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Zehn Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gehen die Uhren im Osten Deutschlands noch immer anders. Woran das liegt, was daran schön, was daran ärgerlich ist, darüber schreibt der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reinhard Höppner in diesem Buch: ein Buch gegen Vorurteile, gegen das heute vorherrschende DDR-Bild, in dem sich die 'gelernten DDR-Bürger' nicht weiederfinden. Die Suche nach Schuldigen verstellt den Blick auf die Wahrheit. Höppner wendet sich gegen die Selbstgerechtigkeit der Sieger. Sein Motto lautet: das Trennende aussprechen, um es zu überwinden.

Produktbeschreibung
Zehn Jahre nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten gehen die Uhren im Osten Deutschlands noch immer anders. Woran das liegt, was daran schön, was daran ärgerlich ist, darüber schreibt der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reinhard Höppner in diesem Buch: ein Buch gegen Vorurteile, gegen das heute vorherrschende DDR-Bild, in dem sich die 'gelernten DDR-Bürger' nicht weiederfinden. Die Suche nach Schuldigen verstellt den Blick auf die Wahrheit. Höppner wendet sich gegen die Selbstgerechtigkeit der Sieger. Sein Motto lautet: das Trennende aussprechen, um es zu überwinden.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.08.2000

Höppners kleine Bibelstunde
Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt tut allen wohl und niemandem wehe
REINHARD HÖPPNER: Zukunft gibt es nur gemeinsam – Ein Solidaritätsbeitrag zur Deutschen Einheit, Karl Blessing Verlag, München 2000. 255 Seiten, 29,90 Mark.
Das Buch sollte „einigen wehtun„, der Autor wollte „streitbar sein”. Doch er hat keinem ein Haar gekrümmt. Offenbar wohnten, als er schrieb, zwei Seelen in seiner Brust – die des Predigers und die des Politikers. Letztlich obsiegte die fromme Hälfte seines Ichs. Die Rede ist von Reinhard Höppner, zwischen 1980 und 1994 Präses der Synode der Kirchenprovinz Sachsen, seit 1994 Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt.
Als Politiker ist er ein Mann, der Anstoß erregt. Er war in der Ex-DDR der Erste, der die „Schmuddelkinder” der PDS ernst nahm und mit ihnen redete. Dafür tolerieren sie seine Regierung – und die arbeitet nicht schlechter als der deutsche Länderdurchschnitt. Wer sich so unabhängig und unangepasst benimmt wie Höppner, hat es als Autor nicht leicht. Er muss einen besonderen Erwartungshorizont bedienen. Der Ministerpräsident weiß das auch: Weil er glaubte, „Unangenehmes” auszusprechen, sah er „manchmal beim Schreiben schon die negativen Schlagzeilen in den Zeitungen” vor sich. Zu befürchten ist, dass sein Buch noch nicht mal negative Schlagzeilen machen wird.
Einheitsgewinnler ohne Namen
Höppners „Solidaritätsbeitrag zur Deutschen Einheit” kommt um Jahre zu spät. Was er von sich gibt, haben liberale Redner und Schreiber längst gesagt – und zwar bis zum Überdruss. So gehören Meditationen über die „Selbstgerechtigkeit der Sieger”, die im Begleittext als Botschaft des Buches deklariert werden, mittlerweile zu den Allgemeinplätzen, die keiner mehr hören mag. Das Buch krankt daran, dass der Autor weder einen der ominösen „Sieger” noch irgendeinen anderen Einheitsgewinnler namhaft macht. Selbst Skandalöses bleibt abstrakt – etwa die Tatsache, dass die DDR regelrecht ausgeplündert worden ist. Der Ministerpräsident runzelt die Stirn über „Glücksritter aus dem Westen”, die „mit guten Rechtsberatern die Löcher im Gesetz” nutzten, „um Millionen in die eigene Tasche zu wirtschaften”.
Zu mehr Unmut ist der Autor offenbar nicht im Stande. Da werden die Glücksritter ganz schön zerknirscht sein. Höppner zählt ersichtlich zu den Anhängern der feinen englischen Art, die ihre Zielgruppe nur andeuten: „to whom it may concern” (wen immer es angeht). Das bedeutet: Alle Sünder, die er im Visier hat, können sich bequem unter seinen pauschalen Umschreibungen wegducken, keiner muss sich die Jacke anziehen.
Höppner holt weit aus, beschreibt ein halbes Jahrhundert – vom „Ost-West-Gefälle” der Anfangsjahre über Mauerbau und Mauerfall bis zu den gerade ablaufenden „zehn Jahren Einheit”. Seine Notizen zur unendlichen deutsch-deutschen Geschichte lassen nichts aus. Sie lesen sich daher – nolens, volens – wie Krankenblätter. Doch der liebenswürdige Autor schont das Publikum. Der Leser ist vor Überraschungen sicher: Er wird durch keinen falschen Zungenschlag irritiert – aber auch von keinem zündenden Geistesblitz inspiriert.
Kurzum: Originelle Denkansätze, die aufhorchen ließen, fehlen gänzlich. Die aber wären nötig bei einer Studie, die nur Bekanntes referiert. Der Autor erinnert an Daten und Fakten, die mittlerweile zur Allgemeinbildung gehören, er beschreibt Ereignisse, von denen jeder schon irgendwo gelesen hat, und er spielt auf Kontroversen an, die längst ausgestanden sind – etwa auf die Frage, wann ein Staat, der kein Rechtsstaat ist, zum Unrechtsstaat wird.
Es wäre nicht fair, das ganze Buch an dem falschen Eindruck zu messen, den es eingangs erweckt hat. Höppner ist eben nicht der unbequeme Geist, für den er sich ausgibt – kein kühner Analytiker, der aufdeckt, wer für welche Missstände verantwortlich ist. Wenn er von „weh tun” spricht, heißt das wohl nur: Er fürchtet, dass er netten Menschen, die er kennt, aber nicht nennt, mit seiner Meinung in die Quere kommt.
Diese vorsichtige Diplomatie, die das Geheimnis seines Regierens sein mag, tut dem Buch nicht gut – es ist so spannend wie ein Kompromiss. Höppner untersucht (und das ist hilfreich), warum sich seine Landsleute „als Deutsche zweiter Klasse empfinden”. Er erklärt, warum „die einen ein Zeichen der Zuwendung brauchen” und die „anderen die Nase vom Solidaritätsgerede voll” haben. Er meditiert über die „Ellbogengesellschaft”, die „dem harmoniebedürftigen Ostdeutschen zuwider” ist. Er konstatiert, dass im Osten der Parteienstreit noch verhasster ist als im Westen und dass deshalb Personen bei Wahlen eine große Rolle spielen.
Er moniert dieses und jenes, aber vornehm und zurückhaltend – etwa, dass bundesdeutsches Recht „nicht für diesen Umbruch geschaffen war und seine Anwendung jetzt den Anschein von Willkür erweckt”. Er geht – für seine Verhältnisse – wohl bis an die Grenze des Zulässigen, wenn er fordert, „dass Gerichtsentscheidungen nicht nur formal richtig, sondern auch verständlich und plausibel sein müssen”. Und fast schon revolutionär wirkt die rhetorische Frage, „ob wir Ostdeutschen uns eigentlich an alles anpassen oder doch noch ein bisschen widerspenstig bleiben sollten”.
Aus tiefstem Herzen
Das Banale holt das Gescheite immer wieder ein. Sätze, die sich wie Plattitüden anhören, kommen offenbar aus tiefstem Herzen – etwa die Analogie zu Jesus und der Ehebrecherin: „Wer die DDR-Geschichte kennt, weiß, dass keiner das Recht hat, Steine zu werfen. ” Oder der Stoßseufzer: „Wir sollten uns gemeinsam daran machen, den guten Rechtsstaat besser zu machen. ” Oder sein Reflex auf den Kosovo-Krieg: „In solch komplizierten Situationen ist es Aufgabe der Politik, in höchstem Maße rational und nüchtern zu bleiben. ” Die Klischees – „wir dürfen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten” – lassen vermuten, dass sich kein Lektor an den Ministerpräsidenten herangetraut hat.
Höppner würde sich wünschen, dass die Menschen nicht fragen „Was will ich? Was nützt mir?” sondern „Was wollen wir? Was nützt uns?” Derlei Wendungen verraten nicht nur seine rechtschaffene Gesinnung, sondern auch eine christliche Warmherzigkeit. Den sprichwörtlichen Glaubwürdigkeitstest besteht Höppner mit Glanz und Gloria: Ja, jeder könnte unbesehen ein gebrauchtes Auto von ihm kaufen.
Trotz Leumundszeugnis bleiben Fragen offen: Beispielsweise, ob jeder Politiker, wie neuerdings die Serienhelden, unbedingt ein Buch absondern muss; ob ein regierender Autor ahnt, wie leicht er sich um seine Reputation bringen kann; ob er verinnerlicht hat, dass nicht alles gut Gemeinte auch wirklich gut ist; und ob er weiß, was er tut, wenn er andauernd mit Beschwörungsformeln operiert. Höppner: „Wir müssen weg von den Schuldzuweisungen. ”„Wir sollten uns einfach zugestehen, dass wir anders sind. '„Wir dürfen sie (die Geschichte der beiden deutschen Staaten) nicht nur aus den Schützengräben des Kalten Krieges wahrnehmen. ” Dieser Tonfall hat Ähnlichkeit mit den Handreichungen für eine Bibelstunde. Wer die Aura des guten Zuredens mag, kommt bei der Lektüre sicher auf seine Kosten.
ROLF LAMPRECHT
Der Rezensent ist Politologe und lebt als freier Journalist in Karlsruhe.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2000

Knurrende Gedankenhunde
Ministerpräsident Höppner über die Gemütslage der Ostdeutschen

Reinhard Höppner: Zukunft gibt es nur gemeinsam. Ein Solidaritätsbeitrag zur Deutschen Einheit. Karl Blessing Verlag, München 2000. 255 Seiten, 29,90 Mark.

Reinhard Höppner, der Philosoph unter den deutschen Ministerpräsidenten, hat uns schon viel zu denken gegeben: als Zeitmesser, bei dem die ostdeutschen Uhren anders gehen, als Fragesteller ("Ab wieviel Unrecht ist ein Staat ein Unrechtsstaat?"), als Konstrukteur einer Koalition, die sich Minderheitsregierung nennt. Nun sollen wir uns mit einem "Solidaritätsbeitrag" aus seiner Feder auseinander setzen. Der Untertitel weckt ein ganzes Rudel schlafender Gedankenhunde. Bei dem Appell, wir sollten "ehrlich miteinander umgehen" und "auch Unbequemes aussprechen", fangen sie an zu knurren. Was haben sie denn nur?

Höppner will Feindbilder zerstören und Unterschiede bewusst machen, die trennend zwischen Ost- und Westdeutschen stehen. Und wenn er sich dafür entschuldigt, dass es ein bisschen "provokant" zugehen könnte, so muss man ihn erst einmal zu Wort kommen lassen. Sein Buch ist in drei große Abschnitte unterteilt. Im ersten beschreibt er, wie er als Ostdeutscher vierzig Jahre DDR erlebt hat, im zweiten, warum die Kluft zwischen Ost und West vor allem in den folgenden zehn Jahren entstanden ist und weshalb sich Ostdeutsche noch immer als "Deutsche zweiter Klasse" fühlen. Im dritten breitet er aus, wie er sich die gemeinsame Zukunft unter nur noch erstklassigen Deutschen (nebst erstklassigen Ausländern, versteht sich) vorstellt. Alle 25 Kapitel kommen als Erklärstücke daher; als Antworten auf 25 Wie- und Warum-Fragen, die irritierte Einheitsdeutsche so umtreiben. "Warum sich Ostdeutsche heimatlos fühlen", heißt das erste Kapitel, das zweite "Wie die Geschichte von Jahrhunderten auf die Gegenwart wirkt" und so weiter. Manche Antworten bleiben im Stadium hin- und hergewendeter Fragen stecken.

Mit der Ausflucht, dass man darüber noch einmal diskutieren müsste, macht sich Höppner dann aus dem Staub. Zum Beispiel: "Dass der Kapitalismus die Zukunftsprobleme auch nicht in den Griff bekommt. Darüber muss in der Tat offen geredet werden." Na denn los, möchte man dem Autor zurufen, doch da ist er schon beim nächsten Thema. Statt sich damit aufzuhalten, wie man den Kapitalismus verbessern könnte, dem es nur um die Maximierung von Profit und Einkommen gehe, steuert Höppner langsam, aber zielstrebig auf seine Lieblingsidee zu. "Wenn der Sozialismus in seiner ursprünglichen Form die Suche nach einem gerechten Zusammenleben der Menschen und die Suche nach einer Welt war, in der die Menschen glücklich leben können, dann ist diese Suche . . . noch lange nicht erledigt." Bei der Frage, welchen Sozialismus er denn an der Endstation seiner Sehnsucht zu finden hofft, gerät er arg ins Schwimmen. "Die wesentlichen Fragen begleiten uns, und irgendwann sind sie nicht mehr wichtig. Das Leben hat sie beantwortet." Da drücken sich die Genossen von der PDS wenigstens etwas klarer aus.

Von gleicher Güte ist Höppners Solidaritätsbeitrag zur deutschen Einheit. Über alle Kapitel hinweg streut er Salz in die Wunde der Teilung, die "noch nicht ausgeheilt ist, auch bei mir nicht". Durch Mark und Bein geht der Schmerz, wenn er das Wort von den Siegern und den Besiegten benutzt. Und Höppner benutzt es oft. Wer sich nicht dem westdeutschen Anpassungsdruck unterwerfe, der setze sich gleich dem Verdacht aus, mit dem totalitären System irgendwie gemeinsame Sache gemacht zu haben. Obendrein hielten die "Sieger" die "Besiegten" für dumm und faul, was sie in Wirklichkeit gar nicht seien.

Warum fühlen sich Ostdeutsche heimatlos? Weil ihnen "die eigene Geschichte ausradiert" wurde. Da ist es wieder, dieses Knurren. Die schlafenden Hunde, die Höppner immer wieder wecken möchte: Das sind die Ressentiments, die auf dem Boden des Einigungsprozesses gewachsen sind. Er braucht sie, um selbst als Anwalt der Erniedrigten und Beleidigten hervortreten zu können. Die Lage der Nation wird man einmal daran ablesen können, wie sehr solche Verteidiger in Ostdeutschland noch gebraucht werden.

STEFAN DIETRICH

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Schon der Untertitel des Buches - "Ein Solidaritätsbeitrag zur Deutschen Einheit" - weckt in Stefan Dietrich "ein ganzes Rudel schlafender Gedankenhunde", die bei fortschreitender Lektüre offenbar immer lauter kläffen. Höppners 25 Erklärstücke über ostdeutsche Befindlichkeiten erklären dem Rezensenten rein gar nichts. Jedesmal, wenn der Autor ankündige, jetzt müsse man aber mal offen und ehrlich über die Mängel des Kapitalismus oder einen neuen Sozialismus reden, "macht sich Höppner aus dem Staub", klagt der Rezensent. Und das ständige Gerede von "Siegern und Besiegten" erweckt in Dietrich den Verdacht, dass Höppner solche Ressentiments vor allem braucht, "um selbst als Anwalt der Erniedrigten und Beleidigten hervortreten zu können."

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