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Die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war seit 1914 von Kriegen und Katastrophen geprägt, von der schwachen Weimarer Republik und der totalitären Herrschaft Hitlers mit ihrem düsteren Erbe, die zweite von der Ausbildung und Bewährung einer stabilen Demokratie im Westen Deutschlands (und einer von der Besatzungsmacht erst etablierten und dann nach vierzig Jahren fallengelassenen Diktatur im Osten). Was sind die Ursachen dieser völlig unterschiedlichen Entwicklungen? Haben sich die Deutschen fundamental geändert? Professor Henning Köhler sieht bei der Suche nach Elementen des Wandels wie…mehr

Produktbeschreibung
Die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war seit 1914 von Kriegen und Katastrophen geprägt, von der schwachen Weimarer Republik und der totalitären Herrschaft Hitlers mit ihrem düsteren Erbe, die zweite von der Ausbildung und Bewährung einer stabilen Demokratie im Westen Deutschlands (und einer von der Besatzungsmacht erst etablierten und dann nach vierzig Jahren fallengelassenen Diktatur im Osten). Was sind die Ursachen dieser völlig unterschiedlichen Entwicklungen? Haben sich die Deutschen fundamental geändert? Professor Henning Köhler sieht bei der Suche nach Elementen des Wandels wie der Beharrung eine Grundströmung, die im Kaiserreich einsetzte, durch politische Krisen und militärische Niederlagen zwar aufgehalten, aber nicht abgebrochen wurde - mit dem Ergebnis, daß die Idee des von Bismarck 1870/71 geschaffenen Nationalstaats bei den Deutschen mehr als ein Jahrhundert lang lebendig geblieben ist und schließlich 1989/90 zur Überwindung der nach dem Zweiten Weltkrie g von außen erzwungenen Zweistaatlichkeit geführt hat. So ist Bismarcks von vielen längst totgesagte Schöpfung, wenn auch in veränderter und verkleinerter Form, erhalten geblieben. Im Gegensatz zum Kaiserreich bietet die Bundesrepublik freilich die Sicherheit, daß Deutschland wider willens noch fähig ist, zur Bedrohung für seine Nachbarn zu werden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2002

Von Wilhelm II. zu Helmut II.
Für Fortgeschrittene: Henning Köhlers Gesamtdarstellung über Deutschland im 20. Jahrhundert

Henning Köhler: Deutschland auf dem Weg zu sich selbst. Eine Jahrhundertgeschichte, Hohenheim Verlag, Stuttgart/Leipzig 2002. 749 Seiten, 39,90 Euro.

Die letzten vierzig Seiten der "Jahrhundertgeschichte" des streitbaren Historikers Köhler sind der "unerwarteten Wende" von 1989 und den Folgen bis zur Abwahl Helmut Kohls 1998 gewidmet: ein klares und hohes Lied auf den Kanzler der Einheit. Er habe sich "von den Brüskierungen durch Mitterand, Thatcher und auch Gorbatschow" nicht beeindrucken lassen, ihm sei mit der sowjetischen Zustimmung zu einer Nato-Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands ein politisch-diplomatischer Erfolg gelungen, "bei dem höchste Vorsicht geboten war". Seine einzigartige und oft unterschätzte Fähigkeit habe während der Kanzlerschaft darin bestanden, "im persönlichen Kontakt eine Vertrauensgrundlage zu schaffen".

So sei es Kohls Absicht gewesen, im Ausland nach allen Seiten den Einigungsprozeß abzusichern; nur im Inland habe er eine politische Kraft einfach "links liegen" gelassen - die SPD: "Halbherzige Angebote zur Kooperation lehnte er brüsk ab, denn die Einbeziehung einer so zerrütteten Partei hätte nur zusätzliche Schwierigkeiten bereitet. Wohl gab es noch die alten Sozialdemokraten mit Brandt an der Spitze, die den Regierungskurs im Grunde billigten. Aber den Ton gaben inzwischen die ,Enkel' an. Oskar Lafontaine wurde im Frühjahr zum Kanzlerkandidaten gewählt. Sein politisches Profil war eindeutig: Ende November 1989 wollte er die Bürger der DDR nicht mehr als Deutsche im Sinne des Grundgesetzes anerkannt sehen; die Überwindung der Teilung hielt er nur im europäischen Rahmen - also nie - für möglich. So focht er auch ursprünglich gegen die Einführung der D-Mark in der DDR und drohte mit seinem Rücktritt als Kanzlerkandidat, als die SPD der Währungsunion - wenn auch mit einigem Wenn und Aber - zustimmte. Hierbei wurde er von Gerhard Schröder unterstützt."

Köhler lobt Kohls Ausdauer, seine Führungskraft und das Geschick, "in einem feindlichen Medienumfeld einen zuverlässigen Apparat" aufgebaut zu haben, "der ihn gründlich vorbereitete und in die Lage versetzte, umsichtig zu agieren und die politischen Herausforderungen zu bestehen"; er habe dazu beigetragen, der deutschen Geschichte am Ende des 20. Jahrhunderts eine "fundamentale Wende zu geben". Die 1989/90 aufkommende Furcht vor einer neuen aggressiven Großmacht in der Mitte Europas sei inzwischen verstummt, keine "Tendenzen zum Rückfall in die dunklen Seiten der Vergangenheit" wirksam geworden.

Viel Licht will Köhler auf die Zeit davor werfen, wobei ihm bewußt ist, daß sich das 20. Jahrhundert - von Kaiser Wilhelm bis Kanzler Kohl - nicht auf einen einheitlichen Nenner bringen läßt, daß bei einer Gesamtdarstellung immer "der Mut zur Lücke gefordert" sei. Und so bürstet er manches Forschungsergebnis gründlich gegen den Strich, und er bürstet - wie es seine Art ist - manchen Kollegen gründlich ab. Eine anregende Lektüre ermöglicht dieser pointierte Überblick, der sicherlich Widerspruch im Detail hervorrufen will und unter den zeithistorisch Interessierten eher die Fortgeschrittenen ansprechen wird. Wenn Köhler beispielsweise die Krise um den wegen angeblicher Homosexualität im Februar 1938 entlassenen Heeresoberbefehlshaber Werner von Fritsch skizziert, fällt die zutreffende Bemerkung: "Das Verhalten Hitlers war nicht so einzigartig, wie es zunächst scheinen mag. Ganz ähnlich verhielt sich auch Bundesverteidigungsminister Wörner in der Affäre Kießling." Keine weiteren zeitlichen und näheren Angaben werden geliefert, so daß die Frage erlaubt ist, welcher jüngere Leser, der die Anfänge der Kohl-Ära nicht bewußt "miterlebt" hat, mit einem solchen Hinweis etwas anzufangen weiß.

Wenn also hin und wieder das "Fleisch" in der komprimierten Darstellung fehlt, so weiß der Autor doch die "Gräten" aufgrund umfassender Kenntnis der Primärquellen und Sekundärliteratur an sein Publikum zu bringen. Im Fall Fritsch spricht er nicht nur sein Verdikt über den Offizier aus - "ein plumper Konservativer mit trüben elitären Instinkten"-, sondern begründet dies. Der Generaloberst a. D. goutierte im Dezember 1938 (nach der "Reichskristallnacht") den nationalsozialistischen "Kampf gegen die Juden" in einem Brief an eine Bekannte. Köhler urteilt: "Die Bücher, die den Regimegegner Fritsch feiern, macht dieser erst 1980 veröffentlichte Brief zu Makulatur."

Köhler warnt davor, dem Umsturzversuch gegen Hitler im September 1938 allzu große Bedeutung beizumessen. Er spricht von einem Phantom, "das im Laufe der Jahre an Umfang zugenommen hat, ohne das verläßliche Quellen neue Aufschlüsse böten". Eine wachsende Besorgnis vor einem großen Krieg gegen die Westmächte habe es in Diplomatie und Wehrmacht gegeben, Pläne seien erörtert worden, "den für Deutschland verhängnisvollen Diktator zu bremsen oder - besser noch - unschädlich zu machen". Daraus hätten "Apologeten in eigener Sache und Wichtigtuer" wie die Abwehr-Mitarbeiter Hans-Bernd Gisevius und Friedrich Wilhelm Heinz nach 1945 eine "regelrechte Verschwörung gemacht".

Nicht nur durch Memoiren und Aussagen von Zeitzeugen kann ein Rückblick behindert und der Durchblick erschwert werden. Daher wendet sich Köhler auch dagegen, einseitige Geschichtsbilder in der Tagespolitik einzusetzen. Er führt viele Beispiele an, allen voran die Judenvernichtung - für ihn ein im Namen des deutschen Volkes, jedoch "nicht von den Deutschen" verübtes Verbrechen. Seit drei Jahrzehnten habe "man sich mancherorts" immer intensiver darum bemüht, "den Eindruck zu erwecken, als habe im Grunde fast jeder Deutsche von dem Massenmord gewußt und ihn billigend in Kauf genommen, da Mißfallensbekundungen nicht bekannt geworden sind". Vergessen werde dabei, daß die "Endlösung" eine "Geheime Reichssache" gewesen sei: "Selbst wer zuverlässige Berichte erhielt, wird sie eher verdrängt als verbreitet haben. Man vermied es, sich auszumalen, was angesichts dieser Untaten zu erwarten war, wenn Deutschland den Krieg verlor."

Die "Unterstellung weitverbreiteter Kenntnis der Verbrechen" bezeichnet Köhler als "im Kern denunziatorisch"; sie diene nicht der Wahrheitsfindung. Trotzdem sei eine solche Sichtweise "gleichsam offiziell" geworden. Das zeige eine Formulierung aus der Rede von Bundespräsident Herzog am 8. Mai 1995 in Berlin: "Die Deutschen wissen auch heute noch sehr wohl - heute vielleicht deutlicher als vor 50 Jahren - , daß ihre damalige Regierung und viele ihrer Väter es gewesen waren, die für den Holocaust verantwortlich waren . . ." Dazu meint der Berliner Historiker: "Es ist überraschend, von einem bekannten Staatsrechtler zu hören, daß Deutschland im Kriege eine Regierung hatte und nicht eine Führerdiktatur war, mehr noch aber befremdet die Behauptung, daß viele Väter - bei ,viel' suggeriert der Sprachgebrauch wenigstens dreißig Prozent - nicht nur Täter, sondern sogar dafür verantwortlich waren."

Hart ins Gericht geht Köhler schließlich mit den "journalistischen und intellektuellen Einheitsleugnern in der alten Bundesrepublik". Deren Illusionen seien durch die Wiedervereinigung widerlegt worden. Daher mahnt er: "Die historische Betrachtung ist immer aufgefordert, über alle Moden und Tendenzen hinweg herauszufinden, wie es wirklich war. Den politischen Wünschbarkeiten des Tages zu folgen ist ihre Sache nicht." Hoffentlich . . .

RAINER BLASIUS

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nach Ansicht des Rezensenten Rainer Blasius ist dieses Buch eher ein "Werk für Fortgeschrittene", was nicht zuletzt daran liege, dass auf manches zwar hingewiesen, aber nicht alles ausgeführt werde. So fehle manchmal das "Fleisch" bei dieser Darstellung, die "Gräten" der Geschichte würden aber in jedem Fall geboten, so der Rezensent, der das Buch als "pointierten Überblick" beschreibt. Blasius betont die "umfassende Kenntnis" nicht nur der Quellen, sondern auch der Forschungsliteratur, über die der Autor verfügt. Interessant findet er auch, dass der Autor so manches Ergebnis der Forschung "gegen den Strich bürstet" und zu eigenen Einschätzungen kommt. Nicht jedem Detail sei dabei zuzustimmen, aber alles in allem biete das Buch eine "anregende Lektüre", lobt der Rezensent.

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