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"Soll ich meinen Weg zur Psychoanalyse typisch nennen? Gewiss nicht. Er ist durchaus individuell, von meinen unbewussten Wünschen und Ängsten mitbestimmt. Aufmerksamkeit verdient er lediglich, weil er sich genau in den Koordinaten bewegt hat, die der Psychoanalyse seit ihrer Entstehung zukommen. Es geht um die Psychoanalyse als kulturelles Phänomen, wenn ich höchst persönliche Erlebnisse erzähle." (Paul Parin, 1985) "Gut, dass es den Psychosozial-Verlag gibt. Wenn man Ihr Programm liest, glaubt man, dass es mit der Psychoanalyse doch noch nicht am Ende ist", schrieb Paul Parin in einem Brief…mehr

Produktbeschreibung
"Soll ich meinen Weg zur Psychoanalyse typisch nennen? Gewiss nicht. Er ist durchaus individuell, von meinen unbewussten Wünschen und Ängsten mitbestimmt. Aufmerksamkeit verdient er lediglich, weil er sich genau in den Koordinaten bewegt hat, die der Psychoanalyse seit ihrer Entstehung zukommen. Es geht um die Psychoanalyse als kulturelles Phänomen, wenn ich höchst persönliche Erlebnisse erzähle." (Paul Parin, 1985) "Gut, dass es den Psychosozial-Verlag gibt. Wenn man Ihr Programm liest, glaubt man, dass es mit der Psychoanalyse doch noch nicht am Ende ist", schrieb Paul Parin in einem Brief vom 30. Juni 1999 an den Verleger Hans-Jürgen Wirth. H.-J. Wirth antwortete: "Lieber Paul Parin, gut, dass es Sie gibt. Wenn man Ihre Bücher liest, glaubt man, dass es mit der Psychoanalyse doch noch nicht am Ende ist. Deshalb schlage ich vor, Ihr lange vergriffenes Buch 'Subjekt im Widerspruch' neu aufzulegen." Mit Subjekt im Widerspruch ist der Widerspruch geg en die äußeren (und vielfach verinnerlichten) Verhältnisse, die gesellschaftlichen Strukturen, die politischen Zwänge, die alltäglichen Schnittmuster unseres Subjektseins gemeint. Auf sie fällt der analytische Blick - in einer Art Rückblende der ethnopsychoanalytischen Erfahrungen, die in fremden Ländern gewonnen wurden - auf die eigene Kultur, seien es nun eingeschliffene Verhaltensweisen oder aktuelle Wende-Ereignisse. Doch dieser analytische Blick ist nicht kalt und distanziert - was schon die Biographie der beiden Autoren nahelegt. Er nimmt Partei für den Widerstand, für den - oft unbewussten, unbeholfenen - Einspruch des aufbegehrenden, revoltierenden Subjekts gegen die Macht der Verhältnisse. Er nimmt deshalb auch Partei für die "ewig rebellierenden, subversiven, ihrer Natur nach ungebändigten Triebansprüche". In diesem Buch ist u. a. enthalten: Ein biographischer Bericht Paul Parins über eine Reise nach Triest - und gleichzeitig zur Psychoanalyse - "Der beste Aufsatz, den ich je geschrieben habe." (Paul Parin). Außerdem Kommentare zu den Züricher Jugendprotesten und anderen Zeit- und Streitfragen (über Intoleranz in der Bundesrepublik, die therapeutische Aufgabe, die Tendenzwende gegen die Psychoanalyse, die Mystifizierung von AIDS u. a.). Sowie Beiträge zu Theorie und Praxis der Psychoanalyse (über die Verflüchtigung des Sexuellen, das Verhältnis der Psychoanalytiker zur Macht, Medicozentrismus u. a.) und Aufsätze zur Ethnopsychoanalyse und Gesellschaftskritik (über Juden und Homosexuelle als Fremde, die Veränderbarkeit des Menschen, das Irrationale in der Wissenschaft u. a.). Zusätzlich enthält das Buch ein Gespräch mit Goldy Parin-Matthey über das Subjekt im Widerspruch.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2001

Aus dem Grönland der Gefühle
Guerilla mit anderen Mitteln: Die Psychoanalyse des Ehepaars Parin

Der Zürcher Psychoanalytiker Paul Parin wurde 1916 in Slowenien als Sohn eines jüdischen Grundbesitzers geboren. Bevor er die Psychoanalyse erlernte, war er Chirurg und begann in dieser Funktion seinen charismatischen Weg in der jugoslawischen Widerstandsarmee Titos. Berühmt wurde er durch die später mit seiner Frau Goldy Parin-Matthèy und Fritz Morgenthaler verfaßten Bücher "Die Weißen denken zu viel" (1963) und "Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst" (1971) - Ergebnisse umfangreicher Studien von zwei afrikanischen Volksstämmen. Mit ihnen wurde Parin zum Mitbegründer der Ethnopsychoanalyse, einem nicht nur dem Eurozentrismus, sondern jeder Kultur, besonders der eigenen, kritisch begegnenden Forschungszweig der Psychoanalyse.

Davon zeugt auch der neuaufgelegte, bereits 1986 bei Syndikat verlegte Band "Subjekt im Widerspruch". Der Titel sorgte schon damals wegen seiner Ähnlichkeit mit dem 1978 erschienenen Buch "Der Widerspruch im Subjekt" für Verwirrung. Dabei bezeugen beide Titel nur Parins dialektisches Denken: Das Subjekt, das sich im Widerspruch mit sich selbst befindet, im Widerspruch zwischen Über-Ich-Anforderungen und seinen Triebbedürfnissen, Wünschen und Gefühlen, gerät zwangsläufig in Widerspruch zu dem Anpassungsdruck und zu den Ideologien seiner Kultur.

Der Band versammelt unterschiedliche Arbeiten aus den Jahren 1978 bis 1986: Aufsätze in wissenschaftlichen Zeitschriften, Buchbeiträge, Veröffentlichungen in linken Kultur- und Tageszeitungen und Interviews. Der Anteil, den Parins Frau beigesteuert hat, beschränkt sich auf einen gemeinsamen Aufsatz und zwei Interviews. Die heute noch ungemein aktuellen Beiträge durchzieht als roter Faden der Blick eines marxistisch-freudianischen Forschers. Aus dem "militanten Antifaschisten" wurde ein "moralischer Anarchist", der politische Entwicklungen und skandalöse Ereignisse ebenso scharf in ihren staatlich gelenkten Ideologien und "Unterdrückungsmechanismen" entlarvt wie die konformistische "Unfruchtbarkeit" seines eigenen Berufsstandes. Parin zitiert zustimmend einen Satz seiner Frau: "Für mich war die Psychoanalyse die Fortsetzung der Guerilla mit anderen Mitteln." An anderer Stelle schreibt er: "Beim Studium des Seelenlebens darf die Psychoanalyse vor Tabus nicht haltmachen, muß höchste Werte, Religion, Moral, Recht und Sitte ebenso in ihre Untersuchungen einbeziehen wie Sexualität, Grausamkeit, Mord-, Macht- und Kriegsgelüste. Sie ist respektlos vor jeder Autorität, die nicht durch Vernunft und Menschlichkeit legitimiert ist."

Die Lektüre macht die subversive Überzeugung deutlich, mit der sich Parin auf die Seite ausgegrenzter Minderheiten und des in seinen Freiheitsmöglichkeiten kollektiv entmündigten Subjekts schlägt. "Grönland" wird für ihn zur Metapher eingefrorener Gefühlswelten in einer auf Anpassung und seelische Deformation basierenden Gesellschaftsstruktur. In seiner Berufswelt hat Parin nur wenige Wegbegleiter gefunden, die sich in ähnlich radikaler Form der Aufklärung verpflichtet fühlen. Nachdem sich in den achtziger Jahren einige Analytiker auf ihr kulturkritisches Erbe besannen, hat sich im letzten Jahrzehnt seine Prognose für eine entsprechende Weiterentwicklung der Psychoanalyse und ihre Resonanz in der Öffentlichkeit, ähnlich wie es Freud erfahren mußte, bitter bewahrheitet. Solange Politiker begründete Ängste der Bürger immer wieder als "Hysterie" denunzieren, bleibt die Idee eines autonomen Subjekts in einer demokratischen Gesellschaft wohl eine Illusion. Damit ist auch das Ziel der Psychoanalyse, Unbewußtes bewußtzumachen und die Irrationalität politischen Handelns der Vernunft zuzuführen, nicht erreicht.

HORST PETRI

Paul Parin, Goldy Parin-Matthèy: "Subjekt im Widerspruch". Psychosozial Verlag, Gießen 2000. 277 S., br., 69,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den Interviews und Aufsätzen in dem bereits 1986 erschienenen, jetzt neuaufgelegten Sammelband bescheinigt der Rezensent Horst Petri auch heute noch hohe Aktualität. Die Lektüre, so Petri, macht den subversiven Willen deutlich, mit dem sich der Mitbegründer der Ethnopsychoanalyse, Paul Parin, auf die Seite ausgegrenzter Minderheiten und des im Anpassungsdruck an die Kultur entmündigten Subjekts stellt. Der zum moralischen Anarchisten konvertierte marxistische Freudianer Parin stehe nicht nur dem Eurozentrismus, sondern jeder objektivierten Kultur skeptisch gegenüber, so auch den Konventionalismen seiner eigenen Profession. Psychoanalyse habe sich für Parin nach wie vor als radikale Aufklärung zu gerieren, "respektlos vor jeder Autorität, die nicht durch Vernunft und Menschlichkeit legitimiert ist." Doch solange Politiker begründete Ängste der Bürger gewohnheitsmäßig als "Hysterie" denunzieren, grämt sich der Rezensent, muss Parins Idee eines autonomen Subjekt in einer demokratischen Gesellschaft eine Illusion bleiben.

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