lesczenski hat die erste umfassende Biografie des Ruhrindustriellen August Thyssen geschrieben
Ob wir uns August Thyssen, den Industriemagnaten aus dem Ruhrgebiet, als glücklichen Menschen vorstellen dürfen? Man mag es bezweifeln, liest man in Jörg Lesczenskis soeben erschienener Biografie des katholischen Großindustriellen. Zweifellos gehörte Thyssen zu den erfolgreichsten Wirtschaftslenkern im Kaiserreich. Mit ungeheurem Elan, Fleiß und Disziplin schmiedete er einen Konzern, der bald hohes Ansehen genoss.
Doch privat war dem Firmenpatriarchen wenig Fortune beschieden. Seine Ehe zerbrach, weil seine junge Frau Hedwig partout nicht einsehen wollte, dass es für sie angezeigt war, aufgrund des Primats der Firma eigene Bedürfnisse hintenan zu stellen. Es drängte sie zu mondänem Leben, zu Vergnügen und Unterhaltung. Nachdem sie mit Georg Carl Freiherr von Rotsmann, einem Kavalleriemajor und Großherzoglichen Badekommissar, eine Affäre eingegangen und eine Fehlgeburt erlitten hatte, reichte Thyssen 1885 die Scheidung ein. Für Lesczenski markiert diese Trennung die große Zäsur in seinem Leben. Denn Thyssen, vermerkt der Biograf trocken, ordnete nun seine „Privat- und Intimsphäre in Form nichtehelicher Beziehungen”. Während seine Ex-Frau noch dreimal heiraten sollte, blieb er zukünftig allein.
Anders als im privaten Bereich hatte Thyssen wirtschaftlich jahrzehntelang Erfolg. Den Grundstein für seinen beispiellosen Aufstieg legte er 1867, als er mit 24 Jahren in Duisburg gemeinsam mit seinem Schwager das Puddel- und Bandeisenwalzwerk Thyssen, Fossoul & Co. gründete. 1871 ließ er sich seine einlage, die sich nahezu vervierfacht hatte, auszahlen und gründete seine erste eigene Firma; der Vater beteiligte sich mit 35 000 Talern. Die rasante wirtschaftliche Entwicklung im Gefolge der Bismarckschen Reichsgründung begünstigte seinen Karrierestart ungemein, und auch in der nachfolgenden Wirtschaftsflaute blieb der Eisen- und Stahlproduzent erfolgreich, da er flexibel auf die Bedürfnisse des Marktes reagierte. Mit seinem Bruder Joseph, der die Anteile des Vaters nach dessen Tod übernahm, bildete er ein gut funktionierendes Tandem.
Thyssen beließ es nicht dabei, Eisen und Stahl zu produzieren, sondern verarbeitete die Produkte auch selbst weiter, indem er etwa Röhren für Gasleitungen herstellte. Die Steinkohlenzeche Gewerkschaft Deutscher Kaiser baute er zu einem integrierten Hüttenwerk am Rhein aus. (Das Stammwerk der Thyssen Krupp Stahl AG erzeugt hier heute noch Stahl.) Er perfektionierte – dies war wohl seine größte Leistung – das Konzept des vertikalen Unternehmensverbundes, also des Zusammenschlusses von Unternehmen verschiedener Produktions- und Handelsstufen, indem er nur solche Unternehmen gründete oder kaufte, die sich zu einem solchen vertikalen Verbund zusammenbauen ließen – zum Beispiel Maschinenbauunternehmen, die die für seine Betriebe notwendigen Gasgroßmaschinen herstellten. Er erwarb Erzfelder und stieg mit der Gründung eines Wasserwerks auch in die Versorgungswirtschaft ein. Eine Kalkbrennerei, eine Kalkstein- und eine Zementfabrik ergänzten das umfangreiche Sortiment des zunehmend international verflochtenen Konzerns, der sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs zu einem der bedeutendsten Großunternehmen des Deutschen Reichs entwickelt hatte, zum „empfohlenen Welthause”, wie es Thyssen später selbst nannte.
In der Liste der reichsten Deutschen landete der „Stahlbaron” 1912 auf Platz 8. Seine zahlreichen Aufsichtsratsmandate garantierten ihm einen Wissensvorsprung gegenüber potentiellen Marktkonkurrenten. Als „big linker” bzw. „Informationshändler” war er aber auch gezwungen, ständig unterwegs zu sein: Ein Jetsetmanager avant la lettre, der fest davon überzeugt war, erst durch rastloses Engagement, Fleiß und strikte Sparsamkeit zum Menschen zu werden.
Ruhe und Entspannung fand er ab 1903 auf Schloss Landsberg, seinem repräsentativen Wohn- und späteren Alterssitz. Seine Wälder nutzte er zu ausgedehnten Spaziergängen, hier führte er auch in Maßen ein geselliges Leben, dem er sich sonst verweigerte. Allerdings zählten auch hier zu seinen Besuchern vor allem Geschäftspartner. Thyssen spendete zwar Geld für Vereine und andere soziale Zwecke, hielt sich aber von gesellschaftlichem Leben zumeist fern. So sehr er sich bürgerliche Arbeits- und Leistungsmaximen zu eigen machte, so wenig entsprach sein Leben einem anderen bürgerlichen Ideal, nämlich durch ein harmonisches Familienleben auch zu privatem Glück zu finden.
Nach der Scheidung von seiner Frau lebte er mit allen seinen vier Kindern, die bei ihm aufwuchsen, im ständigen Zerwürfnis. Selbst mit Fritz, der herausgehobene Stellungen im Konzern bekleidete, lieferte er sich heftige Auseinandersetzungen. Fritz spielte später eine unrühmliche Rolle als früher Finanzier und Fürsprecher Hitlers und wurde zur tragischen Figur, als er, nachdem er das verbrecherische Wesen des nationalsozialistischen Regimes erkannt hatte, in die Schweiz floh und zum unerbittlichen Regimegegner wurde. In Frankreich griff ihn die Gestapo auf, steckte ihn in eine geschlossene psychiatrische Anstalt und in mehrere KZs. Wegen seiner anfänglich massiven Unterstützung Hitlers inhaftierten ihn nach Kriegsende die Amerikaner ebenfalls.
Seinen wirtschaftlichen Erfolg und vor allem seinen Status als „Erstgeborener” neidete ihm zeitlebens sein Bruder August junior, der ein „unsagbares Rachegefühl” gegenüber dem Bevorzugten hegte. Er, der ehe- und kinderlos blieb und sich deshalb auch Vorwürfen seines Bruders erwehren musste, homosexuell zu sein, wurde zum Sorgenkind des Vaters, der ihn 1904 sogar wegen „Schwachsinnigkeit” entmündigen lassen wollte, um ihn „unschädlich” zu machen. Im Gegenzug schwärzte August junior seinen Vater bei den Banken an. Im innerfamiliären Stellungskrieg wurde im Hause Thyssen mit harten Bandagen gekämpft. Hedwig, die Jüngste, klagte einmal, es sei „ein großes Unglück, dass unser Vater so gar nicht versteht, mit uns umzugehen.”
In den Jahren der „neuen Unübersichtlichkeit” nach Kriegsende verdüsterten sich auch die Wolken über Thyssens beruflichem Horizont. Der Industriemagnat verlor viele seiner Auslandsbeteiligungen sowie die lothringischen Unternehmungen. Außerdem bedeutete das Kriegsende das Aus für weitere unternehmerische Expansionen. Der Mülheimer Arbeiter- und Soldatenrat nahm den Konzernlenker in Haft, Streikwellen erschütterten den Produktionsablauf in seinen Grundfesten. Auch die Ruhrbesetzung traf Thyssen mit voller Wucht. Am Ende, Mitte der 1920er Jahre, sah er sich als „alter, verschlissener” Mann. Falls die innerfamiliären Auseinandersetzungen kein Ende nähmen, „so werden wir”, befürchtete er, „an unserer Zerrissenheit verbluten müssen”.
Mit Jörg Lesczenskis sorgfältig recherchierter und nüchtern urteilender Biografie, die einem interdisziplinären Forschungsprojekt an der Ruhr-Universität Bochum entstammt, liegt nun erstmals ein umfassendes Porträt jenes Mannes vor, der zu seiner Zeit einer der kreativsten Eigentümer-Unternehmer war und dessen Werke zum Teil bis heute mit Erfolg arbeiten. Fehlende Quellen vor allem zur privaten Lebenswelt des „pragmatischen Katholiken” kompensiert der Autor durch sozialhistorische Exkurse und Einordnungen, was das Buch zugleich zu einer lesenswerten Geschichte des deutschen Wirtschaftsbürgertums im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert macht. JAN SCHLEUSENER
JÖRG LESCZENSKI: August Thyssen 1842-1926. Lebenswelt eines Wirtschaftsbürgers. Klartext Verlag, Essen 2008. 414 Seiten, 39,90 Euro.
Thyssen perfektionierte das Konzept des vertikalen Unternehmensverbundes.
Ständig war Thyssen unterwegs, erst durch rastlose Arbeit glaubte er zum Menschen zu werden.
August Thyssen war eine der großen Gründergestalten der rheinisch-westfälischen Schwerindustrie. Doch gegen Ende seines Lebens sah er sich als „alten, verschlissenen” Mann. Hier (ganz rechts sitzend) auf seiner letzten Grubenfahrt am 21. Juli 1924. Neben ihm Gussi Adenauer, Konrad Adenauer und Franz Lenze (sitzend von rechts). Foto: ThyssenKrupp
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Jan Schleusener lobt die "erste umfassende Biografie" des Industriellen August Thyssen an, die Jörg Lesczenski vorgelegt hat. Der Lebensbeschreibung lässt sich entnehmen, dass der Unternehmer zwar wirtschaftlich ungeheuer erfolgreich war und selbst in der Wirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg nicht in Schwierigkeiten geriet. Dafür war und blieb sein Ehe- und Familienleben unharmonisch und so muss man sich Thyssen wohl als unglücklichen Menschen vorstellen, entnimmt der Rezensent der Lektüre. Er lobt den Autor für seine differenzierte, sachliche Darstellung und stellt zufrieden fest, dass dort, wo Lesczenski nichts über seinen Protagonisten in Erfahrung bringen konnte, er den sozialgeschichtlichen Kontext skizziert. So wird das Buch über den nicht nur im Stahlgeschäft beispiellos erfolgreichen Thyssen zugleich auch ein äußerst lesenswertes Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte, erklärt Schleusener angeregt.

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