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Das Buch geht aus von der Frage nach der Möglichkeit einer historischen Traumaforschung. Diese Perspektive wird erweitert um die Einbeziehung klinischer und kultureller Deutungsmuster für Traumafolgestörungen. Leitend sind dabei die Fragen, wie eine Kultur durch Traumatisierungen beeinflußt wird und wie sie auf Traumatisierungen und auf Traumatisierte reagiert.

Produktbeschreibung
Das Buch geht aus von der Frage nach der Möglichkeit einer historischen Traumaforschung. Diese Perspektive wird erweitert um die Einbeziehung klinischer und kultureller Deutungsmuster für Traumafolgestörungen. Leitend sind dabei die Fragen, wie eine Kultur durch Traumatisierungen beeinflußt wird und wie sie auf Traumatisierungen und auf Traumatisierte reagiert.
Autorenporträt
Prof. Dr. Günter H. Seidler ist Nervenarzt, Psychoanalytiker, ärztlicher Psychotherapeut und Psychotraumatologe. Er leitet in Heidelberg am Zentrum für Psychosoziale Medizin in der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik die Sektion Psychotraumatologie mit einer großen Traumaambulanz.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.01.2006

Drück noch mal, Jung!
Von einer Wunde der Haut zur unblutigen Verletzung der Seele: Ein Buch über die Geschichte des Traumas
Nach heutigem Verständnis haben Haut und Trauma wenig oder gar nichts miteinander zu tun. Der kleine Oskar in Günter Grass’ „Blechtrommel“ machte dagegen noch andere Erfahrungen. Jedesmal, wenn er auf eine Narbe auf dem breiten Rücken Herbert Truczinskis drückte, fiel diesem die dazugehörige Geschichte ein. Und wenn die Erinnerung nicht wie auf Knopfdruck kam, dann sagte der Hüne zu dem Trommlerbuben: „Drück noch mal, Jung. Ich weiß nicht, welche. Die scheint heut’ zu schlafen.“ Oskar drückte also noch einmal, und schon sprudelten die Geschichten von erlebten Zweikämpfen und Massenkeilereien aus Herbert heraus.
Trauma bedeutet auf griechisch „Wunde“ und bezieht sich auf die Durchtrennung der Haut, die zunächst einen physischen Schmerz verursacht, aber auch psychische Folgen haben kann. Im 19. Jahrhundert veränderte sich die Bedeutung der Hautgrenze infolge neuer medizinischer Verfahren. Das Abklopfen (Perkussion) und das Aushorchen (Stethoskop), später auch die Röntgentechnik und die Psychoanalyse, machten es möglich, auch ohne Verletzung der Haut etwas über das Körperinnere, sogar über das Unbewusste zu erfahren sowie Erklärungen für viele körperliche und psychische Störungen zu finden. Auf diese Weise konnte auch der Begriff des Schocks nicht mehr nur als physischer „Stoß“, sondern im Sinne einer verstörenden Erschütterung ohne Haut-Verletzung verwandt werden.
Erstmals war von traumatisch ausgelösten Beschädigungen ohne äußerliche Spuren die Rede, als es um das Phänomen des „Railwayspine“ ging. Als sich die Eisenbahnunfälle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts häuften, beklagten sich die Opfer, die keine Verletzungen der Haut aufwiesen, über Schmerzen, Reizbarkeit sowie körperliche und geistige Schwäche. Zunächst nahm man entzündliche Prozesse im Rückenmark an. Später sprach man dagegen von der traumatischen Neurose, bei der die „Gemüthserschütterung“ (so Hermann Oppenheimer 1889) für die physischen Erscheinungen verantwortlich sei.
„Die Haut hat sich“, so Erika Fischer-Homberger in ihrem lesenswerten Beitrag zu einem Aufsatzband über historische Traumaforschung, „von der blutigen Wunde zum blut- und schmerzlosen psychischen Trauma dematerialisiert.“ Die ursprünglich der Chirurgie zugerechnete Traumatologie und die Psychotraumatologie, die sich heute als Spezialdisziplin zu etablieren beginnt, haben sich also in der Moderne auseinanderentwickelt.
Noch mehr als die Diskussion um die Folgen von Eisenbahnunfällen trug die Debatte um die „Kriegszitterer“ im Ersten Weltkrieg dazu bei, die Aufmerksamkeit der Medizin auf die psychotraumatischen Folgen menschlicher Grenzerfahrung, wie sie erst im modernen Krieg massenhaft erlebt wurde, zu lenken. Von der „Kriegshysterie“ oder vom „Shellshock“, wie es die Briten nannten, waren damals Hunderttausende von Soldaten betroffen. Welchen Vorwürfen, Missverständnissen und zum Teil menschenverachtenden Therapieversuchen diese Soldaten ausgesetzt waren, ist in jüngster Zeit mehrfach untersucht und von Wolfgang U. Eckart in dem von ihm mitherausgegebenen Sammelband prägnant zusammengefasst worden. Eine ähnliche Darstellung des Forschungsstands für den Zweiten Weltkrieg hätte man sich gewünscht, doch steht hier offenbar die Zeitgeschichte der Medizin noch ganz am Anfang. An Quellen fehlt es jedenfalls nicht, wie die im Entstehen begriffene Bremer Habilitationsschrift von Svenja Goltermann über Kriegsheimkehrer und Psychiatrie in der westdeutschen Gesellschaft von 1945 bis 1970 zeigt.
Dass psychotraumatologische Konzepte auch ein interessantes Instrument in der Hand von Literaturwissenschaftlern sind, belegt der Beitrag von Dieter Nitzgen, der über traumatische Aspekte im Werk von Ernst Jünger handelt. Dagegen wirken Harald Weinböcks langatmige und von literaturtheoretischem und psychoanalytischem Jargon durchsetzte Ausführungen zur dissoziativen Intellektualität in der Nachkriegszeit auf den an zeitgenössischer Literatur oder Philosophie interessierten Leser eher abschreckend, wenngleich man hier die seltene Gelegenheit bekommt, einige umstrittene bundesrepublikanische Schriftsteller und Intellektuelle wie Sloterdijk, Botho Strauß und Martin Walser einmal auf der fiktiven Couch des Psychoanalytikers zu erleben.
Auch Beispiele für Traumata aus jüngster Zeit, die durch sexuelle (Vergewaltigung) oder terroristische Gewalt (11. September 2001) ausgelöst wurden, kommen in diesem Aufsatzband vor. Schmerzlich vermisst man dagegen einen Beitrag, der sich mit der Tradierung des Traumas der nationalsozialistischen Judenvernichtung befasst. An Forschungen dazu mangelt es jedenfalls nicht.
ROBERT JÜTTE
GÜNTER H. SEIDLER, WOLFGANG U. ECKART (Hrsg.): Verletzte Seelen. Möglichkeiten und Perspektiven einer historischen Traumaforschung. Psychosozial Verlag, Gießen 200. 314 S., 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.07.2005

Die Seele deutscher Intellektueller
Ein Band stellt die historische Psychotraumata-Forschung vor

Thomas Mann saß daheim am Schreibtisch, vor ihm saß die deutsche Seele, und Thomas Mann schaute der deutschen Seele tief in die Augen. Aus dieser innigen Zwiesprache entstanden Romane, Erzählungen und Essays. Thomas Mann ist der letzte deutsche Schriftsteller, der es ästhetisch mit einer Phänomenologie der deutschen Seele aufgenommen hat. Ihm konnte diese intime Seelenzwiesprache nur gelingen, weil er selbst nicht auf das Feld der Erfahrungen hinauszog, sondern in seinen vier Wänden sitzen blieb. Dort saß er und webte wie seine eigene Großmutter am Teppich des Epischen, auf dem das Leben mit aufrechtem Gang und in geputzten Schuhen wandeln sollte. Thomas Mann erzählte vom Bürgertum und dessen Seele, und nachdem das Bürgertum untergegangen war, lasen alle, die diesen Untergang nicht verwinden konnten, in seinen Büchern über die großen allgemeinen Seelenlagen des Bürgers. Daß die Welt um ihn herum zugrunde ging, das hat Thomas Mann gesehen, aber ästhetisch nicht zugelassen: Der Satzbau und die Gedankenfluchten blieben bestehen.

Der Gegenpol heißt Ernst Jünger. Er stand als Soldat mitten in der ersten Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. Über seine Kriegserlebnisse hat er ein Buch geschrieben, das ihn berühmt machte. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, zog er wieder in den Krieg. Auch darüber hat er Tagebuch geführt. Ernst Jünger hat aus seinen Erfahrungen ästhetisch Konsequenzen gezogen. Während Thomas Mann das Leben mit den Ketten seiner Gleichungen, die immer aufgehen, überzieht, steht Jünger vor dem Leben als einer Kette von Experimenten, bei denen man nicht weiß, wie sie ausgehen. Thomas Mann wurde in der Bundesrepublik geehrt - nach anfänglichen Schwierigkeiten mit dem exilierten Schriftsteller, der nicht nach Deutschland zurückkehren wollte, sondern sich in die Schweiz verzog. Um Ernst Jünger aber blieb es in der Bundesrepublik lange still. Die kritischen Intellektuellen fanden kein gutes Wort für den Autor der "Stahlgewitter", der in ihren Augen ein übler Kriegserlebnisverherrlicher war.

In den Diskussionen über das Ende der Literatur, die in den sechziger Jahren auch von den Herausgebern des "Kursbuches", Hans Magnus Enzensberger und Karl Markus Michel, angezettelt wurden, kam Ernst Jünger nicht vor. Ästhetisch war bei dem Krieger für die Intellektuellen offenbar nichts zu holen, obwohl doch sogar die Mai-Demonstrationen von Schülern, Studenten und Arbeitern als eine ästhetische Provokation gegen die alte bürgerliche und gegen die neue linksliberale Kultur gefeiert wurden. Die linke Ideologie, Adorno und die Avantgarde hatten das letzte Wort. Jünger blieb im Abseits - bis eines Tages Karl Heinz Bohrer kam. Das war Ende der siebziger Jahre, als Bohrer sein Buch über Ernst Jünger veröffentlichte. "Die Ästhetik des Schreckens" hieß es.

Mit dem Auftritt von Karl Heinz Bohrer beginnt der Aufsatz über die "dissoziative Intellektualität in der Nachkriegszeit" von Harald Weilnböck, der in einem Buch über die "Perspektiven einer historischen Traumaforschung" zu finden ist. Der Aufsatz ist siebzig Seiten lang, und seine These anregend. Die Psychotraumatologie beschäftigt sich mit den Besonderheiten seelischer Verletzungen durch Gewalterfahrungen. Privat oder öffentlich erlebte Gewalt reißt den einzelnen aus dem gewohnten Lebenszusammenhang heraus und zerstört die Kontinuität seiner Biographie. Die Herausgeber des Buches heben hervor, daß es der traditionellen Psychotraumatologie darum gehe, die biographische Erzählung vor der Gewalterfahrung zum Maßstab der Lebensgeschichte nehmen, das Leben aus seiner Vergangenheit heraus zu erzählen. Sie stellen dagegen, daß die Gewalterfahrung zum Maßstab der Lebensgeschichte genommen, das Leben aus der Gegenwart erzählt werden müsse. Gewalterfahrungen, schreibt Weilnböck, können ebenfalls intellektuellen Debatten zugrunde liegen. Im Rückblick auf die bundesrepublikanischen Intellektuellen zieht er eine Linie von Karl Heinz Bohrer zu Peter Sloterdijk und Botho Strauß.

Die Initialzündung gab Karl Heinz Bohrer, als er die Kategorie der Plötzlichkeit in die politisch-ästhetische Diskussion warf. Mit dieser rasch berühmt gewordenen Kategorie rehabilitierte Bohrer den Autor der "Stahlgewitter" ästhetisch. Ernst Jünger stand durch Bohrers Intervention mit einem Mal in einer avantgardistischen Tradition des Erzählens, bei dem sich schon durch die frühen Erfahrungen der Moderne sowohl das Bewußtsein eines Zeitkontinuums als auch die Sinnzusammenhänge aufzulösen drohten. Thomas Mann hatte die Verbindung von Sinn und Zeit in seinem Roman "Der Zauberberg" nicht nur zum Thema gemacht, sondern durch seine Art des Erzählens gleichsam wiederherzustellen versucht. Mit der Kategorie der Plötzlichkeit beschrieb Bohrer die historischen Gewalterfahrungen Ernst Jüngers und deren ästhetische Verarbeitung: Jünger stellte gegen den assoziativen Gestus des Erzählens, der die Welt noch zusammenhielt, den dissoziativen Gestus des Erzählens, der den Bruch der Kontinuitäten verinnerlichte.

Wer über die allgemeinen Seelenlagen schreibt, der findet seinen Platz neben dem Meister der Seelenlagenbeschreibung: neben Thomas Mann - und nicht neben Ernst Jünger. Harald Weilnböck hockt zu Füßen von Thomas Mann, schaut hoch und schaut über die Schreibtischplatte der deutschen Seele tief in die Augen, und je länger er der deutschen Seele in die Augen schaut, desto deutlicher meint er zu sehen, was bei Jünger und was nach Bohrer geschah. Für die Seelenlagenschau muß man eine Perspektive haben - und als Wissenschaftler auch noch eine Terminologie, mit der sich das Terrain abstecken läßt.

Der Psychotraumatologe findet beim dissoziativen Erzählgestus auch mentale Verengungen, die das Trauma der Gewalterfahrung und das assoziative therapeutische Erinnern abwehren. Die Seele explodiert in eine Zusammenhanglosigkeit, die nicht mehr durch schöne, wahre, gute Worte wiederhergestellt werden kann. Diese Erfahrung tauchte später als Vorstellung von der Fragmentierung des Subjekts auf, welche die Postmoderne ins Spiel brachte. Peter Sloterdijk inszeniere, schreibt Harald Weilnböck, die Erfahrung der Plötzlichkeit in seinem ganzen Stil und intellektuellen Habitus. Exemplarisch dafür sei Sloterdijks Reaktion auf die Angriffe gegen seine Elmenauer Rede, aber auch schon der Text, den Sloterdijk über Jünger zu dessen hundertsten Geburtstag schrieb. Mit Hilfe von psychoanalytischen Theorien entdeckt Harald Weilnböck in Sloterdijks Stil und Habitus die "Beziehungsform der paradoxen Doppelbindung", der Ambivalenz. Sloterdijk steht nicht auf der Seite der Aufklärung, die Ambivalenzen aufzulösen bestrebt ist, sondern im Unterstand der Postmoderne, wo diese Ambivalenzen kultiviert werden. Warum? Weilnböck sieht in der Kultivierung der Ambivalenzen einen Abwehrmechanismus der "dissoziativen Intellektualität", die sich weigert, pychotraumatische Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts durchzuarbeiten, wie das im Jargon der Psychoanalytiker heißt. Welche Erfahrungen das im einzelnen sind, darüber sagt Weilnböck nichts. Das hieße, Sloterdijk nicht als Typus zu nehmen, sondern als Person, was vom Schreibtisch der Kulturseelenanalyse aus gesehen vermessen wäre. Vor seinen Kritikern nimmt er Sloterdijk sogar in Schutz, wenn er festhält: "Sloterdijk und seine Kritiker sprechen nicht dieselbe (psychodynamische) Sprache."

Auch Botho Strauß gehört nach Weilnböck in die Gruppe der dissoziativen Intellektuellen. In dem Essay "Anschwellender Bocksgesang", den Botho Strauß Anfang der neunziger Jahre veröffentlichte, findet Weilnböck eine deutliche Absage an jeden Dritten im Bunde der Kommunikation - er nennt das eine "Triangulierungsabwehr". Diese Abwehr geht einher mit einem Lob der "dyadischen Zweisamkeit", in der Weilnböck ein Kennzeichen der "dissoziativen Interaktionsformen" sieht. Auch hier: Welche psychotraumatischen Erfahrungen Botho Strauß im einzelnen zu verarbeiten ablehnt, das erfahren wir nicht. Der einzelne hat es in der Perspektive der Großseelenlagenkunde, die ihn doch auch in den Blick bekommen möchte, schwer.

Weilnböck stützt seine psychotraumatologische Geschichte der bundesrepublikanischen Intellektuellen mit Exkursen über Adorno und Benjamin. Adorno habe das parataktische Sprechen Friedrich Hölderlins gelobt und gegen das assoziative Sprechen gehalten. Walter Benjamin habe über den "Chock" frohlockt sowie die "Sprengung der Aura", die um die bürgerliche Kunst schwebe, und all jene künstlerischen Avantgarden favorisiert, die diesem ästhetischen Prinzip huldigten, wie zum Beispiel der Film. Weilnböck vermutet, daß in beiden Fällen psychische Reaktionen auf bestimmte traumatische Erfahrungen vorliegen - bei Benjamin der Erste Weltkrieg, bei Adorno auch die Erfahrungen mit einer Nachkriegszeit, die sich der wirklichen Aufarbeitung des historischen Geschehens verweigerte und schnell wieder die Synthese, den Anschluß an ein heiles Ganzes, suchte. Adorno aber lief mit dem Lob der Parataxe in eine Sackgasse. Parataktisches Sprechen, meint Weilnböck, lasse sich nicht ohne "dissoziative Psychodynamik" denken.

In diese "sprengmeisterliche Tradition" von Benjamin und Adorno habe sich das linke intellektuelle "Milieu" der siebziger und achtziger Jahre "vollkommen fraglos" gestellt. Das lasse sich mit der in diesem Milieu kursierenden Vorstellung erklären, daß die künstlerische Avantgarde in eine Gesellschaft hineinbreche, die ihre Augen vor ihrer Vergangenheit zu schließen beabsichtigte. Doch steckte mehr dahinter. Bohrer habe mit der Kategorie der Plötzlichkeit genau den "wunden Punkt" dieses Milieus berührt, das sich weigerte, im eigenen künstlerisch-avantgardistischen Habitus die Sedimente der Schreckenserfahrungen des Jahrhunderts zu erkennen, die bei Ernst Jünger zutage lagen.

Weilnböcks Aufsatz, dem wir nicht in alle Verästelungen folgen, weshalb hier nicht die Rede von Jacques Lacan, der Metapher und der Metonymie ist und weshalb die Poststrukturalisten nicht vorkommen, weist auf eine Kulturgeschichte der Bundesrepublik hin, die noch zu schreiben wäre. Die Historische Psychotraumatologie am Schreibtisch von Thomas Mann rehabilitiert das Nachsinnen über die Großseelenlage. Der Typus der Begriffspaarung, mit dem Weilnböck das Feld sondiert, erinnert an Thomas Manns Liebe zu den Begriffspaarungen, ohne die sein in den bürgerlichen Seelenhimmel hinauf erzähltes Haus zusammengefallen wäre. Darauf hat Martin Walser in einem frühen Aufsatz über Thomas Manns leichte Ironie als Balance zwischen Gegensätzen hingewiesen - jener Walser, der in seiner heftig angegriffenen Friedenspreisrede über inneres und äußeres Schreiben und Sprechen öffentlich nachdachte - gleichsam in "Triangulierungsabwehr". Eine Kulturgeschichte der Bundesrepublik aus der Perspektive einer modernen Seelenforschung - ein solches Unternehmen könnte, das zeigt der Aufsatz, lohnenswert sein.

EBERHARD RATHGEB

Günter H. Seidler, Wolfgang U. Eckart (Hrsg.): "Verletzte Seelen". Möglichkeiten und Perspektiven einer historischen Traumaforschung. Psychosozial-Verlag, Gießen 2005. 314 S., br., 30,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zufrieden zeigt sich Robert Jütte mit diesem Sammelband über die Geschichte des Traumas. Erika Fischer-Hombergers Beitrag über die Veränderungen im Verständnis des Traumas, von einer Wunde der Haut zur unblutigen Verletzung der Seele, findet er "lesenswert", Wolfgang U. Eckarts Beitrag über die psychotraumatischen Folgen menschlicher Grenzerfahrung "prägnant". In Dieter Nitzgens Untersuchung der traumatischen Aspekte im Werk von Ernst Jünger sieht Jütte einen Beleg dafür, dass psychotraumatologische Konzepte auch ein "interessantes Instrument in der Hand von Literaturwissenschaftlern" sind. "Eher abschreckend" erscheinen ihm dagegen Harald Weinböcks "langatmige" und von literaturtheoretischem wie psychoanalytischem Jargon durchsetzten Ausführungen zur dissoziativen Intellektualität in der Nachkriegszeit. Jütte hebt hervor, dass der Band auch Beispiele für Traumata aus jüngster Zeit behandelt, die durch sexuelle (Vergewaltigung) oder terroristische Gewalt (11. September 2001) ausgelöst wurden. Dagegen hat er einen Beitrag über die Tradierung des Traumas der nationalsozialistischen Judenvernichtung "schmerzlich" vermisst.

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